Weekend of Heroes 1: "Daredevil"
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Zwei Herzen schlagen, ach, immer noch in meiner Brust. Ich hatte ja neulich schon geschrieben, dass die Flut an Superhelden-Filmen und Serien für mich ein Überangebot darstellt, das zu Übersättigung führt. Manche nennen das positiv "mehr Auswahl", das kann ich auch verstehen. Vielleicht bin ich empfindlich, weil es mich schlicht ärgert, dass ich nicht mehr alles konsumieren kann, was ich konsumieren möchte. Zuletzt war ich 1997 in der Situation, dass ich mit meinem wöchentlichen Serienpensum kaum nachkam. Aktuell fällt bei mir der Durchschnitt raus, "kann man schon gucken" reicht nicht mehr. Ich filtere sehr stark das Wenige, für das ich Zeit habe. Nächste Woche z.B. nehme ich mir die Zeit für den Trip nach Frankfurt, um das Pressescreening von "Avengers 2" zu besuchen – mein einziges in diesem Jahr bisher.
Wie zur Vorbereitung – und weil es gerade passt – habe ich gestern mal ein paar aktuelle Superheldenverfilmungen für die kleine Mattscheibe eingeworfen. Wenn Versuch kluch macht, macht Vergleich vielleicht reich?
Zuerst war der Plan, alle drei Verfilmungen in einem Triple abzufeiern. Aber dann wurde mir klar, dass das nichts bringt, weil die Kommentare sich überschneiden und mehrere Diskussionen durcheinander gehen können. Also veröffentliche ich an diesem Wochenende drei Reviews, die ihr dann auch separat besprechen könnt. Und weil ich weiß, was euch am meisten kitzelt, beginnen wir mit…
Daredevil
13 Folgen von Netflix. Alle an einem Tag veröffentlicht. Weltweit ist an diesem Wochenende "Daredevil-Bingewatching" angesagt. Wer sich erstmal den Background der Figur anlesen möchte, findet hier eine gute Übersicht.
Den Kinofilm mit Ben Affleck haben wir alle noch gut in schlechter Erinnerung, den klammere ich an dieser Stelle mal aus. Aber selbst abgesehen davon ist Netflix' "Daredevil" nicht der erste Versuch, den Dämon (so der eigentlich passendere klassisch-deutsche Titel der Figur, der mittlerweile kaum noch Verwendung findet) auf die Mattscheibe zu bringen. Nicht mal der zweite. Es ist der dritte. Walk with me down memory lane…
Mitte der 70er wollte David Bowies Ex-Frau Angela eine TV-Serie produzieren, mit sich als Black Widow und Ben Carruthers als Daredevil. Daraus wurde nichts, aber ähnlich wie im Fall von Brigitte Nielsen als "She-Hulk" bleibt uns zumindest ein Foto-Shooting erhalten:
Yeah, I know…
14 Jahre später nutzte man drei Hulk-TV-Filme als potentielle Spin-Offs des Marvel Universums. In "The Trial of the Incredible Hulk" spielt Rex "Streethawk" Smith den blinden Anwalt mit den nocturnen Hobby:
Ich kann mich gut entsinnen, wie fassungslos ich seinerzeit war, dass die das Kostüm so vergeigt hatten – schwarz, keine Maske, kein Logo? Sakrileg. Ich wusste schlicht nicht, dass diese "Einfach-Version" durchaus ihren Platz im Universum der Figur besitzt und sowohl in Frank Millers "Man without Fear" und in der aktuellen Serie aufgegriffen wird.
Darüber hinaus ist "The Trial of the Incredibly Hulk" trotzdem ein ziemlicher Ausfall. Es war die Zeit, als sich das Medium Fernsehen nicht den Inhalten anpasste, sondern umgekehrt. Da wurden Comic-Universen kastriert, geschrumpft, zerhackt, idiotisiert und auf ein wöchentlich wiederkehrendes "Der Held rettet eine allein erziehende Mutter vor Klappmesser wedelnden jugendlichen Punks"-Muster reduziert. Als echter Comic-Nerd konnte man damit nicht viel Freude haben.
Wer trotzdem neugierig ist, kann sich den Film komplett hier anschauen:
https://www.youtube.com/watch?v=Zvs6mZ4gClw
Sehr wenig Hulk, sehr wenig Daredevil – der Rest ist Schweigen.
Nun aber zur neuen Serie, die mit 13 Folgen Teil eines Quartetts von Superheldenserien bilden soll, das in einer Miniserie mit einem "Defenders"-Teamup kulminiert. Ein ambitionierter Plan, keine Frage. Aber soviel sei schon mal verraten: Wenn es Marvel, den Sendern und den beteiligten Produzenten gelingt, das Niveau von "Daredevil" zu halten, könnte die Rechnung aufgehen.
