Whatthefuckbuster Double Feature: “Vice” & “Everly”
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USA 2015. Regie: Brian A. Miller. Darsteller: Thomas Jane, Bruce Willis, Ambyr Childers, Jonathon Schaech u.a.
Offizielle Synopsis: Julian Michaels hat das ultimative Resort entworfen, “Vice”. Hier ist alles möglich, und die Kunden können mit den künstlichen Bewohnern, die wie Menschen aussehen, fühlen und denken, ihre wildesten ausleben. Doch dann gibt es einem weiblichen Cyborg eine Fehlfunktion, denn sie entwickelt ein Bewustsein und flieht aus dem Komplex. Auf der Flucht vor Julians Söldnern bekommt sie unerwartete Hilfe von einem Cop, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Vice zu schließen und die Gewalt zu beenden.
Kritik: Dieser Film war von Anfang an ein Mysterium für mich. Wie kann es einen Science Fiction-Thriller mit Bruce Willis und Thomas Jane geben, von dem ich vorher noch nie gehört habe? Wieso geht der direkt auf Scheibe und ins Streaming, mit nur einem marginalen Kino-Release?
Nach ein wenig Recherche war klar: “Vice” ist Teil des Geschäftsmodells der Firma Emmett/Furla, deren Output vor niedrig budgetierten Pseudo-Actionfilmen strotzt, die das Geld nicht auf die Leinwand bringen, sondern lediglich in einen oder zwei “name stars” investieren, die sich drei Drehtage richtig teuer bezahlen lassen. Das anämische Endergebnis mag nicht als großes Blockbusterkino taugen, aber über die globalen Märkte und neue Medien rechnet sich das Geschäftsmodell anscheinend sehr gut.
“Setup”, “Catch .44”, “Lay the Favorite”, “Fire with Fire” und “Prince” boten schon Bruce Willis auf – und selbst viele Willis-Fans dürften diese Streifen nur vom Hörensagen kennen. “Empire State” mit The Rock? “Freelancers” mit Robert de Niro? “Touchback” mit Kurt Russell? “Two Guns” mit Denzel Washington? Alles Emmett/Furla.
Das ist kein Kino, das ist Kino-Substrat, eine clevere Imitation, die wie Kino aussieht, aber “direct to Zweitverwertung” liefert.
Man muss sich klarmachen, dass dieser “Bruce Willis-Actionthriller” gerade mal 15 Millionen Dollar gekostet hat – ein Drittel der aktuellen Jason Statham-Filme. Und wenn man weiß, dass von den gerade mal 15 Millionen mindestens die Hälfte an Willis und Jane gegangen sind, dann ahnt man: Das große Effektkino hat hier kein Zuhause gefunden hat.
Und so ist es dann auch. “Vice” verstolpert sich schon mit den ersten Szenen an einem albernen “Westworld”-Plagiat, das unausgegoren wirkt und schlecht erzählt wird. Man möchte einem der großen SF-Klassiker der 70er huldigen, bringt aber nicht mehr erzählerische Eier auf als unzählige Videoheuler der 90er mit dem Präfix “Cyborg” im Titel. Um Seriosität vorzugaukeln, verkneift man sich jedoch deren sleazigere Elemente, was den Film weiter auf frühes Kabelsender-Niveau drückt und gefährlich in die Nähe solcher Gurken wie “Cyborg Agent” und “Chameleon”.
Einen interessanten Look oder aufwändige Sets sucht man vergebens – um der Fördermittel willen hat man alles in “downtown Mobile, Alabama” gedreht, was einfach nicht sonderlich futuristisch aussieht. Der Super-Vergnügungspark “Vice” ist letztlich eine Gewerbe- und Geschäftsviertel und erschreckend viele Szenen beschränken sich – wie bei Seagal und Lundgren – auf Seitenstraßen, Fabrikgebäude und verlassene Einkaufszentren.
Der gesamte Film spielt übrigens in einer Nacht, die in diesem Kontext ungefähr 36 Stunden dauern müsste (nun gut, den Fehler hat “Die Klapperschlange” auch schon gemacht) und “Science Fiction” heißt hier, dass überall große Neonröhren rumliegen und an der Straßenecke ein Autowrack brennt. Man gönnt uns nicht mal ein paar Laserstrahlen oder Hologramme oder Roboter-Eingeweide. Der Aufwand macht Hungerkur.
