07
Dez 2010

20 Jahre Wortvogel in München: Wie er kam, was er wollte, warum er blieb (4)

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

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Die ersten drei Teile dieses Epos könnt ihr hier nachlesen.

Ich habe diese mehrteilige Story etwas schleifen lassen, weil mir andere Sachen dazwischen gekommen sind. Ich denke aber, dass sie einen würdigen und zeitnahen Abschluss verdient.

Wir befinden uns mittlerweile im Jahr 1995. Ich bin seit knapp fünf Jahren beim GONG, habe mich vom Randspalten-Tipper zum Redakteur hochgedient, reise viel, verdiene solide, und kann mich generell nicht beschweren, denn ich werde mit Goodies und Giveaways von den Sendern zugeschüttet. Meine hübsche Wohnung liegt mitten in der Innenstadt, meiner Schildkröte geht es gut, und ich habe einer Kollegin ein Mofa abgekauft, das diese bei einer Tombola gewonnen hat. Das macht flexibel in einer Stadt, in der die Suche nach dem Parkplatz gerne mal eine halbe Stunde dauert. Es ist ein lockeres Leben, sorgenfrei, sexy, cool.

(Neuankömmlingen auf diesem Blog sei an dieser Stelle empfohlen, noch einmal die mehrteiligen Berichte über meine ersten Bücher und über die SF-TV-Guides zu lesen. Die erklären nämlich, was ich in dieser Zeit neben dem GONG noch alles zu stemmen hatte. Damit seid ihr für ein bis zwei Stunden beschäftigt.)

Und doch: Ich bin nicht zufrieden. Weil es nicht mehr weiter geht. Ich trete auf der Stelle. Was ich tue, kann ich. Keine Herausforderung mehr. Innerhalb des GONG ist ein weiterer Aufstieg praktisch ausgeschlossen, weil über mir nur noch die Ressortchefs sind, und die haben auf 20 Jahre keine Absicht, mich ran zu lassen. Ein paar kindische Liebeleien haben außerdem nach und nach auch die soziale Situation in der Redaktion unnötig verkompliziert. Kurzum: Es liegt Veränderung in der Luft. In dieser Phase meines Lebens kann ich mich noch darauf verlassen, dass sich der Rest von selbst ergibt.

Es ist ein Mittwoch, an dem ich mit den Worten aus dem Bett meiner Freundin hoch schieße: „Ist heute etwa Mittwoch?!“ Normalerweise kann ich unter der Woche ausschlafen, es gibt ja keine festen Bürozeiten, aber heute fällt mir siedend heiß ein, dass Kabel1 zu einem Pressetermin geladen hat. „Thunderbirds“ kommt erstmals vollständig restauriert und neu synchronisiert ins Programm. Produzent Gerry Anderson höchstpersönlich ist vor Ort! Ich denke drüber nach, den Termin zu kippen. Erspart Stress. Andererseits: Produzent Gerry Anderson höchstpersönlich ist vor Ort! Der Mann hat immerhin auch „Mondbasis Alpha“ erfunden. Es siegt die Nerd-Seele über die Faulheit, ich springe in meine Jeans und auf mein Mofa.

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Der Termin ist ziemlich cool: Kabel1 hat ein paar Komparsen in „Thunderbirds“-Kostüme gesteckt, die Bildqualität der neu gemasterten Folgen ist erstaunlich, und Gerry Anderson hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg: Er mag die Arbeit mit Puppen nicht besonders, und Science Fiction hat er deshalb immer gemacht, weil die Puppen dann nicht so auffallen. Nüchtern, pragmatisch, ehrlich. Mehr Zeit als mit Anderson verbringe ich allerdings mit dem Programmchef von Kabel1, der mir sehr freundlich und kompetent erscheint. Wir plaudern eine ganze Stunde über den Zustand des deutschen Fernsehens, über Zuschauererwartungen, über US-Einkäufe.

