27
Apr 2014

Lieber Vatikan…

Themen: Neues |

… hier in Speyer läuten gerade die Glocken, als müsste man die Welt erinnern, dass es dich noch gibt. Dabei sind Fernsehen und Zeitschriften dieser Tage voll von dir, feiern oder zumindest verfolgen deine ganz persönliche WM, deinen Grand Prix, deine Wrestlemania. Vielleicht gehört es zur gelebten Menschlichkeit der Katholischen Kirche, dass an diesem Wochenende gleich zwei Sieger gekürt und in die klerikale “Hall of Fame” aufgenommen werden.
Die meisten Leser erwarten von mir, dass ich mich nun hämisch äußere, den Pomp und die Absurdität der Veranstaltung ins Lächerliche ziehe und die Überlegenheit der Glaubensfreiheit (im Sinne von “frei von Glauben”, nicht “frei zu glauben”) proklamiere.
Mitnichten.
Ich möchte dir, Vatikan, nur einen Tipp geben. Einen, der deine Glaubwürdigkeit stärken und zumindest den Anstrich der Modernität schimmern lassen könnte. Ein Tipp, der sich auf englisch mit drei sympathisch kurzen Worten und gerade mal zehn Buchstaben ausdrücken lässt: cut the crap.
Ich verstehe schon, dass ihr so eine Art hausinternes Pantheon betreibt, eine Ruhmeshalle für verdiente Mitarbeiter, Nachschub für die Anbetung christlicher Call-Center jenseits der Himmelstür. Immer mehr Erdenmenschen brauchen immer mehr Heilige, die ihre Anrufe entgegen nehmen. Ich war aber bass erstaunt, dass mittlerweile mehr als 6500 Heilige im himmlischen Telefonbuch stehen und dass die Rekrutierung von Papst zu Papst an Geschwindigkeit zunimmt.
Das ist okay. Es ist ein innerbetriebliches Prozedere, das niemanden, der eurem Club nicht angehört, scheren muss. Ich interessiere mich dafür ungefähr so sehr wie für die Frage, ob Nickelback in die “Rock’n’Roll Hall of Fame” gehören oder welche Nintendo-Maskottchen bei den “Super Mario Allstars Kart” freigeschaltet werden können.
Auch über die Eignung von Papst Johannes Paul II, den ich immer als sturen Frömmler mit einem durchsichtig-verlogenen humanistischen Anspruch gesehen habe, brauchen wir hier nicht zu reden. Ich stimme Michael Schmidt-Salomon in der Sache zu, halte die Diskussion allerdings für müßig – es sind keine rationalen Maßstäbe, nach denen die Heiligsprechung erfolgt, demnach muss ich da auch keine anlegen. Die Heiligsprechung ist offensichtlich kirchenpolitisches Kalkül, soll dem Gebet ein paar frische Gesichter liefern.
Aber noch mal: cut the crap. Es sind nicht die Multimedia-Feierlichkeiten, die so manchen ungläubig (pun intended) den Kopf schütteln lassen. Ein Heiliger mehr oder weniger, das passt schon. Es wäre nur schön, wenn ihr uns und euch diese peinliche Nummer mit der Wundersuche erspart hättet. Wenn ihr uns mit dem zähen Festhalten an abstrusen Hausregeln nicht wieder einmal vorgeführt hättet, was für ein lachhafter Verein ihr seid.
Immer schneller und immer öfter werden bevorzugt Päpste heilig gesprochen. Die Argumentation hat sich vollständig gedreht: War die Heiligsprechung früher eine Anerkennung von Wundertaten, wird nun die Heiligsprechung entschieden und dann nach der Wundertat gesucht, die sie rechtfertigt. Bei der Kommission, die Wundertaten sichten und werten soll, stellt sich nicht mehr die Frage, OB z.B. Woytila tatsächlich Wunder getätigt hat. Es muss nur IRGENDWAS gefunden werden, was sich als Wunder labeln lässt, um die Heiligsprechung zu rechtfertigen.
Ihr haltet Johannes Paul II für einen der ganz großen Päpste, einen Kämpfer gegen den Kommunismus und eine moralische Autorität? Einen, der es verdient, dass er einen besonderen, exorbitanten, de facto übermenschlichen Status bekommt? Vatican’s got talent? Dann MACHT ES SO. Ernennt zum Heiligen, wen ihr für würdig erachtet. Sucht nicht wie die Wühlmäuse nach irgendwelchen unerwarteten Selbstheilungen, die medizinisch problemlos erklärbar sind, die ihr aber um der Hausregeln willen euren toten Päpsten zuschreiben könnt. Und wenn ihr Probleme habt, vier Wunder zu finden, weil es die laut interner Ausschreibung braucht, dann reduziert diese Zahl nicht willkürlich auf zwei, dann auf eins, weil es nur beweist, wie scheißegal die Wunder für die Heiligsprechung letztlich sind.
Kurz gesagt: Lasst den okkulten Schnickschnack. Das ist Augenwischerei für die tumben Massen. Immer schon gewesen. Und heutzutage ist es peinlich offensichtlich. Tut uns und euch einen Gefallen und säkularisiert den Vorgang der Heiligsprechung. Verschlankt den Prozess und entledigt euch des Rechtfertigungsdrucks. Es gibt doch NIEMANDEN, innerhalb oder außerhalb der Kirche, der ernsthaft noch erwartet, dass jemand wie Woytila echte Wunder getätigt hat. Warum beweisen, was niemand mehr bewiesen haben will?
Ich finde es nicht peinlich, dass ihr Johannes Paul II heilig sprecht. Das passt zu euch. Das machen andere Vereine auch – Uwe Seeler ist dem HSV nicht weniger heilig als euch Franz von Assisi. Aber die zwanghafte Sache mit den Wundern lässt euch halt doch wie ewiggestrige Spacken aussehen.
Santo subito. Cut the crap.



