21
Aug 2015

FFF 2015 Gastreview: The Midnight After

Themen: Fantasy Filmf. 15, Film, TV & Presse, Neues |

The Midnight After

The_Midnight_After_poster Hongkong 2014. Regie: Fruit Chan. Darsteller: Janice Man, Kara Hui, Tien-You Chui, You-Nam Wong, Simon Yam

Story: Scheinbar eine ganz normale Nacht in Hongkong – im Minibus nach Tai Po findet sich ein bunt zusammengewürfelter Haufen Menschen zusammen: die Fußballfans Bobby und Pat, die Wahrsagerin (und Versicherungsmaklerin) Ying, der Computernerd Shun, die Schauspielerin Lavinia, die Twens Yuki und You, die Punks Airplane und Glo-Stick, der Junkie Blind Fai, vier Studenten, insgesamt 17 Personen. Während der Fahrt durch einen Tunnel passiert *irgendetwas* – Tai Po ist menschenleer, keine Autos sind auf der Straße, niemand geht ans Telefon, aber Telefon- und Stromnetze funktionieren noch. Nachdem man die Studenten nahe ihrem Wohnheim abgesetzt hat, rätselt der Rest der Busbelegschaft, was zur Hölle passiert ist. Blind Fai verzieht sich, der Rest vereinbart, sich am nächsten Mittag in einem Nudelrestaurant zu treffen. You begleitet Yuki nach Hause und bemerkt dabei einen mysteriösen Mann mit Gasmaske. Mit seinem Fahrrad schlägt er sich nach Kowloon durch, wo seine Freundin wohnt, findet aber auch diesen Stadtteil verlassen vor, während die Studenten auf geheimnisvolle Weise förmlich zerbröseln.

In der Nacht erhalten alle Businsassen den gleichen Anruf auf ihrem Handy – niemand ist am anderen Ende der Leitung, nur statische Geräusche. Beim Treffen kommt man zum Ergebnis, dass irgendeine Art Katastrophe passiert sein muss, aber warum sie die einzigen sind, die übrig geblieben sind, kann ebenso wenig erklärt werden wie die Präsenz des Gasmaskenmanns, der erneut auftaucht, und bei dessen Verfolgung You, Bobby und Wong über Lavinias geschändete Leiche stolpern. Shun entschlüsselt die seltsamen Geräusche des Anrufs als Morsecode, der den Text von David Bowies „Space Oddity“ ergibt. Alles reichlich mysteriös und als die Gruppe durch unerklärliche Todesfälle weiter dezimiert wird, bricht langsam, aber sicher Panik aus…

Kritik: Was man nicht alles für den Film adaptieren kann – „The Midnight After“ ist die Filmversion eines in Hongkong sehr populären Online-Romans aus der Tastatur eines gewissen „Mr. Pizza“. Das macht doch Hoffnung… Zuständig für die Verfilmung erklärte sich Fruit Chan, der Welt vermutlich am Vertrautesten durch „Dumplings“, die Langfilmversion seines „Three Extremes“-Beitrags.

„The Midnight After“ ist wieder so ein Film, der sich mit Wonne zwischen alle möglichen Stühle setzt – apokalyptisches Drama, Gesellschaftssatire, SF-Mystery, kleine Horror-Einschläge – auch bei Fruit Chan ist erst mal alles möglich. Im Vergleich zu einem Radaufilmer wie Takashi Miike geht’s bei Chan aber gesitteter zu, legt viel Wert auf Dialogarbeit und bietet nicht viel an „Äktschn“ und trotzdem sind Chans 124 Minuten deutlich kurzweiliger als Miikes 115 für „Yakuza Apocalypse“, wenn man denn im richtigen Mindframe für einen twistigen und turnigen Mysteryfilm ist, der recht früh andeutet, dass er zwar gewillt ist, jede Menge Fragen aufzuwerfen, aber die Beantwortung derselbigen bestenfalls einer Fortsetzung zu überlassen (yep, it’s open ended, und, wie Marcel Reich-Ranicki sagen würden, alle Fragen bleiben offen).

