31
Dez 2014

All hail the Stephen King Triple Feature: “Big Driver” & “A Good Marriage” & “Mercy”

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als Stephen King-Verfilmungen eine ganz große Sache waren. Ein Event. Da gab es jedes Jahr neues Kinofutter vom Meister, jeder neue Roman wurde mit Spannung erwartet. Und kleinere Produktionen, die sich mit seinem Namen schmücken durften, waren im Video-Tauschkreis schwer gefragt: Frank Darabonts Erstling “The Woman in the Room”, die Twilight Zone-Folge “Gramma” (adaptiert von Harlan Ellison!) und die erste, wenngleich erfolglose King-TV-Serie “The Golden Years”.

Mit der “direct to video”-Ära kam es erstmals zu einer Schwemme semi-offizieller Sequels (Children of the Corn, Sometimes they come back) und diverse TV-Sequels (Carrie, Shining, Salem’s Lot) machten es immer unmöglicher, wirklich alles zu schauen, was den Namen des Horrorkönigs trägt. “Stephen King” auf dem Cover – das verlor seinen Glanz.

Natürlich gibt es immer noch größere Verfilmungen wie “Secret Window” und “Der Nebel”, aktuell laufen mit “Haven” und “Under the Dome” gleich zwei TV-Serien nach Vorlagen von King, aber die Masse der Stoffe und teilweise auch die nachlassende Qualittät hat den Namen doch etwas entwertet. Ich habe vor Jahren aufgehört, das alles nachzuverfolgen.

Vor einigen Tagen fiel mir eher zufällig der Film “A good Marriage” in die Hände und ich kam auf die Idee, ein Double Feature über 2014 durch den Rost gefallene King-Verfilmungen zu schreiben. Eine Google-Suche später war es ein Triple Feature.

Es sei vorausgeschickt, dass ich keine der Vorlagen gelesen habe und deshalb die Werktreue nur sehr vage einschätzen kann.

Big Driver poster Big Driver

USA 2014. Regie: Mikael Salomon. Besetzung: Maria Bello, Ann Dowd, Will Harris, Joan Jett, Olympia Dukakis u.a.

Story: Krimiautorin Tess Thorne nimmt nach einer Lesung den Tipp, die Heimfahrt abzukürzen, gerne an – und landet mit einem platten Reifen erst im Nirgendwo, dann unter einem verschwitzten Trucker, der sie mehrfach vergewaltigt und schließlich als tot in einem Abflussrohr entsorgt. Doch Tess überlebt und macht sich mit der Sorgfalt einer Schriftstellerin daran, Rache zu nehmen – unterstützt von Tom, der Stimme ihres Navigationsgeräts, und Doreen, der fiktiven Heldin ihrer Bestseller…

Kritik: Zuerst einmal scheint es seltsam, einen King-Film auf dem Weichspül-Sender Lifetime zu finden, der eher das Oprah Winfrey-Publikum anspricht und Krimis nur in der Liga von Nora Roberts produziert. Wenn man aber mal genauer drüber nachdenkt. würden sich diverse King-Stoffe (z.B. “Cujo” und “Dolores”) mit ihren Soap-Elementen und den starken weiblichen Protagonisten für eine derartige Aufarbeitung eignen.

“Big Driver” basiert auf der gleichnamigen Novelle aus der Sammlung “Zwischen Dunkel und Nacht” aus dem Jahr 2010. Es ist Kings “gender switch” Version von “Ein Mann sieht rot”. Die Brutalität zu schmerzhaft, die Gewalt zu unfassbar, als dass die Justiz adäquat helfen könnte – da muss die selbstbestimmte Amerikanerin halt zum großen Kaliber greifen.

big driver

Das hier ist nicht die erste King-Verfilmung von Salomon und der ehemalige A-Kameramann ist sehr gut darin, sowohl die heile Welt der King-typischen Bestsellerautorin zu bebildern, als auch den Einbruch der Gewalt, die Auflösung von Privatsphäre und kuscheliger Sicherheit. Gerade als Schriftstellerin weiß Tess um die Abgründe der Menschen, kennt ihre Niedertracht. Natürlich könnte sie zur Polizei gehen – aber was werden die Nachbarn sagen? Noch schlimmer – was werden sie hinter vorgehaltener Hand flüstern? Der Rachefeldzug wird zu einer Aufräumaktion, die Tess’ Leben schützen soll – die einzige Chance, das Erlebnis wirklich hinter sich zu lassen.

