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Sep 2011

“Gott, habe ich dieses Buch gehasst”: Ein Interview mit Übersetzer und Autor Joachim Körber (1)

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Es war ein dolle Geschichte, die ich gerne geschrieben habe und die auch für entsprechendes Feedback sorgte: der Reimann/Körber-Krieg in der “Phantastische Zeiten” anno 1988. Nun entspricht es nicht meiner journalistischen Ader, immer nur aus zweiter und dritter Hand zu berichten. Nicht bei Kammermeier, nicht bei Vorlander, nicht bei Wolff – und schon gar nicht hier. Ich will die Beteiligten vor das imaginäre Mikro dieses Blogs zerren, damit sie Rede und Antwort stehen.

Nun ist Gero Reimann leider schon verstorben. Bleibt Körber. Der ist nicht nur quicklebendig, sondern auch ausnehmend freundlich. Also programmierte ich flugs mein “Frag-o-Meter”, die handelsübliche Sackladung Unverschämtheiten auszuspucken, ganz nach dem Motto: “Was Sie schon immer mal über einen der bekanntesten deutschen Übersetzer wissen wollten – aber bisher nie zu fragen wagten”.

Der Wortvogel wagte. Und Joachim Körber nahm sich RICHTIG Zeit, ausführlich zu antworten. Holt euch einen Tee und ein paar Kekse – dieses Interview ist so spannend wie umfangreich. Um den Rahmen nicht zu sprengen, habe ich es in zwei Teile gesplittet.

Foto Körber: (c) Dieter Jooß Die meisten Übersetzer, die ich kenne, sind nicht diplomiert oder studiert, sondern kommen aus ganz verschiedenen Ecken als Quereinsteiger. War das bei Ihnen auch so?

Ja, das war bei mir kein bisschen anders. Ich bin mehr oder weniger zu dem Job gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Von Haus aus bin ich eigentlich Naturwissenschaftler – Chemiker –, was die Wenigsten wissen, da ich eigentlich auch selten darüber rede. Ich habe den Beruf zwar erlernt, aber nie ausgeübt.

Zum Übersetzen kam ich durch Hans Joachim Alpers. Ich hatte 1978/79 erste Beiträge für seine Science Fiction Times geschrieben, und als er dann Herausgeber der Knaur-Reihe wurde, habe ich eine Probeübersetzung für ihn gemacht, die ihm gefallen hat. Natürlich muss ich aus heutiger Sicht sagen, dass meine damaligen Übersetzungen eine Katastrophe waren, auch wenn sie bei den richtigen Leuten gut angekommen sind.

Was (und wann) war ihr erstes “großes” Übersetzungsprojekt?

Ich habe insgesamt drei Kurzgeschichten für Hans Joachim Alpers übersetzt, sozusagen als Probeübersetzungen, dann ist er zu Moewig gegangen, und mein erster großer Auftrag war da die Übersetzung des Bandes The Best Of Eric Frank Russel, den ich übrigens bis heute als Science-Fiction-Autor in hohen Ehren halte.

Wie wird man “Hausübersetzer” von Stephen King?

Auch dazu kann ich nur sagen, man kommt dazu wie die Jungfrau zum Kind. Bei Heyne hat ja zunächst Alexandra von Reinhard die King-Bücher übersetzt. Die Übersetzungen sind damals unglaublich kritisiert worden, daran erinnere ich mich noch, und eines Tages rief mich der Cheflektor von Heyne an und meinte, dass Frau von Reinhardt sich in ihren Terminen verheddert habe und ob ich vielleicht den neuen King übersetzen würde. Natürlich habe ich ja gesagt, und dann kam der Pferdefuß: Die Übersetzerin hatte den Verlag so lange im Unklaren darüber gelassen, dass sie die Übersetzung nicht rechtzeitig schafft, bis der Erscheinungstermin gefährdet war.

Ich hatte ganze acht Tage Zeit, um Die Augen des Drachen zu übersetzen, „meinen“ ersten King; ich habe dem Cheflektor gesagt, dass ich auch dazu bereit, wenn ich dafür fortan alle Kings übersetzen könnte, und er war einverstanden. Und dann habe ich King fast dreizehn Jahre lang für Heyne übersetzt. Und das mit den knappen Terminen blieb dann übrigens so. Es wurde jedes Frühjahr und jeden Herbst ein neuer King eingeplant, ob einer im Haus war oder nicht. Meistens kamen die Manuskripte fürchterlich spät – einmal habe ich mir von meinem Hausarzt Captagon verschreiben lassen, damit ich wach bleibe, und habe dann drei Tage und drei Nächte durchgetippt, eine Nacht geschlafen und dann von vorne.

