Zur Spannung noch die Gänsehaut: 3 Zeilen Horror
Themen: Neues |Im Internet macht in diesen Tagen dieses Posting die Runde – 20 Horrorstories, die aus maximal zwei Sätzen bestehen.
Da ich gerade an einer größeren Übersetzung arbeite, hielt ich es für eine nette Fingerübung, die Mini-Grusler nicht einfach zu verbreiten, sondern ins Deutsche zu übertragen. Dabei zeigte sich wieder sehr schön, dass zu einer adäquaten Übersetzung mehr gehört als ein Langenscheidt.
Viele Geschichten lassen sich gut übersetzen, wenn auch nicht wortwörtlich – die knappe Spannungskurve und die spezifischen deutschen Satzkonstruktionen verlangen immer wieder Umstellungen und Umformulierungen. Manchmal hilft es, Adjektive einzufügen, die im Original nicht vorkommen (siehe die Geschichte mit dem Spiegel).
Manche Geschichten widersetzen sich regelrecht – an der Mutter bei der Treppe und der Heimkehr zur Freundin habe ich länger gekaut, als die Textmenge ahnen lässt. "Schwer atmen" hadert damit, dass sich ein so kurzer Text in Deutschland nicht äquivalent knapp fassen lässt und die Wirkung dadurch reduziert wird.
Trotzdem bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Englisch mag prägnanter und visueller sein, aber ich finde, an Effekt büßen die Geschichten auch in meiner Muttersprache wenig ein.
Ein dumpfes Hämmern weckte mich aus einem schönen Traum. Danach konnte ich kaum noch das Prasseln der Erde auf den Sarg hören, weil ich so laut schrie.
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„Ich kann nicht schlafen“, flüsterte sie und kroch zu mir ins Bett. Als ich aufwachte, hielt ich das klamme Kleid in Händen, in dem sie begraben worden war.
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Ich bring ihn ins Bett, decke ihn zu, und er bittet mich: „Papa, schau doch mal unter dem Bett nach, ob da Monster sind“. Zu seiner Beruhigung tu ich es – und unter dem Bett liegt er, ein anderer er, zitternd und mit flehendem Blick: „Papa, da ist jemand auf meinem Bett!“
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Nach einem langen Tag kommst du heim, freust dich auf den ruhigen Abend. Deine Hand tastet nach dem Lichtschalter – auf dem bereits eine andere Hand liegt.
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Ich kann mich nicht bewegen, nicht atmen, nicht sprechen und nicht hören. Es ist so furchtbar dunkel. Hätte ich das geahnt, hätte ich mich einäschern lassen.
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Ich schlafe niemals ein. Und doch wache ich immer wieder auf.
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Meine Tochter schreit und weint die ganze Nacht. Ich besuche ihr Grab und bitte Sie, damit aufzuhören – erfolglos.
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Nach einem harten Tag komme ich heim und finde meine Freundin mit unserem Kind im Arm. Ich weiß nicht, was mich mehr in Panik versetzt – der Anblick meiner verstorbenen Liebsten und ihres tot geborenen Kindes oder die Tatsache, dass jemand in unsere Wohnung eingebrochen ist, um sie hier abzulegen.
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Auf meinem Smartphone habe ich ein Foto von mir entdeckt, auf dem ich friedlich schlafe. Ich lebe allein.
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Ich erwachte vom lauten Klopfen auf hartem Glas. Zuerst dachte ich, es sei jemand am Fenster – bis ich merkte, dass es vom Spiegel kam.
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Mein letzter Blick fiel auf den Radiowecker, der 12:07 anzeigte, als sie ihre langen verrotteten Fingernägel in meinen Brustkorb stieß, während sie mit der anderen Hand meine Schreie erstickte. Ich fuhr aus dem Schlaf hoch und war froh, dass es nur ein Traum gewesen war – dann sah ich den Radiowecker auf 12:06 stehen und hörte, wie sich die Schranktür leise knarzend öffnete.
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Ich bin mit Katzen und Hunden aufgewachsen, da ist man das kratzende Geräusch an der Zimmertür gewohnt. Seit ich alleine lebe, finde ich es allerdings höchst beunruhigend.
