Watching (12): He never died, Zootopia
Themen: Film, TV & Presse, Neues |He never died
Dass Rock-Poet Henry Rollins das Charisma und den Look für eine Filmkarriere hat, gilt als Binsenweisheit. Trotzdem hat er sich bisher nur in kleineren Rollen und in kleineren Filmen sehen lassen. „He never died“ ist ihm dagegen so sehr als Hauptrolle auf den Leib geschrieben, dass man unterstellen darf, dass er hier eine mythologisierte Version von sich selbst spielt. Er ist Cain, also Kain, der aus der Bibel. Nie gestorben, lebt er als eine Art depressiver Highlander in seiner runtergekommenen Bude und hat nach ein paar Tausend Jahren und Dutzenden von Berufen keine Idee mehr, wie er sich die Zeit vertreiben soll. Vor allem hat er von den Menschen die Nase voll – was sich erst ändert, als er seine Tochter trifft, die ihm mit pubertärer Gewalt wieder ins Leben zerren will.
„He never died“ bemüht sich zwar, so etwas wie eine Handlung aufzubauen (Cains Tochter wird entführt, er bekommt es mit Gangstern zu tun), aber das ist nur eine schwache Anbiederung an die Publikumserwartung. Letztlich lebt Rollins als Cain anderthalb Stunden lang Askese vor, Isolation, das Leid des Intellekts an der tumben Welt. Er ist ein Beobachter, der die Menschheit so gut kennt, dass er sie endgültig nicht mehr versteht. Aus seiner autistischen Sicht sehen wir Fragmente einer Zivilisation aus ewiger Nacht, kleinen Kneipen und kleinen Zielen. Cain weiß, wie sinnlos das alles ist – und will sich eigentlich auch nicht mehr involvieren. Das ist mehr ein filmischer Essay, ein lang gezogenes Musikvideo ohne Soundtrack als ein klassischer Genrefilm. Rollins ist als Schauspieler auch tatsächlich mehr Charisma als Talent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ein breites Publikum begeistern kann.
Aber was soll ich sagen? Mir hat er gefallen, und sei es nur als Abwechslung zu den gelackten, perfekt ausbalancierten und emotional manipulativen Blockbustern, die sonst über meinen Bildschirm laufen.
Zootopia / Zoomania
Wo wir gerade bei gelackten, perfekt ausbalancierten und emotional manipulativen Blockbustern sind – „Zootopia“ (in Deutschland „Zoomania“) ist so einer. Gerade als Drehbuchautor kann man jeden Plotbeat förmlich leuchten sehe, jeden Character Arc jeder Nebenfigur, die Heldenreise ist in einem Maße offensichtlich, dass man daraus nicht nur ein Lehrbuch machen könnte – man sieht regelrecht das Lehrbuch, aus dem sie entnommen wurde. Hier ist nichts Zufall, nichts kreatives Wagnis oder einfach sympathische Kuriosität. „Zootopia“ ist ein Reißbrett-Blockbuster, dessen Professionalität an Bayern München erinnert und an Tiger Woods (vor dem Sex-Skandal), an McDonalds und Porsche.
Und es ist deshalb und dennoch ein grandioser, bezaubernder und für die ganze Familie nicht nur tauglicher, sondern wertvoller Film, der seine Message gleichzeitig penetrant UND unaufdringlich präsentiert. „Zootopia“ ist vollgestopft mit entzückenden Charakteren, großen und kleinen Gags, Feuerwerk für die Augen und Jauchzer fürs Herz. Mühelos begeistert er nicht nur Kinder, sondern webt eine Noir-Krimistory in die bonbonbunte Welt, die auch Erwachsene mitreißt. Man muss die Disney-Maschine nicht mögen – aber man kann auch nicht bestreiten, dass sie läuft wie geschmiert. Und wie bei „Oben“ und „Findet Nemo“ darf man anerkennend feststellen, dass hier nicht einfach „der Mutigste gewinnt“, sondern dass Rasse, Geschlecht und/oder körperliche Gebrechen keine Rolle spielen, wenn man an sich glaubt. Das ist vielleicht nicht wahr, aber glaubenswert.
Weil es tatsächlich interessant sein kann, der Perfektion von „Zootopia“ mit gesundem Sarkasmus zu begegnen, präsentiere ich euch hier mal nicht den normalen Trailer, sondern den „honest trailer“:
Ich würde mir von Eisen-Harry (so heisst er bei uns, seit er mal bei einem Konzert Ende der 1980er eine ihm auf der Bühne im Weg stehende Mischbetonverankerung herausgerissen hat) eine Verfilmung seines ersten Buches "Get in the Van" wünschen. Handelt von der Zeit, wo er als Sänger mit der Band "Black Flag" getourt ist. Oder ge-tortured wurde, je nach Sichtweise. Die 20%, die er als "nice, like to do again" in dem Buch bezeichnet habe ich als Musiker auch erlebt: Das war die Hölle und das mieseste, was ich je mit meiner Band durchmachen musste. Dann stellt euch mal die 80% vor, die Henry nicht gefallen haben.
@Flossensauger: Was genau ist eine Mischbetonverankerung?
Eisen, das in Zement steckt, um diesen zu stabilisieren und nur schlecht wegzuflexen ist.
Aha, also das, was man auch „Armierung“ nennt?
(’schullijung, wenn’s nervt, aber mit Baukram hab’ ich’s nicht so …)
(Ach, und @Torsten: Sorry, dass wir hier nur über Beton reden. Hat nix mit Deiner Schreibe zu tun. Ehrlich! 😉
Und danke für die spoilerfreie Zootopia-Beschreibung, den kenne ich nämlich noch nicht.)
Zoomania ist alles andere als vom Reissbrett. Es ist ein mutiger,höchstorigineller,subversiver,vielschichtiger,tiefgreifender Film. Mit einer fantastischen und ungemein ausgefuchsten Rassismus und Sexismusparabel. Das Drehbuch wird nicht umsonst als brillant und wegweisend bezeichnet.
@ Michi: Da du keine deiner Aussagen irgendwie belegst und auch die Behauptung "wird nicht umsonst als brillant und wegweisend bezeichnet" quellenlos bleibt, ist mir erstaunlich wurscht, was du denkst.