Heute würde ich so etwas nicht mehr machen, weil ich es wohl auch gesundheitlich gar nicht mehr durchhalten würde. Und logischerweise leidet die Qualität einer Übersetzung unter solchen Gewaltaktionen. Trotzdem habe ich mich immer bemüht, sie so gut zu machen, wie ich konnte.

Übersetz(t)en sie nach Stunden (z.B. sechs pro Tag) oder nach Seiten (auch da: sechs pro Tag)?

Das kam und kommt natürlich immer auch ein wenig auf die Termine an, wie Sie eben gehört haben – manchmal übersetzt man mehr, manchmal weniger. Mit sechs Seiten pro Tag ist es aber nicht getan; davon könnte man definitiv nicht leben, auch wenn Ihnen manche Kollegen etwas anderes sagen. Ich erinnere mich noch gut, wie Christel Wiemken, die King für Hoffmann und Campe übersetzt hat, mal zu mir an den Buchmessenstand gekommen ist und sehr geringschätzig gesagt hat, ihr sei unbegreiflich, wie ich die King-Übersetzungen so schnell machen könnte. Sie meinte dann, dass sie maximal zwei Manuskriptseiten pro Tag übersetzt und dann daran feilt und überarbeitet und gründlich recherchiert.

Das ist Blödsinn.

Ich weiß ja zum Beispiel, weil das alles über Heyne ging, wann sie Der Talisman zum Übersetzen bekommen hat und dass sie die Übersetzung drei Monate später abgegeben hat, genau wie ich meine – hätte sie wirklich nur zwei Seiten pro Tag gemacht, hätte sie für die Übersetzung dreieinhalb Jahre gebraucht!

Wie lief das in den 80ern – haben Sie mit Schreibmaschine und Wörterbuch gearbeitet, waren die Vorlagen Druckfahnen oder fertige Romane?

Ja, man kann sich das alles heute gar nicht mehr vorstellen. Am Anfang habe ich mit Schreibmaschine gearbeitet, so richtig klassisch. Da ich als bekennender Altlinker natürlich extremes Misstrauen gegenüber Computern empfand, von wegen Orwell-Staat und so, man war ja damals doch recht naiv als in den siebziger Jahren und im Kielwasser der 68er Sozialisierter, habe ich mich auch lange gesträubt mit einem PC zu arbeiten. Schön blöd, kann ich aus heutiger Sicht dazu nur sagen; ich könnte mir ein Arbeiten ohne Computer gar nicht mehr vorstellen.

Was die Vorlagen angeht, das war unterschiedlich. Anfangs bekam ich immer Bücher, aber je mehr die Phantastik auf den Bestsellerlisten landete, desto schneller wurde das alles. Bei Stephen King wurde manchmal direkt aus dem Manuskript übersetzt, damit die Bücher zeitgleich in den USA und hier erscheinen konnten. Was dann im Falle von Es natürlich auch grandios schiefgegangen ist, denn hier hat Heyne die erste Fassung des Manuskripts übersetzen lassen, die der Autor derweil noch einmal vollkommen überarbeitet hat.

Was machte man in den 80ern (prä-internet), wenn man einen Begriff absolut nicht zuordnen und damit auch nicht übersetzen konnte?

Ja, das waren die guten alten Zeiten, als Übersetzen noch richtig Handarbeit war. Ich kenne Kollegen, die haben alles Mögliche gehortet, amerikanische Kataloge mit Anglerbedarf, Schusswaffen, Kleidung, Lebensmitteln, damit sie zu den Begriffen Bilder hatten und dann über die entsprechenden Bilder in deutschen Katalogen suchen konnten. Oder man ist eben in die Bibliothek gewandert, in meinem Fall die Badische Landesbibliothek in Karlsruhe, und hat Begriffe gesucht.

