17
Sep 2013

C(r)ool Britannia: London 2013 (1)

Themen: Neues |

Ahhh, eine ganze Woche London! Der erste richtige Urlaub in diesem Jahr. Hart erarbeitet, freudig erwartet. Und doch: da war diese Sorge, dass die Hauptstadt des Königreichs dieses Jahr vielleicht, eventuell, möglicherweise doch ein wenig wohlbekannt wirken könnte. Droht nach fünf Jahren, die meine LvA und ich nun schon hinfahren, die ungute Vertrautheit, die Ermüdung gar? Schauen wir mal.
Geplant war auf jeden Fall, diesmal einige Attraktionen der Stadt zu sichten, die wir seit Ewigkeiten vor uns her schoben. Schluss mit dem ewigen “wir sollten auf jeden Fall irgendwann mal…”!
Am Samstag flogen wir (diesmal von Frankfurt nach Gatwick) in die Metropole unserer gemeinsamen Träume. Auch von Gatwick aus gibt es mittlerweile einen Express, der alle 15 Minuten in 30 Minuten zur Victoria Station rappelt. Von da aus ging es ins Citadines Prestige am Trafalgar Square, direkt gegenüber unserer üblichen Absteige, dem “The Grand”. Der Grund: wir wollten diesmal eine Küche im Zimmer haben, um nicht jeden Morgen frühstücken gehen zu müssen.
Tatsächlich erwies sich das “Apart-Hotel” als stylish und komfortabel, wenn auch gänzlich unbritisch:
full_citadines_prestige_trafalgar_square_london_studio_01Die Küche ist voll ausgestattet (Geschirr, Spülmaschine, Besteck, Tee, Toaster) und mit einem Tresen versehen, an dem sich gut speisen lässt. Auch sonst bin ich für das Citadines des Lobes voll – in der bequemen Lounge kann man gut abhängen und den ganzen Tag stehen Tee und alle möglichen Kaffee-Varianten aus teuren WMF-Maschinen kostenlos zur Verfügung. Die Besucher können jederzeit Regenschirme und Trollys für den Einkauf mitnehmen. Eine ideale Basis für unsere Ausflüge demnach.
Der erste Tag verlief relativ stressfrei, wir schauten uns ein wenig rund um den Covent Garden um, weil wir beide bewusst wenig Kleidung mitgenommen hatten. Groß essen wollten wir nicht, es reichten leckere Sandwiches von “M & S Simply Food”.  Wir spazierten außerdem ein wenig an der Themse entlang, fanden aber das gesuchte Propstore Café nicht, das mit Requisiten des National Theatre bestückt ist.
Am Piccadilly Circus kamen wir eher zufällig vorbei. Hier entdeckten wir einen Act, den ich zuerst für eine elektrisch gesteuertes Spielzeug hielt, bis mir klar wurde, dass dahinter (und darin) ein Puppenspieler steckte:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Der Sonntag fand uns gut geruht, auch wenn ich nicht mal mehr weiß, wo wir gefrühstückt haben (mangels Lebensmitteln nicht im Hotel). Danach machten wir uns auf zum Bahnhof St. Pancreas , der für sich genommen schon ein architektonisches Wunder ist:
St Pancras Railway Station In dem Gebäude befinden sich die Endstationen des Eurostar und eine Shoppingmeile, die sich gewaschen hat (shopping ist ein Begriff, den ihr in diesem Reisebericht noch häufiger lesen werdet). Wir gönnten uns in einem sehr edlen Café einen Cappuccino und eine Cremetorte.
Auf dem Weg von St. Pancreas zum “Sherlock Holmes Museum” bekamen wir Flaschen mit Zico in die Hand gedrückt. Das ist Kokosnuss-Wasser und derzeit ein absoluter Mega-Trend in London (zusammen mit deutlich kürzeren Hosen als in den letzten Jahren). Schmeckt scheiße. Weil’s vermutlich gesund ist, habe ich trotzdem beide Flaschen leer gemacht.
Nun stand mit dem “Sherlock Holmes Museum” ein weiterer touristischer Standard auf unserer To Do-Liste. Es war vielleicht keine so gute Idee, am Sonntag dahin zu gehen, denn die lange Schlange ließ auf eine nervige Wartezeit schließen. Egal, da muss man durch. Die LvA ließ sich derweil auf der anderen Straßenseite die Nägel machen.
Man darf sich unter dem “Museum” nicht zuviel vorstellen. Es ist im Prinzip eine Nachbildung der Pension von Miss Hudson, wie Sherlock Holmes sie laut der Geschichten bewohnt hat:
Sherlock_Holmes_Museum
Man lernt nicht wirklich erschöpfend viel über Sherlock Holmes, aber man bekommt einen schönen Eindruck davon, wie unverheiratete Herren im viktorianischen London lebten. Im Obergeschoss sind auch noch ein paar Wachsfiguren der wichtigsten Protagonisten zu sehen.
