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Okt 2012

Edinburgh: Kalt, Kilt und Kult (1)

Themen: Neues |

http://www.youtube.com/watch?v=seN7AKSwMFU

Das nenne ich mal eine Geburtstagsüberraschung: 5 Tage mit allem Pipapo in der schottischen Hauptstadt. Auf die Idee war die LvA gekommen, weil ich nach der Begeisterung über die käufliche Kirche immer wieder davon gesprochen hatte, dass wir doch mal nach Schottland reisen sollten. Duncan McDewi vom Clan der McDewi!

Sie buchte schon vor einem halben Jahr und ich bin nicht drauf gekommen. Meine Liebste kann halt deutlich besser die Klappe halten als ich – von unserem Freundeskreis mal ganz abgesehen. Im Nachhinein muss ich teilweise etwas seltsame Fragen über Whisky und Fudge, Haggis und Joanne K. Rowling neu einordnen…

Tag 1

Montag Vormittag gaben wir Abby in der Pension ab und ließen uns von einem Fahrservice nebenan zum Flughafen bringen. Easyjet. Seufz. Aber die fliegen wenigstens nonstop und zu akzeptablen Zeiten.

Bei der Ankunft ins Edinburgh war es schon sehr dunkel, der “Airport Link”-Bus brachte uns in 30 Minuten zur Waverly Station, von dort aus mussten wir nur fünf Minuten den Berg rauf kraxeln, um zum Fraser Hotel gleich neben der Royal Bank of Scotland zu gelangen. Zimmer und Badezimmer sehr hübsch, dazu Kühlschrank, Mikrowelle und Geschirr im Schrank – genau so hatte ich mir das Basislager vorgestellt:

Obwohl ich müde war und angesichts der fortgeschrittenen Stunde draußen auch nicht mehr so viel zu sehen war, bestand die LvA darauf, noch einen Happen Essen und Trinken zu gehen. Das brachte uns ins “The Elephant House“, in dem Joanne K. Rowling angeblich ihre ersten Entwürfe zu “Harry Potter” zu Papier brachte. Angenehm unstressige Anlaufstelle, fast schon studentisch abgewetzt, mit gutem Shepherd’s Pie und ordentlichem Bier.

Damit war der Abend noch nicht zu Ende. Es ging in die “Frankenstein Bar“, eine zur Party-Location umgebaute Kirche, die am Montag angenehm menschenleer bleibt:

Ähnlich dem Konzept der “Hard Rock Cafés” ist hier alles mit Merchandise und Kram zum Thema “Frankenstein” zugestellt, auf dem Flachbildschirm lief an diesem Abend “House of Frankenstein”. Sicher kein Insider-Tipp, auch nicht für Sparfüchse oder Kultursnobs, aber ein ziemlicher Spass für Nerds und Touris. Hier reichte mir Britta auch bei einem Glas Cidre den Umschlag mit dem Tagesplan für Tag 2.

Tag 2

Wir hatten nicht vor, im Hotel zu frühstücken. Das macht man nur, wenn es keine Alternativen gibt. Und wenn es etwas in Edinburgh gibt, dann sind es Bars und Cafés, in denen sich gut frühstücken lässt. Um es langsam anzugehen, blieben wir im engsten Umkreis: Das “St. Giles Café” lag direkt NEBEN unserem Hotel. Hier ist es auf moderne Art rustikal, sparsam eingerichtet, hohe Decke – und vor allem gibt es ein Brötchen mit Käse und gebratenem Speck, das unfassbar lecker schmeckt. Nicht billig, aber das Geld allemal wert. Ich bin nicht der Erste, dem das auffällt – lest im Link zum Café mal die erste Tripadvisor-Kritik…

Später machten wir uns auf den Weg hinunter in die Neustadt. Der Begriff ist irreführend, denn dieser Teil von Edinburgh wurde auch schon vor 200 bis 250 Jahren erbaut. Somit teilt sich der Stadtkern in zwei Bereiche auf: Die Altstadt am Hügel bis rauf zum Schloss und eben die Neustast weiter unten, in der man super shoppen gehen kann wie auf der Oxford Street in London. Hier gibt es auch sämtliche Ketten, die man von Ausflügen in europäische Metropolen gewöhnt ist: H&M, Primark, HMV, Hobbs, o2, Accessorize, etc.