Ich wir gar nicht zuviel über den Plot verraten, um euch den Spaß nicht zu verderben, nur soviel: Die 13 handlungsmäßig recht durchlaufenden Folgen zeigen in Rückblenden die "origin story" des Daredevil, etablieren Murdoch und seinen besten Freund als junge Anwälte und führen neben den bekannten Nebenfiguren den Kingpin als "big bad" ein. Es ist keine direkte Adaption von Frank Millers "The man without Fear", kann die Inspiration aber in vielen Szenen und vor allem Bildkompositionen nicht bestreiten. Die Miniserie oder Halb-Staffel ist als Langfilm konzipiert und funktioniert deshalb am Stück besser als mit wöchentlichen Breaks.
Was den Aufwand, die Kostümierung und die Inszenierung der Action angeht, spielt "Daredevil" durchaus in einer Liga mit "The Flash" und vor allem "Arrow". Was die Intensität und die Härte betrifft, orientieren die Macher sich klar an HBO und Showtime. Bei der Gewalt legt man, weil der strenge Jugendschutz der US-Networks wegfällt, eine solide Schippe drauf, hier geht es wirklich zur Sache. Besonders in den ausufernden und mit Genuss an brechenden Knochen und schlitzendem Fleisch inszenierten Kampfszenen findet die Serie eine eigene, brutale Signatur. Daredevil wird clever und bewusst nicht als übertrainierter Superfighter gezeigt, sondern als knochenharter Schläger, dessen Fähigkeit einzustecken mindestens genau so nötig ist wie seine Fähigkeit, auszuteilen. Er ist deutlich bodennäher als die Kino-Version von 2003, die sich nie entscheiden konnte, ob sie mehr bei Batman oder mehr bei Spider-Man abgucken wollte – und dadurch nie eine eigene Identität für den "Dämon" fand.
Jenseits der Gewalt tropft "Daredevil" die Film Noir-Atmosphäre aus allen Poren: Der düstere Vorspann trägt ebenso dazu bei wie die digital glänzende Nachtphotographie in grün, gelb und rot, die mitunter aussieht, als habe man kontraststarkes Schwarzweiß nachträglich eingefärbt. So etwas habe ich im Superheldenkontext bisher nur bei Lexi Alexanders' missglücktem "Punisher: War Zone" gesehen, dort aber deutlich unbeholfener und dem mangelnden Budget geschuldet. Hier ist es eine stilistische Entscheidung. Eine gute.
Obwohl an Action und an Aufwand nicht gespart wird, verstolpert sich "Daredevil" nicht mit dem Anspruch, Kino sein zu wollen. Es ist sehr bewusst eine TV-Serie, deren Appeal sich aus dem Plot und den Charakteren speist und damit beweist (weit besser als z.B. "Agents of SHIELD" oder "Agent Carter"), dass manche Superhelden im Fernsehen ein passgenaueres Zuhause finden können als auf der großen Leinwand.
Müsste ich meckern, dann vielleicht daran, dass "Daredevil" meinem ganz persönlichen Anspruch an Superheldenverfilmungen nicht voll entspricht. Ich hätte gerne früher das "richtige" Kostüme gesehen, mehr "super heroics", mehr "larger than life", mehr Comic-Ikonographie. Mitunter hatte ich das Gefühl, man hätte "Daredevil" auch durch einen nicht kostümierten Rächer mit großem Ballermann ersetzen können – dann wäre es eine x-beliebige Selbstjustiz-Serie geworden.
Trotzdem muss man anerkennen, dass "Daredevil" für den "turnaround" steht, für das neue glorreiche Zeitalter der exzellenten Comic-Verfilmungen. Musste man bei "Trial of the Incredible Hulk" noch jede Besprechung mit "Das ist natürlich scheiße, aber wenigstens kann man anerkennen, dass…" anfangen, verschieben sich die Gewichte hier auf "Das ist natürlich geil, man könnte allenfalls noch kritisch anmerken, dass…".
Fazit: Eine herausragende, düstere, knallharte Rächer-Heldenserie, die ein solider Baustein für Marvels geplantes TV-Universum ist.
Next up: "Powers".
"Den Kinofilm mit Ben Affleck haben wir alle noch gut in schlechter Erinnerung"
Ich liebe diesen Film. Ich verstehe nicht, warum den keiner mag.
Also doch besser als Goddard’s komplett misslungener "Cabin in the Woods"? Na gut, schaun mer mal…
As for Affleck: der Dir-Cut soll ja durchaus besser sein. Die Kinofassung damals war schon harter Tobak. Die Evanescence-Szene ist ein haarsträubender 2000ism!
