"Datenpanne" anno 1983: Geht auch ohne Google
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Man mag es für eine seltsame Angewohnheit halten, aber immer mal wieder gebe ich die Namen obskurer Filmtitel bei Google ein und schaue, was passiert. Weil immer mal wieder obskure Filme doch noch auftauchen.
Heute ist es wieder passiert – ich bin auf "Datenpanne – das kann uns nie passieren" gestoßen, ein "Fernsehspiel der Gegenwart" von 1983, gedreht für das ZDF. Im "Lexikon des Science Fiction Films" wurde seinerzeit darüber geschrieben – ein TV-Stück aus dem Kalten Krieg, vor Paranoia und Technikphobie strotzend, aus Angst vor "1984" den Computer als diktatorischen Datenschnüffler für 1991 (!) prognostizierend.
Ganz schlecht gealtert, sieht "Datenpanne" (wie übrigens auch "1984") nur die ungute Verquickung von Technik und Politik als Katastrophe und übersieht die Technik als Werkzeug des Missbrauchs in den Händen derer, die sie erschaffen – der Konzerne. Die Inkompetenz, ja Impotenz des überforderten Staates ist eine Facette, die den meisten SF-Autoren bis in die Gegenwart vielfach entgangen ist.
Der SPIEGEL schrieb seinerzeit:
"In seiner "absurden, irrwitzigen Geschichte" beschreibt Autor und Regisseur Daniel Christoff den "David Mensch im Kampf gegen den anonymen Goliath Computer" (Christoff)."
Gerade die stoffelige, sozialliberal-altlinke Dystopie macht "Datenpanne" auf nostalgische Art spannend, auch wenn die Inszenierung massiv hinkt. Dies ist noch "Papas Fernsehen" aus der Zeit, als die öffentlich-rechtlichen Sender keine Sorge haben mussten, dass jemand zu den Privaten umschaltet. Ein "Fernsehspiel der Gegenwart", dessen Zukunft längst Vergangenheit ist.
Trotzdem bringt "Datenpanne" hellsichtig ein paar gute Skizzen zum Thema Verdatung, Verdrahtung und Identitätsdiebstahl unter. Besonders die Eingangsszenen wirken fast schon wieder aktuell.
Hier die Inhaltsangabe des Senders aus dem Jahr 1983:
"Wir befinden uns im Jahr 1991, also in ziemlich naher Zukunft: Der Ex-Botaniker Thilo Meier, der nach mehr als zweijährigem spontanem Aussteiger-Aufenthalt in Fernost nach Hause zurückkehrt, muss erfahren, das sich in der Zeit seiner Abwesenheit hier Entscheidendes geändert hat. Durch seine abgelaufene Identitätskarte bleibt er schon in der Flughafenkontrolle hängen – das ist sozusagen normal. Außergewöhnlich aber sind die Umstände der weiteren Behandlung, die er erfährt, die absurde Dramatik, die sein Fall auslöst. Zuerst setzt man ihn nämlich fest, dann lässt man ihn laufen, ja, er bekommt zunehmend das Gefühl, die sprichwörtlich "heiße Kartoffel" zu sein, und plötzlich begreift er, dass er alles daransetzen muss, gegen ein perfekt gewordenes, von Daten beherrschtes System um den Erweis seiner Existenz und damit um sein nacktes Leben zu kämpfen.
Dass er bei seinen verzweifelten Bemühungen seine frühere, jetzt wieder zu ihm übergeschwenkte Freundin Annette verliert, verdankt er auch den Daten, die ein paar Indiskretionen über ihn ausspucken. Aber sein, wie Annette meint, sich steigernder Verfolgungswahn wäre ohnehin nicht dazu angetan, eine alte Liebe wieder erstarken zu lassen.
Noch jemand hat nach der Panne mit Thilo einen verzweifelten Kampf zu kämpfen: ein Kriminalkommissar, der sich in dieser Angelegenheit kurz zu der Vermutung verstieg, die Daten könnten irren – eine gesetzlich mittlerweile unter Verbot gestellte Straftat. Er wendet sich an seinen alten Kollegen Fritz, der als einer der Erfinder des neuen, perfekten Systems nach dessen Einführung in Pension gehen musste und sich als Privatdetektiv mit Observierungswagen und anderen Schikanen ein Zubrot verdient. Diesen Fritz bittet der Kommissar um Hilfe bei seiner Rehabilitierung, aber Fritz entpuppt sich im Entscheidungsfall als Fanatiker der von ihm ausgebrüteten Datenwelt. Seine humorvolle Gemütlichkeit hat enge Grenzen, und es zeigt sich, wie schnell er über Leichen zu gehen bereit ist.
