08
Feb 2016

Der Roger Willemsen, von dem ich zuviel bekam und doch nie genug kriegen konnte

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Roger Willemsen ist tot. Der Talkmaster, Moderator und Autor starb im Alter von 60 Jahren an Krebs. Das ist die Meldung.

Und hier ist meine kleine Geschichte dazu.

Vor zehn Jahren habe ich bekanntermaßen für 13th Street die “Böse Nacht Geschichten” betreut. Ich habe Autoren kontaktiert, mit ihnen verhandelt, die Kurzgeschichten lektoriert und dann fernsehtauglich aufgearbeitet. Wahrlich nicht immer eine leichte Aufgabe – Promis sind Diven -, aber eine furchtbar spannende. Wie oft hat man schon die Gelegenheit, mit Andreas Eschbach zu arbeiten, mit Burkhard Driest, mit Friedrich Ani, Katja Riemann, Frank Schätzing?

Und dann war da noch Roger Willemsen.

Ich weiß nicht, ob der Sender ihn vorgeschlagen hatte oder ob er von Anfang an auf meiner Liste gewesen war. Ein Fan war ich schon seit seiner legendären Talksendung 0137 auf Premiere, die 1991 mutig mit allen Spielregeln brach, was Präsentation, Design und Inhalte anging. Willemsen war eine sehr ungewöhnliche Mischung, nämlich ein sanfter Intellektueller mit Charme, der mir überhaupt nicht auf den Keks ging. So stellte ich mir immer den typischen ZEIT-Leser vor – und Giovanni di Lorenzo darf das ruhig als Lob sehen.

Auf jeden Fall stand Willemsen auf der Wunschliste für die Autoren der “Böse Nacht Geschichten” und über seine Hamburger Firma gelang mir die Kontaktaufnahme. Wir sprachen einmal am Telefon, danach ging es per Email weiter – er war irgendwo auf der Welt für eine Dokumentation unterwegs, ich bei einem Comedy-Seminar von SAT.1 in Ludwigsburg. Die Kommunikation verlief genau so, wie ich mir das vorgestellt hatte: höflich, präzise und kompetent.

Es gehörte zum Konzept, den Autoren der Vorlese-Reihe wenig Vorgaben zu machen, auch um sie nicht zu verschrecken: Es musste irgendwie Krimi, Thriller oder Suspense sein, maximal drei bis sechs Manuskriptseiten, um es in 10 Minuten lesen lassen zu können. Alles sonst – jeder wie er mag.

Nicht immer waren die eingereichten Texte von Anfang an ideal: Eine Autorin weigerte sich, ihre erste Geschichte auch nur minimal anzupassen und schickte deshalb gleich eine zweite hinterher. Ein Autor, der auf englisch geschrieben hatte, war mit meiner Übersetzung nicht zufrieden und verlangte, dass wir die deutlich schwächere Fassung seiner Lebensgefährtin nehmen sollten. Wieder ein anderer Autor konterte jede Bitte um stilistischen Feinschliff mit dem Vorwurf des Antisemitismus. Ich stritt mit Agenten und wurde von Sekretärinnen geblockt. Man lernt, mit den Egos umzugehen.

Willemsen war allerdings eine ganz eigene Nummer.

Er lieferte pünktlich, ich glaube nach einer Woche. Die Geschichte hieß “Bequemes Loch adieu” und war – 27 Seiten lang. Und sie war selbst im mildesten Licht nicht nur schräg, sondern auch harte Kost für sanfte Gemüter.

Wenn sich Anforderung und Ergebnis so widersprechen, ist das immer ein ganz schlechtes Zeichen: Ich ging davon aus, Willemsen zu verlieren, wenn ich ihm auf den Kopf zusagte, dass er die Verabredung in Sachen Länge gesprengt habe. Um den Sender nicht in Aufruhr zu versetzen, hielt ich “Bequemes Loch adieu” auch erstmal von 13th Street fern. Vielleicht war noch was zu retten…

Ich glaube, ich habe keine Email in meinem Leben so sorgfältig geschrieben wie diese Replik an den Moderator. Aber ich war auch ehrlich, weil ich keine andere Wahl hatte: SO ging das einfach nicht. Ich bot ihm an, die Story selber einzukürzen, als Angebot, falls er sich dem Stoff zu nahe fühlte, um 80 Prozent wegzuschmeißen.

48 Stunden lang passierte nichts. Dann klingelte mein Handy, während ich im Comedy-Seminar saß. Ich sah eine Hamburger Nummer, entschuldigte mich und ging raus auf einen Spielplatz.

Roger Willemsen war dran. Er war zerknirscht. Ja, das mit der Länge habe er sich irgendwie schon gedacht. Die Geschichte sei ein wenig mit ihm durch gegangen. Gäbe es eine Möglichkeit, die Sendung vielleicht länger zu machen? Weil, schön fände er “Bequemes Loch adieu” schon…

Ich stimmte ihm zu – auch wenn die Story nicht WIRKLICH Krimi war, überzeugte sie mit hohem sprachlichen Können und einer ganz eigenen Weltsicht. Sie erinnerte mich an Dennis Potters “The Singing Detective”. Aber in eine Staffel von 10minütigen Lesungen eine XXL-Folge von einer halben Stunde reinschmuggeln? Das würde ich beim Sender kaum schaffen. Willemsen verstand mein Dilemma – und versprach, sich noch mal dran zu setzen.

