02
Aug 2013

AirBerlin Magazin wie AirBerlin Zähneziehn

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Ich musste mich über das kostenlose Fluggast-Magazin der ins Trudeln geratenen Airline schon hier, hier und hier auslassen. Ich habe geglaubt / gehofft, mit dem Wechsel an der Spitze zöge auch ins Heft ein neuer Geist ein. Tatsächlich hat sich einiges geändert, wie ich bei der Lektüre der neuen Ausgabe feststellen durfte:
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Mit dem Chefredakteur ist die ganze penetrante Politisiererei endlich ad acta gelegt worden, es gibt keine verbal faustschüttelnden Oberlehrer-Editorials mehr und keinen Cartoon, der nur feuchte Unternehmer-Träume illustriert. Auch der Comic mit dem brutal humorlosen AirBärlin ist raus. Nun muss ich das Heft nicht mehr in der Wut zerknüllen, dass jemand mit so etwas (vermutlich ordentlich) Geld verdient, während exzellente Cartoonisten, die ich kenne, am Hungertuch nagen.
Die meisten Artikel sind immer noch banal bis (wenig verhüllt) Product Placement. Ein Beitrag über den neuen VW Käfer liest sich, als habe man einfach zwei Seiten aus der Broschüre des Konzerns abgeschrieben.
Aber weiter hinten kam ich dann zur  Titelgeschichte. Ich war ja schon vorgewarnt – der Aufmacher “Keine Frau für Klischees” ist für sich genommen schon wieder so ein Klischee, dass es schwer wettzumachen ist. Konnte ich ahnen, dass diesem ersten Fehltritt ein “journalistischer” Totalausfall folgt, der die maximal mögliche Entfernung zwischen Anspruch und Ergebnis neu definiert? Ein Artikel, der so von der Idee des New Journalism besoffen ist, dass er gleich völlig darauf verzichtet, auf Subjekt oder Thema einzugehen?
Gönnt euch selber erstmal die Lektüre – dann sprechen wir drüber:
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air3 Ich versuche mal wiederzugeben, was ich da lese: Der Autor hat Jessica Schwarz getroffen. Wetter in Berlin gut, neuer Film, Titel und Kinostart werden genannt. Interview kann losgehen. Tut es nur leider nicht. Der Autor ist mehr daran interessiert zu beschreiben, wie sympathisch Jessica darauf reagiert, dass er sie nach einem Satz aus dem Film fragt, an den sie sich selber nicht erinnert. Welcher Satz das ist? Weil es Jessica nicht weiß, erfahren wir es vorerst auch nicht. Wohl aber, dass sie lacht. Laut Autor passt das nicht ins Klischee und damit gut zu Jessica und ihrem neuen Film. Warum? Tut wohl nichts zur Sache.
Danach ein elend langer Absatz Biographisches. Bravo, Viva, Buddenbrooks, Bambi. Liest sich, als wäre es 1:1 aus dem Presseheft abgeschrieben. Können wir vielleicht doch noch mal zu den Klischees kommen – und den Satz, der dem Autor so am Herzen liegt, dass er Jessica darauf anspricht, ohne ihn uns zu verraten?
Nein. Erstmal wird im Gerücht herum gerührt, Jessica habe mal einen Selbstmordversuch unternommen (danke, “Bild am Sonntag”), dann wird die Schauspielerin zum Thema schmerzhafte Trennung zitiert. Wohlgemerkt – nicht aus diesem Interview mit dem Autor. Ein “In einem Interview erklärt die Wahl-Wienerin einmal:” muss reichen. Was die anderen schon gemacht haben, kann man ja prima abschreiben. Selber fragen ist doof.
Was das alles mit dem Film zu tun hat, mit dem ominösen Satz, mit der aktuellen Jessica Schwarz, mit dem Thema “Keine Frau für Klischees”? Keine Ahnung. Aber drei Absätze bleiben Simon Biallowons, um die Kurve zu kriegen.
Biallowons freut sich erstmal, dass der Satz, den Jessica in einem anderen Interview zu einem anderen Journalisten gesagt hat, auch im Presseheft des neuen Films stehen könnte. Ich würde nicht mal ausschließen, dass es sogar so ist. An diesem Punkt ist man dankbar, dass mit ein paar Zeilen auf den Inhalt des Films eingegangen wird, der sich so erbärmlich klischeehaft liest (Frau und Geliebte eines Mannes lernen sich an seinem Krankenbett kennen), dass die Aussage “Keine Frau für Klischees” vielleicht als so eine Art Vorne-Verteidigung des Verleihs gelesen werden muss.
Endlich gibt es mal Butter bei die Fische: “Jessica Schwarz spielt die Geliebte – und das mit einer Intensität, die weit über dem Standard liegt”. Nun ist mir neu, dass es Standards für Intensität gibt. Ich weiß auch nicht, wie die gemessen werden. Aber was weiß ich denn überhaupt? Wenigstens mal eine konkrete Aussage.
Nun lehnt sich der Autor, mutig geworden, weit aus dem Fenster: “(Sie)(…) rührt den Zuschauer, ohne ihn und die Geschichte in Pathos zu ertränken”. Das soll eine Aussage sein, auf die Jessica nun antwortet – wobei die Antwort aber so gar nicht dazu passt: “Das war meine Hauptsorge. Gerade, weil ich französisch sprechen musste. Einerseits, weil die Sprache ‘dramatischer’ ist. Andererseits, weil ich nicht so das Gefühl hatte, wie der Film nun genau war”. Jeder, der sein Geld in der Branche mit Anstand verdient, hätte zumindest beim letzten kryptischen Satz noch mal um Klärung gebeten. Zumindest glaube ich nun, zwei Absätze vor dem Ende, dass der Autor Jessica Schwarz tatsächlich getroffen und ihr nicht nur beim Pressetermin folgenlos zugewunken hat.
Immerhin erfahren jetzt wir zum dritten Mal, wie alt Jessica Schwarz ist. 36. Muss wichtig sein. Aus irgendeinem Grund.
Nun aber – der Satz. Ach was: der SATZ! Den sagt… nein, nicht Jessica Schwarz, das wäre ja einfach. Es spricht die Ärztin über den Komapatienten: “Im Moment würde ich sagen, es gibt ihn nicht”. BAMM! Hammer. Laut Biallowons eine Aussage, die einem “erst im Hals und dann im Hirn stecken” bleibt. Und über den Satz möchte er so gerne mit Jessica Schwarz reden – die sich daran erstmal nicht erinnert und höflich nachschiebt: “Waren ziemlich viele Filme zuletzt”. Nach meiner Erfahrung ist das ein freundlicher Euphemismus für “Können wir mal über mich und meine Rolle reden?”.
Aber NEIN! Hurra, denn hier durchbrechen wir ja schließlich die üblichen Klischees von Preview-Interviews und Biallowons ist dankbar, so dankbar: “Und das, das ist wirklich wunderbar”. Nein, das ist wirklich furchtbar.
Und das war es dann auch schon. Jessica Schwarz nett, Wetter im Tiergarten gut, zwei Sätze O-Ton, der Rest Pressetext. Drei Seiten lang. Mal soll aufhören, bevor es Gefahr läuft, versehentlich substantiell zu werden. Sonst erfahren wir womöglich noch, mit welchen Klischees der Film bricht und warum das gut zu Jessica Schwarz passt.
Wäre ich einen Tacken zynischer, würde ich unterstellen, Jessica fand die Frage nach DEM SATZ schon so blöd, dass sie den AirBerlin Magazin-Schreiber gleich hat stehen lassen, um einen Kaffee mit den etwas weniger naiven Kollegen zu trinken. Und dann musste Biallowons trotzdem noch die drei Seiten voll kriegen. Irgendwie. Aber das wäre reine Spekulation.
Ein Artikel, der so substanzlos vor sich hinrödelt, dass er eigentlich hinter die Paywall von BILD+ gehört. Dieses leere Geschreibsel ernsthaft für eine Abwechslung vom Pressetalk-Einerlei zu halten, ist schlimm genug – sich dafür derart selbst zu loben, verdient nur den hier:

