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Apr 2017

Hyperland Redux (5): Amazon Coin – virtuelle Währung oder Augenwischerei?

Themen: Film, TV & Presse, Hyperland |

Originaltext Februar 2013:

Es war eine Ankündigung, mit der niemand wirklich gerechnet hatte: Am Dienstag erklärte der nur vermutlich weltgrößte Versandhändler, im Mai eine eigene Währung einführen zu wollen. Der Name: Amazon Coins. Mit diesem digitalen Zahlungsmittel sollen sich laut Amazon Apps und Spiele kaufen lassen – von physischen Produkten wie Büchern oder Rasenmähern ist interessanterweise (noch?) nicht die Rede.

Nun ist die Idee einer „virtuellen“ Währung nicht neu. Schon in den 90ern Jahren wurde mit den „Beenz“ versucht, eine reine Netzeinheit zu schaffen, die nicht nur analog zum echten Geld existiert, sondern auch als Bonus wie Flugmeilen vergeben und gegen Waren eingetauscht werden kann. Mehr als 100 Millionen Dollar wurden verbrannt, bevor das Projekt 2001 eingestellt wurde. Ähnlich ging es mit „Flooz“.

Microsoft hat schon länger eine eigene Währung – mit „Points“ kann man seit Jahren in den hauseigenen Spiele-Netzwerken und Shops einkaufen. Der Zwang, die Points „en bloc“ zu kaufen und die teilweise bizarren Umrechnungen (100 Points entsprechen circa 1,20 Euro) brachten Microsoft den Vorwurf ein, mit dem „Spielgeld“ die tatsächlichen Kosten der Online-Transaktionen verschleiern zu wollen. Es gibt Anzeichen, dass das Unternehmen sich langsam von dem System verabschiedet und wieder zu harten Währungen zurückkehrt.

Auch Social Network-Riese Facebook hat sich an dem Thema die Finger verbrannt: seine „Credits“ wurden 2012 nach kaum mehr als einem Jahr de facto wieder abgeschafft.

Und dann ist da Bitcoin, die von der Open Source Community gefeierte digitale Währung, die niemand genau zu verstehen scheint und hinter der keine Bank und keine Regierung steht. Beliebt sind Bitcoins u.a. bei Online-Spielbanken, im Wert von 200 Millionen Dollar sollen sie bereits im Umlauf sein. Einen schweren Schlag erlitt die unhackbare Währung 2012, als sie eben doch gehackt werden konnte – für 24.000 Bitcoins im Wert von aktuell 380.000 Euro mussten die Diebe keinen Safe knacken und keine Kreditkarte klauen.

Nun also Amazon Coins. Noch rätselt die Branche, was genau sich dahinter verbirgt. Die Erwähnung von Apps und dem Einkauf aus Apps heraus lässt vermuten, dass Amazon nicht einfach eine Parallelwährung schaffen will, sondern ein Belohnungssystem, das Länder- und Programmgrenzen überwindet. So könnte ein Spieler Game X kaufen, in dem er so erfolgreich daddelt, dass die App ihn mit Coins belohnt, die er dann bei Amazon in Zubehör für Game Y investieren kann. Ziemlich clever: um das zu ermöglichen, müssten Entwickler ihre Programme passgenau auf die Amazon-Währung zuschneiden, auf den Amazon App Store, eventuell sogar auf die Kindle-Tablets. Obwohl diese auf dem freien Android-Betriebssystem basieren, würden die Coins eine Biosphäre schaffen, die den User so stark an Amazon bindet, wie das sonst nur bei Apple der Fall ist.

Aber wer will das – außer Amazon?

Während technik-affine Märkte wie Korea, Japan und Teile der USA gemeinhin experimentierfreudig genug sind, um virtuelle Währung als tatsächlichen Wert zu akzeptieren, erwarten Amazon in Europa größere Hürden. So wie bei den „Beenz“ muss sichergestellt werden, dass die Coins eben keine digitalen Münzen sind und Amazon daher keine Bank. Dafür besitzt das Unternehmen nämlich schlicht keine Lizenz. Vermarktet werden dürften die Coins demnach eher als Bonuspunkte, wie man sie heute schon von Payback und verschiedenen Kreditkarten kennt.

Das größte Problem dürften aber europäische User sein, die sowieso schon eine Einheitswährung besitzen und virtuellenHeilsversprechen traditionell nicht so leicht trauen. Sind Amazon Coins wirklich Geld? Sind sie „mehr“ Geld als der Euro? Warum Amazon Coins kaufen, wenn Amazon weiterhin auch Euros nimmt? Was, wenn die digitale Währung scheitert? Will ich wirklich, dass mein Kaufmann auch mein Banker ist, dass er mir das Geld in die Hand drückt, mit dem ich dann wiederum bei ihm einkaufen soll?

So ist die Infrastruktur der Bitcoins sicher die eine große Aufgabe, die Amazon zu lösen hat – die andere ist ein überzeugendes Marketing, damit der Konzern nicht auf seinen virtuellen Geldsäcken sitzen bleibt…

NACHTRAG 2017: Mittlerweile sind wir schlauer – Coins ist eine weitgehend bedeutungslose “interne” Währung, die wenig wirkliche Vorteile bringt. Und Microsoft Points wurde tatsächlich noch 2013 beerdigt. Ob die “echten” virtuellen Währungen wie Bitcoin mittelfristig den Mainstream durchdringen werden, bleibt abzuwarten.



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Fake
Fake
17. April, 2017 13:49

Zum Thema Bitcoin möchte ich einmal hinzufügen das der Hack einer Bitcoinbörse _nichts_ mit der Sicherheit des Bitcoinsystems selbst zu tun hat. Die von Bitcoin verwendeten Kryptoverfahren immernoch sicher.
In der “physikalischen Welt” würde auch niemand behaupten, der Euro wäre unsicher, bloß weil jemanden das Bargeld geklaut wurde. Und nichts anderes ist dort virtuell passiert. Niemand ist gezwungen seine Bitcoins bei einem Dienstleister wie einer Bitcoinbörse zu bunkern, das geht auch auf dem eigenem Computer. (Dort kann es natürlich auch geklaut werden oder verloren gehen, falls die Festplatte gelöscht wird.) So gesehen ähnliche Risiken wie beim Bargeld.