Ein Monat später bekomme ich einen Anruf vom ProSieben-Chefsekretariat. Der Programmchef von Kabel1 ist mittlerweile Programmchef von ProSieben, er und der Senderchef Jan Körbelin würden sich gerne mit mir treffen. Ich vermute eine Programmpräsentation und reagiere eher ungehalten, als mir die Sekretärin nicht genau sagen mag, was anliegt. Alberne Geheimnistuerei. Ich erzähle meinen Kollegen beim Mittagessen davon: „Die Blödmänner von der P7-Chefetage wollen einen Termin mit mir, halten sich aber total bedeckt, was das Thema angeht. Meinen die, ich würde springen, nur weil die pfeifen?“.

Ungefähr sechs bis acht entgeisterte Augenpaare starren mich an. „Was?!“ frage ich mampfend. Endlich klärt mich eine Kollegin auf: „Das klingt doch so, als würden die dich abwerben wollen!“ Ich winke ab: „Unfug.“

Da kann man mal sehen, wie naiv ich 1995 noch war.

Ich ziehe sicherheitshalber zu dem Termin doch mein gutes (knallblaues!) Sakko an. Nach ein wenig Geplänkel werden die Senderbosse konkret: Ob ich mir vorstellen könne, für den Sender zu arbeiten? Vorstellen kann ich mir viel. Wir reden zuerst von Aufgaben, dann von Zahlen. Sie nennen mir eine. Ich denke: pokern wir doch einfach mal, und verlange kackfrech deutlich mehr. Außerdem will ich eine Klausel im Vertrag, auch ohne Absprache künftig nebenher Bücher schreiben zu dürfen. Sie schicken mich raus, um sich zu besprechen.

Drei Minuten später bin ich ProSieben-Redakteur. Und bekomme noch eine „Space Jam“-Basketballmütze geschenkt. Nach Zeugnissen, Qualifikationen, Studium oder Ausbildung wird nicht gefragt.

Als ich am Abend meiner Freundin von den Gespräch berichte, fällt ihr auf, dass an meinem Sakko noch der Zettel der Reinigung hängt. Ich muss wie der letzte Depp gewirkt haben.

Es fällt mir schwer, beim GONG aufzuhören. Mein Chefredakteur ist sauer, knurrt mich an: „Dann hau doch ab, wenn es dir hier nicht passt“. Mir ist klar, dass ProSieben in einer ganz anderen Liga spielt, dass dort ganz andere Sachen von mir erwartet werden. Aber ich will was Neues lernen, mich herausfordern. Ich bin doch erst 26!

mun7Noch bevor ich meinen Job im Herbst 1995 antrete, bittet mich die Presseabteilung des Senders um Hilfe: Man hat „Babylon 5“ eingekauft (yay!) und will die Serie in Hamburg der Presse präsentieren. Dazu möchte man einen Experten für Science Fiction präsentierten. Mich. Ich nehme vor einer Greenscreen im ProSieben-Studio einen ca. zehnminütigen Vortrag über die Geschichte der Science Fiction auf. Hinter mir wird ein Sternenhimmel eingespiegelt. Dieses Video wird in Hamburg zur Präsentation von „Babylon 5“ gezeigt. Ich bekomme es nie fertig zu sehen, und alle späteren Versuche, eine Kopie abzugreifen, scheitern. Bis heute ist dieser Video-Vortrag eine meiner großen „lost performances“.

Im Herbst 1995 fange ich bei ProSieben an, und begrabe damit auch endgültig jeden Plan, nach Düsseldorf zurück zu kehren. Ich bin in München angekommen, in der Branche, in meinem Beruf. Es ist die Blütezeit des Privatfernsehen, überall ist schnelles Geld unterwegs. Ich bin nicht nur dabei – ich bin mittendrin.

mun4Vielleicht war es naiv zu glauben, dass bei einem Privatsender die Lässigkeit und durch Jahrzehnte gewachsene Ruhe herrscht wie beim GONG. Auf jeden Fall werde ich sehr schnell eines Besseren belehrt. Kurz nach dem Einstieg bei ProSieben werde ich von einer Journalistin der “TV Hören & Sehen” interviewt (Konkurrenz!). Es geht wieder um Science Fiction, und ich habe mir gerade den Pferdeschwanz eher halbherzig entfernen lassen.

