10
Feb 2009

Ruhe da vorne! Movie-Mania 2009 (20)Heute: No Blade of Grass

Themen: Film, TV & Presse, Movie-Mania 2009, Neues |

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USA 1971. Regie: Cornel Wilde. Darsteller: Nigel Davenport, Jean Wallace, Anthony May, Lynne Frederick

Es ist mal wieder Zeit für eine meiner berüchtigten Anekdoten.

Wie “Quest” neulich, gehört “No Blade of Grass” zu der Liste von Filmen, denen ich jahrelang erfolglos hinterher gehechelt bin. Kein Video-Release, keine DVD – entweder ist die Rechte-Situation unklar, oder da hat jemand geschlafen. Dabei ist die Verfilmung von John Christophers frühem Öko-Apokalypse-Roman nicht gerade ein obskurer Independent-Streifen, dessen einzige Kopie in irgendeiner Scheune verschimmelt: der Film wurde seinerzeit von MGM weltweit in die Kinos gebracht, und angeblich 1987 auf Video (allerdings ist mir keine dieser Kassetten jemals unter die Augen gekommen).

Mittlerweile bekommt man von dem Film ganz brauchbare DVD-Bootlegs, in meinem Fall aus Australien. Ich bestellte gleich noch “Hollywood Man” dazu, einen fast unbekannten Reißer vom Regisseur meines Lieblings “Race with the devil”. Und nein, ich  habe da keine Skrupel: wenn Verleiher nicht in der Lage sind, ihre Filme dem Publikum zugänglich zu machen, dann darf das Publikum auch gerne mal zur Selbsthilfe greifen. Ich hätte mein Geld lieber MGM als einem Videopiraten gegeben – aber die wollten es ja nicht.

Es gehört zur Ironie des Schicksals, dass ich zwei Tage nach Ankunft der Silberscheibe feststellen musste, dass exakt dieselbe Kopie in mehreren Teilen vollständig bei YouTube zu sehen ist.

Jawollja – am Ende dieses Beitrags findet ihr zur Abwechslung keinen Trailer, sondern den ersten Teil des kompletten Films!

Trotzdem warf ich die DVD neulich mit Begeisterung und Vorfreude in den Player. Ich hatte ja lange genug darauf gewartet.

Stellt euch mein Entsetzen vor, als ich zu den Opening Credits eine mir wohl vertraute Stimme hörte: Roger Whitaker! Es ist eine kaum fassbare Tatsache, aber “No Blade of Grass” beginnt mit einer heulsusigen Ballade des bärtigen Kenianers! Das muss man erstmal verdauen…

Verdaut.

Schließlich hat Joan Baez damals den Soundtrack zu “Lautlos im Weltraum” gemacht. Man lernt, mit vielem zu leben.

Als Umwelt-Horrorfilm ist “No Blade of Grass” ein früher Beitrag zum Subgenre, das Klassiker wie “Phase IV”, “The long Weekend”,  und eben “Lautlos im Weltraum” hervorgebracht hat. Dem Menschen ist es gelungen, seine Lebensgrundlage zu zerstören, und nun ist Wachablösung, was die Herrschaft über den Planeten angeht.

Diesmal ist es eine seltsame Viruskrankheit, die sich rasend schnell über den Globus verbreitet, und nicht etwa Menschen befällt, sondern alle Graspflanzen, was so ziemlich sämtliche nachwachsenden Nahrungsquellen vernichtet (Reis, Weizen, etc.). In wenigen Monaten zerbricht die Zivilisation, China lässt 300 Millionen Menschen exekutieren, um dem Rest das Überleben zu sichern. Die Mitteleuropäer, zu Beginn noch voller Zuversicht, auch dieses Problem aussitzen zu können, werden nicht weniger hart getroffen. Der Londoner John Custance beschließt, sich mit seiner Familie zur Farm seines Bruders durchzuschlagen. Es wird ein apokalyptischer Trip durch ein Land, dem binnen Tagen jede öffentliche Ordnung abhanden kommt. Eine Revolution der Überlebenden verspricht totales Chaos…