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P.S.: Biallowons hat ein Buch über den neuen Papst geschrieben und als Vatikan-Korrespondent in Rom gearbeitet. Ich habe eine Weile lang versucht, daraus einen launigen Zusammenhang zu konstruieren, aber es ist mir nicht gelungen.



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Big Al
Big Al
2. August, 2013 10:00
Jake
Jake
2. August, 2013 10:40

“Wie sie dabei strahlt oder fast versunken auf den Tiergarten blickt. Als ob Schwarz die Sätze und Szenen für sich noch einmal neu entdecken würde. Aber vielleicht tut Jessica Schwarz sogar genau das. Und das, das ist wunderlich wunderbar.”
Verstehe ich das richtig? Der Autor findet etwas wunderbar, was Jessica Schwarz seiner Ansicht nach MÖGLICHERWEISE (vielleicht) tun könnte? Genial.

Dietmar
Dietmar
2. August, 2013 10:45

Ein Artikel, der so substanzlos vor sich hinrödelt

Sehr schön! 🙂
Das Schlimme an dem Artikel ist, dass ich jetzt mehr ein Bild von dem in seinen eigenen Stil verliebten Schreiber als ein authentisches von Jessica Schwarz (bzw. ihrer Rolle, aber der Film klingt für mich nun nicht so spannend) habe.
Die Bilder sind schön.