@ Peroy: Dich mag ja auch keiner – passt.
@ John: Der Dir-Cut war keinen Deut besser. Es gab Mitte der 00er eine Reihe von miserablen Comic-Verfilmungen, an denen Mark Steven Johnson die Hauptschuld trägt. Seit Marvel deutlich stärker die Kontrolle übernommen hat, läuft es besser. Aber die Ära von Ghost Rider, Daredevil, Elektra, Punisher und meinetwegen auch Fantastic Four sollten wir schnell vergessen.
Beim Affleck-Film verstehe ich hauptsächlich nicht, wie man nach dem miserablen Feedback auf die Idee kommen konnte, ein "Elektra"-Film sei eine gute Idee.
Nein, ernsthaft, ich habe mir sowohl die normale, als auch die Directors-Cut-Version angesehen und muss sagen, dass Letztgenannte deutlich besser funktioniert. Mein Hauptproblem mit dem Film ist, dass ich weder Affleck noch Michael Clarke Duncan die von ihnen eingenommenen Rollen abkaufen kann. Vor allem der Kingpin ist meiner Meinung nach überhaupt nicht ernst zu nehmen.
Was die neuen Superheldenserien angeht, bin ich bis jetzt noch unbeleckt, vor allem aus Zeitgründen. Und, zugegeben, auch aus genau den schlechten Erinnerungen, die durch den unglaublichen Ferrigno-Hulk gerade wieder geweckt wurden.
@Wortvogel: Die Fantastic Four Filme habe ich mir kürzlich mal wieder angesehen. Es ist wirklich erstaunlich, wie groß der Unterschied zu den "richtigen" Marvelfilmen von heute ist. Trotzdem bin ich auf das Reboot mal gespannt, vor allem weil sie ja beim Ding einen deutlich anderen Weg gehen. Und das war die einzige Figur in den Filmen, die ich wirklich gut gelungen fand.
@ Mic: Ich fand den ersten "Fantastic Four" von Tim Story okay, wenn man ihn als Superheldenfilm für Kinder begreift. Er sollte halt deutlich mehr "family friendly" sein als z.B. die "X-Men". Der Cast war auch okay. Aber das Projekt ist komplett in die Hose gegangen, weil man aus den Fehlern nichts gelernt hat und die Fortsetzung deutlich substanzloser ist.
So gerade die erste Folge Daredevil auf Netflix angeworfen.
Die ersten 5 Minuten gefallen schonmal
Werde auch gleich mal den Teufel nachholen. Bin gespannt, denn der Trailer verspricht ja auch düstere Action. Aktuell ist Gotham ja bei mir hoch im Kurs.
Ich hab bislang nur die erste Folge gesehen, die war aber schon recht launig. Den Hauptdarsteller finde ich noch etwas zu glatt, und die Anwaltsszenen dürften auch weniger sein (da gibt’s aktuell bei "Better Call Saul" einfach schon so viele), aber trotzdem – ein schöner Einstand. Bin gespannt.
Und btw, weil’s oben reingerotzt wurde: "Cabin in the Woods" hat sicher so seine Fehler, aber unterm Strich fand ich den trotzdem recht unterhaltsam und weit entfernt von "komplett misslungen". Leute gibt’s …
Hab bisher die ersten 3 Folgen geschaut und bin vor allem vom technischen sehr angetan. Solch harte, gut gefilmte und nachvollziehbare Martial Arts habe ich in Serien noch nicht gesehen (da kommt auch Arrow lange nicht heran). Vor allem der One-Shot am Ende von Folge 2 war der Hammer. Storytechnisch bin ich noch nicht ganz mitgerissen, kann aber daran liegen dass ich erst in den letzten Wochen viel Daredevil gelesen habe und mir daher vieles alzu bekannt vorkommt.
Schon interessant, dass einige der aktuellen Superhelden-Serien bei meiner Lady und mir überhaupt nicht funktionieren, während wir mit anderen richtig viel Spaß haben.
Bei Flash nervt uns fast der gesamte Cast => wird nicht mehr geschaut.
Bei Arrow fanden wir die Folgen, die wir bisher gesehen haben, auch ziemlich öde => wenn wir ganz viel Langeweile haben, versuchen wir es vielleicht noch mal.
Agents of Shield, Gotham und jetzt Daredevil finden wir dagegen ziemlich geil – für die beiden erstgenannten Serien schalten wir sogar sehr regelmäßig den Fernseher ein und ertragen die unsägliche Werbung.
" Aber die Ära von Ghost Rider, Daredevil, Elektra, Punisher und meinetwegen auch Fantastic Four sollten wir schnell vergessen."
*unterschreib*