07
Jun 2010

Wortvogel-Kritiken: Alles nur Theater (3)

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

39 Steps

39steps Hitchcocks „39 Stufen“ als Theaterstück zu erzählen, ist wahrlich keine leichte Aufgabe: Es gibt sehr viele Spielorte, dazu Außenaufnahmen, Massenszenen, und nicht zuletzt einige Verfolgungsjagden (u.a. auf einem fahrenden Zug). Und das ist nur die Produktionsseite: inhaltlich ist „39 Steps“ längst vergilbt, dem Kriminalfilm der 30er verpflichtet, und nur schwer glaubwürdig zu erzählen. Ein modernes Publikum wird kaum die Tatsache schlucken, dass ein Show-Mentalist sich die Pläne für eine Superwaffe merken soll, um sie den Nazis zu stecken.

Die Macher der Londoner Version von „39 Steps“ haben deshalb getan, was vielleicht konsequent, aber auch einen Tacken größenwahnsinnig ist: Sie haben eine Komödie draus gemacht. Aus dem schwarzweißen Spionagekrimi wird eine bunte Farce mit flirrenden Dialogen, boulevardesken Tür auf/Tür zu-Einlagen, Kostümwechseln, und hemmungslosen Albernheiten.

Was soll ich sagen? Es funktioniert. Ich kann verstehen, dass diese Version u.a. 2 Tonys (das sind die Theater-Oscars) bekommen hat. Wie jede gute Parodie spielt „39 Steps“ höchst respektvoll mit dem Original, zitiert es, überhöht es, gibt es aber nie völlig der Lächerlichkeit preis. Die Figuren bleiben sympathisch, das Mystery erhalten, und am Ende folgt man der Geschichte nicht weniger gespannt als den Gags.

Der betriebene Aufwand ist dabei beträchtlich: Praktisch alle Schlüsselszenen aus Hitchcocks Film werden mit viel Liebe nachgestellt, inklusive der Zugfahrt und der Wanderungen durch das Moor (Letztere allerdings als putziger Scherenschnitt). Die relativ große Bühne des Criterion (in dem ich auch die oben erwähnten „Complete Works of William Shakespeare gesehen habe) erlaubt erstaunliche Kulissen und eine Vielfalt von Requisiten. Licht- und Nebeleffekte tun ein Übriges, um authentische Stimmung zu verbreiten.

Ein besonderer Genuss ist Hauptdarsteller John Hopkins. Eine perfekte Mischung aus Errol Flynns Bravado, Robert Donats Eleganz, George Clooney Ironie, und Tom Sellecks Schnäuzer, mit einem erstaunlichen Gefühl für Timing. Aber auch die anderen Darsteller wissen zu begeistern: Da werden Kostüme und Rollen im Sekundentakt gewechselt, bis das Publikum in Szenenapplaus ausbricht.

Kurzum: Ist man der englischen Sprache sehr gut mächtig, dann sollte „39 Steps“ für London-Anfänger Pflichtprogramm sein, so wie es bei den Musicals „Mamma mia“ und „Phantom der Oper“ ist. Um es mit Chevy Chase zu sagen: „More entertainment than you deserve!“

Besuch der alten Dame

Ahhh, ein literarischer Klassiker, erst kürzlich mit Christiane Hörbiger neu fürs Fernsehen verfilmt. „Besuch der alten Dame“ ist sowas wie „Tod eines Handlungsreisenden“ oder „Der zerbrochene Krug“ – da kann man nicht viel falsch machen. Der Stoff ist einfach unkaputtbar.

Leider scheint das Ensemble des Volkstheaters in München entschlossen, die Validität dieser These auszutesten.