Das alles ist flüssig inszeniert, schön anzusehen und vom beeindruckenden Cast sehr professionell gespielt.

Aber es reicht nicht. “Big Driver” ist letztlich ein Film ohne Entwicklung, ohne Wendung, der aus der Novelle keine plausible 3 Akt-Struktur baut. Tess wird vergewaltigt, Tess rächt sich – das war’s auch schon. Es fehlen die Hindernisse, die Wendungen, die Überraschungen, für die gerade King bekannt ist. Das ist umso schmerzlicher, da Ansätze vorhanden sind – das Navigationsgerät und die Protagonistin von Tess’ Romanen zu “Mittätern” zu machen, ist so putzig wie gruselig. Und es könnte prima auf einen Wahnsinn der Hauptfigur hindeuten, der alles, was wir sehen, in Frage stellt.

Aber das traut sich Salomon nicht, weil “Big Driver” für das weibliche TV-Publikum schmackhaft und leicht verdaulich sein muss. Er verlässt sich auf leichte, unkomplizierte Antworten, die es gerade im Fall von Vergewaltigung und Mord eigentlich NICHT geben sollte.

So ist der perfekteste Moment ein sehr kleiner, als wir noch glauben können, dass der Film eine völlig unerwartete Richtung einschlägt – wenn das Navigationsgerät mechanisch und unerwartet sagt “I don’t like it out here”. DAS ist ein perfekter King-Moment in einem Film, der ansonsten bestenfalls King light bietet.

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Fazit: Ein für den Frauensender Lifetime erstaunlich rüder und zynischer Rachethriller mit vielen King-typischen Details, der als Fernsehfilm überzeugt, als King-Adaption jedoch allenfalls Durchschnitt darstellt.

good-marriage-poster A Good Marriage

USA 2014. Regie: Peter Askin. Besetzung: Joan Allen, Anthony LaPaglia, Stephen Lang u.a.

Story: Darcy und Bob sind seit 25 Jahren verheiratet, als Darcy eine entsetzliche Entdeckung macht – Bob ist ein gesuchter Serienkiller, der seine jungen weiblichen Opfer vor dem Mord sadistisch vergewaltigt. Mit seinen Untaten konfrontiert, zeigt Bob sich geständig, aber uneinsichtig: Wenn Darcy nur die Klappe hält, kann alles bleiben, wie es ist – und der Familienfrieden bleibt gewahrt…

Kritik: Auch “A Good Marriage” stammt aus der Geschichtensammlung “Zwischen Dunkel und Nacht” und es ist vielleicht ein Zeichen von Kings nachlassender Potenz als Autor, dass beide Geschichten sich unter der Oberfläche ähneln: Es geht um den gewaltsamen Erhalt der Privatsphäre und des heimischen Glücks, um Frauen, die zu sehr männlicher Brutalität greifen, um nicht ihr Leben, sondern ihren Lebensstil zu verteidigen. Und in beiden Fällen fällt King dazu – abgesehen von einem mäßig cleveren “What if?”-Setup – nicht viel ein.

