Wortvogel-Kritiken: Alles nur Theater (2)
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Eurydike
Ins Teamtheater habe ich mich unter falschen Vorzeichen locken lassen: Hinter „Eurydike“ vermutete ich die klassische griechische Tragödie. Die alte Sage von Orpheus’ Weg in die Unterwelt. Gehobenes Entertainment für gehobene Schichten.
Und dann sehe ich eine leere Bühne, durchzogen nur von einer Bahn aus schmutzig-schwarzem Sand, und eine Handvoll Darsteller, die sich zu schräger Musik fünf Minuten lang hin und her wälzen, und gegen Wände stoßen.
Ich wollte gehen, ehrlich.
Hätte ich mich mal bloß vorher schlau gemacht. „Eurydike“ ist ein modernes Stück, geschrieben von der gefragten New Yorker Autorin Sarah Ruhl. Es basiert zwar auf der griechischen Sage von Orpheus und der schönen Eurydike, die er aus dem Reich des Todes retten will, aber die Dramaturgie ist ganz gegenwärtig.
Und genau darum gehe ich gerne ins Theater, ohne vorher Internet-Seiten und Programme zu studieren: „Eurydike“ entpuppte sich nach den schwer erträglichen ersten fünf Minuten als erstaunlich fesselndes Drama mit vielen Meta-Ebenen und vielschichtigen Beziehungen, über das man hinterher noch prima eine Weile diskutieren kann. Es ist im besten Sinne modernes Theater, stellte moderne Fragen, ohne dabei blasiert oder publikumsfern zu sein.
Der eingangs erwähnte schwarze Sand stellt den Fluss Styx dar, in dessen Wasser die Toten ihr irdisches Leben vergessen sollen. Bei Eurydike ist das nicht der Fall, sie erinnert sich an ihren Verlobten, und fühlt sich doch gleichzeitig dem Vater verbunden, den sie im Totenreich wiedergetroffen hat, und dessen Gedächtnis ebenfalls nicht ganz erloschen scheint.
Ein fast leeres Bühnenbild, eine Handvoll Darsteller, keine Requisiten: Mehr braucht „Eurydike“ nicht, um über zwei Stunden packend vom Drama des Vergessens, des Loslassens, des Vergänglichen zu erzählen. Natürlich sehr getragen, natürlich im Brustton pathetischer Schwere präsentiert – aber nichtsdestotrotz einfühlsam und empathisch. Ein durch die Bank hervorragendes Ensemble erlaubt sich keinen Fehltritt, überzeugt auch in Sprechpausen durch kleine Gesten, Haltung und Blickrichtung.
Kurzum: Großes Theater, das sich nicht in inszenatorischem Überschwang verliert, sondern konzentriert das Wesentliche aus der Sage schält, um sie modern und fokussiert zu präsentieren.
Alkestis
Admetos wurde von den Göttern verbannt, lebt auf einem kleinen Hof in der Provinz. Der schwarze Engel Thanatos will ihn holen, wie es vereinbart war. Admetos bettelt um sein Leben, bis seine Frau Alkestis sich für ihn opfert. Im Zuge der Beerdigung brechen alte und neue Wunden auf, und der Besuch von Herakles macht alles nur noch schlimmer.
Jetzt wird es ganz griechisch. „Alkestis“ ist eine hoch gelobte Inszenierung im Münchner Residenz-Theater, mit Stammschauspielerin Sibylle Canonica in einer ungewöhnlich kleinen Titelrolle, und der bezaubernden und begabten Mia Gerold (die wir kürzlich in einer Fotostrecke der „LandIdee“ gefeatured haben) als Tochter von Alkestis.
Das alles will großes Theater sein, lebt vom Anspruch und der ganz breiten Inszenierung. Das Bühnenbild wird von einem abstrakten, wie aus verrostetem Eisen zusammen geschweißten Gebäude beherrscht, das die Figuren von mehreren Seiten bespielen können. Thanatos’ dramatischer Auftritt erinnert an das moderne Fantasy-Kino, und eine Sängerin begleitet die Aufführung mit gedehnten Klagegesängen.
Allein, bei mir zündete es nicht. Schön anzuschauen vielleicht, makellos gespielt, aber in der Substanz erschreckend dünn, und über weite Strecken frei von wirklichen Höhepunkten. Mir fehlte das Allgemeine, das Nachvollziehbare, der Bezug über die konkrete Geschichte hinaus. Letztlich bekommen wir kaum mehr als einen Warmduscher, der nicht widerspricht, als sich seine Frau für ihn opfert, und hinterher darüber eine Stunde lang lamentiert. Daran können auch diverse zuspielende Charaktere nichts ändern. Nur der Besuch von Herakles im letzten Drittel bringt ein wenig Schwung in die Geschichte, weil es seine Figur ist, an der sich die anderen Charaktere in Frage stellen können. Außerdem wird er ungewöhnlich schaustellerisch von Felix Rech gespielt, mit Leidenschaft und Lautstärke.