Zuerst ein mal stehen ein paar (erheblich zu junge) Darsteller am Bühnenrand und singen „Nothing compares 2 U“ von Sinead O’Connor. Im Hintergrund: Handtücher an Wäscheleinen, dass man sich in den schlechteren Gegenden von Neapel oder Mailand wähnt. Guter Anfang vielleicht. Keine Ahnung, von WAS – aber auf jeden Fall nicht von „Besuch der alten Dame“.

besuch

Danach wird es etwas vorlagengetreuer, zumindest was den Text angeht. Allerdings haben sich die Beteiligten schmerzlich zu wenig Mühe gegeben, die Figuren-Konstellation transparent auf die wenigen Schauspieler zu übertragen – immer wieder merkt der Zuschauer viel zu spät, dass ein Darsteller mitten in der Szene wieder mal die Rolle gewechselt hat, ohne dass es kenntlich gemacht wurde. Das Ergebnis: totale Verwirrung, zumal die Darsteller selten bis nie in Aussehen und Alter den gespielten Figuren nahe kommen.

Es zieht sich hin, irgendwann kommt der große moralische Konflikt der Geschichte auf die Bretter, die die Welt bedeuten – und wieder torpediert die zu junge Besetzung jegliche emotionale Wucht. Es ist, als schaut man einer Schulaufführung zu.

Dürrenmatt hin oder her – man atmet erstmal erleichtert durch, wenn es vorbei ist.

Ja, ich weiß: Das Volkstheater ist durchaus dafür bekannt und da, sperrige Inszenierungen anzubieten. Perfektion und großes Theater kann man im Residenz besichtigen. Ich erkenne auch an, dass von allen Theaterstücken, die ich hier bespreche, das Publikum bei „Besuch der alten Dame“ mit Abstand den jüngsten Altersdurchschnitt hatte.

Aber das rechtfertigt keine Inszenierung, an der sich das Ensemble sichtlich überhebt, dessen immer noch aktueller Kernkonflikt völlig kraftlos bleibt, und die in der Ausstattung mutig, aber fehlgeleitet ist.

Kurzum: Auch dem Volkstheater-Ensemble ist es nicht gelungen, die erzählerische Kraft des Klassikers gänzlich zu negieren. Aber man kann den Beteiligten wahrlich nicht vorwerfen, es nicht versucht zu haben.

Ping Pong D’Amour

pingpong Ich habe viel Glück gehabt in den letzten Monaten, was Theater-Inszenierungen angeht. Die meisten waren sehr gut. Die, die nicht gut waren, waren zumindest interessant. Und die, die nicht interessant waren, waren zumindest anspruchsvoll.

Aber einen Ausreißer gibt es immer. Ein Stück, an dem man gar nichts finden kann, so sehr man auch sucht. Ein Stück, dessen einziger Wert in der erstaunlichen Einheit von miserablem Buch, erbärmlicher Inszenierung, darstellerischer Inkompetenz, und völliger Unterhaltungslosigkeit liegt.

Selbst, wenn man all das weiß, wenn man sich darauf vorbereitet hat, kann man so eine bodenlose Frechheit wie „Ping Pong D’Amour“ in den Kammerspielen weder erwarten noch verarbeiten – nicht intellektuell, nicht emotional.

Der Titel und ein wunderbar plüschiges Set im Stile eines Grand Hotels (mit hübschen baulichen Details wie versenkbaren Betten) verführt zur Hoffnung, es mit einem Gesellschaftsdrama zu tun zu haben, oder vielleicht mit einer künstlerischen Variation eines solchen.

Weit gefehlt: 80 Minuten lang stolpern drei Charaktere auf einer Freitreppe herum, proklamieren laut existentialistische Pseudo-Weisheiten über „das Eigentliche“, und verweigern sich konsequent jeder Narrative. Wer die Charaktere sind? Müssen wir nicht wissen. Wo sie sind? Unwichtig. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen? Egal. Hauptsache, es wird 80 Minuten lang ohne Sinn und Verstand gezetert. Irgendwann tragen sie dann Jockey-Uniformen, und die Frau spielt Gymnastik.

Der Regisseur war klug genug, keine Pause einzubauen – die zweite Hälfte vor leerem Haus zu spielen, macht doch keinen Spaß.