Ich sehe zu Beginn meines Arbeitsverhältnisses so aus:

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Drei Jahre später hat der Sender das aus mir gemacht:

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Aber das sind andere Geschichten für eine andere Artikelreihe. Denn jetzt wisst ihr ja, warum ich kam, was ich wollte, und warum ich blieb…



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Snyder
Snyder
7. Dezember, 2010 10:06

Ganz ehrlich, das “Drei Jahre später” Foto ist viel cooler. Der Blick … der Bart … die Doppelhenkeltasse …

Who knows?
Who knows?
7. Dezember, 2010 10:40

Allerdings wirkst Du da auch gleich mal 10 kg schwerer, finde ich… 😉

Dietmar
7. Dezember, 2010 10:59

Das mit dem Reinigungszettel finde ich ja großartig.

Abgeworben zu werden, das bauchpinselt aber.

Dr. Acula
7. Dezember, 2010 11:02

Man merkt’s, die Arbeit für’s TV lässt schnell altern 🙂

PeterPwn
7. Dezember, 2010 11:02

Grandios!
Im Absatz mit den geschmacklosen roten Sesseln ist “bei ProSieben” doppelt 😉

Dr. Acula
7. Dezember, 2010 11:12

@PeterPwn
Da müssen wir eines abziehen…

Who knows?
Who knows?
7. Dezember, 2010 11:15

Wieviel ist das ist Schilling?

Dr. Acula
7. Dezember, 2010 12:28

Sie sind der Meinung… das war…

SPITZE! *hüpf*

milan8888
milan8888
7. Dezember, 2010 13:03

Das Aufmacherbild sieht eher nach 1985 als ´95 aus.

Achim
Achim
7. Dezember, 2010 16:14

Kann ich mich bei Amazon schon vormerken lassen für deine Autobiographie?

PabloD
PabloD
7. Dezember, 2010 20:46

@milan: Viel schlimmer ist da wieder dieser robertdeniroesker Gesichtsausdruck, welcher auf den meisten anderen WV-Fotos völlig fehlt. Gibt bestimmt zwei von seiner Sorte 😉

Wortvogel
Wortvogel
7. Dezember, 2010 21:50

@ Milan: Zugegeben, außerhalb der Ex-SBZ war ich vermutlich der Letzte, der noch “moon washed”-Jeans getragen hat…

charlotte sometimes
8. Dezember, 2010 00:31

das vorher bild erinnert etwas an michael schumacher ( – kinn).

Realsatiriker
Realsatiriker
8. Dezember, 2010 01:08

John Wesley Shipp.

Fakt.

DerTim
8. Dezember, 2010 01:19

Ich finde ja dass es auf dem ersten Bild so aussieht als ob Dein Hosenstall offen stünde 🙂

Exverlobter
Exverlobter
8. Dezember, 2010 03:37

Was, eine Redaktion die tatsächlich überdurchschnittliche Gehaltsvorstellungen akzeptiert? Klingt fast wie ein Mythos aus lange vergangenen Zeiten.
Das kann man sich heutzutage aber sowas von in die Haare schmieren!

Achim
Achim
8. Dezember, 2010 14:34

Moonwashed, so was trug ich nie, fand ich schon fürchterlich, als sie noch angesagt waren.

Und Reinhard Mey trug die auch noch sehr lange.

Seperare
Seperare
8. Dezember, 2010 15:39

Aber eigentlich ja logisch, dass ein SciFi-Autor seine Jeans Moonwashed trägt.

Achim
Achim
8. Dezember, 2010 16:27

@Seperare:
Äh, so habe ich das noch nicht gesehen.
War er da schon Autor oder erst Fan?

Trantor
Trantor
10. Dezember, 2010 11:47

Liegt das daran, dass ich eventuell zuviel Kalkofes Mattscheibe und Switch Reloaded schaue, oder warum fällt nur mir auf, dass der Wortvogel auf dem ersten Bild des Artikels aussieht wie Florian Silbereisen?! 😉

DMJ
DMJ
12. Dezember, 2010 16:42

Der Reinigungszettel ist wirklich das kleine Detail, welches die Nummer von einen rein biographisch interessanten Episode in den Bereich der Legende hebt.

Beim Fotovergleich fällt mir vor allem auf, dass der junge Wortvogel meist fröhlich und offen wirkt, während der heutige stets von einem Hauch Verschlagenheit umweht wird…da machen sich wohl die unzähligen, zwischenzeitlich geschriebenen Verrisse bemerkbar. 😉