Ich hatte das Glück, dass zwischen Linkenheim, meinem damaligen Wohnort, und Karlsruhe eine Kaserne der Amerikaner lag. Viele Familien der dort stationierten Soldaten und Verwaltungsangestellten lebten in Linkenheim, und ich war aus der Schulzeit noch mit einigen, bzw. deren Kindern, befreundet und konnte so direkt nachfragen. Zum Telefon greifen musste man dann schon. Als Jugendlicher hatte ich einen amerikanischen Freund, der uns immer in die an sich Amerikanern vorbehaltenen Geschäfte und Clubs rund um die Kasernen herum reingeschleust hat, und da habe ich schon viel von den umgangssprachlichen Ausdrücken und der amerikanischen Lebensart aufgeschnappt, die mir dann später beim Übersetzen von Stephen King so nützlich waren.

Wurde man damals nach Manuskriptseite bezahlt, wie heute? Oder nach Stunde? Pauschal?

Man wurde damals wie heute nach Manuskriptseiten bezahlt, das ist eine genormte Seite, doppelzeilig getippt, mit 30 Zeilen zu ca. 60 Anschlägen.

Entwickelt man persönliche Vorlieben für bestimmte Genres oder bekommt man die eher willkürlich zugeteilt?

Natürlich hat man seine Vorlieben. Ich habe mich schon als Kind zur Phantastik hingezogen gefühlt, und darum wollte ich sie natürlich auch übersetzen. Und man geht dann natürlich zum Verlag und sagt, was man möchte. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Liebesromane zu übersetzen, weil ich nichts davon halte.

Kennen sich Übersetzer untereinander, bildet man Cliquen, oder bleibt man doch Einzelkämpfer?

Also ich für meinen Teil bin schon in der Schule immer ein Einzelgänger gewesen, und ein „einsamer Wolf“ bin ich an sich bis heute geblieben. Aber natürlich ist es wie in jedem Beruf, man hat Arbeitskollegen, auch wenn sie nicht im selben Büro sitzen, und mit manchen versteht man sich gut, mit anderen eben nicht. Heute habe ich offen gestanden so gut wie keinen Kontakt mehr zu Übersetzerkollegen, abgesehen von Andreas Kasprzak, mit dem mich nach wie vor eine enge Freundschaft verbindet, dafür aber zu Autoren und Illustratoren, die teils auch für meinen Verlag arbeiten. Soweit sie – mehr oder weniger – aus der Gegend sind, treffen wir uns regelmäßig einmal im Monat in Mainz zu einem „Phantastenstammtisch“, über den sogar schon die Lokalpresse berichtet hat. Zu den regelmäßigen Teilnehmern gehören Bernd Perplies, Christian Humberg, Steffen Winkler, der Journalist Thomas Scholz, Tim Lemke von der Zeitschrift Virus, und die Autoren Jens Lossau und Jens Schumacher – besondere die Freundschaft zu Letzteren ist mir sehr wichtig.

Hatten Sie viel Kontakt zu den Autoren, die Sie übersetzt haben? Wie muss man sich das vorstellen?

Es ist immer nützlich, wenn man die Autoren kennt, die man übersetzt, und ich habe im Lauf der Jahre viele kennengelernt. Die meisten Leute denken ja immer, Horror-Autoren seien garstige, bösartige, heimtückische Fieslinge mit Buckel und Triefaugen – aber die Meisten, die ich persönlich kennengelernt habe, gehören zu den nettesten Menschen, die man sich vorstellen kann: Clive Barker, Peter Straub, Ramsey Campbell, Norman Spinrad, Jack Vance, Richard Matheson, Michael Moorcock, John Sladek … sie alle sind oder waren überaus umgänglich. Außer Stephen King, mit dem hatte ich brieflich und telefonisch zu tun und habe ihn als äußerst schwierigen und unangenehmen Menschen empfunden.

Außerdem habe ich, wenn ich das noch anfügen darf, J. G. Ballard kennengelernt, den ich zusammen mit Werner Fuchs in seinem Haus in Shepperton besucht habe. Ballard ist seit Jahrzehnten einer meiner absoluten Säulenheiligen unter den Schriftstellern des zwanzigsten Jahrhunderts, und er war genau der intelligente, gebildete und kultivierte Mensch, den ich erwartet hatte.
Und natürlich William S. Burroughs, den ich 1982 anlässlich einer Ausstellung seiner … na ja, „Bilder“ wäre fast zuviel gesagt … seiner „Objekte“ in einer Kunstgalerie in Basel kennengelernt habe. Er war damals schon weit über siebzig, und dennoch hat sich die Atmosphäre in dem riesigen Galerieraum schlagartig verändert, als er ihn betreten hat. Eine derart übermächtige, kraftvolle Persönlichkeit ist mir vorher und nachher nie wieder begegnet.

