03
Mai 2017

Hyperland Redux (7): The Circle – der gefährliche Charme der Transparenz

Themen: Film, TV & Presse, Hyperland |

Dieser “Redux” war als 15. Folge gedacht, ich ziehe ihn (sie?) aber heute mal aus aktuellem Anlass vor. Das Buch, das ich hier bespreche, ist nämlich mittlerweile verfilmt worden und bei Mark Tinta gibt es eine ziemlich vernichtende Kritik, die mich nicht sonderlich überrascht. Man hat ein eh schon relativ pseudo-trendiges Buch mit knappem Verfallsdatum noch einmal verwässert und “angepasst” – augenscheinlich mit den komplett falschen Ansätzen. Ich empfehle aus diesem Grund die Lektüre nicht nur meines Artikels, sondern auch der Tinta-Kritik.

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Ach ja, noch was: Das war der erste Hyperland-Text, der beim ZDF so nicht abgenommen wurde. Man empfand ihn als zu komplex für Leser, die sich mit dem Buch noch nicht beschäftigt haben. Das war völlig korrekt. Ich habe diese neue Version geschrieben, die mehr Rücksicht auf weniger belesene Konsumenten nimmt.

Originaltext August 2014:

Der ambitionierte utopische Roman galt als Auslaufmodell. Doch Dave Eggers wagt sich in seinem neuen Roman an die ganz großen Fragen der Social Media-Kultur.

Üblicherweise drehen sich Romane zum Thema Diktatur um Widerständler, egal ob in Samjatins „Wir“, Huxleys „Schöne neue Welt“ oder Orwells „1984“. Der Held lehnt sich auf gegen das System. Bei Dave Eggers ist die Protagonistin allerdings eine willige Helferin und eine perfekte Repräsentantin des Systems.

Mae Holland lebt den Traum: Ihre Freundin Annie hat sie bei der hipsten Software-Company des Landes untergebracht. „Der Circle“ ist Google und Facebook, Amazon und Twitter, das Epizentrum des digitalen Lifestyles. Hier wird entwickelt, was morgen unser Leben bestimmt, in dem es unsere Wünsche erfüllt – als Gegenleistung für die Preisgabe aller Privatsphäre. Schnell entwickelt die junge Frau Ehrgeiz, entwirft Strategien, wie noch mehr User zur Aufgabe noch persönlicherer Daten sanft genötigt werden können. Für ihren Aufstieg in der Firmenhierarchie zahlt sie dabei einen hohen Preis – und sie zahlt ihn gerne.

Mae ist ein Kind der schonungslosen und schamlosen Kultur der medialen Nacktheit. Sie spielt mit, was zuerst wie ein Spiel wirkt, aber schnell seinen Zwangscharakter offenbart. Wenn es gut ist, dass möglichst viele Menschen wählen gehen, wenn es gut ist, dass sie sich fit halten – warum sollte es dann schlecht sein, sie dazu zu nötigen? Mae wird zum willigen Werkzeug einer Welt, die keinen Diktator braucht, weil jeder ein Bruchteil Diktator ist. Man unterwirft sich nicht, weil man gezwungen wird – sondern weil es bequem ist. There’s an app for that. Oder wie Eggers es formuliert: „Alles Private ist Diebstahl“.

Der wahre Horror in Eggers Roman besteht nicht in der brutalen Unterwerfung der Menschen, sondern in ihrer bereitwilligen Hingabe. Mae ist das Paradebeispiel einer glücklichen Sklavin. Die Diktatur ist gewollt, jeder Widerstand damit auch ein Widerstand gegen die Menschen selbst. Das System hat sich ein Schutzschild aus Millionen Social Media-Junkies gebaut, die das Recht auf ihre Neugier höher werten als das Recht auf Privatsphäre. Wo soll in dieser Welt noch Widerstand wachsen?

Dabei geht die Diktatur nicht von der Politik aus. Sie ist nur ein Büttel, der einer technischen Entwicklung hinterher humpelt, die sich jeder Gesetzgebung entzieht. „Big Brother“ ist kein Mann, sondern der Markt.

Eggers ist nicht der Erste, der die neuen Dynamiken im gesellschaftlichen Umgang in eine gut konsumierbare Spielhandlung verpackt. Charlie Brookers böse TV-Satire „Black Mirror” zeigt eine Zukunft, in der man für das Privileg, Werbung nicht zu sehen, bezahlen muss. Und in der jeder Moment, den man erlebt, aufgezeichnet wird.

Wo Brooker allerdings nur den Ausschnitt erzählt, baut Eggers das ganz große Bild. Es hilft, dass er jenen flotten, den Erwartungen des Leser zuarbeitenden Schreibstil eines Michael Crichton beherrscht, der erlaubt, das Buch auch in der S-Bahn und am Strand zu lesen. Man muss sich die 558 Seiten und ihre Botschaft nicht erobern.

Wer allerdings nach der Lektüre von „Der Circle“ seinen Facebook-Account löschen und zur zwischenmenschlichen Kommunikation wieder auf Briefpost umsteigen will, der sollte sich entspannen. Eggers Roman hat mit großen Vorbildern wie „1984“ und „Wir“ vor allem gemeinsam, dass er eine Realität beschreibt, die aller Voraussicht nach nicht eintreffen wird. Weil Schriftsteller eben doch nur als Warner taugen, nicht als Wahrsager.

NACHTRAG 2017: Ein Roman, der sein Verfallsdatum fast schon überschritten hat, dessen einzelne Aspekte aber valide bleiben. In diesen Kontext lassen sich auch Ereignisse wie das “Fappening” einordnen.



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