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Aug 2012

Movie Mania 2012 (14): Worried about the boy

Themen: Movie-Mania 2012 |

England 2010. Regie: Julian Jarrold. Darsteller: Douglas Booth, Mathew Horne, Mark Gatiss, Marc Warren, Freddie Fox

Story: Der junge George O’Dowd ist schwul, trägt gerne schrille Frauenkleider und zieht 1980 aus dem Spießer-Haushalt seiner Eltern in ein Rattenloch der Londoner Szene, wo er sich mit dem Transvestiten Marilyn anfreundet, als Garderobiere im Club “Blitz” von Steve Strange arbeitet und schließlich seine Leidenschaft zur Musik entdeckt. Zusammen mit anderen Musikern gründet er eine Band – Culture Club.

Kritik: Es war 1982, die HÖRZU brachte auf ihrer Musikseite mal wieder eine sensationell inkompetentes Band-Porträt – und ich hatte keine Ahnung, dass dieser Typ mit dem Makeup und den Weiberklamotten schwul sein könnte. Ich war 14, die Musik ging mir auf den Sack und Boy George war ein Superstar. Kaum jemand repräsentiert die erste Hälfte des Jahrzehnts in seinen Exzessen und Ansprüchen so perfekt. Hedonistisch, schrill, egoman, bunt, führungslos.

Ich mochte Boy George nie, aber er ist Teil der Zeit, die mich geprägt hat. Und deshalb war ich durchaus an dieser TV-Verfilmung seines Lebens interessiert. Ich stellte mich ein, den Background zu mögen, das Zeitkolorit, die Cameos. Vintage 80s London. Nicht gefasst war ich darauf, eine erstaunliche Sympathie für die Hauptfigur zu entwickeln, dieses verletzliche und verletzende, hungernde wie verwöhnte Kind im Körper einen Mannes mit dem Gesicht einer Frau.

Oberflächlich ist “Worried about the boy” eine 87minütige Erweiterung des ersten großen Bronski Beat-Videos – schwuler Junge aus dem miefigen britischen Suburbia hat die Schnauze voll, geht ohne Geld und Perspektive in die große Stadt, findet endlich Freunde unter seinesgleichen:

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Eine Homomär, wie sie tausend Mal erzählt wurde, hier noch eher unnötig in einen Rahmen gezwängt, der Boy George am Ende der Culture Club-Ära zeigt: verzweifelt, allein, von Drogen kontrolliert.

“Worried about the boy” gelingt dabei die Gratwanderung, an der Musiker-Biographien wie “I walk the line” und “Meat Loaf – To Hell and Back” gerne scheitern: Er wirft sich mit Inbrunst in die bekannten Bilder, zeigt uns den Glamour und die Skandale, gefällt sich in zeitgenössischen Details und neckischen Gastauftritten (die Kamera schwenkt geradezu aufreizend beiläufig an “Billy Idol” und “Spandau Ballet” vorbei), ohne nur Schlagzeilen und BRAVO-Poster zu reproduzieren. Gleichzeitig bemüht er sich, Boy George als sehr ambivalenter Figur gerecht zu werden, ohne ihm eine Tiefe anzudichten, die vermutlich unglaubwürdig und prätentiös wirken würde. Autor Tony Basgallop glorifiziert seinen Protagonisten nicht, hat aber genug Respekt, ihn um der Schockwirkung willen nicht in die Pfanne zu hauen.

Neben der detaillierten Rekonstruktion einer schwierigen Zeit punktet “Worried about the boy” vor allem mit einem sorgsam ausgesuchten und wirklich überragenden Cast. Douglas Booth verschwindet förmlich hinter der Maske von Boy George, Komiker Mathew Horne spielt seinen bisexuellen Lover/Drummer Jon Moss mit erstaunlicher Reife und “Sherlock Holmes”-Mitneuerfinder Mark Gatiss hat sichtlich Spass, sich in der Rolle des schrägen Malcolm McLaren auszuleben.

Sie alle sind Kinder ihrer Zeit, experimentieren mit ihrer Sexualität, neuen Definitionen von Ruhm, Leistung, Geschlecht. Ich war nicht dabei, hätte nie dazu gehören können, aber hier entwickle ich erstmals ein Verständnis dafür, was den Reiz dieser Szene ausmachte – und warum man durchaus Bewunderung verspüren kann für Menschen, die ihre Highs ebenso kompromisslos ausleben wie ihren Herzschmerz.

Wer von “Worried about the boy” so eine Art fiktionales “I love the 80’s” erwartet, sollte allerdings lieber draußen bleiben. Die Musik orientiert sich nicht an Charts-Nostalgie, von Culture Club hören wir nur ein paar Proben und zum Finale eine verkürzte Version von “Do you really want to hurt me?”. Videoclip-Ästhetik? Fehlanzeige. Dies. Ist. Ein. Film.