Ahhh, Primark – das lasse ich mir einfach nicht vermiesen, zumal die Filiale in Edinburgh eine der größten ist: über vier Stockwerke kann man hier durchaus modische Basics für wenig Geld einkaufen. Was mich aber noch mehr begeistert hat, sind die Auslagen mit Schnickschnack:

Und wer möchte sowas nicht mit ins Badezimmer nehmen?

Nerd-Heaven! Einen Superman-Strampelanzug durfte ich allerdings wieder nicht mitnehmen…

Wir kauften danach Saft, Obst und ein paar andere Kleinigkeiten bei “M & S simply food”, um damit unseren Kühlschrank aufzufüllen und besuchten schließlich das Prachtkaufhaus Jenners. Auch wenn man “Fortnum & Mason” und “Harrod’s” in London schon kennt, ist es einen Besuch wert. Allein die hochwertige Auswahl der Produkte, die wenig Wert auf Masse legt, aber umso mehr auf Qualität, beeindruckt gerade nach einem Abstecher zu Primark. Hinzu kommen gleich mehrere Restaurants und Cafés, von denen aus man teilweise einen spektakulären Blick auf die Altstadt am Berg hat.

Hier konnte ich auch erstmals in Ruhe konstatieren, wie verdammt schön, charmant und überschaubar Edinburgh ist. So authentisch wie touristisch, so studentisch wie historisch. Auf vergleichsweise wenig Fläche bietet die Stadt Kultur und Kitsch in Konzentration, ohne je aufdringlich zu wirken. Hier gibt es praktisch keine architektonischen Verbrechen, das Leben fließt ohne größere Brechungen von den verwinkelten Gässchen der Altstadt hinab in die breiten Prachtstraßen der Neustadt.

Im Gegensatz zu London ist es leicht, in Edinburgh den Überblick zu behalten, das Gefühl für die Stadt und ihre Proportionen nicht zu verlieren – es reicht sogar der Blick auf den groben Bronze-Guss neben dem Museum am Princes Park:

Da macht auch das schlechte Wetter nicht viel aus.

Nachdem wir ein Stündchen im Hotelzimmer geruht hatten, stand schon der nächste Ausflug auf dem Plan – eine geführte “Ghost Tour“. Davon gibt es in Edinburgh ungefähr 200, mit verschiedenen Schwerpunkten: Literatur, Erotika, Geschichte. Die LvA hatte eine Variante ausgesucht, die nicht gar so schröcklich zu werden versprach – sie gruselt sich dann doch zu sehr. Unser Führer Craig war jung, aber der Aufgabe mit lauter Stimme und großem Enthusiasmus mehr als gewachsen:

Er geleitete uns in viele der kaum handtuchbreiten Gässchen, die teilweise steil den Berg hinunter führen, erzählte von Pest und Verbrechen und schleuste uns dann in die Katakomben unter der South Bridge, in denen sich gleich mehrere Geister tummeln sollen. Kein Wunder, gilt Edinburgh doch als “the most haunted city in the world”.

Launig, ein wenig gruselig und durchaus stimmungsvoll war die 90minütige Tour, auch wenn der Wortvogel sich von Kerzenlicht und Schauergeschichten nicht ins Bockshorn jagen lässt.

Den Afternoon Tea nahmen wir in “Deacon Brodie’s House” (nicht zu verwechseln mit “Deacon Brodie’s Pub” auf der anderen Straßenseite), einem etwas versteckten und erfreulich unprätentiösen Hinterhof-Café. Hier ist die Bedienung robust, sind die Stühle wackelig, die Preise moderat. Meine LvA versichert, noch nie so guten Earl Grey getrunken zu haben. Spontan beschlossen wir, am nächsten Morgen zum Frühstück wieder einzukehren.

