29
Apr 2016

Watching (10): Remake, Remix, Rip-Off

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

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Disclaimer: Der Verleih hat auf Facebook um Reviews gebeten, um den kurzfristig angesetzten Kinostart dieser Doku zu promoten. Ich habe einen Online-Screener bekommen für das Versprechen, eine Kritik zu schreiben.

Ich bin kein Experte, was Türksploitation angeht, aber ich war doch schon in dem Thema “drin”, als man sich “Turkish Star Wars” noch nicht auf YouTube anschauen oder sich die Nerd-Expertise bei bezaubernden Programmen wie “Deja View” holen konnte:

https://www.youtube.com/watch?v=hLnmFg6ffBY

Ich habe in den 90ern an Kassetten-Tauschringen teilgenommen, für Filmsammler in New York alte B-Western auf Kabel1 mitgeschnitten, um dafür Tapes mit “Turkish Exorcist” oder “Indian Superman” geschickt zu bekommen. In meinem Bücherregal steht das faktenreiche, aber größtenteils auf türkisch verfasste Standardwerk “Fantastik türk sinemasi”. Und ich habe immer, IMMER gedacht, dass zu dem Thema endlich mal eine ordentliche Dokumentation produziert gehört.

Hier ist sie. Aus Deutschland. Ein “Kleines Fernsehspiel” vom ZDF.

Das soll sich als Segen UND als Fluch erweisen.

“Remake Remix Rip-Off” ist keine “geführte” Dokumentation, kein Sprecher erläutert Zusammenhänge oder führt in das Thema ein. Stattdessen lässt Cem Kaya über 50 Veteranen und Experten des türkischen Kinos sprechen, puzzelt ihre Antworten zu einer Chronik, ergänzt sie mit alten Nachrichten-Clips und vielen Filmausschnitten. Die Narrative formt sich selbst, wenn auch mitunter etwas stotternd, weshalb es für Uneingeweihte und Türknoobs von Vorteil ist, die Einführung des Verleihs zu lesen:

Die Türkei war in den 60er und 70er Jahren eine der größten Filmproduzenten der Welt. Da das Fernsehen erst Mitte der 70er Jahre Einzug in türkische Wohnzimmer hielt, war Kino neben Radio das einzige und günstigste Massenmedium. In den großen Open Air Kinos des Landes wurden mehrere Filme hintereinander gezeigt und es herrschte Picknick Atmosphäre.

Die türkische Filmindustrie “Yeşilçam” indes war sowohl finanziell als auch strukturell instabil. Es gab keine Filmschulen im Land, kaum Labore, der Erwerb von Filmnegativen war mit Importquoten belegt, das Equipment veraltet, die Arbeitsbedingungen halsbrecherisch, gar tödlich. Ferner waren die einheimischen Produktionen der Konkurrenz von amerikanischen und europäischen Filmen ausgesetzt, deren Hochglanz-Bilder Yeşilçam schlicht nicht produzieren konnte.

Mit einer Handvoll Drehbuchautoren und Regisseuren, die einer starren Zensurbehörde ausgeliefert waren jedoch einen hungrigen heimischen Markt bedienen mussten, versuchte Yeşilçam, strikt den Gesetzen des Profits folgend, der immensen Nachfrage durch immergleiche Formeln gerecht zu werden. Die Geschichte vom armen Jungen und dem reichen Mädchen, von den Brüdern, die bei der Geburt getrennt wurden oder dem Landei in der Großstadt waren Standardrepertoires im Baukastensystem der Drehbuchautoren. Bald gingen ihnen die Stoffe aus, aber man wusste sich zu helfen.

Begünstigt durch laxe Urheberrechtsgesetze – produzierte Yeşilçam Remakes von europäischen, amerikanischen und indischen Filmen, benutzte ihre Soundtracks und sogar Filmfootage, wie Special Effects Szenen, die es selbst nicht herstellen konnte. Somit waren die Filmemacher Yeşilçams Vorreiter in Sachen Patchworking und Sampling.

