05
Mrz 2016

Der Verlust der Unschuld

Themen: Neues |

Ich schaue gerne alte Sendungen, habe einen ausgeprägten Nostalgie-Drang, schwelge in Erinnerungen nicht nur an mein eigenes Leben, sondern auch an die Welt der 70er und 80er allgemein. YouTube und diverse Spartenkanäle im Fernsehen erlauben heutzutage bequeme Zeitreisen vom Sessel aus und verdeutlichen die Unterschiede nicht nur der Ereignisse, sondern auch der Art, Ereignisse zu erzählen. Fernsehen hat mehr als nur die Zahl der verfügbaren Programme verändert.

So ist es z.B. hochgradig faszinierend, die erste und die letzte Folge der großartigen Krimiserie „Schwarz Rot Gold“ anzuschauen, in der Uwe Friedrichsen den Zollfahnder Zaluskowski spielt. Hier müssen keine Morde in Grünwalder Villen aufgeklärt werden, sondern der illegale Zwischenstopp von 50.000 Tonnen holländischer Butter in einem albanischen Hafen. Hochspannung! Ist die erste Episode noch träge inszeniert und mit endlosen, zähen Dialogen ohne Substanz angefüllt, überzeugt die letzte Episode mit deutlich mehr Farbe, knackigem Schnitt und schnellerem Ortswechsel. Kein Wunder – „dazwischen“ war das Privatfernsehen entstanden, der Videomarkt, die Überflutung mit amerikanischem Produkt. Die traditionell hausbackene deutsche Dramaturgie musste sich anpassen.

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Aber es fallen nicht nur technische Modernisierungen auf, sondern auch inhaltliche – und die sind nicht immer zum Besten.

Keine Frage: Die 70er waren ein durch und durch geschmackloses Jahrzehnt, in jeder Beziehung widerwärtig, man hätte sie auslassen können, um die 60er zu wiederholen oder die 80er vorzuziehen. Von den Frisuren bis zur Architektur, vom Essen bis zur Farbphilosophie – anders als ironisch kann man die 70er nicht ertragen, und Ironie war kein Bestandteil der 70er. Ich war dabei und es war schlimm.

70s

Die 70er waren allerdings auch das Jahrzehnt, in dem erstmals viel Kinderprogramm im Fernsehen lief, in dem Sendungen für die Kleinen keine missliebigen Lückenfüller waren. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass „die Glotze“ Kinder nicht nur davon abhielt, „lieber draußen zu spielen“, sondern dass sie als erzieherische Hilfe dienen konnte, unterhaltsam UND bildend. Was die „Sesamstraße“ vormachte, machten „Die Sendung mit der Maus“, „Rappelkiste“, „Das feuerrote Spielmobil“, „Hallo Spencer“ und „Kli-Kla-Klawitter“ nach.

Ich bin mit diesen Sendungen groß geworden, sie waren Teil meiner TV-Diät neben der Erstausstrahlung von „Raumschiff Enterprise“, „Die Waltons“ und „Bonanza“. Nicht auf meiner Agenda mangels Interesse: „Mondbasis Alpha“, „Rauchende Colts“ und „Unsere kleine Farm“.

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Und damit kommen wir zum Thema – der Darstellung kindlichen Lebens und Erlebens in den 70ern. Das war so völlig anders als heute. Nicht deshalb, weil Kinder heute unbedingt anders leben, sondern weil das Fernsehen einen anderen Anspruch an Authentizität hatte, weil „Kind sein“ damals weniger pädagogisch verbrämt wurde.

Kinder in den 70ern waren nicht hübsch, mussten es auch nicht sein, um ins Fernsehen zu kommen. Sie trugen keine sorgfältig ausgesuchte Kleidung, spielten mit Scherben in hässlichen Hinterhöfen. Hatten sie Fahrräder, waren es alte Fahrräder mit Rost und kaputten Lampen. Die Jeans waren gerne vom älteren Bruder übernommen und am Schienbein hochgerollt, die Haare von der Mama geschnitten. Die sozialdemokratische Grundströmung des Jahrzehnts trug dazu bei, kein „Best of“ der aktuellen Hosenscheißer-Generation zu präsentieren, sondern den Durchschnitt in all seiner rotznasigen Pickeligkeit.