“Vice” hat kein interessantes Setup, keinen interessanten Quest, keinen Drive und keine interessante Figur zu bieten. Er weiß nicht, wo er hin will, darum dreht er sich im Kreis. Alle Darsteller mit Ausnahme der beiden “name stars” könnten auch aus einer aktuellen CW- oder Fox-Serie stammen. Bruce Willis schlafwandelt durch seine Rolle als “Strippenzieher im Hintergrund” und man hat das Gefühl, sein patentiertes süffisantes Grinsen ist schiere Verachtung für die Macher, den Film und letztlich das Publikum. Selten habe ich eine Performance gesehen, bei der das totale Desinteresse des Stars derart offensichtlich war. Und Thomas Jane? Der Ex-“Punisher” auf dem Sturzflug in die B-Movie-Hölle kann nicht retten, was die Pappfigur “rebellischer Cop” nicht hergibt. Das hätten auch Miles O’Keeffe oder Lorenzo Lamas spielen können.
Janes Rolle zeigt zudem exemplarisch die Schwächen des Skripts: Cop Roy ermittelt rein gar nichts, ist (wie weiland Indiana Jones in “Raiders”) für die Handlung komplett irrelevant. Schlimmer noch: Wie weiland Indiana Jones in “Raiders” ist es seine Dummheit, die es der Evil Corporation ™ erlaubt, die Replikantin Kelly problemlos zu finden. Er ist eine Figur, die nur existiert, weil das Skript einen Helden braucht – nicht aber die Story.
Und wo die Story, die Darsteller und das Budget nichts reißen, ist auch die Regiearbeit von Brian A. Miller exakt so einzigartig wie sein Nachname. Hier wird Dienst nach Vorschrift geleistet, als ginge es nicht um einen Bruce Willis-Film, sondern um eine beliebige Episode von “Ein Colt für alle Fälle”.
Fazit: Ein eierloser und hirntoter “Westworld”-Abklatsch ohne jeglichen Unterhaltungswert, ein seelenloses Produkt für die Regale. Watch Bruce Willis not giving a shit.
Everly
USA 2014. Regie: Joe Lynch. Darsteller: Salma Hayek, Akie Kotabe, Jennifer Blanc, Masashi Fujimoto, Togo Igawa, Gabriella Wright, Caroline Chikezie, Laura Cepeda, Hiroyuki Watanabe u.a.
Story: Als Everlys Zuhälter und hochrangiger Yakuza-Boss Taiko herausfindet, dass sie eine FBI-Informantin ist, wird Everlys luxuriöse Bleibe zur tödlichen Falle. Um das vom Boss versprochene Kopfgeld zu kassieren, steht bald eine ganze schwer bewaffnete Armada von Profikillern vor der Tür. Gefangen in ihrer Wohnung, wehrt sich die unbedarfte Everly mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und kennt dabei keine Gnade…
Kritik: “Everly” ist ein Film, der nicht funktionieren sollte – und dem man umso höher anrechnen muss, dass er eben doch funktioniert. Gerade nach dem gelebten “leck mich doch” von “Vice” beweist Joe Lynchs Film, dass es auch in die andere Richtung geht: Statt getürktem Großkino eine Konzentration auf das Wesentliche, sehnige Action mit üppigem Splatter und rotzigem Humor, die eigenen Grenzen kennend – und dann lässig sprengend.
Man hat das Gefühl, “Everly” könnte als besoffener Scherz begonnen haben:
“Alder, ich hab’s – wenn wir kaum Kohle haben, aber fette Action machen wollen, dann lassen wir das alles eben IN EINEM RAUM spielen. Stirb langsam meets Cocktail für eine Leiche!”.
Und alle Beteiligten waren zu hackedicht, um rechtzeitig zu widersprechen.
Wenn man den Anspruch hat, einen harten, aber durchaus emotional packenden Actionfilm abzuliefern, dann ist es schon sehr mutig oder sehr dumm, diesen in das Korsett einer einzigen Location zu zwängen. Schließlich ist es mit Helden und Action wie mit dem Prophet und dem Berg – kommt der eine nicht zum anderen, muss der andere zum einen kommen. Die Beschränkungen müssen genutzt werden, als Bonus und nicht als Malus. Da trennt sich die Spreu vom Weizen – und das Drehbuch von (hauptberuflich Script Coordinator bei TV-Serien) Yale Hannon ist knackigster goldgelber Weizen.
“Everly” packt genügend Shootouts, Explosionen, Killer-Charaktere und hässliche Wendungen in 90 Minuten, um nicht auf geschwätzige Pseudo-Suspense zurückgreifen zu müssen. Und er bietet Salma Hayek die Gelegenheit, nach Jahren als kurvenstarkes Helden-Gspusi oder augenbrauige Drama-Queen ganz im Zentrum des Geschehens zu stehen – und da schlägt sie sich hervorragend. Ebenso liebende Mutter wie arschtretender Racheengel, legt sie Everly deutlich breiter an als eine typische männliche Variante dieser Spezies. “Everly” ist nicht nur die Geschichte eines bleischwangeren Ausbruchs aus einem belagerten Apartment – es ist auch die Geschichte eines Ausbruchs aus männlicher Unterdrückung, ein splatteriges Plädoyer für weibliche Selbstbestimmung und den Vorrang von Mutterschaft vor Promiskuität. All das – plus knappe Tops und Yoga-Pants.