Es verwundert nicht, dass die Engländer in der Lage sind, eine so kinotaugliche (und kinoformatige) Musik-Biographie mal eben als TV-Film zu produzieren. Warum geht das hierzulande nicht – bieten die wilden Jahre der Ärzte, der Hosen, selbst Nena oder Modern Talking nicht Stoff genug, aus dem sich eine spannende Geschichte stricken ließe? Geschenkt. Mit “Worried about the boy” als Maßstab wäre ich allerdings sehr erfreut, wenn die Briten eine lose Reihe solcher Filme über ihre Musik-Heroen drehen würden.

Fazit: Eine schön ausgestattete, sehr gradlinige, erfreulich unzynische und urteilsfreie Biographie einer 80er-Ikone.

http://www.youtube.com/watch?v=94WR3pdeCUo



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Comicfreak
Comicfreak
22. August, 2012 13:19

..klingt interessant;
aber die deutsche Version dazu mit Nena????

Veronica Ferres mit schwarzen Haaren in der Hauptrolle, Heino Ferch als ihr Manager, dazu kommt dann eine unerfüllte Liebe, die beide an innerer Größe wachsen lässt und so erst zu wahrer künstlerischer Größe führt, evtl. eine Fehlgeburt, dramatische innere Kämpfe um neuen Seelenfrieden und dann -Schwenk- die heutige Nena, in sich ruhend, beim Gastunterricht in einer Montessori-Schule, wo sie einem Mädchen erklärt:

“Du, du musst das einfach fühlen, so ganz tief da.”
(Überbisslächeln, Ausblenden)

*flücht*

Wortvogel
Wortvogel
22. August, 2012 13:30

@ Comicfreak: genau das meine ich ja – so würde die deutsche Fassung vermutlich aussehen. Ich wünsche eine Aufarbeitung dieser Pop-Heroen, wie es die Briten so leicht hinbekommen.

Howie Munson
Howie Munson
22. August, 2012 15:00

Richy Guitar war ja leider fiktiv und nicht sonderlich gut…

http://www.youtube.com/watch?v=KwuTLGZdYMM

na toll jetzt funktioniert das einbetten vernünftig und dann muss man den Film doch auf youtube kucken… *g*

Der Karsten
Der Karsten
22. August, 2012 15:48

“Warum geht das hierzulande nicht – bieten die wilden Jahre der Ärzte, der Hosen, selbst Nena oder Modern Talking nicht Stoff genug, aus dem sich eine spannende Geschichte stricken ließe? ”

Hallo??? “Dieter – Der Film”? Diese virtuose Mischung aus historischen Fakten und autobiografischen Erzählungen?? 🙂

Ok.. der Film ist Grütze. ^^

Peroy
Peroy
22. August, 2012 16:16

“arum geht das hierzulande nicht – bieten die wilden Jahre der Ärzte, der Hosen, selbst Nena oder Modern Talking nicht Stoff genug, aus dem sich eine spannende Geschichte stricken ließe?”

“Die wilden Jahre von Die Ärzte” muss das heißen…

Marcus
Marcus
22. August, 2012 18:09

@Peroy: genau!

Peroy
Peroy
22. August, 2012 18:15

“Die wilden Jahre von Die Ärzte… AUS Berlin !”

McCluskey
McCluskey
23. August, 2012 19:29

Das Bronski Beat-Video bringt mich auf eine Off Topic-Frage, vielleicht weiß der Hausherr oder einer der Anwesenden eine Antwort: Wie ist eigentlich die derzeitige rechtliche Lage beim Einbetten von auf YouTube liegenden Musikvideos (die sicherlich auf urheberrechtlich problematische Art und Weise dorthin gelangt sind) in private Blogs? Ich frage das deshalb, weil ich in meinem derzeit aus Zeitgründen etwas vernachlässigten Blog eine Kategorie habe, in der ich Erinnerungen und Anekdoten zu einzelnen Songs erzähle, die in meinem Leben in irgendeiner Form eine Rolle gespielt haben. Eigentlich wären die Artikel erst komplett, wenn das passende Lied per Clip mit drin wäre, aber bisher bin ich davor zurückgeschreckt, da sich recht widersprüchliche rechtliche Einschätzungen dazu im Netz finden. Und ich hab wenig Lust, wegen ein bissel privater Schreiberei diverse Juristen mit zuviel Tagesfreizeit auf den Plan zu rufen. Hat da jemand eine erschöpfende Auskunft?