Fantasy Filmfest 2016: Toro
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Spanien 2016. Regie: Kike Maíllo. Darsteller: Mario Casas, Luis Tosar, José Sacristán, Ingrid García Jonsson, José Manuel Poga, Nya de la Rubia
Offizielle Synopsis: Fünf Jahre nach einem misslungenen Raubüberfall stellt sich wieder Normalität in Toros Leben ein: Er ist dabei, mit der jungen Lehrerin Estrella eine Familie zu gründen und verdient sein Geld als Taxifahrer. Dann jedoch steht eines Tages sein Bruder Lopez vor der Tür und steckt nicht nur in Schwierigkeiten mit dem örtlichen Gangsterboss Romero, sondern ist von diesem auch kurzerhand seiner Tochter Diana beraubt worden. Toro zögert nicht, als Lopez um Hilfe fragt. Vereint im Zorn ziehen die beiden Brüder los, um Diana aus den Klauen Romeros zu befreien und legen dabei halb Spanien in Schutt und Asche.
Kritik: Lest die Inhaltsangabe noch mal. Alles, was darin steht, ist richtig – und in letzter Konsequenz doch falsch. Weil es nicht um den Rachefeldzug zweier Brüder geht, die im Stile von Schwarzenegger und Willis eine Spur der Verwüstung hinterlassen. "Toro" ist ein Film über einen Mann, der aussteigen will und doch nicht kann, dem jeder Versuch, die Fehde zu einem Ende zu bringen, entgleitet – und dessen unglaubliche Renitenz und Professionalität die Gewaltspirale immer weiter dreht.
"Toro" ist daher kein Actionfilm – es ist ein Familiendrama, das Action als primäres Erzählelement verwendet. Kein Stunt, keine Schlägerei, keine Verfolgungsjagd ist Selbstzweck. Im Gegenteil – Kike Maíllo hält die Action extrem straff und verweigert das voyeuristische Auge. Weiter weg vom US-Stil mit seiner Spektakelsucht kann man nicht sein.
Die Figuren sind Archetypen, wie sie mittlerweile auch in Spielen wie "Grand Theft Auto" und "Mafia" vorkommen: Der kunstsinnige, leise, aber eiskalte Gangsterboss. Der schmierige Unterling, der immer lügt und immer andere braucht, um seine Scheiße aufzuwischen. Der Austeiger aus dem System, das keine Aussteiger erlaubt. Die vielen gesichtslosen Mitläufer, Kanonenfutter, die es in der Hierarchie des Verbrechens nicht mal ins mittlere Management schaffen, bevor sie eine Kugel erwischt. Und die Frauen – Mütter und Huren.
"Toro" ist dabei aufgeteilt in einen knalligen Prolog, eine kurze Ruhe vor dem Sturm-Phase – und in einen Tag, der zunehmend wahnwitziger, ausufernder und hoffnungsloser wird. Weil ein Ende des Kampfes nicht möglich ist, wenn jede Aktion eine Reaktion hervor ruft, wenn beide Seiten nur Eskalation als Mittel zum Machterhalt kennen.
Das Ergebnis ist erstaunlich: Wir nehmen die Figuren augenblicklich an, lassen uns auf sie ein – und die zu erbringenden Opfer rühren auch das Publikum. Am Ende stehen alle Protagonisten vor den Scherben ihres Lebens, müssen Verantwortung übernehmen, einen schmerzhaften Neuanfang wagen. Wie sehr uns das berührt, zeigt die Qualität von "Toro" weit über das Actiongenre hinaus.
Das ist exzellent beobachtet, phantastisch gespielt, besonders von Luis Tosar, der an einen tragischen Helge Schneider erinnert und nach "Shrew’s Nest" und "To steal from a Thief" erneut beweist, warum er zu den Top-Schauspielern seines Landes gehört.
Fazit: Familienehre gegen Gangsterehre in einem perfekt austarierten, ständig eskalierenden Actiondrama. Ein Film, dessen US-Remake die Karriere von Jason Statham wieder auf Spur bringen könnte.
Philipp meint: Spannender, schlüssiger Thriller mit typisch spanischer intensiver Bildsprache.
Tipp: Den Film gibt es bei Netflix!
Eben auf Netflix gesehen. Dafür, dass der Film nicht auf Spektakelsucht setzt und eher Drama- als Actionfilm ist, fand ich vieles einfach zu unglaubwürdig und alles andere als schlüssig. Genervt hat mich auch der klischeehaft überzeichnete Gangsterboss, der offenbar zuviel "Taxi Driver" geguckt hat. Not my cup of tea.