Natürlich versucht “Everly” an keiner Stelle, so etwas wie Realität aufkommen zu lassen. Er ist ein zynisches Comic, das sich in der Übersteigerung des Absurden gefällt, dabei aber nie den Griff um den Hals der Zuschauer verliert. Die Gewalt und die Geschmacklosigkeit haben etwas Pubertäres, erinnern an “Cat Run” und “Julia X“.
Ich hatte Joe Lynch (der mit Adam Green auch in der unsäglichen Horror-Sitcom “Holliston” auftritt) bisher in das Umfeld der minder talentierten Neo-Horror-Kultregisseure wie Ti West und Eli Roth eingeordnet. Aber wie bei Adam Wingard muss ich das revidieren – Lynch hat ein präzises Auge für gut choreographierte Action auf kleinem Raum, weiß Schauspieler zu führen und die Spannungsschraube anzuziehen. Respekt.
Eine echte Entdeckung – und in einer gerechten Welt der Beginn einer zweiten Karriere von Salma Hayek.
Fazit: Knallhartes Comic-Kino als Bastard von Tarantino und Miike, ein perfektes Showcase für Salma Hayek, ein hochoktaner feministischer Actionthriller im Experimentalfilm-Gewand – und big fun for everyone!
Dass Thomas Jane in so einem Schrott mitspielt, wundert mich nicht wirklich, seine Karriere ist ja schon länger im Sinkflug. Aber dass Willis sich dafür hergibt, zeigt doch deutlich, dass der für Geld inzwischen auch alles mitmacht. Schade drum:-(
Der oben erwähnte Two Guns hat nicht nur Denzel Washington, sondern auch noch Mark Wahlberg, und war gar ncht so schlecht. Im Flugzeug bot er gute Unterhaltung, und auch im Heimkino konnte man sich ihn ansehen. Ein paar mehr oder weniger überraschende Wendungen sind auch drin. Kein Riesenblockbuster, aber brauchbare Unterhaltung.
Und Everly hört sich interessant an, den muss ich mir dann mal auf die Liste setzen – ganz im Gegensatz zu Vice.
Two Guns war ganz unterhaltsam (auch dank Paula Patton) und Catch .44 fand ich jetzt auch nicht verkehrt.
@ Milan: Keiner sagt, dass die Emmett/Furla-Produktionen notwendigerweise schlecht sein müssen – “Lay the Favorite” z.B. war immerhin von Stephen Frears. Die geben Regisseuren und Autoren außerhalb des Studio-Systems Aufträge, ähnlich wie die Fonds-Konstruktionen mit deutschem Geld zur Jahrtausendwende. Aber trotzdem sind das eben keine Studio-Großproduktionen und durchlaufen auch nicht deren rigorosen Auswahlprozess. Die Emmett/Furla-Produktionen gehören in die Kiste mit “Driven”, “Battlefield Earth”, “De-Tox”, “Get Carter”, etc.
Interessant ist auch, dass die selbst bei den kleineren Rollen “repertoire” fahren – Ambyr Childers hat auch schon in einem halben Dutzend E/F-Filmen mitgespielt.
@Heino: Ich würd mal annehmen, dass wie der Hausherr meinte, die Relation Aufwand vs Ertrag so wahnwitzig ist, dass es Willis nicht wirklich juckt, obs das Image ankratzt…
@ dermax: So sehe ich das auch. Ich vermute, dass der ca. 5 Mio pro Film bekommt und einen Vertrag hat, nachdem er maximal zwei oder drei Tage drehen muss (großzügig vielleicht eine Werkwoche). In “Vice” ist er im Prinzip nur in einer Location zu sehen (der Hauptzentrale von Vice mit seinem Büro), größere Außenaufnahmen oder Stunts mit ihm gibt es nicht. Das dreht ein Profi auf einer Arschbacke – und bekommt dafür mehr Geld, als unsereiner in seinem ganzen Leben verdienen kann. Ich verstehe den Reiz durchaus.
“Ambyr” dürfte der albernste Vorname sein, den ich seit langer Zeit gehört habe.
Bei Vice würde ich die Inhaltsangabe am Anfang nochmals überarbeiten (oder ist die so vom Verleih übernommen und soll verdeutlichen, auf welchem Level der Film tatsächlich spielt?), da reiht sich ein Fehler an den anderen.
