18
Mai 2010

Wortvogel-Kritiken: Alles nur Theater (1)

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Theaterkritiken sind etwas problematischer als Kino- oder Buchkritiken, weil die meisten Leser kaum eine Chance haben, die gleiche Inszenierung wie ich zu sehen. Ich vermute, dass deshalb das Interesse auch vergleichsweise beschränkt sein wird. Andererseits möchte ich nicht die Möglichkeit versäumen, mich auch mal als kulturell anspruchsvoll und sophisticated darzustellen – also Pfeife rauchend und im Ohrensessel die gebügelte “Sunday Times” lesend.

Ich beginne heute mal eine dreiteilige Zusammenfassung aller Stücke, die ich im letzten halben Jahr gesehen habe.

Schiller: Ganz oder gar nicht

ganzodergarnicht Ich bin ohne jegliche Vorkenntnisse in das kleine, aber gemütliche „Und so fort…“-Kellertheater gegangen. Irgendwas mit Schiller-Zitaten, hatte ich gehört. Kann ich gut drauf – in der Schule habe ich mal einen Monolog aus „Wallenstein“ auswendig gelernt, der war ziemlich klasse gewesen.

Schon nach fünf Minuten wurde mir klar: „Ganz oder gar nicht“ ist schlicht und ergreifend die Schiller-Version von dem, was „The complete works of William Shakespeare (slightly abridged)“ mit dem Barden aus Stratford-upon-Avon gemacht hat: Ein Readers Digest aller dramatischen Stücke als Comedy für zwei Performer (bei Shakespeare waren es noch drei gewesen, aber der hat ja auch dreimal soviel Stücke geschrieben).

Nun bin ich grundsätzlich nicht begeistert, wenn ein großartiges Konzept aus dem englischsprachigen Raum (ich habe das Original dreimal gesehen, einmal in London und zweimal in München) einfach für eine deutsche Variante gekapert wird. Und überhaupt – wäre nicht zuerst einmal Goethe dran? Genug Grund also, kritisch zu sein.

Aber siehe da: „Ganz oder gar nicht“ hat mir vorzüglich gefallen (vorzüglich“ ist ein Wort, dass ich kaum in einem anderen als dem Theater-Kontext verwenden mag). Anja Klawun und Thomas Luft spielen gut zwei Dutzend Rollen mit Verve, Hingabe, und ansteckender Begeisterung, die Stücke Schillers werden zwar durch den Kakao gezogen, aber nicht respektlos behandelt, und von Musical über Farce bis Slapstick wird so ziemlich alles aufgeboten, um die 90 Minuten so laut und lebendig wie möglich zu gestalten. Besonders putzig: Eines der Stücke wird nur anhand seiner (von Schiller ausführlich vorgegebenen) Regieanweisungen gespielt. Selbst gelegentliche Ausflüge in die Trivialkultur (Udo Jürgens; Andrew Lloyd Webber) können angesichts des schieren Entertainments, das auf die kaum küchengroße Bühne gepresst wird, den Spaß nicht verleiden.

ganzKurzum: Natürlich, es ist genau genommen Comedy, und somit kein wirkliches Theaterstück, das sich an den üblichen Kriterien messen lassen muss. Kulturell bereichert wird man hier kaum, auch nicht zur intellektuell schweren Interpretation des Gesehenen aufgefordert. Aber man bekommt knapp zwei Stunden atemlose Unterhaltung ohne jeden Durchhänger, und kann am Ende aufrichtig klatschen, ohne sich wie ein Heuchler vorzukommen. Und das ist ja schon viel.

Breakfast at Tiffany’s

breakfast Ich hatte genau das über die neue Inszenierung am „Theatre Royal“ gehört, das ihr vermutlich auch alle gehört hattet: Anna Friel aus „Pushing Daisies“ macht sich nackig. Live. Auf der Bühne. Da freut man sich als Mann gleich doppelt, wenn man eine Karte geschenkt bekommt. Ich mich nicht daran erinnern, dass sich Audrey Hepburn in der Film-Version von Truman Capotes Roman ausgezogen hat…

Wer nur die Hollywood-Version kennt, wird über weite Strecken sowieso sehr verwirrt sein: Diese Inszenierung ist deutlich weniger komisch, weniger romantisch, weniger aseptisch. Sie bleibt erheblich näher an der Vorlage, und das bedeutet: Holly Golightly ist in der Tat eine Prostituierte (wenn auch nicht „offiziell“), die Liebe zum jungen Schriftsteller hat keine Chance, und das End ist vieles, aber nicht Happy.