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Auch die Figuren wie der „Hase Cäsar“ oder „Ratz und Rübe“ hatten nicht den Anspruch, perfekt zu sein. Nach heutigem Maßstab waren sie hässlich und bewegten sich sehr ungelenk. Aber ehrlich: Waren sie damit nicht genau wie echte Kinder, hässlich und ungelenk? Es ging ja auch nicht darum, die Figuren kommerziell zu gestalten, sie in Spielzeuggeschäften zu verkaufen. Sie waren „nur“ Repräsentanten, Sprachrohre einer Generation mit 50 Pfennig Taschengeld in der Woche.

So schäbig und teilweise entsetzlich lahmarschig das heute wirken mag, war das Kinderfernsehen der 70er auch erfrischend unkontrolliert, ungegängelt von politischer Korrektheit und von Thesen zur perfekten Kindererziehung. Hier durften sich Kinder das Knie aufschlagen, ohne gleich zum Arzt geschleppt zu werden, hier sprachen Ratz und Rübe über ihre Geschlechtsteile und es fiel das Wort „Möse“. Es gab keine Diskussionen über Markenklamotten und keinen Ansporn, Höchstleistungen zu erbringen.

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Vor allem aber: Es wurde nichts verkauft.

Kindheit in den 70ern war noch keine Zielgruppe, keine Konsumeinheit. Die Kinder in der „Sesamstraße“ und der „Rappelkiste“ machten nicht vor, was andere Kinder nachmachen sollten – weder Produkte kaufen noch irgendwelchen moralischen Ansinnen entsprechen. Die „Message“ der deutschen Kindersendungen war Autonomie, Freiheit, Neugier, war „Kind sein“ in seiner reinsten, unreflektierten Form.

In den 80ern wurde es bunter, schneller lauter, es gab den „ZDF-Ferienclub“, immer gut gelaunte Moderatoren und „Captain Future“. Kinder waren nun oft gecastet und sorgsam frisiert. Kaum eine Sendung, zu der nicht ein Spiel oder ein Buch zu kaufen war. Das Privatfernsehen verwandelte das Kinderprogramm endgültig in die Distanz zwischen zwei Werbeblöcken. Man mag des Disney-Club und Pumuckl-TV mögen, aber ich sehe hier keine Wirklichkeit mehr, keine Reflektion des Kinder-Alltags, sondern eine bunte, artifizielle Scheinwelt. Ablenkung statt Abbildung.

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Ich will damit nicht sagen, dass das Kinderfernsehen heute schlechter ist. Man versteht viel besser, wie Kinder ticken, nimmt mehr auf ihre Besonderheiten Rücksicht, verpackt Wissen spannend und bunt. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Kinderfernsehen heute von Helikopter-Redakteuren gemacht wird, die permanent eine Generation von Über-Kindern heranziehen wollen, vollgestopft mit Wissen, Verständnis, Basteldrang und sozialer Verantwortung. Zeigten die 70er auf, dass man sich jeden Tag spannend gestalten kann, wenn man nur raus geht und sich umschaut, wirkt die heutige Welt, als seien die Wege vorgebaut und sämtliche Attraktionen keimfrei geplant und fünfmal getestet, damit es keine Schrammen und blaue Flecken gibt.

Eine perfekte Analogie ist dabei für mich Lego. In den 70ern hatten wir ein paar Schuhkartons mit wild durcheinander gewürfelten Steinen. Daraus bauten wir – irgendwas. Raumschiffe, Häuser, Tiere. Meistens konnte außer uns keiner erkennen, was es sein sollte, irgendwelche wichtigen Teile fehlten immer und am Ende ging es ja auch nur darum, dass wir uns irgendwie beschäftigen sollten.

lego

Heute? Heute kann man Lego-Sets für dreistellige Summen kaufen, mit denen man den Rasenden Falken aus „Star Wars“ bauen kann. Nur den. Und wenn er fertig ist, kann man ihn wieder auseinander nehmen. Und nochmal bauen. Ist ein Klötzchen weg, wird der ganze Bausatz nie wieder vollständig sein. Dann kauft man halt andere teuere Bausätze.

