11
Feb 2012

Das alleine Wochenende

Themen: Neues |

Früher gab es in meinem Leben nur alleine Wochenenden. Die waren wie die alleinen Wochentage, nur mit geschlossenen Geschäften und ohne Daily Soaps. Sie sammelten sich zu austauschbaren alleinen Jahren in einem austauschbar alleinen Leben.

Seit zwei Jahren teile ich nun mit der LvA Raum und Zeit. Es gibt noch alleine Stunden, aber keine Tage, keine Wochen, hoffentlich keine alleinen Jahre mehr. Sie ist da, auch wenn sie gerade nicht hier ist. Sitze ich auf dem bequemen Sessel im Arbeitszimmer und lese, höre ich sie duschen, telefonieren, aufräumen. Sie räumt gerne auf. Trinke ich ein Glas leer, ist sie in meinem Kopf – und ich stelle es in die Spülmaschine. Hole ich die Post auf dem Briefkasten, sind die meisten Umschläge an sie adressiert. Ich esse, was wir essen möchten, schaue, was wir schauen wollen.

Jetzt ist die LvA für ein Wochenende lang weg.

Die Wohnung hält den Atem an, wenn sie nicht da ist. Es bollert keine Waschmaschine, keines ihrer in den Räumen verteilten Radios sorgt zu leise gestellt für ein melodisches, aber nie wirklich greifbares Hintergrundrauschen. Ich habe mir Aufgaben gestellt, die ohne Brittas antreibende Präsenz sofort von der Agenda zu fallen drohen. Den neu gepolsterten Hocker von der Schneiderin abzuholen, schaffe ich gerade noch. Auf dem Rückweg einen Brief in den Briefkasten zu werfen, kostet schon Überwindung. Und dann: Stille. Wärme. Sofa.

Diebisch grinsend kommt die Faulheit zu Besuch, meine einzige, altvertraute Gesellschaft in diesen Stunden.

Es gab in den letzten zwei Jahren genug Tage, an denen ich das vermisst habe. Sie weiß es auch und ist mir nicht böse. Wenn man so lange nur “ich” denkt, ist das “wir” ein ungewohntes, manchmal sogar beängstigendes Wort. Das “ich” ist vielleicht allein, aber es ist auch frei. Das “wir” macht alles zum Plural, auch wenn das “ich” manchmal nur bei sich selbst sein will. Doch nun bin ich für 48 Stunden wieder Singleular.

Manche Männer betrügen ihren Frauen, wenn die aus dem Haus sind. Andere betrinken sich, weil es endlich mal niemand merkt. Auch ich rebelliere, wenn auch in beschämend kleinem Maß: Ich lasse den Klodeckel oben, kämme mir nicht die Haare, frühstücke erst um 14.30 Uhr, nachdem ich einen langen Blogbeitrag geschrieben habe. Dann lasse ich das Geschirr auf dem Tisch stehen. Es ist die Freiheit des Alleinen, dessen Handlung keine Konsequenzen hat, wenn er ihr keine zumisst. Ich muss kein frisches T-Shirt anziehen, weil niemand sagt: “Mein Prinz, du müffelst ein bisschen”.

Draußen ist es kalt, meine Puschen sind schön warm.

Ich sitze auf dem Sofa und als ich schläfrig werde, mache ich einfach die Augen zu. Dösen. Es ist 16.00 Uhr an einem Samstag, an dem ich nicht einkaufen gehe. Ich brauche mir keine Gedanken machen, dass die gemeinsame Bettzeit durch die zu erwartende Nachtenergie torpediert wird. Bettzeit ist, wenn ich ins Bett will. Heute Abend brauche ich mir die Zähne nicht zu putzen. Und dann kann ich ohne schlechtes Gewissen schnarchen, dass die Wände wackeln.