Peroy
Peroy
2. August, 2013 12:32

Wünscht sich noch einer, dass der Eumel stattdessen einen Artikel über Bruce Willis geschrieben hätte… ? 😛

Der Strolch mit dem Dolch
Der Strolch mit dem Dolch
2. August, 2013 12:56

“… dass der Autor Jessica Schwarz tatsächlich getroffen und ihr nicht nur beim Pressetermin folgenlos zugewunken hat.”
Er winkt, er hat gewinkt, er winkte.
Aber nicht “gewunken”! Heißt ja auch nicht “er wank”.

Peroy
Peroy
2. August, 2013 13:16

Hat die Sonne gescheint oder geschienen… ?

Moss the TeXie
Moss the TeXie
2. August, 2013 14:35

Der Wortvogel erwartet Inhalt von einem «Bordmagazin», also einem dieser altpapierbehafteten Transportmitteletiketten, die in Bahn und Flieger vorgehalten werden, damit $PASSAGIER nicht vergisst, wo er da eigentlich drin sitzt?
Torsten, Du verblüffst mich immer wieder.

Spencer
Spencer
2. August, 2013 14:40

Krass, ich würde gar nicht so viel Zeit opfern wollen, um über ein Gratisblatt an dass sowieso keiner Erwartungen hat, einen Artikel zu schreiben. Gibt sicher sinnvollere Beschäftigungen.
Dennoch Hut ab vor dem Autor. Unterhaltsam geschrieben ist es ja, wenngleich auch… naja es ist ein Artikel über ein Gratisheft von Air Berlin xD

Dietmar
Dietmar
2. August, 2013 15:01

@Strolchi: “Gewunken” wird in vielen Regionen bevorzugt verwendet; bei uns übrigens auch. Der Duden passt sich dem Sprachgebrauch an, schreibt den aber nicht vor. So, wie bestimmte Beugungen aussterben (heute “fragte” früher “frug”, heute “rächte” früher “roch”) werden sie von neuen ersetzt bzw. sind alternativ gültig.
Ich trinke. Er hat “getrinkt”?

Peter Krause
Peter Krause
3. August, 2013 17:58

Der Schuh hat gestunken, nicht gestinkt.
Aber das Auto hat geblinkt, nicht geblunken.
Mit Vergleichen kommt man offenbar nicht weiter.

Thor
Thor
5. August, 2013 23:37

Hmm, “Journalisten” bashen die für ein Bordmagazin schreiben.
Ist das nicht sowas wie Behinderte verprügeln ?

DMJ
DMJ
6. August, 2013 17:51

Schauspielerische Intensität misst man meines Wissens in Schweigers, um durch möglichst kleine Maßeinheiten möglichst präzise sein zu können.

Dietmar
Dietmar
7. August, 2013 08:30

😀
Nur da, wo das metrische System gilt. In den Staaten sind das Seagals.

Wortvogel
Wortvogel
9. August, 2013 12:00

a) es heißt natürlich “gewunken”
b) habe gestern im neuen Heft der AirBerlin ein Porträt desselben Autors von Harald Krassnitzer gelesen – mit den gleichen Albernheiten: es wird dem Schauspieler eine “Authentizität” unterstellt, die ihn von Kollegen unterscheidet (wie bei Schwarz die fehlenden “Klischees”), aber es wird nirgendwo erklärt, worin diese besteht. Und ständig wird uns berichtet, wie toll Krassnitzer plaudert – aber nicht, was er tatsächlich sagt. Als Sahnehäubchen: der Autor ist furchtbar stolz, dass Krassnitzer über eine seiner klugen Fragen erstmal nachdenken muss.
Hier ist ein Serienuntäter am Werk.

Der Karsten
Der Karsten
9. August, 2013 14:05

Vielleicht hat er vorher bei “Die Aktuelle” oder so gearbeitet. Dort ist dieser Schreibstil ja Methode und wird laufend perfektioniert.

Baumi
11. August, 2013 22:42

sinken-sank-gesunken
trinken-trank-getrunken
aber
blinken-blinkte-geblinkt
hinken-hinkte-gehinkt
demnach würde sich bei
winken-winkte-
natürlich “gewinkt” anbieten, aber zumindest in der Kombination “zugewunken” hat mein persönliches Sprachgefühl kein Problem mit der starken Form.
Für alles Weitere sei hierher verwiesen: http://verben.texttheater.net/
Super – jetzt sieht mein Kommentar aus wie moderne Lyrik.