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Jul 2017

Alles hat ein Ende, auch die Wurst hat eins

Themen: Neues |

Es war nicht leicht, von München nach Speyer zu ziehen. Es war nicht leicht, von Speyer nach Baden-Baden zu ziehen. Und es war nicht leicht, nach einem halben Jahr innerhalb Baden-Badens umzuziehen. Weg von allen vertrauten Freunden, Orten, Erinnerungen. Nochmal bei Null anfangen. Wie macht man das? Mit 20 ist das leicht, da wird man schnell auf Partys eingeladen. Hat man Kinder, findet man im Nu Kontakt zu anderen Eltern. Wir? Wir haben nicht mal einen Hund. Und unsere beiden Katzen sind an Gästen nicht sonderlich interessiert. Wir sind ein freundliches älteres Ehepaar. Unspannend.

Da ist man umso erfreuter, wenn Menschen im täglichen Umgang einfach nett zu einem sind. Die kleinen sozialen Kontakte, sie werden dann wichtiger. Die Nachbarin, die sich für das Geschrei der süßen Tochter ebenso entschuldigt wie der Nachbar für das Gebell seines Terriers. Der Paketbote, der nicht nach fünf Sekunden davon rennt, um das Paket in die Packstation zu quetschen. Der Friseur, der einem Storys aus der Nachbarschaft erzählt. Die Blumenhändlerin, bei der man immer auch morgen bezahlen kann.

Und Herr Busam. Metzger Busam, um genau zu sein. Er wurde gleich schräg gegenüber unsere Anlaufstelle in Sachen Fleisch, Wurst und manchmal auch Mittagstisch. Ein klassischer Kleinbetrieb, in dem noch fast alles von Hand gemacht wurde, jede Bestellung individualisierbar war und der Preis hoch, die Qualität aber immer höher war. Ich habe eigentlich erst durch Herr Busams Filets und Hack gelernt, Fleisch wirklich zu schätzen. Nicht gerade ein Paradies für Vegetarier, aber WENN Fleisch, dann so.

Er war der Erste, der sich die Mühe machte, sich unseren Namen zu merken. Ab Woche 2 in der neuen Wohnung war ich bei ihm “Ahhh, der Herr Dewi!”. Eine Woche später hatten das auch seine Mitarbeiterinnen verstanden. Herr Busam war sehr gut darin, jedem Kunden das Gefühl zu geben, ein Stammkunde zu sein, den es gut zu behandeln galt. Da holte er schon mal von hinten “ein ganz besonders gutes Stück” und bearbeitete fünf Minuten die Fleischbrocken, bis wirklich jeder Fitzel Fett entfernt war. Und wenn er gerade nicht beschäftigt war, bestand er auch darauf, mich persönlich zu bedienen, in dem er seine Damen anwies: “Lasst mal, den Herrn Dewi übernehme ich!”

Es war für mich als Freund der urbanen Anonymität ungewohnt, aber schnell doch angenehm. Mit Herr Busam konnte man zwei, drei Sätze plaudern, ohne dabei in gequälten Smalltalk zu verfallen oder kein Ende zu finden. Bei ihm einzukaufen war mehr als ein Einkauf – es war ein kleiner Ausflug. Auch meine Frau ging gerne hin, denn Herr Busam entpuppte sich als begeisterter Afrika-Reisender und konnte mit ihr viele Anekdoten austauschen. Da hatten sich zwei gefunden.

Über ein Jahr lang ist Herr Busam “unser Metzger” gewesen. Und ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich darüber lustig zu machen, dass er auf der Markise “Busam” in Anführungszeichen gesetzt hatte.

Vor zwei Monaten dann die Hiobsbotschaft vom Inneneinrichter in der Nachbarschaft: “Dass der Busam aufhört, haben Sie schon gehört?”

So kam raus, dass Herr Busam außergewöhnlich rüstige 75 Jahre alt war und in den letzten Jahren keinen Nachfolger hatte finden oder ausbilden können. Dass das Ladenlokal zwar piccobello war, für einen eventuellen Besitzerwechsel aber doch komplett saniert werden müsste. Und dass er es ehrlich gesagt auch an der Zeit fand, noch ein paar Jahre das Leben und die Welt zu genießen.

Wer konnte es ihm verdenken? Wir jedenfalls nicht. Wir waren nur… traurig. Genau. Weil der Metzger in unserer Straße in Rente geht. Eine solch emotionale Reaktion hatten wir uns vor ein paar Jahren gar nicht vorstellen können. Als ich Herrn Busam darauf ansprach, dass er an seinem letzten Tag mit großem Wehklagen rechnen müsste, winkte er ab: “Ich habe schon ein paar Rollen Küchenpapier bereit stehen, das lege ich dann auf dem Boden aus – für die Tränen.”

Es war frustrierend, in den letzten Tagen den schrumpfenden Bestand in der Auslage zu sehen – es wurde ja nichts mehr frisch produziert. Gestern sah die Metzgerei schon aus wie zu DDR-Zeiten.

Und so kam meine Frau heute zum Mittag kurz von der Arbeit heim, wir kauften ein Töpfchen Sommerblumen und drei rosa Rosen für die Damen. Abschiedsbesuch.

Der Laden war voll. Was noch zu verkaufen war, wurde verkauft. Und alle Kunden wussten Bescheid. Kaum einer war ohne Geschenk da. Eine Packung Pralinen hier, eine selbstgebastelte “Ehrenurkunde” da. Viel Händeschütteln, viel Danke, viel “man sieht sich immer zweimal”. Herr Busam bewusst beherrscht, die Damen sichtlich etwas traurig. Immerhin hatte man fast 30 Jahre hier die Kundschaft bedient.

Und dann – vorbei. Ein letztes Türe abschließen, die Jalousien runterlassen, die Displays ausräumen. Feucht durchwischen. Licht aus.

Wir werden einen neuen Metzger finden. Aber ob ich für den auch “Ahhh, der Herr Dewi!” sein werde? Ich bezweifle es.



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sergej
sergej
1. Juli, 2017 10:31

Wenn der Titel schon drauf anspielt

https://www.youtube.com/watch?v=582FrJaDMOk

P.K:
P.K:
1. Juli, 2017 19:00

Schöne Geschichte.:) Und leider immer wieder wahr!

Dietmar
1. Juli, 2017 20:59

Toll, danke!

Marcus
Marcus
2. Juli, 2017 14:06

Oder mit Douglas Adams: Machs gut und danke für die Wurst!

Dr. Acula
2. Juli, 2017 22:57

“Freundliches älteres Ehepaar” kann aber nur für die LvA-Hälfte gelten, oder? 😀

Hendrik M
Hendrik M
19. Juli, 2017 10:13

Eine sehr schöne Geschichte, Danke für’s Teilhabenlassen.
Ich finde es auch schade, dass – egal ob Großstadt oder kleiner Ort – solche persönlichen Läden langsam mehr und mehr auszusterben scheinen.
Selbst in meinem früheren Stamm-Urlaubsreiseziel, der Insel Amrum, ist das in den kleinen Inseldörfern so. Sogar dort werden die kleinen Lebensmittel- und Fachgeschäfte geschlossen und durch unpersönliche Supermärkte etc. ersetzt.
Da wird man schon ein wenig wehmütig…