the_midnight_after

Chan lässt seinen Charakteren Raum, beleuchtet in Flashbacks die Vergangenheit der Hauptfiguren (wenn sie darüber erzählen, wie gerade sie in diesen speziellen Minibus geraten sind, was natürlich andeutet, dass die scheinbar zufällige Zusammenrottung *so* zufällig womöglich nicht war), lässt sie sich streiten (ja, Asiaten, die sich anschreien, gibt’s zuhauf), packt da und dort einen netten Effekt aus und profitiert ansonsten von der ja meistens per se unheimlichen Atmosphäre einer menschenleeren Metropole (ich möchte mir den logistischen Alptraum, der nötig gewesen sein muss, um Hauptverkehrsachsen von Hongkong vollkommen leer zu filmen, gar nicht erst vorstellen). Manchmal gerät Chan eine Szene vielleicht etwas zu lang (so die improvisierte Gerichtsverhandlung und Urteilsvollstreckung, als sie Gruppe herausfindet, wer Lavinia vergewaltigt und getötet – oder umgekehrt – hat), dafür gibt’s wieder andere brüllend komische Einfälle (Blind Fai, der vom Busfahrer für einen Zombie gehalten und mit der Axt attackiert wird und fortan mit der tief in seiner Schulter steckenden Axt herumläuft, ohne davon gesteigert beeindruckt zu sein) und Ideen aus Bizarroland (wenn der offenbar in Hongkong bekannte Popsänger Jan Curious ob der Entdeckung, dass es sich bei den Morsebotschaften um „Space Oddity“ handelt, in eine Musicaleinlage ausbricht und unmittelbar danach spektakulär verscheidet).

Wie gesagt, man muss damit leben können, dass „The Midnight After“ wahnsinnig viele Dinge anreißt, von Zeitsprüngen bis Fukushima, aber nichts beantwortet – normalerweise wäre ich da auch ziemlich angepisst („Lost“, ich rede mit dir), aber diesem Film kann ich es verzeihen, weil er tatsächlich auch so zwei Stunden lang faszinierend ist und allein schon das Auftürmen eines gigantischen Mysteries Zuschauerlohn genug ist (jede Auflösung muss dann quasi zwangsläufig ein letdown sein, also lass den Zuschauer interpretieren und die Überlebenden in eine ungewisse Zukunft entfleuchen).

Der Soundtrack ist nicht nur wegen des famosen Einsatzes des Bowie-Klassikers klasse, die Effekte und wenigen Action-Szenen sind patent, und die Schauspielerseite lässt nichts anbrennen. Schön, den alten Cat-III-Haudegen Simon Yam mal wieder in durchgeknallter Aktion zu sehen, Tien You Chui (Shun) kennt man womöglich aus „Contagion“ und „Ip Woman“, Suet Lam (Busfahrer Suet) war in „Kung Fu Hustle“ und „Ip Man Zero“ von der Partie, You-Nam Wong (You, „Ip Man“, „Gallants“) wirkt zunächst ein bisschen zu sehr wie der Schönling-von-der-Stange, fügt sich aber ins routinierte Ensemble klaglos ein. Janice Man ist süß anzusehen…

Fazit: „The Midnight After“ ist mal wieder kein Film, der ein breites Publikum ansprechen wird – er ist schon sehr speziell (und auch sehr speziell „Hongkong“, if you catch my drift), aber wenn man sich auf seine eigentümliche Atmosphäre einlässt, bekommt man, wenn man einen ganz schrägen Vergleich ziehen will, eine Art geradlinigere, aber nicht weniger mysteriöse David-Lynch-in-Hongkong-Version. Das macht die Sache für mich sehr sehenswert. 8/10.

Doc Acula

https://www.youtube.com/watch?v=QGF5B-4VK6Y



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