Selbstverständlich wurden Plots und Figuren vermischt, neu interpretiert und dem Geschmack des heimischen Publikums angepasst. Die technischen Unzulänglichkeiten wurden wettgemacht durch exzessiven körperlichen Einsatz vor und hinter der Kamera. Viele Yeşilçam Filme besitzen eine unbändige Energie. Denn wo Luke Skywalker ein Mal zuschlägt, schlägt Action Star Cüneyt Arkın hundert Mal zu und wir glauben ihm, daß er es ernst meint.

In seinem 100 jährigen Bestehen produzierte das türkische Kino über 7000 Filme. Neben einer vergleichsweise kleinen Anzahl an Autorenfilmen und Komödien, war die Massenproduktion bestimmt durch einheimische Superhelden, pseudohistorische Sandalenfilme, Melodramen ägyptischer Machart, Polizei Flics nach italienischem Rezept, anatolische Western, Erotik Komödien bis hin zu Hardcore Pornos.

So entstanden zum Teil bizarre Versionen von Superman, Zorro, Tarzan, Drakula, James Bond, Flash Gordon, Rambo, E.T und Star Wars aber auch Adaptationen von Filmen wie William Friedkin’s “The Exorcist”, Sam Peckinpah’s “The Strawdogs” und Billy Wilder’s “Some Like It Hot”, das selbst ein Remake ist.

In einer Epoche die global wie lokal gekennzeichnet war vom Kalten Krieg, den Studentenbewegungen, Militärputschen und einer starren Zensur, versuchten einige Filmemacher den Spagat zwischen kommerziellen Yeşilçam Produktionen und ihren eigenen Visionen. Nur wenigen Regisseuren wie Metin Erksan oder dem Action Star und späteren Autorenfilmer Yılmaz Güney gelang der Durchbruch, und sie zahlten einen hohen Preis dafür. Yılmaz Güney starb mit 47 Jahren im französischen Exil an Krebs, das während seiner langjährigen Gefängnisaufenthalte ausgebrochen und nicht behandelt worden war.

Mit dem Einzug des Fernsehens Mitte der 70er Jahre und der kompromisslos neoliberalen Ausrichtung der türkischen Wirtschaftspolitik nach dem Militärputsch von 1980, begann der Niedergang Yeşilçams. Bald wurden die Kinos beherrscht von amerikanischen Blockbustern. Das türkische Kino suchte sein Heil in Sex Filmen und Arabesk Melodramen, in denen viel gesungen wurde. Kinos, die türkische Filme zeigten, schlossen eins nach dem anderen. Den traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung erlebte das Land im Jahr 2013, als Wochen vor dem Ausbruch der Gezi Proteste der älteste Kinosaal des Landes, das 1924 erbaute Emek, ein Wahrzeichen des türkischen Kinos, trotz heftiger Proteste abgerissen wurde, um Platz für ein Einkaufszentrum zu machen.

Dieser ruinöse Umgang mit dem kulturellen Erbe des Landes zerstörte auch eine große Anzahl an türkischen Filmen. Tausende Negative fielen Bränden zum Opfer, etliche sozialkritische Filme wurden während des Militärregimes beschlagnahmt und vernichtet. Filme von Autoren wie Yılmaz Güney dürfen bis heute im Staatsfernsehen nicht ausgestrahlt werden. Die wenigen Universitätsarchive können den geretteten Bestand nur mit Mühe pflegen.

Cem Kaya, der mit Yeşilçam Filmen aus den türkischen Videotheken in Deutschland aufwuchs, zeichnet in seinem Dokumentarfilm die Kopierpraxis der türkischen Filmemacher von den Anfängen des türkischen Kinos bis hin zu den heutigen Fernsehserien nach. Denn der Fernsehserienmarkt in der Türkei ist selbstverständlich einer der größten der Welt.

In Istanbul sprach der Filmemacher mit Regie-Altmeistern, Produzenten, Schauspielern, Kinobetreibern und Filmwissenschaftlern, über die turbulente Kinogeschichte des Landes. Die Arbeiten an seinem Kompilationsfilm erstreckten sich über sieben Jahre, in denen tausende Filme gesichtet und etwa hundert Interviews geführt wurden.

