12
Dez 2009

Mein klitzekleines Ibiza-Tagebuch (2)

Themen: Neues |

Jeder sollte einen Ort wie Ibiza haben, an dem er sich in harten Zeiten vergraben kann, um herkulische Aufgaben ungestört von der schnatternden Restwelt zu erledigen. Ich lerne wieder einmal, dass epische Romane nicht zu den Dingen gehören, die man in einem Multitasking-Kontext nebenher erledigen kann. Das braucht Ruhe, und Fokus. Sangria hilft auch.

Natürlich vermisse ich die neusten Folgen von House, Bones, und Lie to Me. Ich bekomme weder die TV-Quoten mit, noch den Fortgang der Verhandlungen über die Gesundheitsreform in den USA. Aber das wird sich nachholen lassen, wenn ich zurück bin. Ich beschließe außerdem, im ersten Halbjahr 2010 nochmal strikt für Urlaub nach Eulalia zu kommen. Wenn es draußen 30 Grad hat. Wenn man den faulen Hintern an den Strand knallen kann. Wenn alle guten Restaurants der “Fressmeile” wieder auf haben. Sollte der Besitzer der Wohnung allerdings jemals einen Internet-Anschluss legen lassen, sehen die mich hier nie wieder. Dann ziehe ich vermutlich in eine Blockhütte nach Schweden.

Unter solchen Umständen werden Bestseller geschrieben! 5.12.: Noch schlechter geschlafen, eigentlich kaum. Entweder bricht sich die gesammelte Erschöpfung von 2009 Bahn, oder ich bin schlicht aus-geschlafen, und sollte die Pooferei wieder reduzieren. 15 Grad, sehr sonnig. Spülen. Ich gehe Kleinkram einkaufen, Batterien, Cola, Bananen. Danach Fotos – das beneidenswerte Wetter muss ausgenutzt werden. Der Roman wird recht politisch, und hat unerwartete Parallelen zu verschiedenen historischen Ereignissen der letzten 300 Jahre. Entscheide mich, heute auch den Epilog zu schreiben, um eine genauere Vorstellung von der zu bewältigenden Restmenge zu bekommen. Es werden fünf Seiten. Das reicht. Mein Unterbewusstsein murmelt ständig: noch fünf Tage, noch fünf Tage, noch fünf Tage. Aber egal: Jetzt ist Zielgerade! Brate zum Abend Frikadellen, schaue “Tough guys don’t dance”, und Folgen von “Saturday Night Live” aus den 70ern. Seitenstand: 350.

So geht es prima in den Abend 6.12.: Geschlafen. Nicht wirklich gut, aber geschlafen. Entweder hat es wieder 15 Grad bei strahlendem Sonnenschein, oder das Thermometer ist kaputt. Ich schreibe auch am Sonntag/ Nikolaus – no rest for the wicked! Mein Zeitgefühl geht völlig verloren, ohne dieses Tagebuch wüsste ich nicht, wie lange ich schon hier bin. Es kommen die grundsätzlichen Fragen auf – habe ich am Anfang des Romans genügend Tempo drin? Hätte ich eine distanziertere, weniger echtzeitige Erzählform für den Einstieg finden können? Geht es, besonders in der ersten Hälfte, zu sehr um Sex? Geht es bei den Nibelungen überhaupt um etwas anderes? No regrets – hinterher ist man immer schlauer. Zum Ende muss ich die Szenen genauer vorplanen, weil der Roman die vereinbarte Länge haben soll. Sieht gut aus. Bin spektakulär früh fertig. Trip zum Internet-Café: 171 Emails downloaden, drei Beiträge uploaden. Schicke bisherige Ergüsse als Email an mich selbst (siehe –> Autoren-Paranoia). Graf Lambsdorff ist tot. Ich schaue “Infestation” – cool ekliger B-Käfer-Grusel. Warum macht ProSieben nicht mal sowas? Seitenstand: 370.