Ich esse Klösse aus vorgefertigtem Teig und Hackfleischrouladen aus der Mikrowelle. Dazu lese ich in einem alten Jahresband “Titanic”. Fast wie früher. Ich erinnere mich plötzlich an die alleinen Wochenende in meinem kleinen Haus, das Horchen auf die Geräusche glücklich spazierender Menschen draußen. An DVD Box Sets und end- wie fruchtlose Diskussionen im Badmovies-Forum. An den kleinen Stich, dass ein Samstag Abend allein eben noch alleiner ist als ein Montag oder ein Mittwoch. Und mit jedem Jahr ein wenig alleiner wird. Plötzlich tut mir dieser Single leid, der sich selbst nie leid tat – und ich weiß, dass es nicht fair ist. Er war sehr zufrieden. Er wusste nur nicht, was ich weiß.

Ich stehe auf, gehe in die Küche – und erinnere mich nicht, was ich da will. Mein Körper ist auf Standby, ich bin nicht satt und nicht hungrig, weder gelangweilt noch aufgeregt. Hundert Dinge, die ich tun könnte, aber nicht ausreichend genug tun muss. Auf der Festplatte finde ich ein TV-Special über Standup-Comedy. Es bringt eine Stunde rum. Eine Ebay-Auktion. Zehn Minuten. Ich kann ihre Valentinstags-Geschenke einpacken, ohne befürchten zu müssen, dass sie dabei reinkommt. Mir fällt ein und auf, dass ich dafür kein Talent habe, das Papier reißt und knüddelt. Normalerweise macht sie das immer. 15 Minuten.

Das “ich” kapituliert. Es vermisst das “wir”.

Ich räume die Spülmaschine ein, sortiere die Post und putze mir vor dem Schlafengehen doch noch die Zähne. Dabei klappe ich beiläufig den Klodeckel herunter.

Morgen kommt die LvA wieder. Ich werde sie vom Bahnhof abholen, in die Arme schließen und ihr dann den Trolly zum Auto rollen. Sie wird erzählen, wie es war und ich werde nur denken: Bin ich froh. Das alleine Wochenende ist vorbei.



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Marko
11. Februar, 2012 21:58

Jau, kann ich gut nachvollziehen! Ich erlaube mir eine eigene, vermutlich recht ähnliche Variante davon:

Vor einigen Jahren bin ich nachts zur Tankstelle über die Straße gegangen, um Chips und Cola zu kaufen. Es war Sommer, drei Uhr durch und T-Shirt-Wetter. Ich war damals mitten im Studium und mir nicht wirklich bewußt, dass ich nun auch schon ein Jahr lang Single war. Als ich mitten auf der Straße stand, zwischen zwei Straßenlaternen, inmitten dieser warmen Sommernacht, hatte mich eine seltsame Zufriedenheit erfüllt: Ich konnte machen, was ich wollte. Ich war frei. Das hat mich damals irre glücklich gemacht.

So einen Moment habe ich nie wieder gespürt. Heute, mit Frau und Kind, denke ich an diesen Sommernachtsmoment immer dann, wenn ich mal alleine zu Hause bin … und das ist sehr, sehr selten. Aber WENN es mal passiert, dann freue ich mich über die Erinnerung — weil ich mich damals über das Alleinsein freuen konnte, weil ich es noch gut in Erinnerung habe, und weil ich heute nicht mehr alleine bin. Wenn Frau und Kind aus dem Haus sind, dann vermisse ich sie erst, wenn ich das Alleinsein ausgiebig genutzt habe: Betrunken Computerspiele spielen, Schlendrian raushängen lassen, Comichefte überall verstreuen. Achja, und rülpsen und furzen. 😀

… nunja, zumindest rede ich mir EIN, dass ich erstmal niemanden vermisse. Aber ich weiß auch, dass ich das Alleinsein heute nicht mehr genießen könnte, wenn nicht die Aussicht auf baldige Wieder-Gesellschaft durch Frau und Kind wäre. Dieses kleine Quentchen RICHTIGES Alleinsein, das ich damals spürte, stellt sich heutzutage nicht mehr ein. Aber das ist auch okay so, denn – Achtung, es wird kitschig – die Glücksgefühle, die ich durch die Geburt meines Sohnes erleben durfte, haben mich schlicht von den Füßen gerissen und lassen mich über das damalige nächtliche Tankstellenglück nur milde lächeln.