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In all meinen Jahren in diesem Haus, das kann ich schwören, habe ich mehr Türen geschlossen als geöffnet.
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Ein Mädchen hörte seine Mutter unten nach ihr rufen und ging zur Treppe. Doch bevor sie den Fuß auf die erste Stufe setzen konnte, packte die Mutter sie am Arm und zog sie ins Schlafzimmer: „Ich habe das auch gehört.“
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Sie fragte mich, warum ich so schwer atme. Ich atmete nicht schwer.
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Meine Frau weckte mich letzte Nacht – es sei ein Einbrecher im Haus. Meine Frau wurde vor zwei Jahren von einem Einbrecher ermordet.
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Das Babyphon weckte mich, als es rauschend die Stimme meiner Frau übertrug, die unser Erstgeborenes in den Schlaf sang. Ich drehte mich müde um und mein Arm strich dabei über den Rücken meiner Frau, die ruhig neben mir schlief.
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Ich war überzeugt gewesen, dass meine Katze einen Sehfehler hat – sie starrte mich immerzu an. Eines Tages wurde mir klar, dass sie in Wirklichkeit etwas direkt hinter mir ansah.
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Nicht ist schöner als das Lachen eines Kindes – es sei denn, es ist 1 Uhr morgens und man lebt allein.
Eine Geschichte konnte ich gar nicht übersetzen, weil sich mir der erzählerische Kern nicht erschloss. Das hier
She went upstairs to check on her sleeping toddler. The window was open and the bed was empty.
ist ein Vorgang, keine Geschichte. Die Vorstellung mag für eine Mutter schlimm sein, als Horror eignet es sich so isoliert allerdings nicht.
Ersatzweise schenke ich euch die Übersetzung der kürzesten Horrorstory aller Zeiten, natürlich von Fredric Brown, dem Meister der Form:
Der letzte Mensch auf Erden saß allein in seinem Zimmer. Da klopfte es an der Tür…
Danke für die Übersetzungen. Gerade weil die kurzen Geschichten dazu einladen, sich selbst an einer Übersetzung zu versuchen, zeigt es anschaulich, wie schwer es ist, das Gefühl beim Lesen in deutsche Sprache zu übertragen.
Wobei ich mich frage, ob für mich das Lesen in einer fremden (bzw. nicht muttersprachlichen) Sprache und die damit verbundene, wenn auch sehr kurze, Übersetzungsspanne den Horroreffekt noch verstärkt. Die meisten Geschichten beruhen ja darauf, dass der zweite Satz eine überraschende Wende enthält.
Bei der Geschichte mit den Türen und dem Haus muss es allerdings "mehr Türen geschlossen als geöffnet" heißen, oder?
Ich finde die Übersetzungen durchaus sehr gelungen. Allerdings stehe ich bei dem "schwer atmen" auf dem Schlauch: Meint die Geschichte, dass der Protagonist nicht mehr atmen kann?
Ich glaube er hört den schweren Atmen einer Person die hinter ihm steht.
@ Xenaris: Nein – er ist es bloß nicht, den die Frau schwer atmen hört.
Auch von mir vielen Dank für die Übersetzungen – ich habe höchsten Respekt vor sowas (da ich ein unverbesserlicher Kritiker bin könnte ich jetzt bestimmt zur Hälfte subjektive Verbesserungsvorschläge anbringen, aber ich lass das mal).
Allerdings finde ich, dass viele der Geschichten im Sinne des total verdichteten Konzepts eher schwach konstruiert sind. Ich glaube, Florian Meimberg hat zu seinen Tiny Tales (die diesen hier ja extrem ähnlich waren) mal erzählt, dass sie am besten wirken, wenn der Twist ganz am Ende, am besten auf dem letzten Wort sitzt. Das sehe ich genauso und doch haben hier viele Stories am Ende noch Halbsätze, die meiner Meinung nach überflüssig sind und der Pointe die Wirkung rauben:
"…, my arm brushed against my wife, sleeping next to me." – das hätte perfekt auf dem letzten Wort gesessen ohne den unnötigen Anhang.
