09
Feb 2010

Einmal Kurzstrecke: Von der Yellow Press zum anspruchsvollen Online-Journalismus

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Die Stimmen, die den SPIEGEL als “Sturmgeschütz der Demokratie” bezeichnen, werden leiser – und weniger. Besonders der Online-Ableger SPon muss sich häufig Schlabberigkeit bei der Themenauswahl und einen ungesunden Hang zum Boulevard nachsagen lassen. Kein Wunder, denn Klicks bringen Werbung, Werbung bringt Geld – und da darf es auch gerne mal eine Meldung über Hollywood-Starlets oder Promi-Brüste sein (samt Fotostrecke, versteht sich).

Ich habe damit gewöhnlich kein Problem: Auch SPon muss leben, und Artikel, die mich nicht scheren, lese ich auch nicht. SPon ist seit mittlerweile 15 Jahren meine Startseite ins Internet.

Heute habe ich mich aber mal wieder richtig geärgert:

spiegel

Mein Problem an dem Artikel ist nicht das Thema. Soll SPon doch über das Liebesleid der Schwester von Britney Spears berichten, solange sie wollen – ich zahle nicht dafür,  und “wenn’s schee macht”…

Mein Problem ist die Übernahme aus einer Quelle, die sich selbst nur auf (ziemlich wahrscheinlich erfundene) Quellen beruft.

Basis des Beitrags ist diese Meldung bei people.com, in der ausschließlich “friends” und “sources” zu Wort kommen. Und ich habe ja schon mal ausführlich erklärt, wie solche Aussagen zu werten sind.

Jungs und Mädels von SPon, in aller Freundschaft: Klatsch ja, aber bitte auch dabei Spreu und Weizen trennen.

SPon übernimmt bedenkenlos die vagen Quellen – zweimal direkt, und zweimal unter Berufung auf People. Es geht nicht um das, was Jamie Lynn Spears getan hat, sondern getan haben soll. Was man so hört. Über drei Ecken.

Ärgerlich daran: Damit ist die Luftnummer von Meldung immerhin schon auf der Webseite von Europas größtem Nachrichtenmagazin angekommen, und nach den Spielregeln der Boulevard-“Stille Post” legitimiert.

Andere Medien können nun fröhlich nachziehen, ohne sich die Finger an der amerikanischen Klatschpresse schmutzig zu machen, denn: “Wie SPIEGEL online vermeldet…”.

Klingt doch gleich erheblich seriöser als “Wie ein angeblicher Freund der Familie PEOPLE verraten haben soll…”

NACHTRAG: Ein weiteres schönes Beispiel für die sorglose Weiterreichung von gelber an graue Presse findet sich heute auch bei Bildblog.



Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

6 Kommentare
Älteste
Neueste
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
Mencken
Mencken
9. Februar, 2010 18:09

Ich glaube, die Diskussion hatten wir schon, aber ich denke immer noch, daß das Problem mittlerweile primär die Erwartungshaltung des Lesers ist – würde die Seite einen anderen Namen haben, würde man derartige Artikel auch nicht weiter störend (oder zumindest weniger störend) finden.
Der Spiegel hat aber schon längst mit dem alten “Sturmgeschütz der Demokratie” Image abgeschlossen und ist mittlerweile ohnehin nur noch eine Fokus-Alternative (mit 60% mehr Hitler- und 20% mehr RAF Gehalt) und SPon die Resterampe, auf der sich die Praktikanten austoben können, was sicherlich bedauerlich ist, offensichtlich aber von Seiten des Verlags gerne in Kauf genommen (und vor allem auch nicht ernsthaft bestritten oder kaschiert) wird, womit letztendlich das bedauern (und Klagen) über die nachlassende Qualitätskontrolle sinn los erscheint – man kann nicht bemängeln, das etwas nicht geboten wird, was von vornherein nicht geboten werden sollte.

Wortvogel
Wortvogel
9. Februar, 2010 18:29

@ Mencken: Ich würde das so nicht unterschreiben. Ich bevorzuge den Aufbau, die Themenmischung, und über weite Strecken durchaus die Schreibe von SPon. Gerade deshalb würde ich eine bessere Qualitätskontrolle begrüßen.

Mencken
Mencken
9. Februar, 2010 18:53

@Wortvogel: Bevorzuge gegenüber was? Dem “klassischen” Spiegel oder Fokus?

Ich lese SPon ja auch und würde mich über eine bessere Qualitätskontrolle freuen, der Punkt ist allerdings, daß ich nicht sehe, daß SPon Ansprüche hat, die eine bessere Qualitätskontrolle aus Sicht des Verlages erforderlich machen würden (eben “disposable entertainment”) und hier scheint mir oft noch eine Art von “Disconnect” vorzuliegen – man (und mir geht es auch oft so) erwartet vom Spiegel schon noch höhere Qualitätsstandards, aber dies ist vermutlich einfach unsinnig und irgendwo auch unfair, da abgesehen vom grossen (und irgendwo ja auch nur geliehenem) Namen eigentlich kein Grund für eine derartige Erwartungshaltung besteht.
Man kann sicherlich kritisieren, daß der Spiegel eigentlich eine derartige Erwartungshaltung bedienen sollte (analog zu Cameron und Avatar), aber für mein Empfinden kann dies nur eine grundsätzliche Kritik sein, die auch den Gesamtkontext berücksichtigen müsste.
Grundsätzlich aber natürlich immer löblich, derartige Schlampereien anzusprechen; allein Hoffnung auf Besserung sollte man sich wohl nicht machen.

Wortvogel
Wortvogel
9. Februar, 2010 19:06

@ Mencken: Ich stimme dir grundsätzlich zu, sehe die Situation nur nicht so dramatisch. Über weite Strecken halte ich SPon immer noch für gut geschrieben und recherchiert. Außerdem gefällt mir der Aufbau. Da ich tatsächlich AUCH über Klatsch und Kultur informiert werden will, passt mir die Mischung. SPon sollte besser sein – aber etwas Besseres in vergleichbarer Zusammenstellung kenne ich auch nicht.

milan8888
milan8888
10. Februar, 2010 22:21

Also für Klatsch würde ich dann doch auf http://www.thesuperficial.com zurückgreifen.

Howie Munson
Howie Munson
11. Februar, 2010 01:11

Ich dachte Spiegel (egal ob papier oder online) heißt nur noch “ehemaliges Nachrichtenmagazin”….
http://blog.fefe.de/?ts=b5fcc251 *duck&weg*

ernsthaft: da es DPA schon nicht kümmert von wem die BILD (womöglich falsch) abschreibt, ist es doch egal wer die Meldung nun als erstes auf deutsch verbreitet, Hemmungen hat eh keiner…