Zunehmende Degeneration mit einhergehender äußerlicher Vergammelung 7.12.: Zweite Woche fängt gut an: 15 Grad laut Thermometer, 20 Grad laut N24. Tatsächlich: Draußen Sommerwetter, und alles blüht um die Wette. Ich dusche ausgiebig, will Brötchen kaufen, Supermarkt hat zu. Egal. Keine Dramen in den 171 Emails. Stress lässt nach. Habe die Adresse des Lektors bekommen, damit der über den Jahreswechsel an die Arbeit gehen kann. Ups: Die Nibelungen reden diesmal anders als früher – in direkter Rede statt in Italics. Da muss ich nochmal drüber. Man kann ja nicht alles dem Lektor überlassen. Schreibe etwas zäh, brauche bis 20.30 Uhr für das normale Pensum. Es geht jetzt in die letzten Schlachten – mein nächster Roman wird garantiert eine “schwertfreie Zone” (© Kai Meyer). Ächz. Ausflug: In Ibiza Stadt ist kurioserweise Kirmes. Ich esse ein Eis, und versaue mir den Rest des Abends mit “Der Superbulle auf dem KuDamm”. Es gibt keinen Gott, in der Tat. Seitenstand: 390.

Die Sonne knallt hier zum Jahresende nochmal richtig rein!

8.12.: Ich schlafe immer noch unruhig, träume von den Problemen, die ich habe, weil ich unruhig schlafe. Meta-Träume? Deutsche Bäckerei in Eulalia backt kleine Brötchen. Endlich wieder SPIEGEL – macht die größte Isolation von der Heimat baum erträglich. Essay von Sascha Lobo (vs. Schirrmacher) ist auf den Punkt. Kaufe zusätzlich den “Guardian”. Wetter wieder wunderschön. Der Druck im Kopf ebbt ab. Spanier fahren wie Schweine – könnten aber auch deutsche Überwinterer sein. Ich gehe die 400 an, trete ihr gegen das Knie, verhöhne sie, sagte hässliche Sachen über ihre Mutter. Sie gibt auf. <spoiler> Die Bösewichter der Geschichte sterben. </spoiler> Ich starte die fünfte Text-Datei (immer 100 Seiten pro Block, Gewohnheit). Höre schon die Jubelschreie an der Ziellinie. Es siegt so aus, als würde der Roman ein paar Seiten kürzer als geplant – man will das Ende ja nicht ewig hinaus ziehen. Aber solange ich zwischen 400 und 500 Seiten bleibe, ist es vertragsgemäß. Ich mache mir Albondigas warm (vulgo: Hackbällchen), und Bratkartoffeln. Der Rest des Abends gehört Video-Kleinkram, der seit Ewigkeiten auf der Festplatte rumlungert (Dawkins, Dittsche, deutsche Experimentalfilme der 20er, etc.). Seitenstand: 410.

9.12.: Die Arbeit läuft immer besser, der Schlaf immer schlechter. Aber wieder Kaiserwetter bei 17 Grad. Kaufe ein Sixpack Bier, koche sieben Eier hart. Eine Siamkatze schlendert am Pool vorbei. Die Schokolade im Advents-Kalender ist verdorben. SO sollte Milka frisch aus der Folie wahrscheinlich nicht aussehen... Seltsam. Dem Roman fehlt jetzt nur noch der Ausklang, die ordentliche Auflösung der Beziehungen, das finale Verbeugen der Figuren vor dem narrativen Vorhang. Ich bin zuversichtlich, das auch noch zu schaffen. Und tatsächlich: Mit 10 Seiten weniger als erwartet, und einen Tag früher als errechnet, schreibe ich “Ende” in die letzte Zeile. Bin wie immer ein wenig verwirrt: Was mache ich jetzt? Wer bin ich überhaupt? Ich feiere lustlos mit einem Bier und Spaghetti Carbonara. Ansonsten weiß ich nichts mit mir anzufangen. Weil noch Restenergie vorhanden ist, schreibe ich eine Sackladung Kurzkritiken. Der Crash kommt früh genug. Seitenstand: 420.

