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Mrz 2009

Ruhe da vorne! Movie-Mania 2009 (36) Heute: The Late Shift

Themen: Film, TV & Presse, Movie-Mania 2009, Neues |

late1USA 1996. Regie: Betty Thomas. Darsteller: John Michael Higgins, Daniel Roebuck, Peter Jurasik, Bob Balaban, Kathy Bates, Treat Williams u.a.

In den Jahren 1990 bis 1993 kam es in den USA zum sogenannten „Late Night War“. Nach 30 Jahren ging die Karriere von Johnny Carson in NBCs „Tonight Show“ ihrem Ende zu, und zwei Thronfolger standen in den Kulissen: Komiker Jay Leno, der als Urlaubsvertretung von Carson mehrfach eine gute Figur gemacht hatte, und David Letterman, der seit 10 Jahren die Show direkt im Anschluss an Carson moderierte. Beide wollten den goldenen Sessel des Late-Talks unbedingt haben, aber Leno hatte den Vorteil der skrupellosen Agentin Helen Kushnick, die immer wieder mit erpresserischen Methoden ihren Schützling durchboxte. So bekam Leno die „Tonight Show“, und Letterman blieb vorerst auf dem späteren Sendeplatz – wütend und gedemütigt. Doch Helen, die Leno den Job besorgt hatte, entpuppte sich als katastrophal diktatorische Produzentin, und wurde bald von NBC gefeuert. Damit wankte Leno selbst, und Letterman konnte wählen: seinen Freund und Kollegen aus dem Rennen boxen, oder zu CBS gehen, wo man ihm eine brandneue Show auf dem gleichen Sendeplatz anbot. Er wählte die letztere Möglichkeit, und seither ist jeder Abend ein Wettrennen um die Quoten Leno vs. Letterman.

Bill Carter schrieb ein Buch darüber – und HBO machte einen TV-Film draus.

Ich glaube, von allen Filmen der „Movie-Mania 2009“ ist „The Late Shift“ der mit der kleinsten Zielgruppe. Man muss sich schon sehr für das amerikanische TV-Business interessieren, um die Story interessant zu finden – und heute, mehr als 15 Jahre später, ist das Thema sowieso durch. Es gab in den letzten Jahren einen neuen Late Night War um die Nachfolge von Leno, der vielleicht nicht so brutal ausgefochten wurde, aber dafür erheblich überraschendere Ergebnisse brachte: Conan O’Brien wird der Nachfolger von Leno, mit Jimmy Fallon übernimmt ein totaler Newcomer Conans alte Show, und auch Jay ist mitnichten weg vom Fenster: Er bekommt die erste Late Night Show, die streng genommen nicht mehr in der Late Night läuft, sondern schon um 22.00 Uhr. Ein unerhörtes und sehr riskantes Experiment.

Somit ist diese HBO-TV-Produktion also weniger ein interessanter Spielfilm, und mehr eine verfilmte Fußnote der TV-Geschichte. Er wird auch sicher niemals neben Klassikern wie „A face in the crowd“ oder „Network“ stehen. Eher passt er zu anderen Doku-Dramen, die historische Business-Fälle für das breite Publikum unterhaltsam aufarbeiten – „Barbarians at the Gate“ (Übernahmeschlachten in der Tabak-Industrie), „Pirates of Silicon Valley“ (der Aufstieg von Microsoft und Apple), und „The crooked E“ (der Enron-Skandal). Nicht vergleichbar ist der Film trotz stilistischer Ähnlichkeiten mit den stark fiktionalisierten und banalen „Behind the camera“-Movies über die Dreharbeiten von „Mork vom Ork“, „Charlie’s Angels“, und „Denver-Clan“, die immer mal wieder produziert werden.