48 Stunden später hatte ich eine neue Fassung von “Bequemes Loch adieu” in der Mail. 5 Seiten lang. Genau so gut, aber deutlich knapper und auf einen Ausschnitt fokussiert. Mit freundlichen Grüßen, Roger.

Gut. Die eine Seite des Problems war gelöst. Die Seite des Autors. Nun war die zweite Seite dran, die des Senders. Erwartungsgemäß bekam ich verhaltene Rückmeldung zu “Bequemes Loch adieu”. Das sei ja eher so fragwürdig bis auch ein wenig widerlich. Und so richtig Krimi ja wohl auch nicht, oder?

Ich antwortete weit über meine Kompetenz hinaus sehr erhaben: richtig, das sei keine banale Krimi-Story mit Mörder und Kommissar. Das sei eben Literatur. Muss auch mal sein. Bringt auch sicher Bonuspunkte bei der Kritik. Wer kann schon was gegen Anspruch haben?

Bis heute glaube ich, dass man die Geschichte nur deswegen durchgewunken hat, weil man Willemsen nicht vor den Kopf stoßen wollte. Ich selbst fand sie toll.

Burkard Driest, der eine eigene Geschichte zum Projekt beigetragen hatte, die er wegen der Spielregeln aber nicht selbst vorlesen durfte, übernahm Willemsens Story und trug sie auf dem Bildschirm mit entspannter Souveränität vor:

(c) Gert Krautbauer / 13th Street
(c) Gert Krautbauer / 13th Street

Und das ist auch schon das Happy Ende meiner Geschichte und meiner einzigen Begegnung mit Roger Willemsen. Wobei – begegnet bin ich ihm ja persönlich gar nicht. Das passierte erst einige Jahre später, als er gewohnt charmant einen Abend mit britischer Filmmusik im Prinzregententheater in München moderierte.

Er wird fehlen.



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Peroy
Peroy
8. Februar, 2016 16:22

“Wieder ein anderer Autor konterte jede Bitte um stilistischen Feinschliff mit dem Vorwurf des Antisemitismus.”

“”Die wo…” sagt man nicht… – Nazi-Sau!” XD

Martin Däniken
Martin Däniken
8. Februar, 2016 16:23

Intelligent und neugierig und unaufdringlich,niemals bekehrend belehrend…wir werden dich vermissen.R.I.P

comicfreak
comicfreak
8. Februar, 2016 16:30

*schnüffz*

Andy
Andy
8. Februar, 2016 16:38

🙁 Sehr traurig und viel zu früh!!
Roger Willemsen war einer der wenigen dem ich Stundelang zu hören konnte weil Er so ein begnadeter Geschichtenerzähler war.
Ich kann dieses scheiß Wort ”Krebs” langsam nicht mehr hören. 🙁

PabloD
PabloD
8. Februar, 2016 16:57

Mit Roger Willemsen verbinde ich v.a. die von ihm (evtl. bei Zimmer-Frei?) erzählte Anektode, als er auf einen seiner Reisen in einem heruntergekommenen Hotel übernachtete und das Pärchen im Nachbarzimmer die halbe Nacht ihr Liebesspiel im Takt zu Ravels Bolero praktizierte. Seitdem hatte er immer ein bestimmtes Kopfkino sobald er diese Musik hörte. Und ich muss aufgrund dieser Story seit vielen Jahren IMMER an Willemsen denken, sobald irgendwo ein paar Takte Bolero gespielt werden.

Alex
Alex
8. Februar, 2016 17:13

Ich hatte im letzten Frühjahr die Gelegenheit, ihn während eines Fluges von Wien nach Hamburg zu erleben. Die durchgängige Freundlichkeit und Gelassenheit, mit der er sämtliche Herausforderungen ertrug, haben mich ihn bewundern lassen. Seine Sitznachbarin ließ ihn vier Mal in 75 Minuten aufstehen und Autogrammwünsche hat er gern erfüllt. Als wir nach dem Flug über eine Stunde am Kofferband auf das Gepäck warteten, schuf er eine Stimmung unter den Wartenden, die lautes Gemoser verhinderte. Einfach ein sehr angenehmer Mensch.

Dietmar
9. Februar, 2016 01:12

Er war jemand, der das Prädikat “Intellektueller” verdient hat. Ich fand sein souveränes Diskussionsverhalten in der NDR-Talkshow dem beifallheischenden Til Schweiger gegenüber bemerkenswert.

Es gibt viele, die zu allem Möglichen etwas zu sagen haben, aber nicht so viele, die das auch wirklich können. So einer war er für mich.

Und, natürlich, ist das wieder eine schöne Anekdote schön erzählt.