Gab es Bücher, bei denen Sie das Gefühl hatten, die passen nicht zum Stil Ihrer Übersetzung – müssen Autor und Übersetzer quasi “auf einer Wellenlänge” liegen?

Zunächst einmal möchte ich dazu sagen, dass man als Übersetzer natürlich keinen eigenen Stil haben sollte – als Autor schon! Als Übersetzer sollte man den Stil des Autors vermitteln, nicht seinen eigenen. Das hat mich zum Beispiel an Kollegen wie Horst Pukallus immer ein bisschen gestört: Hat man eine seiner Übersetzungen gelesen, dann hat man immer Pukallus gelesen, ganz gleich, ob er einen Techno-Thriller von John Brunner oder eine romantische Fantasy von Vonda McIntyre übersetzt hat. Aber es gibt natürlich Autoren, die einem liegen oder einem nicht liegen. Ich weiß noch, Hans Joachim Alpers hat mich einmal gebeten, einen frühen Roman von Marion Zimmer Bradley zu Ende zu übersetzen, weil der eigentliche Übersetzer es nicht geschafft hat …

Gott, habe ich dieses Buch gehasst, was für ein unsäglicher Mist; mir ist unbegreiflich, wie Leute so etwas freiwillig lesen können. Was dann später mit Die Nebel von Avalon nicht anders war. Von diesem kitschigen, hohlen Schwulst kann man doch nicht mehr als einen Abschnitt verkraften. Aber zurück zum Thema, ich denke, es war eine meiner miesesten Übersetzungen, denn wenn man sich schon jeden Morgen mit Widerwillen an die Arbeit macht, kann dabei nichts Gutes rauskommen. Man sollte da als Übersetzer natürlich sachlich und unvoreingenommen sein, aber ich kann das nicht, jedenfalls nicht immer. Und darum sind, denke ich, meine Übersetzungen von Autoren, die ich mag, immer besser. Weshalb ich auch in den letzten Jahren versucht habe, nur noch Sachen zu übersetzen, die mir gefallen – wie zuletzt die Bücher von William Gay für den Arche Verlag. Mann, was für ein Autor! Und die Übersetzung von Nächtliche Vorkommnisse wurde dann natürlich auch in der Presse hoch gelobt, selbst im Spiegel, was mich besonders freut, denn dort erwähnen die Übersetzer eigentlich nur, wenn die Übersetzungen Mist sind und sie die Übersetzer in die Pfanne hauen können.

Die Fehde mit Gero Reimann – sie waren damals ziemlich sauer, oder?

Ach Gott, diese unsägliche Geschichte. Sie haben sie ja jüngst wieder ausgegraben, worüber ich nicht besonders glücklich bin; ich hätte mir gewünscht, dass Gras über die Sache wächst und keiner sie je wieder ans Licht holt. Natürlich war ich ziemlich sauer, aber weniger wegen der Angriffe gegen mich, sondern wegen Reimanns Art, so beckmesserisch von oben runter zu kritisieren und dann selbst nur Mist zu bauen. Die Beispiele falscher Übersetzungen, die er zitiert hat, um zu belegen, was für ein schlechter Übersetzer ich bin, stammten aus den Büchern des Blutes von Clive Barker, und die Übersetzungen waren gar nicht von mir, sondern von Peter Kobbe, dem Mann der damals bei Droemer Knaur zuständigen Lektorin – der vorher natürlich noch nie eine Zeile übersetzt hatte und den Auftrag nur per Vetternwirtschaft bekommen hat! Ich meine, ein Blick in das Buch hätte Reimann das gezeigt. Und dagegen habe ich mich gewehrt.

Die Sache mit Reimann ist dann ziemlich ausgeufert – auch nach dem Ende der “Phantastische Zeiten”, wie man hört?

Ausgeufert würde ich nicht sagen, sie wäre es vielleicht, wenn ich die Sache nicht irgendwann beendet hätte. An sich war mir meine Antwort auf Reimanns Anfeindungen schon peinlich, als sie damals erschienen ist, und ich hätte sie gern ungeschehen gemacht. Da sind natürlich zwei Alpha-Tiere aufeinandergeprallt, die beide Recht hatten. Punkt.