Ach so, das sollte ich vielleicht noch sagen: Das Fraser Hotel liegt geradezu albern zentral, vergleichbar wirklich nur mit dem “The Grand”, in dem wir in London immer absteigen. Ob Schloss oder Theater, Kneipe oder Bahnhof – ALLES ist in bequemer Fussweite, selbst wenn man die zusätzlichen Mühen durch die teilweise heftigen Steigungen einberechnet. Selten mussten wir für einen Ausflug mehr als fünf Minuten laufen.

Für den Abend hatte die LvA dann noch eine ganz tolle Überraschung: “Phantom der Oper” im “Edinburg Playhouse Theatre”. Klar, “Phantom der Oper” habe ich vor 20 Jahren schon in London gesehen – wer nicht? Aber das Playhouse Theatre ist wirklich noch mal eine Klasse für sich:

Und die Aufführung – was soll ich sagen? Spektakulär. Man hat seit 1993 noch mal deutlich an der Choregraphie, dem Bühnenbild und dem betriebenen Aufwand gefeilt, die Darsteller waren überragend und es ist praktisch unmöglich, sich nicht mitreißen zu lassen. Skandalöser Kitsch? Vielleicht. Aber “Phantom der Oper” Kitsch zu unterstellen ist ungefähr so, als wollte man einer Käsesahne-Torte die Kalorien vorwerfen.

Nach dem Theater wollte ich klassisch bleiben: wir ließen uns vom Taxi nicht ins Hotel, sondern zu einem schmierigen “Fish & Chips”-Shop kutschieren, wo ich mir die britische Nationalspeise mit üppig Currysauce gab. Im Angebot auch: “Mars frittiert“, aber das ging beim besten Willen nicht mehr rein.

Wie Jim Phelps in “Mission: Impossible” bekam ich dann meinen Umschlag gereicht. Your mission, should you choose to accept it…

Tag 3

Mittwoch. Es regnete wie Sau oder wie der Brite sagt: Hunde und Katzen. Da waren wir froh, dass das “Brodie’s Café” gut geheizt war. Das Brötchen, in dem mir diesmal der gebratene Speck und der Käse serviert wurden, war zwar nicht so kross wie im St. Giles Café, kostete aber nur die Hälfte und brachte eine Doppelportion Rührei gleich mit. Stärkung für den useligen Tag.

Wir gingen ein paar Shops auf der “Royal Mile” ab, die hier traditionell Klan-Insignien, Kilts und Kaschmier-Schals verkaufen und machten uns dann auf den Weg zum Schloss in der Hoffnung, die meterdicken Steinmauern würden Kälte und Feuchtigkeit fern halten.

Hier ein Promo-Bild von Castle Edinburgh – ein eigenes konnte ich angesichts des Sturmwetters nicht schießen:

Es ist eine riesige Anlage und sie ist außerordentlich gut in Schuss. Man sagt das bei einem Schloss vielleicht selten, aber bei aller Wehrhaftigkeit hat die Ansammlung der locker auf den Berg gelegten Gebäude etwas

Idyllisches, man kommt sich vor wie in einem Dorf oder einer Universitätsstadt. Zu besichtigen gibt es auch einiges, von alten Kriegsgefängnissen über Ausstellungen zur Geschichte der schottischen Regimenter bis hin zu den schottischen Kronjuwelen. Ich bin sicher, der “Stone of Destiny” wird noch Eingang in eine meiner Geschichten finden…

Eigentlich hatten wir danach noch ein paar weitere Sehenswürdigkeiten (und eine Whisky-Führung) auf dem Zettel, aber dafür war uns das Wetter zu ungemütlich. Wir kuschelten uns ins Hotelzimmer, brühten uns einen Tee und lasen ein wenig. Mangels Ebook-Reader hatte ich mir für diesen Zweck beim lokalen Zeitschriftenhändler eine Ausgabe des Magazins “Writing” gekauft. Ich denke ernsthaft, es nun auch mal zu abonnieren – für Autoren enthält es eine erstaunliche Fülle an “news to use”, Interviews und Berichten vom Markt. Gerade wenn man seine Tage nicht damit verbringt, den Entwicklungen des Buchbusiness minutiös zu folgen, kann eine Zeitschrift wie “Writing” unverzichtbar sein, für interessierte Anfänger UND für Profischreiber.

