27
Jul 2016

TV-Serien-Nostalgie: unangebracht?

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Seit ein paar Tagen schaue ich mit großer Begeisterung den YouTube-Kanal von RwDt09, der etwas zusammenschneidet, was keine so große Begeisterung auslösen dürfte: Serien-Vorspänne aus verschiedenen Jahrzehnten.

Ein schönes Beispiel ist dieses Video mit den Top 16-Serien der Saison 1973/74 (man achte auf den Titelsong des "Six Million Dollar Man"!):

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Davon kennt man ja einiges. Interessant sind auch Videos mit Vorspännen von Serienflops, von denen die meisten hierzulande nie gelaufen sind:

https://www.youtube.com/watch?v=MfZerhRy8lc

Es ist schon faszinierend, wie weit wir gekommen sind, wie sehr das Fernsehen sich als erzählerisches Medium weiterentwickelt hat. Es ist eskapistischer geworden, was aber auch den Zeitgeist reflektiert. Es wird oft horizontal erzählt, verwebt seine verschiedenen Geschichten über mehrere Episoden oder Staffeln hinweg. Die Schauspieler sind nicht mehr nur TV-Weißbrot (man schaue sich gerade bei den Drama- und Krimi-Zusammenschnitten mal die unsägliche Menge austauschbarer Blondinen in den weiblichen Hauptrollen an). Das Würgehalsband der verpflichtenden Familienfreundlichkeit ist ebenso abgelegt wie der Fokus auf den weißen heterosexuellen Mittelstand und seine vermuteten Vorlieben.

Die TV-Serie ist auch nicht mehr der Pensionsanspruch ausgemusterter Hollywood-Stars wie Rock Hudson oder Doris Day, die sich gegen Ende der Karriere großherzig dazu herab lassen, dem Pantoffelkino die Ehre zu geben. Die heutigen Castlisten der Sender lesen sich nicht schlechter als die der Kinos: Dustin Hoffman, The Rock, Anthony Hopkins, Sharon Stone, Halle Berry, Jennifer Lopez, Hugh Jackman, Mark Wahlberg, Jack Black, Tim Robbins, Elijah Wood, Adam Sandler, Woody Allen, etc. pp.

Vor allem aber ist Fernsehen aufwändiger geworden, befreit von der alleinigen Funktion des Zeitvertreibs zwischen zwei Werbeblöcken, die den Verzicht auf Effekte, Sets und Anspruch zum Hauptanliegen machte.

Das Medium ist erwachsen geworden – und es ist ein Monster. Nirgendwo wird das besser ersichtlich als bei diesem Fake-Trailer – mit ziemlicher Sicherheit hätten die "Avengers" in den 70ern in der Tat SO ausgesehen:

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Wer sich das ehrlich eingesteht, dem geht nicht die Nostalgie für die alten Serien verloren, schon allein deswegen nicht, weil sie unzertrennlich mit unserer eigenen Biographie, mit unserer eigenen Geschichte verbunden sind. Aber die Nostalgie ist nicht mehr so golden gefärbt. Weil gerade im neuen Zeitalter des Anspruchs-Fernsehens Mangel und Makel der alten TV-Welt schmerzhaft offensichtlich sind. Selbst gute Serien waren damals meistens nicht objektiv gut, sondern "gut" im Sinne von "nicht so unerträglich wie der restliche Scheiß".

So sehr ich manchmal den einfachen, episodischen Serien nachtrauere und mich an "Castle" und "House" klammere, so sehr ich im Zeitalter von Binge Watching die Vorfreude auf nächste Folge vermisse, so sehr freue ich mich doch, miterleben zu dürfen, wie mein liebstes Medium eine neue und unerwartete Blütezeit erlebt. Vor zehn, fünfzehn Jahren war noch fleißig der Tod der TV-Serie prophezeit worden. Voreilig, wie sich nun zeigt.

Natürlich ist auch 2016 noch viel Katzengold dabei. Eine Industrie, die 50 Jahre lang auf Simpel-Geschichten und Küchenmeister Schmalhans geeicht war, produziert nicht schlagartig nur noch Diamanten. Oft genug sind die Geschichten und die Figuren hinter dem enormen Aufwand keinen Deut besser geworden und die horizontale Erzählweise dient nur dazu, Magerplots auf 13 Folgen zu strecken. Aber wer auswählt, wer sich als kritischer, mündiger Zuschauer begreift, der kann sich 24 Stunden am Tag mit Fernseh-Delikatessen die Zeit vertreiben. Vor 20 Jahren Jahren war ich froh, fünf oder sechs Serien pro Woche zu haben, die mich nicht nervten.

Mein "Science Fiction TV Guide" war damals nötig, damit die Fans ausreichend Informationen hatten, damit sie die wenigen Genre-Highlights nicht verpassten. Heute, im Zeitalter von Internet, Streaming und Blu-ray, besteht diese Gefahr nicht mehr. Man wird vorab mit Informationen, Clips und Bildern überschüttet, kann selber entscheiden, ob und wann man etwas schauen will. "Verdammt, ich habe vergessen, die Folge aufzunehmen!" gehört ins Lexikon der aussterbenden Phrasen. Würde ich heute wieder einen "Science Fiction TV Guide" konzipieren – seine Aufgabe wäre die Perlentaucherei, die Entscheidungshilfe für Geeks, die keine Zeit haben, alles zu schauen. Das Konzept wäre nicht das Finden von neuen Serien, es wäre die kuratierte Auswahl in der aktuellen Schwemme.