Weit weniger als die krachdumme und ekelig narzisstische Selbstdarstellung von Regie und Ensemble hat mich entgeistert, dass das Publikum zum Ende (so man es denn ein Ende nennen mag – es hört eigentlich nur auf) geklatscht hat. Anhaltend. Als gäbe es etwas zu beklatschen außer der eigenen Eitelkeit. In vielen Gesichtern war hinter dem unsicheren Lächeln durchaus die blanke Verwirrung zu erkennen. Aber wer will schon zugegeben, dass er das Gesehene nicht verstanden hat?!

Ich habe hinterher mal nachgelesen, was anderen Kritikern zu dem Stück eingefallen ist. Es wird meistens verhalten gelobt, aber wenn man die Beschreibungen liest, scheint sehr deutlich durch, dass die Kollegen „Ping Pong D’Amour“ auch nicht verstanden haben. Sowas kann man dann natürlich prima mit der Behauptung verbrämen, das Stück verweigere sich mutig dem einfachen Verständnis über die Handlungsebene…

Kurzum: Grober Unfug, der auch mit Begriffen wie „experimentell“ oder „avantgardistisch“ nicht zu entschuldigen ist. Wer sich 80 Minuten lang selbst bestrafen und die Grenzen der eigenen Belastbarkeit austesten will, der ist hier richtig. Ein Stück, in das man die verhasste Schwiegermutter schickt.



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Testuser
Testuser
7. Juni, 2010 11:16

Offtopic: Ich warte schon sehnsüchtig auf ein Review zum neuen Meisterwerk von Regisseurlegende Uwe Boll: “Rampage”.
Ist das vielleicht bislang sein bestes Werk?

Wortvogel
Wortvogel
7. Juni, 2010 11:18

@ Testuser: Wenn ich kann, werde ich “Rampage” und “Final Storm” als Doppelpack besprechen. Zu “Stoic” bin ich ja auch nie gekommen…

Peroy
Peroy
7. Juni, 2010 11:43

“Der Besuch der alten Dame” ist mit der größte Mist, den ich je als Schul-Lektüre durchlesen musste…

“Koby und Loby und Toby und Roby…” *ächz*

Achim
Achim
7. Juni, 2010 13:55

Ich lobe deinen “Mut”, pseudointellektuellen Müll nicht zu loben, weil du ihn nicht verstanden hast, sondern klar zu sagen, dass es nichts zu loben gibt, da es einfach Mist ist.

comicfreak
comicfreak
7. Juni, 2010 19:01

..Ping Pong d’amour klingt gut, die Schwiegermutter mag Theater; wo wird das gespielt?
Wäre auch ein tolles Geschenk für die “andere” Schwester zum 50sten..

8)

Marcus
Marcus
7. Juni, 2010 19:52

Ich werfe mal eben einen Blick in meine Glaskugel, und siehe da, hier die demnächst erscheinenden “Pressestimmen” auf den Websites der beiden Theater:

“Ein literarischer Klassiker… Perfektion und großes Theater…”
– Torsten Dewi, wortvogel.de –

“Wunderbar intellektuell… Avantgardistisch… Experimentell.”
– Torsten Dewi, wortvogel.de –

Klingt doch super, oder? 😎

Mencken
Mencken
7. Juni, 2010 23:57

Basiert das “39 Steps” Stück tatsächlich auf der Hitchcock-Verfilmung?

Meines Wissens hat man sich da einfach eng an das Buch gehalten (Buchan ist in Großbritannien ja immer noch recht populär) und dort finden sich die Schlüsselszenen und der humoristische Ton ja auch, viele der alberneren Elemente (Nazi-Mentalist usw.) so aber nicht (wobei auch Hitchcock ja eine Krimikomödie vorschwebte, wäre so gesehen also eher ein erneutes Update als eine Parodie).

Wortvogel
Wortvogel
8. Juni, 2010 00:00

@ Mencken: Ehrlich gesagt bin ich nicht genug im Thema, um das zu beurteilen.

Shah
Shah
8. Juni, 2010 02:20

Als ob Schultheater so schlecht sein muss……….unsere Version von der “Alten Dame” fand auch allgemein großen Beifall.

Nur mal so gegen die Pauschalisierung!