Aber seien wir ehrlich, weder meine literarischen Fähigkeiten noch die Reimanns waren damals so gut, dass wir uns diese unglaubliche Arroganz hätten leisten können, die wir beide an den Tag gelegt haben. Ich habe das irgendwann begriffen und eingesehen und hart daran gearbeitet, meine Übersetzungskünste zu verbessern, er nicht. Und Reimann kam mir in zunehmendem Maße paranoid vor. Als Phantastische Zeiten eingestellt wurde, hat er mir noch eine Zeitlang persönliche Briefe geschrieben, und in einem machte er mir unter anderem den Vorwurf, ich und „die Verlagsmafia“ würden ihn am Publizieren hindern, weil er bekennender Kommunist wäre. Auch das ist, ich bitte um Entschuldigung, völliger Blödsinn gewesen.

Er war natürlich verbittert, weil niemand seinen Sonky Suizid veröffentlichen wollte, einen Roman, den er wohl damals für sein Meisterwerk hielt. Aber „die Verlagsmafia“ gab und gibt es nicht. Verlage sind Konkurrenzunternehmen, die Geld verdienen wollen, und wenn die glauben, dass sie mit einem kommunistischen Autor Geld verdienen können, dann tun die das. Und ich hatte keinen Einfluss darauf, was die Verlage veröffentlichen. Ich bin nicht sicher, ob man dem Autor einen Gefallen tut, wenn man dieses Buch jetzt posthum herausbringt. Erstens einmal ist es wirklich nicht so gut, wie der Autor selbst dachte, und zweitens gibt es die politische Szene der 1970er Jahre, in der Reimann und ich selbst groß geworden sind und von der der Roman handelt, gar nicht mehr. Diese ganzen Anliegen der siebziger Jahre, die uns so furchtbar wichtig waren, interessieren heute ehrlich gesagt keine Sau mehr. Ob das gut oder schlecht ist, sei dahingestellt, aber es ist so.

Fühlten Sie sich von Reimann persönlich attackiert, als wolle er an Ihnen ein Exempel statuieren?

Natürlich fühlte ich mich persönlich attackiert, sonst wäre meine Antwort wohl nicht so hysterisch und übertrieben ausgefallen. Ich sage es noch mal, da sind zwei junge Hitzköpfe mit unglaublichen literarischen Rosinen im Kopf aneinander geraten, zwei zornige junge Männer die beide von sich glaubten, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. Und auch das sage ich noch mal: Wir waren beide damals nicht halb so gut, wie wir selbst dachten.

Aber für mich hat Reimann, und das sehe ich heute noch so, ein Maß an Inkompetenz an den Tag gelegt, das unfassbar ist. Ich meine, wenn einer schreibt, dass er die Romane von James Herbert im Original nicht gelesen, aber auf jeden Fall den Eindruck hat, sie hätten im Englischen mehr „drive“, was immer das bedeuten mag, was soll man dazu sagen? Wenn ich das englische Original eines Buches nicht kenne, kann ich auch nichts dazu sagen. Wie gesagt, am meisten hat mich geärgert, dass die Beispiele für Übersetzungsfehler, die er mir angelastet hat, gar nicht von mir waren.

Und was ich auch sagen muss: Ich habe mich wenigstens ein klein wenig um Objektivität und Sachlichkeit bemüht, während Reimanns Anfeindungen, auch in seinen Briefen an mich, dann immer hämischer und beleidigender wurden, bis ich nicht mehr darauf geantwortet habe. An sich ist das eine tragische Geschichte, denn hätten wir uns unter anderen Umständen kennengelernt, hätten wir vermutlich gute Freunde werden können, denn im Grunde genommen ging es uns beiden um dasselbe: dass die Bücher, die wir liebten, besser gemacht werden.

Foto Körber: (c) Dieter Jooß

Teil 2 des Interviews folgt zeitnah



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Dr. Acula
12. September, 2011 14:32

Sehr schön. Freue mich schon auf Teil 2.

