Fantasy Filmfest 2016: They call me Jeeg Robot
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Italien 2015. Regie: Gabriele Mainetti. Darsteller: Claudio Santamaria, Luca Marinelli, Stefano Ambrogi, Ilenia Pastorelli, Maurizio Tesei, Francesco Formichetti, Daniele Trombetti, Antonia Truppo, Gianluca Di Gennaro
Offizielle Synopsis: Auf der Flucht vor der Polizei kommt der Kleinkriminelle Enzo mit radioaktivem Abfall in Berührung und entwickelt übermenschliche Kräfte, die er zunächst konsequent zu seinem eigenen Vorteil nutzt. Wozu auch in der Schlange stehen, wenn man Superkräfte hat? So wird der Bankautomat einfach gleich aus der Wand gerissen und mitgenommen. Die Begegnung mit der psychisch instabilen Alessia bringt den Menschenfeind jedoch an seine Grenzen. Sie ist überzeugt, in ihm die fleischgewordene Mangafigur Jeeg Robot zu erkennen und will Enzo dazu bringen, seine Kräfte für einen guten Zweck einzusetzen. Der brutale Gangleader Fabio setzt derweil alles daran, dem Neuling zu zeigen, wer in den römischen Vorstadtslums das Sagen hat.
Kritik: Ich sage ja immer wieder gerne, dass es gefährlich ist, sich nicht für ein Genre zu entscheiden oder gar verschiedene Genres zu mixen. Um das erfolgreich durchzuziehen, braucht es große erzählerische und inszenatorische Sicherheit, damit die einzelnen Elemente sich nicht gegenseitig neutralisieren, wie das heuer z.B. bei "War on everyone" der Fall war.
Das macht es umso überraschender, dass es Gabriele Mainetti mühelos schafft, bei seinem Erstling gleich drei Gattungen zu bedienen: "They call me Jeeg Robot" ist als Superheldenfilm (inklusive Origin Story und Superbösewicht) ebenso stimmig wie als kleines italienisches Gangsterdrama und als Außenseiter-Liebesgeschichte. Es gelingt Mainetti, die Elemente so ineinander zu verzahnen, dass sie sich befruchten, dass sie voneinander Aspekte übernehmen und dadurch ungewöhnlich frisch wirken.
Dass "Jeeg Robot" funktioniert, liegt erstmal an der tonalen Stimmigkeit. Egal, welche Elemente er bedient, er bleibt bei sich selbst, erzählt Enzo als fast autistischen Kleinkriminellen ohne Lebensplan, der erst durch Alessia und die Superkräfte lernt, dass man im Leben auch für größere Dinge stehen kann. Das ist nicht glamourös oder episch – Enzo verstolpert sich denn auch mehrfach bei dem Versuch, ein Held zu sein, teilweise schmerzhaft.
Und wie in "Unbreakable" (an den "Jeeg Robot" mehrfach erinnert) ist es letztlich das Auftauchen des Superbösewichts Fabio, das Enzos Persona als Superheld formt und festigt. Er ist die große Aufgabe, die der kleine Gauner gebraucht hat. Held und Bösewicht bedingen, brauchen einander.
Nun wäre ein Film über einen Kleinkriminellen mit plötzlichen Superkräften vermutlich zuallererst mal eine Komödie – es ist die Liebesgeschichte von Enzo und Alessia, die "Jeeg Robot" das Gewicht gibt, gerade weil sie so unkomfortabel und mühsam ist. Alessia hat sich wie Enzo in eine eigene Welt zurückgezogen, definiert ihr Dasein und ihre Mitmenschen als Teile des Animes "Jeeg Robot", um sich nicht mit dem Tod ihrer Mutter und später ihres Vaters auseinander setzen zu müssen. Enzo ist für sie der Superheld aus der Serie und für ihren kindlichen Verstand ist es undenkbar, dass dieser Strahlemann niedere Triebe wie Sex haben kann. So befindet sich das Paar in einem Spannungsfeld, dass manchmal ungut nach Pädophilie und Vergewaltigung riecht – und das auch thematisiert.
Wen’s interessiert – das ist hier der "Jeeg Robot", auf dem der von Alessia erträumte Mythos basiert:
Am Ende ist es der narrative Fokus der Superheldengeschichte, die vereinfachte Weltsicht der Comics, die "Jeeg Robot" wieder aus der Melancholie reißt und zu seinem sehr unterhaltsamen Ende bringt. Enzo mag praktisch alles verloren haben, mag vieles falsch gemacht haben – aber er ist Jeeg Robot. Und Jeeg Robot ist der Beschützer seiner Stadt.
Der Film ist visuell nicht knallig, sondern eher im Stil von schmutzigen Mafiafilmen der 70er inszeniert – das, was er an Spezialeffekten mitbringt, macht er aber überzeugend und bruchlos in die Umgebung eingebettet. Die starke, straffe Regie sorgt dafür, dass es keine Durchhänger gibt und die überzeugenden Darsteller (der tumbe Enzo, die Kindfrau Alessia, der Italo-Joker Fabio) überhöhen ihre authentischen Figuren gerade genug, um auch die Comic-Aspekte bedienen zu können.
Sicherlich eine der ganz großen Überraschungen des Festivals und die perfekte Erklärung dafür, warum ich möglichst unvorbereitet ins Kino gehe und immer versuche, wirklich ALLE Filme zu sehen.
Fazit: "Allein gegen die Mafia" meets "Unbreakable" im Schatten einer zarten, aber schwierigen Liebesgeschichte. Neben "We are the Flesh" und "Swiss Army Man" der sicher beste Beweis, dass das phantastische Genre trotz aller Zombie-Invasionen und Spukhäuser noch lange nicht auserzählt ist.
Philipp meint: Erstaunlich gelungenes Genremix, das sich nicht zu ernst nimmt.
..kommt auf die Merkliste..
Der Film hat mich unschlüssig zurück gelassen. Alles, was du schreibst, ist richtig, aber er konnte mich nicht wirklich packen. Ich denke, das liegt daran, dass er durch die vielen anderen Origin-Filme, die wir in den vergangenen Jahren gesehen haben, einfach schon fast altbacken wirkt und insgesamt auch recht trostlos daher kommt. Vor 5-8 Jahren wäre er der Knaller gewesen, jetzt ist er eine Origin-Story unter vielen, nur leider ziemlich humorlos. Man könnte sagen, es ist inhaltlich der Film, den Snyder anstrebt, aber nicht hinbekommt.
[…] OUT ist gerade mal der zweite Film von Gabriele Mainetti, dem ich nach dem großartigen JEEG ROBOT vor sechs Jahren bereits eine große Karriere prophezeit habe. Jetzt ist er wieder da – […]