Thilo bemerkt erst spät, welche Kreise er gezogen hat und in welchen Netzen er zappelt. Trickreich versucht er, zu einem Datenschützer vorzudringen, einer jener geheimen Größen, die neuerdings nicht mehr Menschen gegen Daten, sondern Daten gegen Menschen zu schützen haben und die Ideologie des Systems mit geradezu religiösem Eifer verfechten. Allmählich weiß Thilo nicht mehr, auf welcher Seite der Wahnsinn sich ausbreitet, auf seiner oder der anderen. Die Frau des Datenschützers, eine noch nicht von der Datenhörigkeit infizierte, sinnenfrohe Blondine, die das Herz und auch sonstiges auf dem rechten Fleck hat, ist ein Lichtblick für Thilo. Aber sie kann ihm letzten Endes auch nicht helfen, sondern ist ihm eher ein Hindernis, und so wird der tragikkomische Held dieser bissigen, gar nicht so auszuschließenden, sondern zum Teil schon angebrochenen Zukunftsgeschichte gegen Ende gerade von dem Datenschützer vor eine wahnwitzige Alternative gestellt."
Und nun – ohne weitere Umschweife:
Tja, deutsche TV-SF war mehr als nur "Die Hamburger Krankheit", "Welt am Draht", "Kamikaze 1998" und "Das Millionenspiel". Wäre schön, den mal "ordentlich" auf DVD zu sehen. Und diesen hier gleich obendrauf:
Dieser Tage zeige ich noch mindestens eine weitere deutsche TV-SF-Perle.
Wieso ist "1984" denn schlecht gealtert? Kenne die Behauptung nur von Leuten, die das für eine enrsthafte dystopie halten, aber Orwell hat das ja schon seinerzeit als Satire geschrieben.
Ich glaube, Torsten meint die Verfilmung des Romans.
@ Mencken: Das macht für mich keinerlei Unterschied – Satire hin oder her: Thema verpasst. Die Dystopie von Autoren wie Huxley und Orwell und Samjatin ist geprägt von der Vorstellung, dass von oben oktroyierte politische Systeme die Zukunft irreversibel prägen. Nach aktuellem Stand ist das überholt. Man kann aus ihnen noch Erkenntnisse über die Funktionsweisen von Diktaturen lernen, aber als Warnung taugen sie nicht mehr. Weil Orwell nicht wissen konnte, was wir wissen.
@Wortvogel: Da würde ich durchaus zustimmen (Huxley mal ausgenommen), aber mein Punkt war eigentlich, dass Orwell eben nicht eine Warnung vor der Zukunft verfassen, sondern einzig und allein den Stalinismus der damaligen Gegenwart kritisieren wollte.
Zugegebenermassen hat er sich in dieser Hinsicht nach der Veröffentlichung teilweise auch widersprüchlich geäußert, aber eine ernsthafte Dystopie sollte 1984 nie sein.
Ich sehe zusätzlich auch noch vieles bei Orwell, was ich durchaus noch für aktuell halte -all hope lies within the proles etwa, was ja ebenfalls gerne fehlinterpretiert wird – aber das ist dann nochmals ein ganz anderes Thema.
@ Mencken: Man sollte schon die Frage nach Intention ./. Rezeption stellen. Noch in meiner Schule wurde "1984" nicht als Satire, schon gar nicht als Abrechnung mit Stalin gelehrt. Das war übrigens 1984. Und da Orwell seine Satire in die Zukunft verlegt, ist es – unabhängig von der Frage, ob es eine Satire ist – auch eine Dystopie.
Nicht missverstehen: Ich werfe den Autoren nichts vor. Es sind Schriftsteller, keine Hellseher. Und die meisten radikalen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren im besten Sinne unvorhersehbar (Internet, Zusammenbruch des Ostblocks, die Umbenennung der Juniortüten in Happy Meals, die letzte Szene der "Sopranos", etc.).
@Wortvogel: Ja, wurde uns damals in der Schule auch so vermittelt, ist aber falsch, wenn auch leider immer noch weit verbreitet. Ich halte "Big Brother", den Dystopie Aspekt und die totale Überwachung bei 1984 für relativ unwichtig (ist nur das Setup), Orwell geht es da primär um ganz andere Fragen, für die das Ganze nur als Aufhänger dient. Daher halte ich ihn auch nicht für veraltet, auch wenn natürlich klar ist, dass die genannten Aspekte so heutzutage sicherlich nicht mehr auftauchen würden.
@ Mencken: Zwar bewundere ich deine Konsequenz, deine Meinung auch klar als solche zu identifizieren ("Ich halte"), aber gleichzeitig muss ich deine absolutistische Behauptung, "1984" sei Satire und damit nicht als Dystopie zu werten, für extrem problematisch halten. Rate mal, wie oft im deutschen Wikipedia-Beitrag zu "1984" das Wort "Satire" vorkommt? Genau so oft wie das Wort "Rübezahl".