late2Insofern verstehe ich gut, wenn euch diese Filmkritik eher kalt lässt – bei mir ist das aber anders: ich habe lange genug in der Branche gearbeitet, um von den Mechanismen fasziniert zu sein. Oder vielleicht war es auch andersrum: ich war immer so sehr von den Mechanismen fasziniert, dass ich mir diese Branche ausgesucht habe. Anfang der 90er (ihr könnt es sicher nicht mehr hören) arbeitete ich beim GONG; und wir bekamen regelmäßig die neuen Ausgaben von „Variety“, „TV Guide“  und „Hollywood Reporter“. So bekam ich den „Late Night War“ aus der Ferne durchaus mit, auch wenn ich viele Details nicht verstand. Obendrein strahlte RTL2 damals auch unsychronisierte Folgen von Lettermans Show spät in der Nacht aus. Im Vergleich mit ihm sah „Gottschalks Late Night“ bei RTL wie Amateurfernsehen aus.

Ich habe das Buch, auf dem „The Late Shift“ basiert, nie gelesen. Aber schon die Detailfülle des Films ist faszinierend – wie sich die Verantwortlichen der Sender und Produktionsfirmen in Meetings und Memos Zahlen um die Ohren hauen, verlangt ein gewisses Grundverständnis für die TV-Szene. Man hat das Gefühl, wirklich dabei zu sein – und die dargestellten Ereignisse sind verbürgt genug, um nicht fiktionalisiert werden zu müssen. Helen Kushnick, die hier als der eigentliche Bösewicht rüberkommt, klagte allerdings (erfolglos) gegen das Buch.

Interessant finde ich die Balance, die der Film hält: man kann die Tricks und Winkelzüge der Beteiligten durchaus verstehen – jeder ist erpicht, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen, und Freunde hat man nur solange, wie man sie nicht braucht. Es gibt demnach auch keine Aufteilung in Gut und Böse, wenn man von Helen absieht, die einfach irgendwann größenwahnsinnig wurde (ihre Telefonate scheinen nur noch aus Kraftausdrücken zu bestehen).

Nicht weniger spannend ist die (angeblich recht authentische) Darstellung von Leno und Letterman, die uns jeden Abend die jovialen Spaßmacher vorspielen, aber in Wirklichkeit zutiefst verunsicherte Charaktere sind. Diese Dompteure haben keine Angst vor den Löwen, sondern vor den Zuschauern. Besonders David Letterman lässt „behind the scenes“ jede intellektuelle Lässigkeit, die ihn in der Show auszeichnet, fahren – er ist ein nervöses, von Selbstzweifeln geplagtes Wrack.

Das Manko des Films liegt nicht in der Qualität der Darsteller, sondern in der Notwendigkeit, reale Personen nachspielen zu müssen. Letterman und Leno haben unverwechselbare Charakterköpfe, und während John Michael Higgins sich sehr gut schlägt, hat Daniel Roebuck einfach keine Chance: das riesige Kinn, die piepsige Stimme – er interpretiert Leno nicht, er imitiert ihn. Das erinnert an Helge Schneiders unpräzisen Hitler in „Mein Führer“.

Trotzdem: Wer sich für solche Insider-Filme interessiert, wird bei „The Late Shift“ gut unterhalten. Man sollte halt wissen, was Syndication bedeutet, wer Mike Ovitz ist, was der Status von Johnny Carson war, und warum das Booking eine so große Bedeutung hat.

Kein Trailer verfügbar.



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DonVito
DonVito
5. März, 2009 16:30

“K”athy Bates, bitte 😉 .

Wortvogel
Wortvogel
5. März, 2009 16:39

Das kommt davon, wenn man Kritiken schreibt, gerade aber keinen Internetanschluss parat hat…

Lutz
Lutz
5. März, 2009 16:53

Also, ich finde, der Film klingt zumindest interessant. Ich werde jetzt sicher nicht danach suchen, aber sollte er mir mal vor die Augen kommen, wird er geschaut.

Ich habe aber immer ein mulmiges Gefühl, wenn ich so einen Film sehe über lebende Personen, die auch immer noch im rampenlicht stehen.. Irgendwie fühlt sich das seltsam an.

Lutz
Lutz
5. März, 2009 19:26

Uiuiui… du hast es heute mit den “K”s… Die Dame, die Kathy Bates spielt hieß nicht Mushnick, sondern Kushnick

Wortvogel
Wortvogel
5. März, 2009 19:46

Pedant.