Britta las derweil die neuste Ausgabe der “Radio Times”.

Irgendwann waren wir aufgewärmt genug, um uns wieder in die Kälte zu begeben. Tea Time! Kaum 150 Meter von unserem Hotel befand sich die Konkurrenz, das “Radisson blu”, mit einer weithin empfohlenen Bar namens “Itchycoo“. Wie so viele Hotelbars stellte sich diese als relativ kostenintensiv heraus – mit einer Ausnahme: für 8.70 Pfund schleppte die Kellnerin eine Etagere mit Schweinereien an, die sich gewaschen hatten: Sandwiches, Sconee, Törtchen. Tee oder Kaffee inklusive. Kann ich nur empfehlen.

Danach waren wir so unglaublich pappsatt, dass ein Abendessen in die Kategorie “aussichtsloses Unterfangen” rutschte. Also zogen wir uns wieder ins Hotelzimmer zurück und schauten die Sitcom “Not going out”, was ja dann auch schon wieder eine Faust aufs Auge war:

http://www.youtube.com/watch?v=gL1XNUB5sWw

Gemütlich ging es in den Abend und auf meinen Geburtstag zu, auch wenn die Feierlichkeiten sich über die ganze Woche ziehen sollten. Ich war zufrieden und glücklich wie Pappa Bär – und IHR müsst auf den Rest der Reisebeschreibung noch ein wenig warten…



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10 Kommentare
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Frank Böhmert
22. Oktober, 2012 08:42

Immer wieder eine Lesefreude, deine privaten Reiseberichte. Da will man gleich was buchen. Und deine Liebste von allen hat es echt drauf!

xiltron
xiltron
22. Oktober, 2012 09:15

Ich muss tadeln – die Whisky-Geschichte absagen? Das Zeug schmeckt doch bei dem fiesen Wetter gleich doppelt so gut! 😉

Moss
22. Oktober, 2012 09:52

Die Space-Invaders-Wecker, -Badradios usw. gibt’s auch im hiesigen Comickramshop, aber sonst … Neid, Neid, Neid! Und Glückwunsch zu der LvA. Und dann noch nachträglich zum Geburtstach, latürnich. 😉

Shah
Shah
22. Oktober, 2012 12:34

Schön, dass euch die Ghost-Tour gefallen hat.ich war damals herbst enttäuscht von dem allzu aufgesetztem “Wir sind ja so gruselig” Kramsens und den paar Folterinstrumenten…

Generell verwünsche ich aber immer noch den tag, als ich Edinbrah bei der Erasmus-Wahl übersah…-.-. Wundertollste Stadt überhaupt.

Wortvogel
Wortvogel
22. Oktober, 2012 12:49

@ Shah: Man darf die Ghost Tour halt nicht so ernst nehmen. Das andere Extrem (der “Edinburgh Dungeon”) hätte mir mit seinem Budenzauber sicher nicht gefallen.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
22. Oktober, 2012 17:17

Danke Wortvogel, für den feinen Bericht und das Reiseziel für nächstes Jahr.

Und danke Frank, für das Lösen des Rätsels, was denn LvA eigentlich bedeutet 😀

Earonn
Earonn
22. Oktober, 2012 20:45

Na super! Tagsüber lese ich den Lonely Plane ‘Scotland’ als Vorbereitung für nächstes Frühjahr – und abends macht der Wortvogel gleich weiter und gibt neue Reisetipps. 🙂
Super Idee von dir, LvA!
Wünsche euch beiden noch viel Spaß da oben und kommt heil wieder heim (ABBY WILL ES SO! ) !

K. Lauer
22. Oktober, 2012 21:34

Schöner Reisebericht bisher. Hey cool ihr habt die Phantom 25th Tour gesehen. Wen hattet ihr denn in den Hauptrollen? Demnächst mehr zum Thema Musical im Kino: mit “Les Misérables”…*vorfreu*

Dietmar
23. Oktober, 2012 09:36

Wow! Und passt auch irgendwie zum Wetter hier.