20
Jun 2013

Eine Woche, zu voll, zu heiss, zu krank

Themen: Neues |

Letzten Donnerstag. Weil es wegen des Wetters nicht anders zu organisieren ist, muss ich drei Reportagen in drei Tagen absolvieren. Zuerst mit den Wagen von München nach Speyer, von Speyer ins Nahetal (mit Rentieren auf die Alm), wieder nach Speyer, am nächsten Tag über Frankfurt (Fotograf abholen) nach Berfa (Hochsitz aufbauen), zur Übernachtung nach Fulda, weiter nach Bad Orb (Heimatreportage), direkt weiter nach München. Das ist für sich genommen schon sehr sportlich, aber machbar.
Mit dem Wetter haben wir halbwegs Glück: alle Reportagen sind auf Sonne ausgelegt und bekommen auch ausreichend Sommer-Feeling, nur beim Aufbau des Hochsitzes wird es zunehmend bewölkter. Macht nix, die Geschichte ist sowieso eher kernig-männlich. Ich ärgere mich, dass ich bei den Rentieren mein mittlerweile unverzichtbares Diktiergerät vergessen habe und in Bad Orb feststelle, dass es sich entladen hat, weil ich es letzte Woche nicht abgestellt habe. Also krakel ich am Abend schnell ein paar Notizen aus dem Gedächtnis in mein Notebook.
Leider spüre ich nach der Begegnung mit den Rentieren ein sehr unangenehmes Kratzen im Hals, das bei mir traditionell einen schweren Schnupfen ankündigt. Die Schluckbeschwerden machen schon die Nacht auf Freitag zur Qual, im Hotel in Fulda leide ich dann nur noch. Fieber, Schüttelfrost, Rotz, Husten, Schmerzen bis in Phantomglieder, von denen ich bisher noch gar nichts wusste. Da stellt man schon mal die Berufswahl in Frage – in diesem Fall im Kurpark von Bad Orb:
denker
Schlimm genug, dass es eine kranke Woche ist – es ist auch noch eine unerträglich heiße Woche. Ich bin froh, nicht von Speyer, sondern “nur” von Bad Orb zurück nach München fahren zu müssen – auf dieser Route werden die Autobahnen gesperrt, weil der Asphalt die Hitze nicht verträgt. Stau könnte ich jetzt gar nicht vertragen. Die Bilder überspielt mir der Fotograf noch im Auto auf mein Macbook, damit sie noch am gleichen Abend in die Redaktion können.
Ich schaffe es. Ich sage das, weil ich nicht melodramatisch “Ich überlebe es” sagen will. Leider ist die Woche damit nicht beendet (obwohl ich am Samstag heim komme). Sie fängt gerade erst an. Wir gehen in die Zielgeraden der neuen Ausgabe “Liebes Land” und viele fertig gelayoutete Artikel warten bereits darauf, von mir geschrieben zu werden. Da hängt ja noch ein Rattenschwanz dran (Abnahme, Schlussredaktion, Litho), der ohne meine Texte nicht wedeln kann.
Kleine freudige Überraschung: Die neue “Liebes Land” liegt schon im Briefkasten. Als Mitarbeiter bekomme ich sie fünf Tage früher. Das Heft ist gut geworden, sehr edel, sehr breit aufgestellt.
Den Sonntag verbringe ich im Halbschlaf, erst am Nachmittag raffe ich mich auf, mit der LvA einen Spaziergang im Englischen Garten und machen und dann mit ihr im Kaisergarten Essen zu gehen. Kalbspflanzerl mit Rohmilchkäse gefüllt.
Montag: Ich quäle mich mit den Texten für die “Liebes Land”. Nach einigen frustrierten Stunden beschließe ich, das zu tun, was ich immer tue, wenn ich nicht schreiben kann, was ich schreiben soll: ich schreibe, was ich will. Daraus entsteht in erstaunlicher Geschwindigkeit der Blogbeitrag über meinen “Messebesuch“. Ich freue mich, dass der kreative Autopilot selbst dann noch funktioniert, wenn es mir elend geht.
Ich stelle fest, dass der Kühlschrank praktisch leer ist. Es kommt für mich nicht in Frage, bei der Hitze auch nur einen Schritt vor die Tür zu machen. Ich beschließe, mich den Rest der Woche von Haferbrei, Orangensaft und Kaffee zu ernähren. Davon ist genug da.
Der ganze Tag ist leiden, schwitzen, ungesunde Mengen von Nasenspray in die Nebenhöhlen spritzen – und schreiben. Endlich läuft es auch mit den beruflichen Texten etwas besser. Eine Doppelseite über den Lebensraum Kirchturm, vier Seiten über Bad Orb, sechs über die Rentiere, etc. Es dauert, wenn das Gehirn nur noch ein schlammgrauer Schwamm ist, der Phlegma und Schleim produziert.
Ich beschließe, 48 Stunden gar nicht mehr raus zu gehen. Ich freue mich über das Feedback zu meinem Messe-Artikel, mühe mich weiter an den neuen Texten, bereite die nächsten Reportagen vor.
Zu meiner Aufheiterung trägt bei, dass ich ein paar Anfragen bekomme von Filmfirmen und Zeitungen, Produzenten und Mitbloggern. Vieles dabei, was mir Spaß machen würde, aber ich habe momentan den Kopf nicht genug frei, um nennenswerte Entscheidungen zu treffen. Dazu muss auch das neue Heft erstmal in trocknen Tüchern sein.