Lego in den 70ern war der Weg, war die Phantasie, war die totale Freiheit. Lego im neuen Jahrtausend ist das Ziel, das glänzende Ergebnis, der Zwang der Vorlage.

Und ja, all das mag die Knurrigkeit des Alters sein, das müde Fäusteschütteln eines Mannes, dessen eigene Kindheit schon verdammt lange her ist und der selber keine Kinder hat. Aber ich vermisse Worte wie Bolzplatz, Latzhose, Flicken, Scherben, Pfütze und Schraubenzieher im Kinderfernsehen.



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Tom
Tom
5. März, 2016 10:05

Sehr guter Artikel! (Besonders die Bemerkungen über die 70er.) Aber Frage am Rande: Wieso schaust Du überhaupt Kinderfernsehen? Du scheinst so viele Interessen zu haben … *dafür* ist zeitlich auch noch Platz?

S-Man
5. März, 2016 10:05

Amen.

Auch wenn ich ein Kind der 90er bin, aber diese *Kinder in Watte packen*- sowie die *Oh Gott, da ist ein Staubkorn auf deinem Mittwochs-Blazer*-Mentalität fand ich immer schlimm. Ich selber verbrachte meine Kindheit auf der Großbaustelle eines ganzen Neubauviertels. Wer nicht dreckig war, war nicht draußen. Außerdem habe ich durch mehrere Jahre freiwilliger Arbeit als Kinderbetreuer/-animateur (rund 8000 verschiedene Kinder aller Altersstufen) echt gruselige Sachen gelernt über Helikoptereltern, die Kindern jegliches Kindsein ausgetrieben haben, über Kinder die verzweifelt weinten, weil Mama am Samstag schimpfen würde wegen der dreckigen Hose (die wir dann einfach zur Tarnung in unsere Waschmaschine warfen) und – das Schlimmste – Kinder, deren Fantasie gerade einmal so weit reicht, dass sie im Wald stehen und mangels Vorstellungskraft über ihre neuesten Pokemon-Spiele diskutierten.

Wir haben so manches Kind verzogen, glaube ich. Und darauf bin ich Stolz. Oh mein Gott, was werde ich eines Tages für ein schlechter Vater… Mit Kind ganz ohne Trackingsysteme und vollgepacktem Nachmittagslehrplan… und sogar (buuh!) mit echten Schrammen, blauen Flecken und Dreck darauf.

Wortvogel
Wortvogel
5. März, 2016 10:06

@ Tom: Meine Interessen sind extrem breit gestreut – den gestrigen Abend habe ich mit einen fast zweistündigen Doku über eine britische Nachrichten-Parodie der frühen 80er verbracht.

Wortvogel
Wortvogel
5. März, 2016 10:07

@ S-Man: “Wer nicht dreckig war, war nicht draußen.” – sehr schöner Satz.

Wolfman17
Wolfman17
5. März, 2016 10:51

Ein Beispiel für den Unterschied zwischen 70ern und der Gegenwart : Die Verfilmung von Max von der Gruens Vorstadtkrokodilen. 1977 rotzig, frech und authentisch mit Ruhrpottatmo inszeniert. Ich habe die Neuverfilmung nicht gesehen, aber anhand der Trailer wirkt diese dagegen klinisch rein und steril.