Und dennoch … toll war es trotzdem. Alleinsein kann schön sein, wenn man es wertschätzen kann 🙂

Dietmar
11. Februar, 2012 22:56

Wenn man wirklich schreiben kann, kann man von sich erzählen und dabei kommt dann eine schöne Liebeserklärung wie oben heraus.

Das letzte Mal für längere Zeit war ich allein, als meine Frau unseren Sohn zu seiner Kur begleitet hat. Vier Wochen. Die ersten, ja, vielleicht zwei Tage gingen noch, aber dann wurde das unerträglich. Mein Schwager ist jetzt zuhause alleine, nachdem seine Jungen natürlich schon ausgezogen sind und meine Schwester gestorben. Ich habe ihn schon eine Weile nicht angerufen. Angst vor der Situation und vor der Vorstellung, wie man mit soetwas fertig werden soll.

Meine Single-Jahre liegen schon unglaublich lange zurück und fallen in eine Zeit, wo das auch gut so war. Jetzt möchte man das Beisammensein so gut wie möglich konservieren.

Karsten
Karsten
11. Februar, 2012 23:05

Ich halte es da wie Marco: Die Erinnerung ist schön.. aber mit Frau und Kind muss man nicht mehr zwingend alleine sein. 😉 Ist schon ok so wie das ist.

Wortvogel
Wortvogel
11. Februar, 2012 23:07

@ Karsten: Ich habe Julians Kommentar auf eigenen Wunsch gelöscht.

Montana
Montana
12. Februar, 2012 07:15

Wortvogel, der Strohwitwer.

Meine Wochenenden wechseln sich ab. Der Unterschied: An den einen Sonntagen wäre ich jetzt schon wach, an den anderen bin ich es noch. 🙂

Rex Kramer
Rex Kramer
12. Februar, 2012 08:28

Wahre Worte!

Ach ja: darf ich bei der Gelegenheit noch loswerden, dass ich das Kürzel LvA nicht mag? Klingt nach Landesvollzugsanstalt und Gefangenschaft. Und dass die Assoziation falsch ist, wird spätestens nach diesem Eintrag klar. Britta ist soviel schöner 😉

Übrigens, wenn man Kinder hat, bekommt das dann noch mal eine andere Dimension. Unsere sind jetzt 15 und 20 und beide werden uns dieses Jahr verlassen. Der jüngere, weil er für 1 Jahr in die USA geht, der Ältere, weil er in Berlin studieren wird. Die Zweisamkeit rückt wieder in den Mittelpunkt, verbunden mit der Frage: Was tut man, wenn die Kinder weg sind? Kino, Theater, Kneipe? Freunde treffen, verreisen, wandern? Im Ernst, ich habe mir jede Menge Wanderführer Schwäbische Alb + Kartenmaterial gekauft. Aktionismus in Folge von Panik. Die Angst, dass man sich nach 25 Jahren vielleicht nichts mehr zu sagen hat. Bruni ist oft berufsbedingt unterwegs, und so stehen mir einige einsame Tage (und Nächte) bevor. Mich graust jetzt schon davor. Aber ich bin auch neugierig und optimistisch. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt.

m3adow
12. Februar, 2012 09:14

Schön geschrieben. Ich schließe mich dem Kommentar von Dietmar an.

Exverlobter
Exverlobter
12. Februar, 2012 09:36

“Ich werde sie vom Bahnhof abholen, in die Arme schließen und ihr dann den Trolly zum Auto rollen.”

Richtige Männer tragen das Gepäck und ziehen es nicht hinter sich her 🙂

Dietmar
12. Februar, 2012 09:50

@Rex: Man will ja, dass sich das Kind die Welt für erobert, aber eigentlich graust es mich davor, dass das mal so weit ist. “Was tut man dann?” ist eine sehr gute Frage.