Wie “Big Driver” besteht “A Good Marriage” aus zwei Teilen, wo gute Filme aus drei bestehen sollten – Darcy entlarvt ihren Mann als Killer, Darcy entledigt sich ihres Mannes. Am Schluss wird in beiden Geschichten die Rache durch externe Charaktere gerechtfertigt, bzw. validiert. Diese Erzählstruktur ist gerade bei weiblichen Thriller-Autoren fast schon die Norm und erschreckend gesellschaftlich akzeptiert: Die gequälte Frau hat nicht nur das Recht zur Selbstjustiz, die Rache wird sogar mitfühlend abgenickt und mit einem “das hat er verdient, das Schwein!” legitimiert. Die Unfähigkeit des Systems, Frauen zu schützen, wird als bequemer Katalysator vorausgesetzt.

marriage

Leider ist “A Good Marriage” darüber hinaus noch deutlich schwächer als “Big Driver”. Weder die Darsteller noch die Inszenierung noch die Kameraarbeit schaffen es je über Fernsehniveau, was fast schon amüsant ist, sollte “A Good Marriage” im Gegensatz zu “Big Driver” doch KEIN TV-Film sein. Regisseur Peter Askin interessiert sich mehr für die Mechanismen einer zerbrechenden Ehe als für den Horror, eine Bestie im eigenen Haus vorzufinden. Zugegeben, LaPaglia hat sichtlich Spaß, den spießig-charmanten Psychopathen zu geben, aber er steckt in einer Figur, die in ihrer Monstrosität nie über sich hinaus wächst, nie wahre King-Ausmaße annimmt. Er bleibt immer Jack Torrance, wird nie Johnny.

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Fazit: Ein Ehedrama auf TV-Niveau, das weder aus seiner Grundidee noch aus seinen Darstellern Saft zieht und lange vor dem Finale langweilt.

mercy-poster Mercy

USA 2014. Regie: Peter Cornwell. Besetzung: Dylan McDermott, Frances O’Connor, Chandler Riggs, Mark Duplass, Hana Hayes u.a.

Story: George liebt sein Großmutter Mercy, ist aber entsetzt, als die Familie sie aus dem Pflegeheim in ihr kleines Landhaus zurück holen muss – die alte Frau schwankt zwischen Wachkoma und aggressiven Schüben, die den Jungen völlig überfordern. Hinzu kommt, dass das Haus einige Geheimnisse birgt, die darauf schließen lassen, dass Mercy nicht ohne Grund so von Sinnen ist…

Kritik: Im Gegensatz zu den anderen beiden Adaptionen hat die Vorlage von “Mercy” schon dreißig Jahre auf dem Buckel und wurde für die Serie “Twilight Zone” damals bereits umgesetzt (relativ werkgetreu, aber nicht besonders gut):

https://www.youtube.com/watch?v=ss-8NgmFjro

Peter Cornwell, Regisseur von “The Haunting in Connecticut” versucht es nun noch einmal auf Spielfilmlänge. Nach allem, was man so hört, gab es hinter den Kulissen ziemlich stress, der schon lange fertige Film wurde mehrfach verschoben und schließlich relativ geräuschlos veröffentlicht.

Eigentlich schade, denn sehr viel falsch macht “Mercy” nicht – zwar muss man auch einen sehr kleinen Ausschnitt zu einer größeren Geschichte aufblähen, aber mit dem momentan populären Genre der Haunting/Possession-Filme hat man wenigstens ein Gerüst, an dem man sich dabei entlang hangeln kann. So behält “Mercy” die grobe Struktur von Kings Geschichte bei, erweitert sich aber um Charaktere und Backstory.

Mercy Es knirscht an relativ wenigen Stellen – dass man eine Frau in Mercys Zustand allen Ernstes in ein Landhaus “in the middle of nowhere” verfrachtet, ist ebenso wenig glaubwürdig wie Georges Sorge, sie könne ihm wegsterben – angesichts ihres Verhaltens sollte das seine größte Hoffnung sein.

Kings Geschichte ist außerdem eher zahm, was dazu führt, dass “Mercy” zwar aussieht wie einer der Haunting-Filme, insgesamt aber vergleichsweise harmlos bleibt. Das ist FSK 16 und vielleicht für die Zielgruppe etwas zu schwach, besonders weil Cornwell das naheliegende ambivalente Ende von Kings Kurzgeschichte einem eindeutigen und damit enttäuschenden Happy End opfert.