Hat man sich auf die Tatsache eingegroovt, dass hier eine Adaption des Romans, und kein Aufguss des Films aufgeführt wird, kann man sich hervorragend unterhalten: Das gesamte Ensemble ist hochklassig, Anna Friel hinreißend (blond, und ja – charmant nackt), und ein cleveres Arrangement von Außentreppen und Türen suggeriert nicht nur eine große Menge an Locations, sondern auch das Lebensgefühl in New York Anfang der 60er.

Die größte Überraschung war für mich, dass die Aufführung nachträglich den Genuss des Films verdirbt, denn sie entlarvt ihn als heuchlerisch und spießig.

Kurzum: Ein über die Inszenierung hinaus faszinierendes Erlebnis, wenn man auf klassisches Erzähltheater amerikanischer Tradition steht.

Viel Lärm um Nichts

viellärmDie Münchner Inszenierung von „Viel Lärm um Nichts“ hatte bei mir von vorne herein einen schweren Stand, denn am Tag zuvor hatte ich mir die Film-Version von Kenneth Branagh angesehen, die derart souverän, leicht, und sommer-sonnig daher kommt, dass eine geschlossene Bühne dem praktisch nicht gerecht werden kann. Dazu noch eine Traumbesetzung mit Branagh, Emma Thompson, Michael Keaton, Denzel Washington, Keanu Reeves, etc.. Ich war ziemlich sicher, dass im Residenz von dieser Fülle nur ein Abklatsch bleiben würde.

Weit gefehlt. Die Inszenierung von Jan Philipp Gloger verfolgt einen radikal anderen Ansatz, der genau so gut funktioniert, auch wenn er andere Schwerpunkte setzt. Die Handlung wird in die Gegenwart verlegt, Schauplatz ist die Villa einer mächtigen Mafia-Familie. Es geht „Clan gegen Clan“ und einziges Bühnenbild ist eine auf der Mittelachse rotierende Mauer.

Natürlich ist diese Interpretation von „Viel Lärm um Nichts“ düsterer, blutiger sogar. Wo bei Branagh Zweifel und Kritik mit jovialer Freundlichkeit ausgesprochen werden, bekommen sie hier einen gefährlich drohenden Unterton. Es ist offensichtlich, dass die romantischen Verwicklungen nicht dem Glück der Beteiligten, sondern dem Machtstreben der „familia“ dienen.

Die widerspenstige Liebe von Beatrice und Benedict wirkt in diesem Kontext unpassend rein, geradezu grotek unschuldig. Dazu trägt bei, dass Benedict mitunter geckenhaft kostümiert und frisiert ist, und Beatrice als wenig attraktive Jungfer kaum romantische Wollust rechtfertigt.

Aber es ist gerade dieser Kontrast, der „Viel Lärm um Nichts“ davor bewahrt, als Mafia-Epos zu selbstgefällig zu werden, und damit die Intention Shakespeares zu verraten.

Die Darsteller sind dabei so fehlerlos wie die Inszenierung, der es gelingt, die rotierende Mauer zu immer neuen Bestandteilen der Erzählung zu machen.

Kurzum: Eine der leichtesten Komödien Shakespeares wandelt auf „Der Pate“-Territorium. Vielleicht nicht perfekt, aber allemal eigenständig genug, um neben dem perfekten Film zu bestehen.



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MisterPink
MisterPink
18. Mai, 2010 11:18

Sehr schön, langsam werde alle meine Träume wahr! Ich bin selbst begeisterter Theaterbesucher bzw (laienhafter) Darsteller am Schauspielhaus Bochum, und liebe einfach gute Inszenierungen, die, da wirst du mir recht geben, mit anderen ‘klassischen’ Medien wie Film oder Buch einfach nicht zu vergleichen sind. Nicht besser oder schlechter, aber – anders.

Für mich ist es interessanter, und so gerne ich deine Film- und sonstigen Kritiken lesen – das hat noch grade noch gefehlt! 😉

Schade nur das du, wie eingangs erwähnt, wohl eher keine Stücke hier aus dem Ruhrpott reszensieren können wirst und ich mir genausowenig den regelmäßigen Theaterbesuch in und um München leisten könnte.