Kurzum: In Pomp und Produktion überzeugend, aber auf erzählerischer Ebene eher schwachbrüstig. Ein gutes Ensemble wird von den schwachen Dialogen und dem mangelnden Drive im Stich gelassen.
Sextett
Drei Paare treffen sich auf einer Yacht, junge Liebe, alte Liebe, wahre Liebe, erträumte Liebe. Schon vor dem Auslaufen beginnen die Beziehungen sich aufzulösen, werden die Fühler nach neuen Konstellationen ausgestreckt – um am Ende fast immer da zu landen, wo alles begann, und vielleicht auch hin gehört.
Ich bin ein Fan von gut inszenierter Boulevard-Komödie und leichtem Drama im Stil von Neil Simon. „Staatsaffären“, „Romantische Komödie“, „The Real Thing“. Theater muss nicht immer gleich griechische Tragödie sein, oder experimentelles Anschreien der Zuschauer. Als Kind kam ich immer an den Aushängekästen der Düsseldorfer „Komödie“ vorbei, in der Stars wie Herbert Herrmann, Thomas Fritsch, Jutta Speidel, Heidelinde Weis, und Peter Weck auftraten. Das fand ich toll. Auch heute noch schaue ich gerne Sigmar Solbach auf der Bühne zu, Peter Bongartz, und Silvia Seidel.
Kein Wunder, dass ich mich ziemlich gefreut habe, Karten für „Sextett“ in der Bayerischen Komödie zu bekommen. Das Setting mit dem Schiff ist ideal für romantische Verwicklungen, mit Thomas Fritsch ist ein echter Veteran dabei, für den ich auch schon einmal geschrieben habe, und – schlagt mich ruhig – ich halte Carsten Speck für durchaus geeignet, solche Stoffe als viriler Liebhaber zu bespielen.
Doch leider, leider: „Sextett“ geht gar nicht. Die Texte sind teilweise extrem holperig ins Deutsche übersetzt (das Äquivalent einer schlechten Synchro), die Inszenierung ist platt, die Figuren bleiben dünn, und die erhofften romantischen Verwicklungen sind lächerlich unglaubwürdig, und werden von den Darstellern nur mit sehr mangelnder Verve vorgespielt. Wenn selbst jemand wie Thomas Fritsch auf Autopilot zu sein scheint, dann ist was nicht in Ordnung.
Ich erwarte von einem Boulevard-Stück keinen heißen Sex, aber wenn es doch darum geht, dass die Beteiligten von einem Bett ins andere hüpfen, sollte etwas von der behaupteten Leidenschaft auch auf der Bühne ankommen. Stattdessen werden die erotischen Wechselspiele so dezent angedeutet, dass man sie verpasst, wenn man auch nur ins Taschentuch schnäuzt.
Selbst das Bühnenbild enttäuscht: Die (zum Publikum aufgeschnittene) Yacht ist so kompakt und schnörkellos gebaut, dass sie den Darstellern praktisch keinen Raum gibt, und sie sich ständig über die Füße zu stolpern drohen. Das mag gewollt sein, ist dem Erzählfluss aber abträglich.
Kurzum: Bestenfalls C-Klasse unter den Boulevard-Komödien, und nur absoluten Fans der Darsteller zu empfehlen. Für alle anderen Zuschauer gibt es in jeder Spielzeit genug bessere Inszenierungen zu sehen.
Orpheus, nicht Morpheus. Alter…
@ Lari: Ups – das kommt davon, wenn man die Kritik sechs Monate nach der Aufführung schreibt, und auf Ibiza keinen Internetzugang hat, um solche blöden Fehler zu vermeiden. Hab’s korrigiert!
2 Absätze später nochmal 🙂
Grrr…
Sextett läuft im Sommer auch in Würzburg
http://www.chambinzky.com/
Sorry für Augenkrebs…
@Stefan:
“”Sextett”, eine Mischung aus Situationskomik, die sich bis zur Groteske steigert, und sarkastischen Humor, der an aphoristische Pointen Oscar Wildes erinnert, gehört zu den weltweit meist gespielten Komödien der Gegenwart.”
Wilde? Die sind doch alle auf Drogen…
Mein erster Gedanke bei den ersten zwei Absätzen über Eurydike:
Zwei Hühner auf dem Weg nach vorgestern von Reinhard Mey. Völlig unangebracht, wie der Rest der Kritik deutlich macht. Umso besser, denn wer lässt sich schon gern verarschen und bezahlt auch noch dafür 🙂
@ gnaddrig: Der Mey-Song ist aber auch toll – und passt prima zu einem Review beim nächsten Teil.