Zeddi
Zeddi
5. März, 2016 11:30

Ja, ich finde du hast da rech, auch wenn ich ’84 geboren bin. “Wir” haben ja viel in wiederholungen e.t.c. aus den 70ern mitbekommen, und in vielen Sendungen aber auch Personen unseres Umfelds etwas von den “Geist” der 70er gespührt – letztendlich haben meine Eltern Ihre Kindheit und ihre gesamte Jugend in den 70ern und frühen 80ern verbracht 🙂

Das Kommerzielle im Fernsehen war schon krass ausgeprägt als wir Samstag Morgens die ganzen Cartoons geschaut haben. Aber es war auch nicht nur schlecht, es gab auch viele Wiederholungen von Amerikanischen Cartoons aus den 60ern und 70ern, auch garnicht so verkehrt. Und meine etwas gegen den Kommerz eingestellten und damals finanziell auch nicht so gut gestellten Eltern haben uns nie irgendetwas erlaub zu kaufen von dem was wir da gesehen haben, nicht mal lego. Und wir waren trotzdem viel Draussen, haben die Gegend (Allein!!!) Auf unseren Fahrrädern erkundet, oder gemeinsam mit nachbarskindern Fußball gegen ein Garagentor gespielt, zusammen einen kleinen Garten angelegt in einer ecke unseres Gartens der dafür uns zugesprochen wurde von meinen Eltern und Großeltern.
(Diese ecke wird sogar noch immer als “Mein” Garten bezeichnet, obwohl er spätestens seit wir Jugendliche sind wieder in den rest integriert wurde, also seit ca. 20 Jahren)

Ich finde es auch … erschreckend … wie die hubschrauber-eltern ihre Kinder heutzutage einengen und kontrollieren. Hatte man vor 25 Jahren noch über die Verkommene Generation Kinder und Jugendlicher gewettert, wettern wir heutzutage eher über die Eltern. Ich muss auch ehrlich sagen das es mir schwer fällt mich in diesem Umfeld für Kinder zu entscheiden. Ich habe das Gefühl, das ich den Anspruch an Struktur, perfekter Kleidung e.t.c. die man heutzutage an eltern stellt nicht erfüllen kann und möchte. Aber ich möchte mich auch nicht den Druck der anderen Eltern in Kindergarten und Freundekreis heutzutage aussetzen.

Marko
5. März, 2016 13:02

” Heute kann man Lego-Sets für dreistellige Summen kaufen, mit denen man den Rasenden Falken aus „Star Wars“ bauen kann. Nur den.”

Das ist aber doch eine recht eingeschränkte Sicht. Wir haben ja auch einen Haufen dieser “spezialisierten” Modelle – aber die Steine sind immer noch alle kompatibel mit allen anderen, und es gibt in unserem Haushalt kaum ein Set, das noch originalgetreu aufgebaut ist. Wir hatten schon schöne Spiellandschaften, in denen “Star Wars”-, “Herr der Ringe”- und “Jurassic Park”-Sets zu wilden Fantasiegebilden zusammmengebaut wurden – plus meine alten Steine aus den 80ern, die auch noch wunderbar überall mit rein passen. Und das macht Lego doch aus (wie uns ja auch der “Lego-Movie” erklärt hat).

Ein Millenium-Falke wird also am wenigsten bei Lego-Kindern von heute ein Millenium-Falke bleiben … sondern eher bei Sammlern mittleren Alters, die sich die Dinger tatsächlich nur für die Vitrine holen. 😉

Aber hey, beides ist doch okay.

manuela
manuela
5. März, 2016 13:06

sehr schön geschrieben !!!! ich hab meine kindheit in den 60ern und 70ern verbringen dürfen, was ich heute als grosses glück empfinde….
ich durfte vom baum fallen, vom pferd getreten werden, alleine ins waldschwimmbad gehen. morgens ging ich aus dem haus, mittags kurz rein zum essen und sofort wieder raus… irgendwann abends kam ich glücklich, ausgetobt und völlig verdreckt wieder nachhause und das war völlig normal!!!!
das fernsehprogramm spielte noch keine grosse rolle – viel gab es ja auch nicht….
mit meiner freundin durfte ich manchmal ‘Lassie’ anschauen – dann saßen wird beide heulend vor dem fernseher, wenn der hund sich die pfote verletzt hatte 😉
meine erste tolle fernsehserie war raumpatrouille – hab ich so geliebt !!!! und mir vor einigen jahren alle folgen auf dvd gekauft, um sie mir hin und wieder anzusehen….
was war ich verknallt in commander cliff allister mclane 🙂
und ich bin mit der besten musik der welt grossgeworden… deep purple, led zeppelin, black sabbath, pink floyd….einfach wunderbar !!!