Ausgeglichen wird der Mangel an Kontext durch den hervorragenden Shop gleich nebenan, in dem man neben Merchandise auch eine schier unendliche Menge an Büchern und DVDs zum größten Detektiv aller Zeiten kaufen kann – im angemessen viktorianischen Ambiente. So wird aus dem “kann man auch lassen” doch wieder ein “sollte man schon mal gesehen haben”. Wer Geld und Wartezeit sparen will, lässt die Pension aus und sucht nur den (eintrittfreien) Shop auf.
Nach soviel Lauferei hatte die LvA Hunger – und die LvA ist grummelig, wenn sie Hunger hat. Wir konnten aber die am Vorabend ausgemachten Thai-Restaurants nicht schnell genug finden. Also landeten wir kurzfristig im “Joe’s Southern Kitchen & Bar“, was nach gehobener US-Systemgastronomie aussah. Ich war skeptisch, aber mit gutem Essen ist schlecht diskutieren: die LvA schwört, noch nie so leckeres Huhn gegessen zu haben – 24 Stunden in Buttermilch mariniert und dann im Drucktopf paniert gebraten. Ich gönnte mir als Drink einen Americano – den ersten Drink, den James Bond im ersten Bond-Roman bestellt. Ich habe ihn gerührt, geschüttelt, und mit dem Strohhalm Bläschen rein gepustet.
Für den Abend entschieden wir uns spontan, eine Tour mit dem vor dem Hotel wartenden Necrobus zu machen, die ich mir schon letztes Mal vorgenommen hatte:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Was soll ich sagen? Launig ist das schon, aber ein wenig an meinen Erwartungen vorbei. Nur am Anfang werden ein paar schaurige Geschichten aus den Ecken erzählt, durch die der Bus bei Nacht kurvt. Dann setzt eine Gruselinszenierung an Bord ein, die zwar einige Touristinnen kräftig hat kreischen lassen, mir persönlich aber zu albern war. Dabei hat London ja wahrlich keinen Mangel an ECHTEN “scary sights“. Mit satten 20 Euro pro Person war es zudem kein billiges Vergnügen.
Billig ist in London (außer den kostenlosen Museumsbesuchen) sowieso kaum etwas. Wer das nicht abkann, ist hier falsch. “London on a budget” mag gehen, ist aber nicht die ganz große Sause. Wie um das zu beweisen, fuhren wir am Montag wieder zur Westfield Mall, weil wir bei unserem ersten Besuch dort so müde gewesen waren, dass es sich kaum gelohnt hatte. Diesmal hatten wir ausreichend geruht, gutes Schuhwerk an den Füßen und Geld in den Taschen. In sechs Stunden schafften wir ein geschätztes Drittel dieses absurd megalomanen Schreins zu Ehren der Shoppinggötter:
westfield
Wer glaubt, er kenne Einkaufszentren, der darf sich hier eines Besseren belehren lassen. Westfield ist Shopping deluxe. Im Foodcourt kann man englisch, japanisch, indisch, chinesisch, italienisch, libanesisch und mexikanisch essen. Es gibt ein eigenes “Village” für die absoluten Luxusmarken. Masseure stehen bereit, ständig werden Häppchen gereicht. Bei GAP war gerade Aktionswoche in Sachen Jeans, da griff der Wortvogel gleich mal zu – und die LvA entdeckte mit Uniqlo eine japanische Modekette, die während der nächsten Tage noch reich an uns werden sollte. Die haben Basics in hoher Qualität und innovativen Stoffen für sehr akzeptable Preise. Arigatou!
Ein bisschen ärgerlich übrigens: auf dem Weg von der Ubahn zur Mall kommt man beim legendären BBC Television Centre vorbei. Und wie ich am nächsten Tag erfahren habe, müssen fast zeitgleich mit unserer Ankunft dort ein paar nicht minder legendäre “Doctor Who”-Darsteller “protestiert” haben. Ich habe das leider verpasst.
Überhaupt “Doctor Who”: Mit dem bevorstehenden Wechsel zum Peter Capaldi hat die Who-Mania noch mal ganz neue Ausmaße angenommen. Die Briten sind “gaga for the good Doctor”, was sich mittlerweile auch in immer abstruserem Merchandising niederschlägt. Das hier ist die “Who”-Wand bei “Forbidden Planet“:
forb1
Dazu aber später mehr. Uns taten von der Mall-Latscherei ziemlich die Füße weh und wir wollten keine größeren Strecken mehr laufen. Da traf es sich gut, dass der erste Theater-Besuch anstand, “especially requested by the LvA”: “Private Lives” von Noel Coward, starring Anna Chancellor und Bond-Bösewicht sowie Maggie Smith-Spross Toby Stephens, der auf dem (signierten – yay!) Plakat aussieht wie Michael Fassbender:
private
Ein beißendes, manchmal etwas überdrehtes Kammerspiel über zwei, die so sehr füreinander bestimmt sind, dass sie miteinander nicht können. Auch nach 80 Jahren noch großes Theater, zweifelsfrei, auch wenn ich das Ende zu willkürlich und unbefriedigend fand.
Ist es nicht schön, dass es sogar für Theaterstücke Trailer gibt?

