06
Jun 2012

Kultkritik: Die letzte Folge

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Es wird gerne vergessen, dass das deutsche Kriminalfernsehen in den 60ern aus mehr bestand als Durbridge-Mehrteilern und “Stahlnetz”. Ganz wie in den USA gab es eine beträchtliche Menge an Theater-Adaptionen, auch wenn der Live-Aspekt hierzulande nicht so dominant war. Die Vorteile liegen auf der Hand: Stoffe gab es genug, der Aufwand an Sets hielt sich in Grenzen und auch der Cast war überschaubar. Natürlich geriet bei solchen “ausgestrahlten Stücken” der filmische Aspekt gerne mal in den Hintergrund – aber den Anspruch, der großen Leinwand Konkurrenz zu machen, hatte das deutsche Fernsehen damals sowieso nicht.

“Die letzte Folge” ist ein gutes Beispiel dieser Gattung. Mit Helmut Lange, Ralf Wolter und Ivan Desny hochkarätig besetzt, spielt die Adaption eines französischen Kriminalstücks – einer Sitcom ähnlich – ausschließlich im ausladenden Wohnraum eines mondänen Landhauses, das durch einen schweren Sturm von der Außenwelt abgeschnitten ist. Ein Krimi-Drehbuchautor und sein Partner brüten dort in Gesellschaft einiger Freunde über dem Skript zur letzten Folge ihrer aktuellen Hitserie. Das Problem: Sie haben sich in eine Ecke geschrieben – der postulierte perfekte Mord ist per Definition nicht aufklärbar. Das weitaus größere Problem: Der Mord geschieht tatsächlich – und einer von ihnen ist der Täter. Finden die Anwesenden Mörder, Motiv und Methode in dieser Nacht – und damit den Plot für “Die letzte Folge”?

Natürlch musste gerade ich als Drehbuchautor ein ums andere Mal grinsen, was uns hier als normaler Ablauf einer Skriptsitzung verkauft werden soll. Das kann nur jemand geschrieben haben, der noch nie mit einem Drehbuchautor auch nur beim Bier gesessen hat. Niemand schreibt eine Krimiserie, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie er den Fall auflösen soll. Keine Produktionsfirma erpresst Autoren mit Deadlines. Dialoge werden nicht am Telefon durchgegeben. Alles Kappes, das nur als Setup für ein Agatha Christie-eskes Mystery dient, in dem sich alle Beteiligten angesichts des Mordes bemerkenswert nonchalant und entspannt geben.

Trotzdem entwickelt “Die letzte Folge” eine erstaunliche Sogwirkung, weil hier eine Reihe wirklich ausgezeichneter Darsteller in einem sehr fokussierten Umfeld agiert und das Whodunit sauber konstruiert ist – auch wenn die Auflösung zum Schluss etwas plötzlich und expositionslastig präsentiert wird. Das ist vielleicht der begrenzten Laufzeit von gerade mal einer guten Stunde geschuldet. Besonders gefallen hat mir, dass es keinen Protagonisten im Sinne eines Helden gibt – JEDER ist verdächtig und wir können uns auf keinen väterlich-strengen Kommissar für die Aufklärung verlassen.

Die Produktion ist zwar vom Aufwand her sehr begrenzt, gefällt aber durch stimmungsvolle Kameraarbeit und exzellente Beleuchtung, die mehr Tiefe und Blickwinkel zumindest andeuten, als die reine Bühne bieten kann. Ein effektiver, wenn auch manchmal etwas zu überhastet einsetzender Jazzscore verschafft zusätzlich Spannung. Die Bildqualität ist für eine Aufzeichnung, die nie für die Ewigkeit gedacht war, erfreulich klar und kontraststark.

Besonders gefallen hat mir ein verstörendes Gemälde, das im Hintergrund hängt und keine Relevanz für den Plot besitzt – schade, dass man sowas heute nicht bei Auktionen ersteigern kann:

Kurzum: Im Gegensatz zum verstaubten “Percy Stuart” und dem lustlos hingeschlampten “Feuer frei auf Frankie” ist “Die letzte Folge” ein wirklich sehenswerter Trip für TV-Nostalgiker, die für die etwas statische Produktion mit einer cleveren Story und einigen bemerkenswerten Performances belohnt werden. Kein Kult, aber eine Perle.



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

3 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Snyder
Snyder
6. Juni, 2012 08:20

wah, dieses Gemälde liess mich jetzt echt gerade erschaudern.
Wtf, sixties, wtf …?!

Howie Munson
Howie Munson
6. Juni, 2012 10:35

Niemand schreibt eine Krimiserie, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie er den Fall auflösen soll.

naja Mysteryserien werden ja schon so geschrieben, auch wenn sie dadurch nachträglich Fans verlieren… *duck*

Peroy
Peroy
6. Juni, 2012 18:56

Das Bild is’ mal echt gut…