"I visit her grave and ask her to stop, but it doesn’t help." – den letzten Halbsatz braucht es nicht (und noch besser würde es, wenn man dann das grave noch ans Ende bekommt)
"She was murdered by an intruder 2 years ago." – die Story erreicht ihren Climax bei "murdered" und schiebt dann zunehmend unwichtige Informationen hinterher. Genau umgekehrt ("2 years ago an intruder murdered her.") wäre es viel effektiver.
Vielleicht ist das aber alles auch nur meine Sichtweise. Oder ich denke zu analytisch statt mich einfach von den Geschichten gruseln zu lassen.
Das erinnert mich an http://www.amazon.de/dp/3596192374 bzw. https://www.facebook.com/140signs.
Funktionieren alle nicht.
Ja und, dann is es halt so, sind trotzdem geil
Ohh…. ja. Auf dem Schlauch gestanden. Irgendwie machen diese Geschichten Lust, selbst einmal so etwas zu versuchen. Wobei man im Deutschen, mit seinen potenziell endlosen Schachtelsätzen, natürlich schon mogeln könnte.
@Wortvogel/3:
Das ist dann aber kein Horror, sondern eine normale Beziehung.
"Pah, ich schnarche überhaupt nicht. Und schon gar nicht laut!" 😀
Zu "home alone": Der Film hätte eigentlich "Kevin Alleinlebend" heißen müssen? Oder nur bei obigen Kontext "allein zu haus" als Phrase nicht stimmig, obwohl die Story mMn damit ja genauso funktionieren würde.
BTW: warum die Katze "schon immer" durch ihn durch starrt ist mir aber auch nicht klar. Wäre das schielen neu, dann schon eher…
@ Howie Munson: Ich habe im Einzelfall entschieden, dass eine Formulierung vom Original abweichen kann, wenn sie wirkungsvoller ist.
Hast du eigentlich bei "Nach einem harten Tag komme ich heim…" absichtlich das Tempus gewechselt (das englische erzählt in der Vergangenheit)?
@ AlphaOrange: Absicht. Ich fand es so etwas zwingender. Aber das ist – wie bei vielen Übersetzungsdetails – Ansichtssache.
Tippfehler bei Smartphone.
@Xenaris: nein, die Idee ist, dass eine andere Person im Raum ist, die schwer atmet. Funktioniert allerdings so tatsächlich nicht so gut, eventuell wäre "Schnarchen", "Rascheln" o.s.ä. besser.
Benutz' doch ’ne andere Zeit, bitte… kein Mensch auf der Welt sagt"Ich atmete nicht schwer". Typisch artifiziell verpimpelte deutsche Schulbuch-Scheisse…
"Sie hat mich gefragt, warum ich so schwer atme… das war ich nicht." Da, gerettet.
@ Peroy: "Geh sterben". So. Passt.
Von seinem typischen Ton abgesehen hat Peroy aber schon Recht. Die Pointe stirbt einen langsamen Tod in dieser Verbwiederholung. Du schreibst ja selbst, du hadertest hier. Ein "Das tat ich nicht." (Ausdruck mangelhaft, aber es ist immerhin wörtliche Rede, da passt das) oder "Ich war es nicht." (impliziert allerdings schon viel mehr als das Original, daher grenzwertig) sind meiner Meinung nach schon knackiger.
@ AlphaOrange: Das mag durchaus sein. Selbst bei solch kurzen Sätzen kann man viele Varianten finden. Ich finde meine auch bestenfalls okay.
Sehr schoen. Wir hatten damit gestern abend schon ne raterunde laufen 🙂
Schöne Sache!
Beim Lesen habe ich die Geschichten auch in meinem Kopf meist zu übersetzen versucht und schon gedacht, wie knifflig das gerade bei so kurzen, auf die Pointe hin geschriebenen Sachen ist.
Die Atem-Sache wüsste ich auch nicht wirklich sauber zu lösen… Am ehesten noch mit einem Tempus-Wechsel ("Ich atme nicht schwer"), aber wirklich gut ist das auch nicht.
