Fantasy Filmfest 2014 (26): The Babadook
Themen: Fantasy Filmf. 14, Film, TV & Presse, Neues |Australien 2014. Regie: Jennifer Kent. Darsteller: Essie Davis, Noah Wiseman, Daniel Henshall, Hayley McElhinney, Barbara West, Ben Winspear
Offizielle Synopsis: Mister Babadook ist die Schreckensgestalt aus einem Kinderbuch, das der kleine Sam seiner Mutter Amelia zum Vorlesen gibt. Er trägt einen schwarzen Umhang, einen verbeulten Zylinder und hat Hände wie Murnaus NOSFERATU, fast sieht er aus, als wäre er aus Edward Goreys Werken entwichen. Amelia klappt das Buch entsetzt zu. Doch wenn Babadook erst mal da ist, lässt er sich nicht mehr vertreiben. So steht es geschrieben.
Kritik: Wie „Honeymoon“ sich des Horrors als Metapher bedient, die zerbrechende Beziehung zweier frisch Vermählter zu zeigen, so ist in „Babadook“ die okkulte Bedrohung auch nur ein Platzhalter für das drohende Auseinanderbrechen von Mutter und Sohn. Amelia ist als Witwe und allein erziehende Mutter vollig überfordert, aus der Affenliebe zu ihrem Sohn Sam wird langsam Frustration, dann Wut, schließlich sogar Hass. Kein Wunder: Sam bräuchte eine Mutter mit viel Kraft – und hat eine, deren Reserven aufgebraucht sind. Schnell entwickelt sich ein Teufelskreis: Je mehr Sam um Aufmerksamkeit bettelt, desto unerträglicher wird er für Amelia. Sie will nur noch Ruhe, Ruhe, Ruhe – und sei es durch Kindsmord.
Es fällt vielleicht auf, dass ich in dieser kleinen Zusammenfassung des Themas von „Babadook“ die titelgebende Horrorfigur nicht erwähnt habe. Das liegt daran, dass der Babadaook letztlich eine untergeordnete Rolle spielt. Würde man den Film um zehn Minuten kürzen, könnte er rausfliegen – und nichts wäre verloren. Denn die Stärke von Jennifer Kents Psychodrama liegt nicht im Paranormalen, sondern in der schwer erträglichen, weil leicht nachvollziehbaren Folgerichtigkeit, mit der Amelia in den Wahnsinn abzurutschen droht. Was ihr passiert, ist so vorhersehbar wie unvermeidlich. Das Schicksal hat ihr eine Schlinge um den Hals gedreht und zieht langsam zu…
In seinem Rückgriff auf psychologischen Terror erinnert „The Babadook“ an Polanski, „Der Mieter“ und „Rosemary’s Baby“. Unser größter Feind sind wir selbst und unsere Einbildung ist Werkzeug und Folterwerkzeug zugleich. Der Babadook ist hierbei nur eine Externalisierung, vielleicht konkret, vielleicht aber auch nur eine Wahnvorstellung. Wie in „Oculus“ BRAUCHT Amelia eine personifizierte externe Gefahr, um sich nicht selbst als Gefahr wahrzunehmen. Er rechtfertigt ihr Verhalten, das schon lange nicht mehr zu rechtfertigen ist. Der Babadook ist in dieser Interpretation nur eine Kanalisierung ihres steigenden Drangs zu Selbst- und Kindermord.
Liest man „Babadook“ traditioneller, ist die Figur nicht weniger hochspannend: Getragen von düsteren Kinderreimen und anscheinend einer expressionistischen Fantasie wie „Caligari“ entsprungen, kombiniert er Elemente von Nosferatu und Freddy Krueger, von Lon Chaneys „London after Midnight“ und Tim Burtons faszinierend-fürchterlichen Stop Motion-Figuren. Seine Stärke liegt nicht in dem, was er dir antun wird – sondern in der Gräuletat, die er dir vorhersagt und die du selbst begehen wirst.
Persönlich hätte es mir gefallen, wenn man den Babadook doch etwas aktiver gemacht hätte, wenn man ihm eine klare Herkunft, eine klare Motivation und einen klaren Modus Operandi gegeben hätte. In seiner Unberechenbarkeit ist er zwar umso furchtbarer, aber es verhindert halt auch, dass Amelia sich aktive Strategien ausdenken kann, um gegen ihn vorzugehen – und sei es nur, vergangenes Unrecht (und damit die Ursache für das Auftauchen des Babadook) zu tilgen. So bleibt ihr am Ende nur der Widerstand ihrer Rest-Mutterliebe, um das Biest in seine Schranken zu weisen. Und was dann mit dem Babadook passiert, kann auch wieder psychologisch oder paranormal interpretiert werden.
Ob der Film nun mehr Babadook vertragen hätte oder nicht – „The Babadook“ ist davon abgesehen ein „echter“ Horrorfilm, der verstört und verängstigt, den Zuschauer fast unerträglich unter Druck setzt. Die Urängste, die er bedient, sind extrem potent und so manches Mal hatte ich den Drang, das Kino zu verlassen – um das (emotional) grausame Geschehen auf der Leinwand nicht mehr mit ansehen zu müssen. Zu „verdanken“ ist das neben der exzellenten Regie und der makellosen Kameraarbeit vor allem Essie Daivs, die als Amelia locker die beste Performance des Festivals gibt (und ja, ich weiß, was ich zu „Starry eyes“ gesagt habe). Sie ist verlebt, verzweifelt, verloren – und nach und nach auch verrückt. Wie tief die Schauspielerin in sich reingreifen musste, um das herauszuholen, mag ich gar nicht wissen.
Fazit: Oldschool-Psychohorror, der ganz tief in die Eingeweide geht und sich als einzige winzige Kritik gefallen lassen muss, dass er die tolle titelgebende Figur nicht genug in die Handlung einbindet und damit etwas verschenkt.
https://www.youtube.com/watch?v=szaLnKNWC-U
Lass mich nochmal kurz drüber nachdenken, wie lange man zurückgehen muss, um einen besseren Horrorfilm zu finden. Auf jeden Fall ziemlich weit. 10/10.
Farce.