und heute schau ich sonntags im bett die sendung mit der maus 🙂

John Doe
John Doe
5. März, 2016 13:26

Thorsten Du verstehst schon das der Millenium Falke NICHT für die Kinder von heute sondern für die Kinder von damals ist? Und was soll der 70er “hass” die musik war da besser als 90er ff 🙂

Dieter
Dieter
5. März, 2016 16:25

Ich liebe die 70er. Das war mein Jahrzehnt zwischen Kindergarten und Gymnasium. Herrlich unkomplizierte Zeit. Danke für die Erinnerungen.

Aber „Der li-la-Launebär“ ist da nicht zu finden. Sowas von 89/90er, sowas von Privatfernsehen. Nein, den akzeptiere ich nicht in der Aufzählung der wirklich guten 70er Jahre Kindersendungen. 🙂

Martin Däniken
Martin Däniken
5. März, 2016 22:19

Ich glaube man hat damals bewusst oder auch unbewusst gutes TV geliefert-kein perfektes..einschleimsicker Fernsehen.
Auuch wenn es Linke oder auch Rechte so rezipert und deswegen angegriffen haben!
Aber was ich denke ist das damals Lücken gab,die man mit kindlicher Neugier/Phantasie füllen konnte und die zeitgleich befeuert und ausgebildet wurde.

Dietmar
Dietmar
6. März, 2016 11:53

Auch hier finde ich mich wieder wieder. 🙂 Bei mir liefen die Tage etwa so ab, wie Manuela es beschrieb.

Aber grundsätzlich hat heutige Kindheit sehr viel Schönes. Ich habe nun gut einhundert, müsste wirklich mal zählen, Kinder unterrichtet und viele bis in das Erwachsenen-Alter hinein begleitet. Weit die meisten waren aufgeweckt und fröhlich. Es gibt viele Eltern, die ihre Kinder Kind sein lassen und toll erziehen. Vor allem werden Kinder heute ernster genommen und insbesondere weniger geschlagen.

Es gibt heute eine ganz besondere Art gruseliger Mütter, es sind meistens Mütter, die mit einem eigenartigen Vokabular aus pädagogisch wertvoll klingenden Floskeln entsetzliches an ihren Kindern ausrichten und soziale Umfelder, die auf gleiche Weise kinderfreundlich tun aber tatsächlich Kinder und Jugendliche klein machen.

Wortvogel
Wortvogel
6. März, 2016 17:26

@ Dieter: Blöder Fehler – Li La-Launebär mit Kli-Kla-Klawitter verwechselt. Das kommt davon, wenn man einen Beitrag ohne Internet-Anschluss schreibt, mit dem man recherchieren könnte. Ist korrigiert, danke.

Dieter
Dieter
6. März, 2016 18:26

@ Torsten: Ah… jetzt fällt der Groschen. Klar, der Kli-Kla-Klawitterbus! Danke für die Korrektur.

Baumi
6. März, 2016 19:22

Volle Zustimmung bis auf eine Kleinigkeit: “Weniger pädagogisch verbrämt” würde ich nicht unterschreiben. Im Gegenteil, gerade der Ratz-und-Rübe-Dialog über Geschlechtsteile und ihre Namen kommt ja mit ganz klarem pädagogischem Anspruch daher. Nur eben nicht oberlehrerhaft sondern auf Augenhöhe mit den Kindern.

Aber vielleicht hab’ ich Dich da auch falsch verstanden.

DMJ
DMJ
7. März, 2016 09:45

“Waren sie damit nicht genau wie echte Kinder, hässlich und ungelenk?” ist schön, da es, obwohl ja nett gemeint, so gehässig klingt.