Peroy
Peroy
5. März, 2009 21:01

Ihr Arbeitstitel war “Mushnick”…

Dieter
Dieter
6. März, 2009 15:13

Na wer ist denn da noch eingeschnappt … ?

john
john
6. März, 2009 16:13

ich kenne den film nicht, deshalb danke für den tip, ich wußte nur von dem buch.

aber eine anmerkung habe ich: es gab in den letzten jahren keinen neuen late night war, leno hat jahre vorher conan als seinen nachfolger bekanntgegeben, um genau das zu verhindern.

nur ist conan jetzt etwas enttäuscht, weil leno schon wieder vor ihm auf sendung sein wird (auch wenn er’s nicht zugibt). DAS hätte das zeug zum neuen late night war: conan und leno prügeln sich auf dem gleichen sender um die gäste.

siehe auch hier: http://www.nytimes.com/2009/02/19/arts/television/19conan.html

john
john
6. März, 2009 16:30

letterman macht ja auch ständig witze darüber, großartig!

letterman: “there’s a new bin laden tape out there and political scientists think it’s legit. yes it’s confirmed because bin laden aired his message in his new 10 pm time-slot!”
paul: “ouch!”

Tornhill
6. März, 2009 16:36

Wenn jetzt noch einer einen dritten K-Fehler findet, ist der ganze Artikel als subliminale Botschaft des KKK enttarnt.

john
john
6. März, 2009 17:13

ich weiß, jetzt wird’s pedantisch, aber fallon ist kein “totaler newcomer”. er war lange bei saturday night live und hat in mehreren (z.t. sehr bekannten) filmen mitgespielt.

conan war damals der newcomer! er war davor jahrelang autor für die simpsons, aber vor seiner late night show hat man ihn nie selber im fernsehen gesehen.

Wortvogel
Wortvogel
6. März, 2009 17:53

@ John: Ja, du bist pedantisch – besonders, weil du meinen Text bewusst so auslegst, dass du ihn korrigieren kannst. Jimmy Fallon ist natürlich Newcomer IM LATE NIGHT BUSINESS (im Gegensatz zu anderen Hosts wie Carson Daly oder Jimmy Kimmel). Und ob du die Mechanismen, die zur Nachfolge von Jay Leno führten, nicht als “Late Night War” bezeichnen magst, ist mir vergleichsweise wurst.

john
john
6. März, 2009 18:05

nanu? sooo negativ kamen mir meine kommentare aber nicht vor, daß du so darauf antworten mußt. sie waren zumindest nicht so gemeint.

daß du das mit fallon anders gemeint hast, sorry, mein fehler, dann habe ich es wohl falsch gelesen. ich dachte halt nur, daß er im vergleich zu conan eben kein newcomer ist.

Wortvogel
Wortvogel
6. März, 2009 18:10

@ John: Es ist dieser “Das stimmt so nicht, und dies sehe ich auch anders”-Tonfall, der mich manchmal nervt. Gilt nicht speziell dir, du hast es aber leider abbekommen.

john
john
6. März, 2009 18:12

“[…] du hast es aber leider abbekommen.”

schön. wenn du hier nur ja-sager haben willst, ist das deine entscheidung und dein gutes recht. ich bin jedenfalls weg.

Wortvogel
Wortvogel
6. März, 2009 18:15

Ich will keine Ja-Sager, aber auf Klugscheißer kannn ich auch prima verzichten.

elvis
elvis
8. März, 2009 01:20

“The Larry Sanders Show” ist zu diesem Thema sehr zu empfehlen. Eine erfolgreiche HBO-Sendung mit Garry Shandling aus den Neunzigern, in der es um einen abgebrühten Late-Night host geht, um seine Probleme bei der Arbeit und im Privatleben. Auch wenn die Serie sehr charakterlastig ist erfährt man doch einiges über das Business.

Wortvogel
Wortvogel
8. März, 2009 01:30

@ Elvis: Auf “Larry Sanders” habe ich in einem früheren Beitrag bereits hingewiesen.