10.12.: Mich hin und her gewälzt, als lasteten Kindesmorde auf meinem Gewissen. Zur Strafe lange bei wunderschönem Wetter spazieren gegangen, Fotos gemacht, prima Mehrkorn-Brötchen gekauft. Frühstück um 14.00 Uhr, dann Arbeit an weiteren Kurzkritiken. Schließlich lässt es sich nicht vermeiden: Ich führe alle Textdateien zusammen, schreibe den “Nibelungen-Speak” um, schaue nochmal, was die Rechtschreibprüfung sagt, und verfasse einen neuen Text für das Backcover und die Prospekte, der den aktuellen Inhalt wiederspiegelt. So kann es Samstag vom Internet-Café rausgeschickt werden. Die Pflicht ist getan – die Tage bis zum Rückflug dienen der Kür (Ideen, Konzepte, Projekte). Wetterbericht kündigt für den Tag meiner Rückkehr in ganz Deutschland Dauerfrost an, brrr… Reste-Essen, Schnack mit einheimischem Kumpel, der auf einmal vor der Tür steht. Endgültiger Seitenstand: 429.

Auf der Strasse nach Süden...

Wer generell wissen will, warum ich ausgerechnet nach Ibiza fahre, um meinen Roman zu schreiben, kann das hier nachlesen.



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Stephan
Stephan
12. Dezember, 2009 14:45

Herzlichen Glückwunsch!

reptile
reptile
12. Dezember, 2009 15:35

Ich würde das Blockhaus in Schweden vorziehen.
Bin nicht so der Sonnentyp und finde den Gedanken an eine ofenwarme Holzhütte sehr verlockend. Wenn es dann noch schneit….perfekt.

Ich stelle es mir z.B. schwer vor im Hochsommer einen Horrorroman zu schreiben. Man sieht aus dem Fenster: Alles hell, sonne Pur, fröhliche Menschen….

Dietmar
Dietmar
12. Dezember, 2009 19:46

Na toll! JETZT hast Du´s geschafft: Das Bild roten Weines in der Abendsonne (Morgensonne kann es bei Deinem Schlafverhalten ja nicht sein *gnihihi*) macht mich neidisch!

Dietmar
Dietmar
12. Dezember, 2009 19:50

Oh, jetzt erst zuende gelesen: Du bist fertig? Glückwunsch! Die Nibelungen (I) werden sich in unserem Hause auf dem Gabentisch finden.

paddy-o
paddy-o
13. Dezember, 2009 00:08

Die Schoko sieht mal echt DICK verschimmelt aus.
Was verhökert Sat1 da für nen Müll? ^^

Vielleicht deshalb die Schlafstörungen? 😉
Jedenfalls: Glückwunsch!

Lari
Lari
13. Dezember, 2009 00:39

Na also, Glückwunsch!

“Mich hin und her gewälzt, als lasteten Kindesmorde auf meinem Gewissen.” – Ich bin nach Kindesmorden immer sehr entspannt und nur ein bisschen melancholisch. 8)

iggypop
iggypop
13. Dezember, 2009 18:00

“Weil noch Restenergie vorhanden ist, schreibe ich eine Sackladung Kurzkritiken.”

Freue mich schon darauf, hoffentlich gibt’s die ersten schon bald.

arghlöh
arghlöh
14. Dezember, 2009 00:34

hat eigentlich schon jemand folgendes lied gepostet http://www.youtube.com/watch?v=4OnhldvG9H0 ? *flücht* bitte nich hauen ! XD

edit: glückwunsch zur fertigstellung des buches!

Dietmar
Dietmar
14. Dezember, 2009 00:46

@arghlöh: Fühle Dich übel bestraft!

Mann, soviele Ausrufezeichen gibt´s ja gar nicht, wie man hier setzen müsste!

arghlöh
arghlöh
14. Dezember, 2009 02:09

@Dietmar: kp warum,aber das lied fällt mir immer als eerstes ein,wenn ich “ibiza” höre/lese XD. sorry nochmal XD

Dietmar
Dietmar
14. Dezember, 2009 10:35

@arghlöh: Na super! Und deshalb meinst Du, andere damit anstecken zu müssen? 🙂

arghlöh
arghlöh
14. Dezember, 2009 18:29

@Dietmar:ich leide nicht gerne alleine ;D