Das Grundproblem sehe ich auch. Wenn ich heute was vom Kinderfernsehen mitbekomme, scheint es mir grob in zwei Sparten zu fallen: Phänomenal gut und eigentlich ebensosehr für Erwachsene gedacht (gerade bei Trickserien häufig zu finden)… und damit kein echtes Kinderfernsehen mehr, oder eben gestriegelt, sauber, safe und “zu durchdacht”. Da dürfen selbst die Märchenhexen nicht mehr sterben, sondern müssen resozialisiert werden und jede Nebenfigur hat ein sauberes Styling. Dialoge gern in sauberer Pseudo-Jugendsprache, statt ehrlich vernuschelten Slangs. Natürlich gab es auch früher die auffällig künstlichen Kinder, denen man zu erwachsene Texte gegeben hatte, aber die überzogen kindisch agierenden Erwachsenen, die man ihnen heute zu oft nur noch zutraut, finde ich persönlich schlimmer. Die spielen nicht echt und nicht für ihre Zuschauer, sondern für deren Eltern, denen sie zuzwinkern, dass sie ja nur Spaß machen und ihre Sache nicht ernst nehmen.

Hatte ja schon mal den Sonderfall des Märchenfilms behandelt, was ich hier einfach mal beschleichwerbe:

http://www.buddelfisch.de/2013/12/der-moderne-maerchenfilm-und-sein-mythologischer-mangel/

Thorsten
Thorsten
7. März, 2016 16:28

Sehr guter Artikel, allerdings muß ich beim Lego Abschnitt widersprechen. Unser Sohn baut manchmal sogar neue Sets gar nicht erst so, wie es die Anleitung vorschlägt. Und oftmals beweist er bei selbstgebauten Gebilden mehr Phantasie, was welcher Stein macht, also sämtliche Sci-Fi und Fantasy Autoren zusammen es je könnten….. oftmals zur Verzweiflung des Vaters, der auch bei Lego eher ein Freund des Realismus ist…. 🙂

Medienjunkie
8. März, 2016 12:11

Der Ratz-und-Rübe-Dialog ist wirklich unglaublich. Da würde es heute Anrufe empörter Eltern hageln und die Serie gleich abgesetzt. Das Lied am Ende klingt fast nach Brecht/Weill.

Ach, und das ZDF-Fernsehprogramm… Anke war damals schon genauso charmant wie heute. 🙂

doghunter
doghunter
9. März, 2016 09:31

Kaum vorstellbar übrigens auch: Damals durften Kinder in Kinderserien auch noch sehen, dass andere Kinder nackt im Meer, im See, im Fluss plantschen. Als Kinder.

Heute sieht man stattdessen 8-Jährige Jungs und Mädchen als nur jüngere Abbilder von erwachsenen Strand”schönheiten”, Jungs mit Schlabbershorts, aber bloß nicht mit ein bisschen Bauchspeck (obwohl die jungen Zuschauer den ja mehr denn je haben), die Mädchen im Bikini, dessen Oberteil nichts zu halten und nichts zu verbergen hat.

Wann ist das passiert? Im selbem Jahr, wo aus Kindern Kids und aus Jungen und Mädchen Boys and Girls wurden, oder doch noch eher?

gerrit
gerrit
11. März, 2016 12:51

Die 70er waren auch das Jahrzehnt, wo Jodie Foster eine 12jährige Nutte spielte, das ginge heute gar nicht. Und Roman Polanski amüsierte sich einseitig mit einer Minderjährigen, die ihm heute noch nicht böse ist.
Zeiten ändern sich.