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Peroy
Peroy
27. April, 2014 11:29

Ich dachte es braucht drei Wunder zur Heiligsprechung… wie bei Val Kilmer…

Howie Munson
Howie Munson
27. April, 2014 12:06

hmm, könnte die Anerkennung des posthume televisonäre Wunder für PJ.Zwo nicht einfach dazu dienen, um gegenüber “Kirchenkonservativen” von der “Wunderlosigkeit” von J.13 abzulenken?
(reine Spekulation meinerseits)

Dietmar
Dietmar
27. April, 2014 12:51

Lasst den okkulten Schnickschnack. Das ist Augenwischerei für die tumben Massen. Immer schon gewesen.

Vielleicht ist das tatsächlich so. Es gibt eine schöne Szene in “Apocalyptico”: Der König vollbringt das Wunder, dass die verschwundene Sonne wieder scheint, und tauscht mit dem Hohepriester verschwörerisch wissende Blicke aus. Das komplette Ausbleiben von Wundern und Übersinnlichem muss doch eigentlich zu allen Zeiten augenöffnend gewesen sein. Oder ist das der aufgeklärt skeptische Blick auf den Wahn?

Proesterchen
Proesterchen
27. April, 2014 13:44

Jetzt stelle sich mal einer vor, die arme Frau hat die Stimme nicht richtig erkannt. Da sitzt dann jetzt ein echt frustrierter Heiliger im Himmel und ärgert sich über seinen Akzent, oder auch einfach nur, dass er seinem Opfer nicht deutlich seinen Namen gesagt hat.

comicfreak
comicfreak
27. April, 2014 14:05

..nun, wenn die Sache mit der Heilung als echtes Wunder und HZeichen von oben betrachtet worden wäre, wäre das Erschlagen eines Behinderten vom Kreuz des Polen ein mehr als deutliches Veto gewesen.
Die Rosinenpickerei wird jetzt nicht mal mehr verschämt bewerkstelligt.

Mencken
Mencken
27. April, 2014 15:58

Sehe das wie Howie, der eigentlich bemerkenswerte Umstand ist ja gerade der Bruch mit den Traditionen (und Verzicht auf ein Wunder) bei Johannes XIII. Scheint so, als ob sich der Vatikan den Rat schon zu Herzen genommen hat.

Moss
27. April, 2014 18:01

Früher konnte ich Windowsrechner per Handauflegen zum Absturz bringen (einschließlich XP). Auch dreimal nacheinander. Zu blød, dass ich nicht katholisch bin …
Eine Randbemerkung, Torsten: Wenn die den okkulten Schnickschnack und die Augenwischerei für die tumben Massen ließen, könnten sie doch gleich komplett einpacken. Was anderes als das haben sie doch nicht im Angebot, um ihr Parasitentum zu maskieren.

Martin
27. April, 2014 20:25

Wann immer es um die “Glaub”würdigkeit der katholischen Kirche geht, muss ich reflexartig auf die großartige Rede von Stephen Fry auf der Intelligence² 2009 verweisen.
http://www.dailymotion.com/video/xbvr0m_the-intelligence%C2%B2-debate-stephen-fr_shortfilms

Kai
Kai
27. April, 2014 23:02

Heilige geben super Geschichten ab. Boulet hat das sehr schön illustriert:
http://english.bouletcorp.com/2014/01/18/oh-when-the-saints-go-marchinin/