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Eins vorab: technische Perfektion darf man nicht erwarten. Independent-Produzent Cornel Wilde ist als Regisseur und Autor immer ein grober Geselle gewesen. Er schnitt seine Filme scheinbar mit der Axt, um Geld zu sparen. Es wurde abgedreht, was im Drehbuch stand, Stil oder flüssige Kameraführung waren dabei erschreckend zweitrangig. Weder nimmt Wilde sich Zeit, seine Charaktere ordentlich einzuführen, noch bleibt er jemals lang genug an den Schauspielern, um ihnen eine ordentliche emotionale Führung zu erlauben. Dialog vorbei? Wegschneiden. Zack. Handwerk, nicht Kunstwerk.

Die einzige Eleganz, die Wilde sich erlaubt, sind ungewöhnliche “flash forwards”, die Aussagen der Figuren mit zukünftigen Ereignissen kontrastieren. Das nimmt zwar mitunter die Überraschung, baut aber ein gerüttelt Maß an Spannung auf, weil man doch wissen will, in welchem Kontext diese Schnippsel stehen werden.

Nicht leichter wird der Zugang, weil der Film sich 100 Prozent an der Handlung orientiert, und nicht an die Figuren. Es geht nicht darum, etwas zu gewinnen oder zu verlieren, sich in einer verändernden Welt zu behaupten – alles, was “No Blade of Grass” interessiert, ist die Reise von A nach B. Das Innenleben der Charaktere bleibt unerforscht, eine Wandlung zum Ende hin ist unnötig. Das Ziel wird erreicht, der Film ist aus. Alles Plot, kein Fett.

Die krude Machart und die emotionslose Maschine der Dramaturgie ist gewöhnlich ein Garant für Langeweile, weil den Zuschauer nicht schert, was passiert. Doch “No Blade of Grass” ist einer der Filme, der von Cornel Wildes Brechstangen-Regie durchaus profitiert. So unfertig und roh die Dramaturgie, so chaotisch und unberechenbar ist ja auch die Welt, in der unsere Helden sich finden. Nichts ist mehr planbar, alles muss im Augenblick entschieden werden, die Reise ist ein Hindernislauf mit sich ständig verändernden Spielregeln. Diese Odyssee auf eine rigide konstruierte Storystruktur à la Syd Field zu setzen, wäre kontraproduktiv gewesen. Form und Inhalt – hier gehen sie eine vielleicht nicht hübsche, aber effektive Partnerschaft ein.

So ist “No Blade of Grass” ein erstaunlich kompromissloser, harter Film, der seinem Helden John Custance kaum Raum zur moralischen Überlegenheit lässt: zwar rettet und verteidigt er seine vergewaltige Ehefrau, und setzt sich als Alpha-Männchen an die Spitze einer Truppe von Heimatlosen – aber der Überlebenstrieb allein lässt ihm nur eine Handbreit Spielraum. John tötet schnell und skrupellos, er wägt den Wert jedes Einzelnen für seine Gruppe ab, Widerspruch darf er nicht dulden. Weil keine übergeordnete Staatsmacht mehr existiert, reduziert er sie auf seine Person.

An Schockeffekten herrscht kein Mangel, auch wenn “No Blade of Grass” sparsam mit Kunstblut umgeht: heftige Vergewaltigungen, keine Rücksichtnahme auf Frau und Kinder, zynische Gewalt, und immer wieder moralisch fragwürdige Episoden halten den Film komplett neben der Mainstream-Spur.

Nigel Davenport spielt John Custance großartig, beschützend und doch furchterregend autoritär. Auch die weiblichen Cast-Miglieder schlagen sich gut in Szenen, die für die damalige Zeit radikal und verstörend gewesen sein müssen, weil selten verschämt weggeblendet wird, wenn es zur Sache geht.

Erinnert “No Blade of Grass” technisch an die Drive In-Heuler und Bikerfilme der späten 60er (gerade durch das Motiv der permanenten Reise), so wirkt er inhaltlich wie die verfrühte Kino-Umsetzung der legendären TV-Serie “Survivors” von 1975, die im letzten Jahr eine vielbeachtete Neuverfilmung erfuhr.