Trotz der Defizite ist “Mercy” von den drei hier vorgestellten King-Adaptionen diejenige, die am ehesten als kompletter Film funktioniert und durchaus auch auf der Kinoleinwand ihre Berechtigung hat. Es ist kein großer Grusler, kein Klassiker für die kommenden Generationen – aber eine solide Achterbahnfahrt, auf die man auch die Freundin mitnehmen kann. Außerdem ist er mit 75 Minuten nett erfreulich kurz(weilig).

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Fazit: Hübsch anzusehender Grusler im hippen Haunting-Stil, der sich sichtlich bemüht, eine zu kurze Geschichte plausibel zu strecken, sich aber dabei immer wieder verstolpert und durch ein schwaches Happy End nochmal Minuspunkte sammelt.



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Christian Lukas
31. Dezember, 2014 14:56

Gramma lief übrigens bei RTL plus im Nachmittagsprogramm (okay, es dämmerte damals schon, es muss also im späten Herbst gewesen sein, aber die Episode lief eben vor den 18.45 Uhr Nachrichten). Eine lang verschütt gegangene Erinnerung, die gerade wieder an die Oberfläche gespült worden ist. Passend zum Jahresabschluss 😉

Wenn ich bedenke, was heute auf RTL im Nachmittagsprogramm zu sehen ist… Da nehme ich doch die eher etwas zähl inszenierte King-Adaption!

DMJ
DMJ
2. Januar, 2015 16:08

Ah, “Zwischen Dunkel und Nacht” habe ich auch gelesen und war auch etwas befremdet. Einmal über die peinliche Ähnlichkeit der beiden Stories hier und zudem über den Kontrast zu den anderen beiden Geschichten:

Hier geht es um die Tötung von Männern und das ist gut und richtig und am Ende sagt das nochmal extra jemand, in den anderen beiden um die Tötung von Frauen, was auch, wenn ebenfalls in Zwangslage geschehen, unverzeihbar ist. “The disposable gender” ohne großes Drumherum.

Dennoch mochte ich den Stil von “Big Driver” (also der Vorlage, den Film kenne ich nicht). Wie schon im Review angemerkt, macht King hier mal wirklich was daraus, dass die Protagonistin Schriftstellerin ist.

Und halt das generelle Problem: Ich MAG Selbstjustizfilme, aber ich HASSE es, wenn sie ihre Protagonisten aus der Verwantwortung nehmen, nicht dazu stehen wollen, dass hier etwas Zweifelhaftes geschieht.

andreas
andreas
21. August, 2015 14:59

Zugegeben, das ist ein Kommentar in den tiefen Abgründen deines Archivs, aber ein kleiner Hinweis sei hoffentlich gestattet: Die Novellensammlung heißt “Zwischen Nacht und Dunkel”.
Dazu noch schamlos ein passender Link:
http://wiki.stephen-king.de/index.php/Zwischen_Nacht_und_Dunkel

Ich bin mir nicht sicher, ob die beiden Verfilmungen ein Zeichen dafür sind, dass King nicht sein Bestes bei den Vorlagen geliefert hat. Alle vier Geschichten der Sammlung haben sich mit der Familie als großes Thema beschäftigt. Mal mit mehr, mal mit weniger großem Erfolg in meinen Augen. Aber die schauen sowieso durch die Fanbrille des Autors.

Generell war ich ebenfalls nicht von den Ergebnissen überzeugt. ‘Big Driver’ zeigt, dass Salomon nach ‘Autopsieraum 4’ lieber die harmlosere Sicht auf Kings Geschichten zeigt. ‘Mercy’ ist eine extrem aufgeplusterte Horrorverfilmung, die nur noch wenig mit dem Original zu tun hat – die leider zu meinen Lieblingskurzgeschichten gehört. Und A Good Marriage wirkt noch eine Spur unglaubwürdiger als die Vorlage.

Ich bin gespannt, was die aktuellen Projekte bringen. ‘Cell’ mit John Cusack und Samuel Jackson wird hoffentlich interessant. Und Sony hat für 2017 ganz mutig die Verfilmung des Dunklen Turms angekündigt. Heißa, wird das spannend. Hoffentlich.