Karsten - der zweite
12. Februar, 2012 10:28

Sehr schon geschrieben 🙂

Wortvogel
Wortvogel
12. Februar, 2012 11:07
Karsten
Karsten
12. Februar, 2012 11:27

@Karsten: Endlich hab ich den Nick mal zuerst geblockt 😀 😀

@Rex: Meine Tochter ist gerade erst 1.. da geht es noch. Ich will gar nicht wissen, was ich in 15 – 17 Jahren mache, wenn sie anfängt, sich abzunabeln. Wie vergraule ich ihre Freunde? *G*

Uli
Uli
12. Februar, 2012 13:03

Oh wie süss, schön zu lesen das es anderen Männern auch so geht 🙂
Die ersten paar Stunden Strohwitwer sind meist ganz schön, aber spätestens beim schlafen gehen vermisst man die bessere Hälfte.

DMJ
DMJ
12. Februar, 2012 13:37

Ich bin deprimiert… Kann Peroy nicht eine schöne Grobheit einwerfen? 🙁

Olsen
12. Februar, 2012 15:08

Als sehr sporadischer Leser frage ich mich, was LvA wohl heißen mag.

Uli
Uli
12. Februar, 2012 15:09

“Liebste von allen”

ohje
ohje
12. Februar, 2012 19:26

@Wortvogel: schöner text 🙂

@Olsen(#15):das habe ich auch schonmal gefragt und nie ne antwort bekommen;)

Dietmar
12. Februar, 2012 19:28

@ohje: “das habe ich auch schonmal gefragt und nie ne antwort bekommen”

Das kann so nicht bleiben!

“Liebste von allen”

Bitte schön. 😉

Who knows?
Who knows?
12. Februar, 2012 21:08

Einmal mehr ein sehr schöner Text – das ist genau der Grund, warum man auch als Nicht-Film-Experte so gerne hier ist 🙂

Und mal wieder kommt mir vieles in dem Text aus meinem Leben bekannt vor 🙂

Ich kann nicht fassen, dass ich mit meiner Maus jetzt schon über 15 Jahre zusammen bin… Und keine Sekunde je bereut 🙂

Comicfreak
Comicfreak
12. Februar, 2012 21:14

*seufz*

..also, ich bin mir ziemlich sicher, dass es dem Göttergatten nicht mal vor 20 Jahren so ging.
Er und seine Brüder halten den aktuellen Weltrekord im “sogar-in-Gesellschaft-alleine-und-nicht-da-sein”.

ohje
ohje
13. Februar, 2012 19:34

danke @Uli und Dietmar! 🙂

ps:hab Ulis kommentar versehentlich überlesen,sorry 😉

thor
thor
15. Februar, 2012 12:43

Tja, was soll ich sagen, schöner Text, manche Dinge werden einem erst bewusst, wenn sich was ändert.
Alleinsein geniessen….
klappt aber wohl nur, wenn man weiss, das es nur Temporär ist und das “wir” um die Ecke auf einen wartet.

Von 13 Jahre “wir” auf “ich” zurück. 🙁

Wortvogel
Wortvogel
15. Februar, 2012 12:46

@ Thor: Tut mir leid für dich. Ich habe mich nie als “allein” empfunden, gerade weil ich es nicht besser wusste. Ich kann mich nicht erinnern, damit je unglücklich gewesen zu sein. Das “ich” weiß es durchaus zu schätzen, wenn man ihm Platz lässt.

Aber es ist vielleicht wie mit der Arbeitslosigkeit – ein Jahr nichts tun ist eine geile Sache, wenn man weiß, dass danach wieder alles flutscht. Ein Jahr nichts tun, wenn man keine Ahnung, ob und wie es danach weitergeht – das ist die Hölle.

thor
thor
16. Februar, 2012 13:40

Jepp, das meinte ich 🙂