Recht auch, dass du die Wiegennummer rausgeschmissen hast. Denn die ist die Unpointiniertheit in Person und ein Beleg, dass etwas, was in der Realität schlimm ist, sich noch lange nicht in der Literatur bewährt.
Ich musste zuweilen an diese Creepypasta denken, die etwas länger ist, vermutlich aber auf das Format hätte zurecht gekürzt werden können:
http://creepypasta.wikia.com/wiki/Bad_Dream
Hmm, finde das schon arg sinnverfälschend:
Das Babyphon weckte mich, als es rauschend die Stimme meiner Frau übertrug, die unser Erstgeborenes in den Schlaf sang. Ich drehte mich müde um und mein Arm strich dabei über den Rücken meiner Frau, die ruhig neben mir schlief.
Im Original ist nur von "a voice" die Rede. So hört sich das einfach realistischer an, da der Vater eben schlaftrunken nur eine Stimme mitbekommt und dann aufschreckt, als er seine Frau neben sich spürt. Durch deine Übersetzung kommt aber noch eine übernatürliche Ebene dazu. Mal ganz abgesehen davon, dass niemals jemand das so sagen würde, da die Stimme der Frau eindeutig nicht den Tatsachen entsprach. Jeder würde sagen "eine Stimme", wahrscheinlich mit dem Zusatz ", die ich für die meiner Frau hielt" oder "Ich meinte die Stimme meiner Frau zu hören"
Hm, die Sätzchen sind mir diese Woche auch schon untergekommen. Und ich hab mich auf Englisch gegruselt. Auf Deutsch funktioniert das bei mir allerdings überhaupt nicht. Wobei ich nicht glaube, dass das an deiner Übersetzung liegt, sondern wohl eher an mir.
Super. Jetzt lässt mich das nicht mehr los und ich muss mich selbst am Übersetzen versuchen. Argh.
Im Rheinischen Umgangssprachlischenwird gerne AM mit nem Tuwort verwendet also -jemand ist"schwer am atmen"-
Ich hätte da auch eine zweisätzige Horrorstory:
"Ein neuer Kommentator ist beim Wortvogel aufgetaucht. Er sagt sein Name sei Ralph und er hätte einen Doktortitel…"
@ Reini: KREISCH!!!!
Mensch, Reini… man muss auch Grenzen kennen. O_O
Bei der 12:07-Geschichte läuft es mir heiß und kalt den Rücken runter… und wieder rauf.
Man kann sich auch recht einfach solche selbst einfallen lassen. Hab mich auch daran versucht:
Ich höre das Klopfen von Glas. In meinem Zimmer gibt es kein Fenster. Nur einen Spiegel..
Du weißt nie, wer statt dir im Spiegel steht, wenn du ihm den Rücken zukehrst..
Ich habe eine Übersetzung die relativ gut klingt für das vorletzte gefunden :
Sie ging nach oben um nach ihrem kind zu sehen.
Das fenster stand offen und das bett war leer
Siehe, was ich drunter geschrieben habe – es ist damit immer noch keine Geschichte. Es fehlt die Wendung, die Überraschung. Genau so gut könnte ich behaupten, "Mein Bruder ging über die Straße und wurde von der Straßenbahn überfahren" wäre eine Horrorstory.
Geil, die gefallen mir, bis auf eine, die ich nicht versteh.
Was soll das heißen ,, Ich schlafe niemals ein doch ich wache immer auf" ?
LG Janino
Wie beim Licht an und aus ist Schlaf ein Vorgang, den man zweimal bewusst erlebt – wenn man einschläft und wieder aufwacht. Aber was ist, wenn man immer nur aufwacht, ohne sich jemals daran zu erinnern, dass man eingeschlafen ist?
Wie einst friedlich im Wasser baden, gesegnete Ruhe… doch als mein Körper zurück ins Becken glitt, schrie meine Mutter auf.
Meine Frau hatte es gern warm gehabt. Ich fragte mich, ob dem immer noch so war, als ich zum herabrasenden Trümmerteil unserer Sitzreihe blickte und ein lodernder Umriss wild zuckte.
Immerhin mal eine unterhaltsame Challenge.