Wizball
Wizball
12. September, 2011 14:49

Schließe mich dem Doc an. Macht Lust auf den hoffentlich genauso interessanten und spannenden zweiten Teil.
Lustig finde ich ja dieses Zitat aus dem Vorwort von “Sonky Suizid” (siehe die Seite zum Buch bei Shayol): ‘Sonky Suizid ist sozusagen die Fortsetzung von Philip K. Dick mit anderen Mitteln. Mit fürchterlichen.’
Ob diese Doppeldeutigkeit wohl Absicht war?

Gregor
12. September, 2011 14:56

Immens cooles Interview!

Doc Knobel
Doc Knobel
12. September, 2011 14:56

Sehr schön und interessant. Es spricht für Körber, dass er wegen der alten Geschichte auch Fehler bei sich selbst sucht. Sehr gutes Interview.

Achim
Achim
12. September, 2011 15:21

Den Talisman hat er also nicht übersetzt?
Von James Herbert habe ich recht wenig gelesen, zu wenig, wie ich finde. Der zweite Teil der Ratten war super, wurde der von Körber übersetzt? Insgesamt ist Herbert jedoch ein Autor, den kleine Buchhandlungen gar nicht im Sortiment haben.
Ich lese sowieso kaum noch Horror, und das nächste Phantasy wird wohl sein, wenn ich zum dritten den HdR lese. Ja, ich bin erst bei zweimal, Schande über mich.

Dr. Acula
12. September, 2011 15:34

Das blöde ist – ich bin jetzt versucht, mir “Sonky Suizid” zu kaufen 🙂

heino
heino
12. September, 2011 17:58

“Ich lese sowieso kaum noch Horror, und das nächste Phantasy wird wohl sein, wenn ich zum dritten den HdR lese. Ja, ich bin erst bei zweimal, Schande über mich.”
Mir hat ein Durchgang schon gereicht. Was für ein langweiliger Quark:-(
Von Herbert kenne ich auch nur ein Buch, den findet man aber häufig in Grabbelkisten und auf Flohmarktständen. Sollte nicht allzu schwer sein, da an die anderen Bücher zu kommen:-))

Marcus
Marcus
12. September, 2011 18:01

@heino: “Mir hat ein Durchgang schon gereicht. Was für ein langweiliger Quark”
Spalter! Blasphemiker!

Peroy
Peroy
12. September, 2011 18:06

HdR in Buchform ist aber schon lame…

Achim
Achim
12. September, 2011 20:12

“HdR in Buchform ist aber schon lame…”
Blasphemiker!

justus_jonas
justus_jonas
12. September, 2011 20:57

Ich habe Körbers King Übersetzungen immer gerne gelesen (bis ich aufs Original umgestiegen bin). Eine ziemliche Katastrophe war, das nach “GLAS” die restlichen Bände der Dunkle-Turm-Saga von Wulf Bergner übersetzt wurden. Damit war die komplette Kontinuität im A….

heino
heino
12. September, 2011 21:43

@Marcus:”Spalter! Blasphemiker!”
Und ich gehe noch weiter. Der einzige noch langweiligere Schriftsteller, den ich kenne, ist Charles Dickens. “Oliver Twist” verstösst gegen die Genfer Konventionen:-)

Dietmar
Dietmar
12. September, 2011 21:55

Respekt! Da redet jemand, der auch etwas zu sagen hat.

Marko
12. September, 2011 22:52

“Stephen King, mit dem hatte ich brieflich und telefonisch zu tun und habe ihn als äußerst schwierigen und unangenehmen Menschen empfunden …”
🙁
Das betrübt mich. Hatte gehofft, der Mann ist so nett und umgänglich, wie seine Autobiographie und seine diversen Vorworte vermuten lassen.

Marcus
Marcus
12. September, 2011 23:03

@heino: das ist okay. But nobody fucks with JRR muthafuckin’ Tolkien! 😎
@Marko: vielleicht hatte Körber den Zeitunterschied vergessen und King nachts aus dem Bett geklingelt.

Dietmar
Dietmar
13. September, 2011 05:35

@Marcus/Heino: Ihr nennt es Langeweile. Die Welt nennt es poetische Schreibkunst. 🙂

Wortvogel
Wortvogel
13. September, 2011 09:10

@ Dietmar: Genau! Das ist längst vom Mainstream akzeptiert!
😉

TimeTourist
TimeTourist
13. September, 2011 11:24

Wortvogel bringt mich immer gut durch die (viel zu kurze) Mittagspause. Freu mich schon auf Teil zwei!