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Der überraschendste Moment kam nach dem letzten Vorhang: die Darsteller mischten sich mit Eimern unter das Publikum, um für Flüchtlinge in Syrien zu sammeln. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, einem Bond-Bösewicht lässig zwei Pfund in den Eimer zu werfen, wofür er dann auch noch brav “Thanks, man” sagt?
Nach so einem Erlebnis muss man standesgemäß essen gehen, und das taten wir im “Lemon Tree“, einem eigentlich sehr typisch britischen Pub, der für das Leibeswohl aber auf thailändische Küche setzt. Eine ungewöhnliche, aber nichtsdestotrotz überzeugende Fusion.
Dienstag beschlossen wir, einen Ausflug nach Kensington zu machen. Da gibt es tolle Wohnviertel, bezaubernde Kirchen – und mit der Kensington High Street eine Shoppingmeile. Das eigentliche Zugpferd war für uns aber der üppige, 1936 angelegte Dachgarten auf einem der Kaufhäuser dort. Tatsächlich: die haben einen kompletten Park im sechsten Stock angelegt, in drei verschiedenen Stilen, mit Teichen, Enten und vor sich hin plätschernden Brunnen. Da kann man zen sein:
rooftop1
Wir hatten das Glück, dass unter der Woche hier nichts los ist – wir waren ganz alleine mit dem famosen Blick über die Londoner Skyline:
roof2
An den Abenden und am Wochenende ist hier ganz schön was los, es gibt Parties, Auftritte von Musikern und Magiern und jede Menge sonstiger Events. Wer will, kann einen Stock drüber im “Babylon“-Restaurant noch mehr Aussicht genießen.
Gegenüber im “Concerto Caffé” tranken wir einen mäßigen Cappuccino und aßen eher maue Croissants – die sehen uns nicht wieder, darum habe ich sie auch nicht verlinkt.
Der Abend brachte der LvA eine Premiere, mir eine Wiederholung. Anno 2008 schrieb ich an dieser Stelle über meinen ersten Besuch von “Mamma mia!”:

“Brillante Performer, absolute Ohrwürmer, und eine grandiose Stimmung tragen die federleichte Story. Haltet mich für schwul und/oder oberflächlich – ich hatte einen Heidenspaß.”