Weil mittlerweile auch die Hitze in Schwabing unerträglich geworden ist, lasse ich alle hölzernen Fensterverkleidungen zu, tauche die Wohnung in permanentes Dämmerlicht, was mich von der Welt isoliert, als wäre ich der Marquis des Sade in der Bastille. In der erträglich kühlen Düsternis komme ich mühsam voran, bis am Dienstag Nachmittag plötzlich eine EXPLOSION die Wohnung erschüttert. Schon wieder eine Fliegerbombe? Ich suche und finde die Ursache im Bad:
badWie es aussieht, hat die Duschtür über die letzten Monate beträchtlich Spannung aufgebaut und dieser nun nachgegeben. Der Vermieter reagiert entgeistert und prompt, lässt die Scherben beseitigen, kann aber auf die Schnelle auch keinen Ersatz besorgen. Ein paar Tage lang muss ich nun SEHR vorsichtig duschen, um das Bad nicht unter Wasser zu setzen.
Am Abend noch etwas, das mich richtig runterzieht: die junge Dame vom Tierhilfe-Verein, von der wir unsere Abby hatten, holt auf meine Bitte alles restliche Katzenfutter, Streu und Snackgedöns ab. Wir werden keine neue Katze haben, bevor es verfällt – und so können sich wenigstens ein paar bedürftige Stubentiger daran laben. Aber es ist noch einmal ein Abschluss, ein Ende. Es tut weh.
Mittwoch ist ein guter Tag. Die unerwünschten Substanzen in meinem Körper haben genau die richtige Viskosität, um nicht ungefragt, aber auf Aufforderung doch willig den Weg ins Taschentuch anzutreten. Die klebrige Panade um mein Hirn nimmt ab, an einigen Stellen wird schon wieder frei gefunkt. Ich schaffe zehn Seiten Reportage, wenn auch immer noch im eher gemütlichen Tempo. Zwei, drei solche Tage und ich sollte wieder fit sein.
Leider ist es mir nicht vergönnt.
Donnerstag (und damit heute) steht die nächste Reportage an. Und dafür muss ich nach Minden. Keine Ahnung, wo genau das liegt, aber ich muss nach Hannover fliegen und dann einen Mietwagen nehmen. Dazu fühle ich mich eigentlich noch nicht gesund genug, aber danach fragt niemand – die Tickets sind nicht stornierbar und wir haben vor Ort extra einen Experten gebucht. Das Diktiergerät liegt aufgeladen in meinem Rucksack – ich bin ja lernfähig. Wenigstens geht der Flieger erst um 10.55 Uhr, da kann ich vorher noch ordentlich frühstücken. Kehrseite der Medaille: ich werde erst um 22.00 Uhr am Abend wieder in München landen. Nach einer kurzen Nacht warten dann morgen schon wieder die nächsten Layouts, die mich ins Wochenende begleiten werden.
Es kommt nicht, wie es kommen sollte. Zwar läuft die Reportage überraschend gut und zügig – dafür bin ich aber satte vier Stunden zu früh fertig. Ich kaufe bei einem Rewe griechischen Joghurt, einen Apfel, eine Banane, eine Molke und gönne mir einen Vitamin-Lunch auf dem Parkplatz, bevor ich wieder zum Flughafen fahre. Ist aber sowieso egal: wegen der Unwetter in Deutschland ist der ganze Flugplan der Lufthansa Makulatur. Ich kann nicht nur auf keine frühere Maschine buchen – die früheren Maschinen sind ausgefallen und die Passagiere drängen nun danach, auf meine Maschine umgebucht zu werden. Und die wird verspätet kommen – wann, kann ich zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.
Nach mehr als vier Stunden totalem Chaos ist die Lufthansa aber zumindest in der Lage, ein paar Getränke bereit zu stellen. Ich kaufe mir für 4,95 Euro 24 Stunden Internet-Zugang, um nicht völlig isoliert von der Welt zu sein. Es ist noch nicht gesagt, dass ich heute überhaupt noch zurück nach München komme. Wenigstens gibt es eine Steckdose und mein Macbook kann mir Gesellschaft leisten:
Foto am 20.06.13 um 20.46
Keine Sorge: ich habe ausreichend Nasenspray und Taschentücher dabei und bin allemal müde genug, um geduldig zu sein.
Eine Woche, seit ich für den Reportagemarathon nach Speyer gefahren bin. Vier Reportagen, eine schwere Erkältung, viele im Nebel geschriebene Artikel, Hitzestau und Haferbrei. Mein Kumpel Sixtus schafft derweil den Marathon in San Francisco, während Doc Acula mit einem Aortenaneurysmus in der Klinik landet.
Wenn diese Tussi von Actimel noch einmal behauptet, sie hätte “eine Woche in einen Tag gepackt”, dann darf sie gerne mal mit mir tauschen.
Aber ich will mich nicht beschweren. Ganz im Gegenteil. Selbst in dieser Woche habe ich keine Sekunde lang vergessen, dass ich ein (in meinen Augen) sehr gesegnetes Leben führe. Ich wohne in Schwabing, verdiene gut, habe viel Spaß an meiner Arbeit, mag meine Kollegen und entscheide über meinen Tagesablauf weitgehend selbst. Ich kann zwischendurch immer eine Folge “Doctor Who” schauen, mit der LvA skypen oder meinem Bruder dabei helfen, sein Handy mit einem Cyanogen Mod zu pimpen. Ich streite mich auf Facebook und verbringe die maladen Nachmittage weitgehend in meinem Fernsehsessel mit dem Notebook auf dem Schoß.
Ich wollte euch nur mal erzählen, wie meine Wochen AUCH sein können.