@ Mencken: Jup, habe ich “as is” übernommen.
Jetzt will ich Everly sehen!
Und bei Bruce muss ich jetzt immer an die Geschichte von Dan Harmon denken – angeblich hat der mal geträumt, Bruce Willis hätte ihn einen Abend lang auf einer Party so lange süffisant angelächelt, dass er ihm irgendwann wütend die Fresse poliert hat. Im Traum. Außerhalb des Traums hat er (noch träumend) mit voller Kanne die Faust gegen die Zimmerwand neben dem Bett gehauen, und sämtliche Finger gebrochen. So kann man auch im Gedächtnis bleiben.
(und jetzt schau endlich HANNA!!)
Danke für die Aufklärung. Damit ist jetzt auch geklärt, warum ich vor einigen Monaten völlig verdutzt “Two Guns” in der Hand hielt, mich “Häh? Bullen-Film mit Denzel und Wahlberg? Warum habe ich davon noch nichts gehört?” fragte, und frohgemut zur Kasse schlenderte. Um dann in den kommenden zwei Wochen den Film zwei mal einzulegen und nach nicht mal einer halben Stunde wieder ins Regal zu feuern. (Übrigens für Selbstabholer kostenlos bei mir erhältlich. Noch in Top-Zustand)
@ Daniel Spiegelberg: Immerhin hatte “2 Guns” in den USA einen echten Groß-Release und hat weltweit 131 Millionen eingespielt. Für Emmett/Furla war das absolute Oberliga. “Vice” geht direkt ins Streaming.
Die Willis/E-F-Connection reicht übrigens bis mindestens 2006 und “16 Blocks” zurück – der für Willis-Verhältnisse auch nur katastrophale 65 Millionen weltweit gemacht hat.
Allerdings war “16 Blocks” richtig gut, und das in jeder Beziehung. Guter Cast, Richard Donner am Ruder und Willis hat sich richtig reingehängt. Was bei ihm inzwischen ja leider die Ausnahme darstellt.
@ heino: Das ist richtig. Aber damit fing die E/F-Kiste an. Übrigens ist “16 Blocks” ja auch nur ein Remake von “The Gauntlet”.
Weiß ich doch:-)
Ich muss ihn bringen…
“Vice is’n Scheiss!” 😀
Sorry…
Hab mir letztens das Archive of American Television Interview von Edward James Olmos angehört. Da bezeichnet er 2 Guns, wo er den Schurken spielt, als einen der wenigen richtigen Blockbuster seiner Karriere.
Ok, das ist wohl etwas hochgegriffen, aber 2 Guns hab ich selber im Kino gesehen, ein Film der Sorte solider, mittelbudgetierter Streifen, wie es sie zuhauf gibt. Aber definitiv eine Stufe höher als das was Vice verspricht.
“Bruce Willis schlafwandelt durch seine Rolle als “Strippenzieher im Hintergrund” und man hat das Gefühl, sein patentiertes süffisantes Grinsen ist schiere Verachtung für die Macher, den Film und letztlich das Publikum.”
Bruce Willis macht mittlerweile für Geld alles. Fragt mal Kevin Smith.
Bruce Willis spuckte seinen Fans ins Gesicht, als er anlässlich “Die Hard 5” sagte, es ginge nicht um den Charakter McClanes und seine Entwicklung. Dem scheint nicht nur sein Publikum herzlich egal zu sein sondern auch sein Beruf.
@Dietmar: Alles an Die Hard 5 spuckt dem Publikum ins Gesicht, nicht nur die Lustlosigkeit Willis’… Beschissenes Skript, beschissener Regisseur and so on.
“… in das Umfeld der minder talentierten Neo-Horror-Kultregisseure wie Ti West…” – Der Ti-West-Fanclub legt Protest ein. 😉
@ Reini: Ich war gestern mit dem Kölner Regional-Ableger des Fanclubs im Kino. Was für ein Haufen Weiber.
Wir sind stolz auf unsere hohe Frauenrate. 🙂
@WV:du meinst Marco und Marcus?:-)
@ heino: Wenn der Schuh passt…
@WV:keien Ahnung, ich habe nur auf FB Marcos begeisterten Kommentar zum Ti West-Film gesehen und das daraus geschlossen, da ich nicht weiß, wer sonst noch ausser den beiden dabei war:-)
@ heino: Es gab keinen Ti West Film auf dem Festival.
[…] habe vor ein sieben Jahren schon über das zynische Geschäftsmodell von Emmett/Furla geschrieben, das mittlerweile einige Nachahmer gefunden hat. Aktuell punktet die […]