Insgesamt sicher kein perfekter Film – aber ein großartiges Dokument seiner Zeit, immer noch absolut sehenswert, erstaunlich kurzweilig, und allemal einen besseren DVD-Release wert.

Aber was rede ich,  ihr könnt es euch ja selber anschauen – wenn ihr es über Roger Whitaker hinaus durchhaltet:

http://www.youtube.com/watch?v=mL4nVXJmEfY



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Dieter
Dieter
10. Februar, 2009 01:49

Ich kann mich nur dunkel erinnern, aber die ersten Stücke von dem guten Roger hatten eine deutlichen Folk-Einschlag. Meine ältere Schwester mochte ihn, bis er sich dann eindeutig in die Schmalz-Ecke verzog.

Toni
10. Februar, 2009 11:01

Hab mich gerade durch den Film gequält. Interessante Story, aber ziemlich fad umgesetzt und voller Logikfehler. Warum kommt es zwei Tage nach Ausbruch der Epidemie schon zu Kannibalismus? Warum fühlt sich die Tochter gerade bei dem Typen sicher, der 5 Minuten zuvor seine Frau umgebracht hat? Warum sitzt die Gruppe seelenruhig im Kreis, während 100 Meter von ihnen entfernt gerade eine Schlacht um eine Farm tobt? Warum fährt die Bikerbande 10 Minuten im Kreis und lässt sich abschießen? Und warum sind die alle so ruhig? Vergewaltigt worden? Schnell vergessen. Mann erschossen worden? Kurz schluchzen und weiter wird marschiert. Furcht zu verhungern? Fehlanzeige. Ich hätte irgendwie Panik, würde den Anführer und den Sinn und Zweck der ganzen Reise in Frage stellen, kurzum: ich würde emotional sein. So wirken die Figuren nur wie auf einem Schulausflug, auf dem halt hin und wieder ne Runde Paintball gespielt wird.

Der Stoff schreit doch nach einer Neuverfilmung!

Und mal grundsätzlich: Warum schaffen es so viele billigere Filme nicht, ihre Story wenn schon nicht effektvoll, so doch wenigstens logisch zu erzählen?

Wortvogel
Wortvogel
10. Februar, 2009 11:08

@ Toni: Ich könnte deine Punkte vermutlich alle widerlegen, allerdings habe ich dazu nicht die Zeit. Dein Hauptproblem, die permanente Frage nach dem “warum handeln die so oder so?” hatte ich ja bereits erwähnt – der Film entwickelt sich strikt am Plot, und nicht an den Figuren.

Die Neuverfilmung ist eigentlich “Survivors 2008”.

Billigere Filme sind statistisch gesehen nicht unlogischer als teure Filme.

Peroy
Peroy
10. Februar, 2009 15:21

Von dem Film hab’ ich noch nie was gehört… Zeichen und Wunder…

Peroy
Peroy
10. Februar, 2009 15:23

“Warum kommt es zwei Tage nach Ausbruch der Epidemie schon zu Kannibalismus?”

Ja, dieser Frage sollte mal wer ausgiebig auf den Grund gehen… als Vergleichsobjekt bietet sich da auch der aktuelle “Doomsday” an, da fangen die Leute auch sofort an, sich gegenseitig aufzufressen… 😀

Perry
Perry
10. Februar, 2009 16:51

“als Vergleichsobjekt bietet sich da auch der aktuelle “Doomsday” an, da fangen die Leute auch sofort an, sich gegenseitig aufzufressen… ”

Nö. Dass da Leute gefressen werden, sieht man erst Jahre später, als das Rhona und ihr Team losgeschickt werden.

Ebenfalls Endzeit und Menschenfresser gibt’s übrigens bei “Tooth and Nail”.

Peroy
Peroy
10. Februar, 2009 16:55

“Nö. Dass da Leute gefressen werden, sieht man erst Jahre später, als das Rhona und ihr Team losgeschickt werden.”

Das ist immer noch zu früh… 😛