Aber das ist nicht mehr meine Aufgabe, denn dies ist nicht mehr meine Generation. Ich bin ein Dinosaurier. Ich schaue vom Wegesrand zu, wie der Serien-Zeitgeist an mir vorbei galoppiert. Manchmal schüttel ich wütend die Faust und knurre "Zu MEINER Zeit…". Dann beneide ich die heutigen TV-Junkies, die 20 Folgen an einem Wochenende konsumieren können. Andererseits: Dafür habe ich erstaunlich verschiedene Phasen des Fernsehens miterleben dürfen, von den spröden und farblosen 70ern über die aufgeblasenen 80er bis in die verspielten 90er. Das kann mir keiner mehr nehmen und das Gefühl dieser Epochen kann sich auch niemand nachträglich anlesen.

Was ich eigentlich nur sagen wollte: Geile Zeiten.

Zum Abschluss eine Reihe von Vorspännen der Serien, die primär in den 90ern als Fantasy oder Comic-Action produziert wurden und die heute fleißig zum Fremdschämen einladen (Bonus-Cameo von Christopher Lee):

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Tja, die richtigen Ideen und Stoffe hatte man – nur auf die richtige Umsetzung mussten wir bis "Game of Thrones", "Daredevil", "Walking Dead" und "Vikings" warten…



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aZrael
aZrael
27. Juli, 2016 16:55

Vielen Dank! Was ich schade finde: Die erste Staffel von Viper fand ich herausragend, durch die vielen Anspielungen auf Cyberpunk und das Gefühl,eine dezent verschobene Zukunftsversion zu sehen – danach wurde es auch auf TV-Mittelmaß getrimmt. Das ist ein Ansatz, der mir heute im TV fehlt: die nahe und glaubwürdige Zukunft, die dennoch sich von unserer heutigen Zeit mit Hilfe von distinkten Elementen abgrenzt.

Jake
Jake
27. Juli, 2016 17:00

"Manchmal schüttel ich wütend die Faust und knurre…"

…"Sie dürfen Ihren Roller da nicht hinstellen!"

🙂

DJ Doena
DJ Doena
27. Juli, 2016 17:04

LOL @ Hawkeye im Avengers Trailer 😀

DJ Doena
DJ Doena
27. Juli, 2016 17:10

Das lief Anfang der 90er am Samstag Morgen um 5:30 auf RTL (direkt nach Doctor Who):

https://www.youtube.com/watch?v=xUYesRQsDz8

DJ Doena
DJ Doena
27. Juli, 2016 17:16

Wobei man auch das Gegenargument: Lieber eine Serie nach Formel X, die ich entspannt gucken und auch mal ne Folge verpassen kann, weil die Story eher simpel gestrickt ist, als ein verworrenes Konglomerat and Verschwörungen und/oder Mysterien, über die sich die Macher keine Gedanken gemacht haben, nur um sie dann entweder gar nicht, oder per deus ex machina mal eben so im Handstreich aufzulösen (ja ich gucke dich an, LOST, I haven’t forgotten you m*th*rf*ck*r!).

Wortvogel
Wortvogel
27. Juli, 2016 18:10

@ DJ Doena: Ich bin bekanntermaßen einer der ganz großen "Captain Power"-Fans – lief im Düsseldorfer Kabel auf dem englischen Super Channel. Ich kann den Prolog heute noch auswendig sprechen.

Was die seriellen gegen die parallelen Serien angeht – es spricht ja nichts dagegen, aktuelle hochwertige Serien ohne größere Mythologie zu schauen (siehe z.B. "Castle"). Die 80er-Serien mögen da etwas einfacher gewesen sein, aber mit der aktuellen Sozialisierung sind die Schauwerte kaum noch hinnehmbar.

DJ Doena
DJ Doena
27. Juli, 2016 18:24

Muss das Kind in mir sein, aber ich kann mir problemlos immer noch A-Team und MacGyver-Folgen angucken, ohne as der Cringe-Alarm losgeht.

Vineyard
Vineyard
27. Juli, 2016 18:25

Aktuell läuft ja auf RTL wieder Profiler, was ja im letzten Sci Fi Serienguide behandelt wurde. (Allerdings bevor mit Staffel 3 das Produktionsteam ausgewechselt wurde und die Serie zu unerträglichen Rotz verkommen ist.)

Dei ersten 2 Staffeln hatten für die damalige Zeit ein ziemlich cooles Intro…

Wortvogel
Wortvogel
27. Juli, 2016 18:31

@ Vineyard: Bei dem von mir verlinkten YT-Kanal ist es in der Tat ganz interessant, sich die Intros der 90er aus technischer Hinsicht anzuschauen. Da saßen farbblinde Wahnsinnige an den Reglern.

Vineyard
Vineyard
27. Juli, 2016 19:33
Mencken
Mencken
28. Juli, 2016 16:58

Gab ja auch früher durchaus viele Serien, die anständig gealtert sind (z.B. Twin peaks, die LeCarré Verfilmungen der BBC oder "mit Schirm, Charme und Melone"), aber momentan ist sicherlich schon ziemlich eindeutig das goldene Zeitalter der Fernsehserien. Ausnehmen würde ich da vielleicht die Sitcoms und Komödien (League of Gentlemen z.B. finde ich immer noch interessanter als die modernen Sachen), aber vielleicht bekomme ich da auch einfach nicht mehr genug mit.