Marcus
Marcus
13. September, 2011 11:29

@Dietmar: wieso “ihr”? Ich mag HdR doch….

Dietmar
Dietmar
13. September, 2011 11:49

@Marcus: Im Zweifel ist es der pluralis majestatis. 😉

fandomobserver
13. September, 2011 13:52

Wann kommt denn der zweite Teil des Interviews?

Wortvogel
Wortvogel
13. September, 2011 13:54

@ fandomobserver: Zeitnah. Wie ich schon schrieb. Geduld.

heino
heino
13. September, 2011 15:41

@Dietmar:50 Milliarden Fliegen fressen Fäkalien. Sind Fäkalien deshalb besonders schmackhaft?:-))

Wortvogel
Wortvogel
13. September, 2011 15:47

@ heino: Hast du sie probiert?
Ich denke schon, dass es statistische Zusammenhänge gibt. Nehmen wir mein Lieblingsbeispiel Metacritic.com: Wenn da ein Film über 70 Prozent bekommt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihn auch gut finden werde, fast 100 Prozent. Wenn er unter 30 Prozent bleibt, kann ich auf die Kinokarte verzichten. Es gibt die Weisheit der Masse. Sie ist nicht absolut und immer wieder Schwankungen unterworfen, aber im gegebenen Fall kann man davon ausgehen, dass die Bücher keine weltweiten Klassiker wären, wenn sie nicht ihre Meriten hätten.
Und weil das jeder von mir erwartet: Diese Vermutung gilt natürlich nicht für die Bibel.

Peroy
Peroy
13. September, 2011 16:00

“Und weil das jeder von mir erwartet: Diese Vermutung gilt natürlich nicht für die Bibel.”
Warum ?

Dr. Acula
13. September, 2011 17:00

Simpel. Weil Bücher, zu deren Besitz man qua Religionszugehörigkeit / politischer Assoziation o.ä. verpflichtet sind, keinen qualitativen Anspruch mehr erfüllen müssen. Sonst wären Bibel, Koran und Mao-Bibel die besten Bücher der Welt.

Peroy
Peroy
13. September, 2011 17:51

“Simpel. Weil Bücher, zu deren Besitz man qua Religionszugehörigkeit / politischer Assoziation o.ä. verpflichtet sind, keinen qualitativen Anspruch mehr erfüllen müssen. Sonst wären Bibel, Koran und Mao-Bibel die besten Bücher der Welt.”
Vielleicht sind sie das ja auch…

heino
heino
13. September, 2011 19:15

“@ heino: Hast du sie probiert?
Ich denke schon, dass es statistische Zusammenhänge gibt.”
Im literarischen Sinne ja:-))
Objektiv gesehen gebe ich dir recht. Natürlich konnten Tolkien und Dickens was. Das ändert aber nichts daran, dass ich ihren Stil tödlich langweilig finde. Dasselbe gilt für mich aber auch u.a. für Thomas Mann und Goethe. War alles gut und wichtig zu seiner Zeit, sorgt bei mir aber für das große Gähnen. Da ist mir dann die “Weisheit der Masse” schnurz.

Peroy
Peroy
13. September, 2011 19:21

Dem Mann seinen “Felix Krull” hab’ ich nach dem Abitur im Schwenkerfeuer verbrannt… ein erhebendes Gefühl… 8)

Dainem
Dainem
13. September, 2011 19:29

Ich habe gerade in meine “Bücher des Blutes”- Ausgabe geschaut, und mit Schrecken festgestellt, dass dort immer noch als Übersetzer ein gewisser Peter Kobbe steht. Wurde denn im Laufe der Jahre etwas an der deutschen Übersetzung geändert?

G
G
13. September, 2011 20:13

“HdR in Buchform ist aber schon lame…”
Da hat der Peroy allerdings recht.

Peroy
Peroy
13. September, 2011 20:39

“Ich habe gerade in meine “Bücher des Blutes”- Ausgabe geschaut, und mit Schrecken festgestellt, dass dort immer noch als Übersetzer ein gewisser Peter Kobbe steht. Wurde denn im Laufe der Jahre etwas an der deutschen Übersetzung geändert?”
Also ich hab’ hier zwei Gesamtausgaben von… … … Area ? Ich glaube der Verlag heißt Area. Keine Ahnung. Jedenfalls sind das auch die schrecklichen Kobbe-Übersetzungen…