Daran hat sich nichts geändert. Auch mit neuer Besetzung und im kleineren Novello-Theater kocht der Saal wie beim Polterabend. “Mamma mia!” ist immer noch DAS Ticket, wenn man in London ein Musical mit größtmöglichem Entertainment Value sehen will, bei dem man obendrein noch jeden Song mitsingen kann:

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Zu meiner Freude hat es auch der LvA richtig gut gefallen – wir haben uns am nächsten Tag gleich noch mal “Mamma mia!” auf DVD angesehen, was im direkten Vergleich eine erstaunliche Enttäuschung ist: Meryl Streep wirkt verkrampft und steif als Donna, Pierce Brosnan könnte mit seiner Stimme Kakerlaken töten – und alle Änderungen zur Dramaturgie der Bühnenfassung machen die “Handlung” unnötig unübersichtlich. Das Musical ist deutlich besser, was natürlich auch an der Live-Energie liegt.
Damit ging der Dienstag zu Ende – eine gute Gelegenheit, auch diesen Reisebericht aufzusplitten. In Teil 2 kommen wir dann zum “Electric Cinema”, zu fünf Jungs aus Brooklyn, und “Meat Porn”…



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

8 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Der Karsten
Der Karsten
17. September, 2013 20:00

“Der überraschendste Moment kam nach dem letzten Vorhang: die Darsteller mischten sich mit Eimern unter das Publikum, um für Flüchtlinge in Syrien zu sammeln. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, einem Bond-Bösewicht lässig zwei Pfund in den Eimer zu werfen, wofür er dann auch noch brav “Thanks, man” sagt?”
Ok.. JETZT habe ich den Facebook Post von neulich verstanden.. :/
Aber ein interessanter Reisebericht.. auch, wenn das Theater eher nichts für mich bzw. meine Frau wäre. Die größte Stadt, in der ICH bisher war, ist Hamburg.. ^^ Und das auch nur für 2 Tage.

Moepinat0r
Moepinat0r
17. September, 2013 20:22

“und “Meat Porn”…”
Also was mir dabei gleich wieder durch den Kopf geschossen ist: http://www.youtube.com/watch?v=BFPa0Vp2MYQ
SCNR 😉
Ansonsten: Wieder ein Top Reisebericht!

comicfreak
comicfreak
17. September, 2013 20:23

..boah, Neid!
😉

Peroy
Peroy
17. September, 2013 20:42

Mumbabwe, sag’ was zu “Mamma mia”…

Kammerdiener
Kammerdiener
18. September, 2013 14:03

Faszinierend vor allem eins, aus meiner Sicht: Wie man eine Reise machen kann, bei dir mich nichts, wirklich gar nichts interessiert, fasziniert, auch nur anspricht: Eine Studie darin, wie unterschiedlich Menschen sein können.
Ich war zuletzt mit dem Abiturjahrgang in London: vor fast Jahren. Ich werde nie wieder hinkommen. Eine der wenigen Sachen, derer ich mir absolut sicher bin.

Shah
Shah
18. September, 2013 14:27

Ach, da werd ich wieder wehmütig…
Obwohl St. Pancras wesentlich besser zur Geltung kommen würde, wenn gegenüber nicht irgendwelche schäbigen Imbissbuden wären…

gerrit
gerrit
18. September, 2013 21:38

Pancreas war übrigens die Bauchspeicheldrüse.

Dietmar
26. September, 2013 01:15

(Auftauchen nach Wochen (!) ohne internetfähiges Gerät. War wie ´ne Zeitreise in die Neunziger.)
Wenn ich bisher in London war, war ich immer an Termine gebunden und habe längst nicht sehen können, was mich so interessiert. Beneidenswert, da Urlaub zu machen.
Aber: “Mamma mia”? Meryl Streep ist göttlich in dem Film! Wow, kann die singen. Pierce Brosnan zieht sich eher aus der Affaire, aber das weiß er selbst wohl auch.