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lindwurm
20. Juni, 2013 21:19

“Wie es aussieht, hat die Duschtür über die letzten Monate beträchtlich Spannung aufgebaut und dieser nun nachgegeben.”
Die hatte wohl genug zu Spannen 🙂

gerrit
gerrit
20. Juni, 2013 21:40

Faszinierend. Einerseits die Klage der ZEIT-Freien, wie gering das Honorar ist, andererseits lohnt sich’s offenbar, für ein junges Magazin ins Blaue fliegen zu lassen. (Überhaupt innerdeutsch).
Gute Genesung, auch dem Herrn Acula. 😉

Wortvogel
Wortvogel
20. Juni, 2013 21:44

@ gerrit: Es ist immer eine Frage der Perspektive: ich finde mich gut bezahlt. Ob die ZEIT-Redakteure das auch auch so sehen würden, kann ich nicht sagen.

Dietmar
20. Juni, 2013 22:45

Gute Besserung und einen schönen Aufenthalt auf dem Flughafen!
@Dr. Acula: Gute Genesung!

hilti
hilti
21. Juni, 2013 00:14

Dann mal Gruß aus der Stadt an den Flughafen. Sei froh, dass nicht gestern hierher musstest. War unerträglich heiß. Kleiner Tip für den nächsten Besuch in Hannover: Das Pfannkuchenhaus

Baumi
Baumi
21. Juni, 2013 00:28

Unbekannterweise gute Besserung an den Doc. Und dem Hausherrn eine möglichst baldige und ereignisarme Rückreise.

Dietmar
21. Juni, 2013 07:49

Ich habe heute Morgen festgestellt, dass, seit meine Familie Dich persönlich kennt, sie die von mir kolportierten Anekdoten mit großer Anteilnahme und Begeisterung quittiert. 🙂

DerStefan
DerStefan
21. Juni, 2013 11:09

Gute Besserung!
Und mich als mitten-in-der-Republik-Wohner hat der Beitrag mal wieder dran erinnert wie angenehm es ist doch verhaeltnismaessig schnell alle Ecken Deutschlands ansteuern zu koennen. Wenn man denn wollte 🙂

Pascal
Pascal
21. Juni, 2013 18:29

Ich bin jetzt mal böse und sage das ist die Rache Gottes für den vorherigen Artikel! 😉 Blitzschlag und Salzsäule sind ja so 700 B.C.

dLTexid
dLTexid
21. Juni, 2013 18:54

da würd mich doch mal, (zwischendurch mal: für Speyer beneide ich dich) interessieren, was der Wortvogel von der Doctor Speech aus der letzten Folge hält 😉

milan8888
milan8888
22. Juni, 2013 10:34

Gute Besserung an den Doktor