Nun ja, trotdem klasse das jemand mit ein bisschen ‘Öffentlichkeit’ sich zum Theater bekennt, grade in meiner Generation hat diese Kunst ein wenig Werbung nötig!

MfG, MisterPink.

Brummsel
18. Mai, 2010 12:02

Ach, verdammt!!
Jetzt würde ich mir am liebsten jede Einzelne dieser Inszenierungen ansehen. Besonders Breakfast at Tiffany’s.
Aber stattdessen sitze ich hier in meinem Kaff…. *schmoll*

Dietmar
Dietmar
18. Mai, 2010 12:07

@Brummsel: Geht mir auch so. Ich könnte aber jeden Tag der Woche ich eine andere Spielothek gehen …

Baumi
Baumi
18. Mai, 2010 13:22

Könntest Du evtl. noch dazuschreiben oder verlinken, wo genau die Inszenierungen laufen? Nur für den Fall, dass man zufällig mal in der Nähe ist.

Dr. Acula
18. Mai, 2010 13:54

Zu den wenigen Dingen, die ich aus irgendwelchen Gründen in meiner Berliner Zeit nie gemacht habe, gehört den “Complete Shakespeare” nie besucht zu haben… der Schiller könnte mir schätzungsweise gefallen (vermutlich sogar besser als ein hypothetischer Goethe).

Peroy
Peroy
18. Mai, 2010 16:37

“Zu den wenigen Dingen, die ich aus irgendwelchen Gründen in meiner Berliner Zeit nie gemacht habe, gehört den “Complete Shakespeare” nie besucht zu haben…”

Und, wie oft warst du drin… ?

Dr. Acula
18. Mai, 2010 18:10

Hmpf. Scheiß Doppel-Verneinung…

Comicfreak
Comicfreak
18. Mai, 2010 19:21

“es gibt keine solche Organisation. Nie nicht.”

..na, in welchem Film isses?

😉

..wenn ihr irgendwo mal Ilja Richter auf der besetzungsliste seht, auf der buehne ist er unschlagbar!

Dietmar
Dietmar
18. Mai, 2010 19:56

@comicfreak: Dafür aber auch ein Arroganzling besonderen Härtegrades.

(Kommt jedenfalls so ´rüber.)

steffi
steffi
19. Mai, 2010 03:04

So sehr, wie Du das alles hochjubelst, warst Du noch nicht oft im Theater, oder?

Comicfreak
Comicfreak
19. Mai, 2010 06:47

@ Dietmar

..ich hatte ihn als Stotterer in “Pension schoeller” gesehen, traumhaft. Und arroganter als Ruehmann seinerzeit kann er privat (was mir herzlich egal ist), auch nicht sein.

Wortvogel
Wortvogel
19. Mai, 2010 11:02

@ Steffi: Nein, das hier sind nur die positiven Kritiken. Es kommen da noch ganz andere…

Tornhill
Tornhill
19. Mai, 2010 21:45

“Und überhaupt – wäre nicht zuerst einmal Goethe dran?”
Ich würde sagen, nein, da er zwar der bessere Dichter, auf langer Strecke Schiller jedoch der bessere Dramatiker war.

“Die größte Überraschung war für mich, dass die Aufführung nachträglich den Genuss des Films verdirbt, denn sie entlarvt ihn als heuchlerisch und spießig.”
Kann ich mir vorstellen! Ich staunte auch, wie Buch und Film auseinanderklaffen und wenn das dann noch in einem “Schauspielermedium” zusammen trifft, wird es wohl noch deutlicher.

“Viel Lärm um Nichts” klingt trotz deiner lobenden Worte allerdings etwas nach meinen alten Feind, dem modernen Regietheater.
Komödien zu verfinstern (etwa den Eselsmenschen im “Sommernachtstraum” in ein gehäutetes, schreiendes Stück Leid zu verwandeln) ist ja einer von dessen Spezialitäten.

Wortvogel
Wortvogel
20. Mai, 2010 18:49

@ Baumi:

“Ganz oder gar nicht” – München, “Und so fort…”-Theater

“Viel Lärm um Nichts” – München, Residenz

“Breakfast” – London, “Theatre Royal”

Den (noch folgenden) Rest habe ich auch in München gesehen, bis auf “39 Steps”, das war an Silvester in London.