Damit habt ihr eine Ahnung, WAS hier erzählt wird. Aber der Charme von “Remake Remix Rip-Off” liegt in der Art, WIE es erzählt wird – und von WEM. Da zeigt Regisseur Kunt Tulgar stolz die Soundtrack-Sammlung von Hollywood-Blockbustern, aus denen er seine Filmmusiken “entliehen” hat, Türkfilm-Legende Cüneyt Arkın erzählt, dass die Rollen seiner Filme aneinander gelegt zweimal um die Erde reichen, und Effekttechniker Selahattin Geçgel nagelt Seifenstücke an Tischbeine, um einen “feuchten Kamera-Dolly” zu bauen.

Sie alle schwärmen in Erinnerungen an das schäbige, krude und verlachte türkische Exploitation-Kino, übertreiben schamlos, blasen sich auf, und wissen doch genau, dass sie augenzwinkernd billige Abklatsche anpreisen wie auch heute noch die “original Armani-Jeans” in den Einkaufspassagen von Antalya. Es waren anspruchslose Filme für ein anspruchsloses Publikum, produziert noch weit unter dem Niveau des amerikanischen und resteuropäischen C-Films. Und “Remake Remix Rip-Off” versucht an keiner Stelle, den Produktionen mehr Gewicht abzuringen, als sie mitbringen. Hier wird keine akademische Analyse oder Neuninterpretation versucht, wie sie momentan z.B. beim Œuvre von Jess Franco modern ist.

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Das ist sehr unterhaltsam, sehr bunt, und gerade durch die gut gewählten Clips und teilweise pfiffigen inszenatorischen Einfälle extrem kurzweilig (so gibt es eine Art “Türk-Klischee-Supercut”). Man taucht in eine Filmkultur ein, in der Trash und billiges Melodram keine ungeliebten Stiefkinder des “echten” Kinos waren, sondern Sinn und Zweck der Veranstaltung.

Aber “Remake Remix Rip-Off” will nicht nur zeigen, was man als Badmovie-Fan sehen möchte – sondern auch, was man als Badmovie-Fan wissen sollte. Und so geht es gerade in der zweiten Hälfte verstärkt in die Politik, es geht um Putsch und Zensur, um die Ausbeutung der Mitarbeiter, um die Übertragung der unmenschlichen Arbeitsbedingungen in das aktuelle türkische Fernsehen hinein. Das ist dann teilweise nicht mehr lustig, da muss man sich als Zuschauer auch unter die Oberfläche trauen.

So ist “Remake Remix Rip-Off” am Ende kein launiges Schaulaufen des türkischen Trashkinos, sondern eine beeindruckend komplexe Übersicht über die gesamte Trashkino-Kultur (auch wenn der massive Erotik-Boom in den 70ern zu einer Randnotiz reduziert wird). Und es ist das Portrait einer Generation von Filmen und ihren Machern, die aussterben. So wie die Beteiligten sterben, lassen sich auch viele der Negative ihrer Werke nicht mehr auffinden.

Dem Plakat und dem Titel nach hatte ich gehofft, mehr Action zu sehen, längere Ausschnitte, genauere Einordnungen der Comic-Wurzeln vieler Produktionen. Dafür ist weiterhin “Deja view” (s.o.) die bessere Adresse. “Remake Remix Rip-Off” ist langsamer, aber lehrreicher. Das mag dem Anspruch des produzierenden Senders geschuldet sein, ist aber kein Manko: Bildungsfernsehen at its best.

Besonders erfreulich: Die Dokumentation läuft ab 5.5.2016 auch in einigen deutschen Kinos – vielleicht die beste Art, dem türkischen Trash-Kino Respekt zu zollen. Und hinterher lecker Döner essen gehen…

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1 Kommentar
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Gregor
29. April, 2016 19:17

Der Film lief vorletztes Jahr auch am Filmfestival Locarno, in einem kleinen, aber umso volleren Saal. Das war vielleicht ein Fest!