Sigur Ros
Sigur Ros
16. März, 2016 11:23

Was beim Kinderfernsehen in den 70er Jahren anders war als heute, ist nicht der pädagogische Anspruch (gerade der war damals schon genauso, wenn nicht eher noch penetranter als heute, gerade Ratz und Rübe sind ein gutes Beispiel), sondern auch, dass man damals halt noch mehr Geld zur Verfügung hatte und mehr experimentieren konnte. Sehr lesenswert dazu dieses Interview mit Armin Maiwald, das sehr schön die Veränderung des Kinderfernsehens zeigt: http://www.fr-online.de/panorama/armin-maiwald-im-interview–das-tut-fast-weh-,1472782,3200188.html (Leider ist nur die erste Seite zu lesen, die anderen kann man jedoch lesen, wenn man die Druckversion anklickt.)
Ich, Jahrgang 1987, bin selbst zu jung, um die Sendungen der 70er wie Rappelkiste und Klawitterbus noch mitbekommen zu haben, bin mehr mit den Sendungen der 80er/90er aufgewachsen wie Löwenzahn, Hallo Spencer, Siebenstein, Tigerenten Club und Süderhof, und Sesamstraße und Sendung mit der Maus waren damals natürlich auch immer noch sehr populär. Ob das Kinderfernsehen damals wirklich besser war, möchte ich allerdings nicht beurteilen, das wäre, denke ich, nostalgische Verklärung. Klar gab es damals sehr gute Formate, aber cheesige amerikanische und später auch japanische Cartoons, die nur Werbespots für Actionfiguren waren, gab es in den 70er/80er Jahren schon genauso wie heute, siehe Transformers, He-Man, Power Rangers, Ninja Turtles. Deshalb denke ich, dass das Kinderfernsehen an sich sich in den letzten 40 Jahren insgesamt nicht so groß verändert hat.

Wortvogel
Wortvogel
16. März, 2016 12:41

@ Sigur: Du wirfst diverse Dinge unangemessen in einen Pott – Jahrgang 1987 bedeutet, dass du mit dem Kinderfernsehen der 90er aufgewachsen bist. Das Kinderfernsehen der 80er, das du kennst, ist schon Wiederholung gewesen. Und alle Kommerzsendungen der “70er/80er”, die du auflistest, sind in den 80ern gelaufen, teilweise sogar erst in den 90ern. Serien in den 70ern waren keine Werbsespots für Actionfiguren – es gab keine Serien zu Big Jim, Lego oder Playmobil. Und es gab im Kinderprogramm auch keine Werbespots, in denen man sie beworben hätte.

Außerdem habe ich den pädagogischen Anspruch nicht bestritten, er hatte aber einen anderen Fokus – Kinder sollten FREI sie, nicht geknechtet in gewünschten elterlichen Parametern. Wenn du dich mal ein bisschen mit der Pädagogik der 70er auseinander setzt, wird dir auffallen, dass es damals komplett andere Ansätze gab.

Brandenburgerin
Brandenburgerin
17. März, 2016 19:16

Moin Torsten,
zum Thema Nostalgie und in den 80ern hängen fiel mir gerade ein: hast du schon den Roman “Ready Player One” gelesen?
Der ist sehr schön geschrieben und schwelt in der 80er Welt der Computer, Video-Spiele und Filme.
Grüße,
Brandenburgerin

Wortvogel
Wortvogel
17. März, 2016 20:00

@ Brandenburgerin: Wurde mir oft empfohlen, habe ich aber noch nicht gelesen.

Baumi
17. März, 2016 21:47

@Wortvogel: Das Kommerzfernsehen, das Sigurd nannte, kommt tatsächlich aus den späten 80ern/frühen 90ern – so ungefähr aber der Zeit, als die Privatsender Kinderfernsehen ins Programm nahmen, aber bei den anderen Sendungen muss ich ihn ins Schutz nehmen: Löwenzahn, Hallo Spencer, Siebenstein, Tigerenten Club und Süderhof sind allesamt keine 70er-Jahre-Formate (Okay, Hallo Spencer hatte lt Wikipedia eine Folge im Jahr 1979, aber so kann man ja nicht rechnen. 🙂 ), und Sesamstraße und Sendung mit der Maus sollten glaube ich, Beispiele für weiterhin gut laufende ältere Formate sein. Rappelkiste und Kli-Kla-Klawitter dagegen haben die 70er nicht lange überlebt.

Wortvogel
Wortvogel
18. März, 2016 11:21

@ Baumi: Die von dir genannten Sendungen sind in der Tat aus den 80ern – ich habe sie ja auch nicht erwähnt. Und in den 80ern gab es natürlich noch sehr viel gutes Kinderfernsehen. Es gab ja keinen radikalen Wechsel an Silvester 1979/80. Und gerade Formate wie Sesamstraße haben sich der Zeit immer sehr konsequent angepasst.