Kultur-Wegweiser: „Dummy“ für Dummies
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Aus Wikipedia: Dummy [?d?m?] (engl. für Attrappe) bezeichnet eine Nullnummer einer Zeitschrift oder Zeitung vor der Neueinführung bzw. vor einem Relaunch, um die Optik begutachten zu können.
Alles wird schlechter: Das Fernsehprogramm, die Politik, das Wetter, und die Zeitschriften. Weder faktisch noch statistisch ist das richtig, aber der „gefühlte kulturelle Müllberg“ wächst uns massiv über den Kopf. Und richtig drin wühlen, um ein paar verbliebene Perlen zu finden, mag man auch nicht, weil man sich dabei die Hände schmutzig machen könnte. Wie schön, wenn man dann jemanden hat, der einem zuruft: „Hier rüber – ich hab was gefunden!“
In meinem Fall ist das „Dummy“, ein vierteljährliches Magazin aus der Hauptstadt. Es wurde vor zwei, drei Jahren hoch gelobt, bekam auch ein paar Preise, aber der Hype à la „Neon“ blieb aus, und mir ist unverständlich warum. Jede Ausgabe „Dummy“ ist schicker als SPIEGEL, seriöser als „Neon“, unprätentiöser als „Brand Eins“, und trendiger als „Tempo“ (inklusive und insbesondere die einmalige Jubiläumsexhumierung). Die gleichbleibende Qualität über das erste Dutzend Ausgaben hinweg ist umso erstaunlicher, da „Dummy“ ganz dem Titel gemäß kein durchgehendes Konzept verfolgt außer der permanenten Mutation. Jedes Heft ist wie die Probeausgabe eines neuen Schwerpunkt-Magazins, von dem es keine weitere Ausgabe geben wird. Monothematisch und immer von einem neuen Layout-Büro gestaltet, gefällt sich „Dummy“ als etwas, das es eigentlich nicht geben kann – ein einmaliges Periodikum. Damit ist es bestenfalls noch dem alten „SPIEGEL spezial“ vergleichbar, allerdings mit weniger Objektivitätsanspruch. „Dummy“ will nicht umfassend sein, sondern spannend.
Das Konzept von „Dummy“ ist riskant, um es milde auszudrücken – Leser entwickeln gewöhnlich Treue zu Magazinen, die Neues aus dem jeweils erwarteten und gewünschten Bereich bringen. “Dummy“ hingegen bringt Neues aus einem gänzlich unerwarteten (und manchmal unerwünschten) Bereich. Das verlangt vom Käufer Flexibilität, die Bereitschaft, sich einzulassen, auch wenn das Thema mal nicht vom Hocker reißt. Daran ist allerdings schon „SPIEGEL spezial“ gescheitert.
Klar, „Sex“ und „Revolution“ lassen sich wahrscheinlich prima verkaufen, aber bei „Juden“, „Osten“ und „Frauen“ habe ich nur zugegriffen, weil ich aus Erfahrung darauf setzen konnte, selbst bei diesen für mich nichtigen Themen gut und überraschend unterhalten zu werden. Und welch größeres Kompliment könnte ich den Herausgebern von „Dummy“ machen als dieses: JEDES Heft ist aufregend, lehrreich, allemal lesens- und empfehlenswert.
„Dummy“ ist nicht perfekt – und wer erwartet das von einem Dummy schon? Besonders fällt auf, dass die Schwankungen im Layout mitunter nerven. Da ist viel 80er Jahre-Geist drin, und setzerischer Schnickschnack. Dass z.B. Texte nicht bis an den Blattrand gehen müssen, und Weißflächen dem ruhigen Lesefluss dienlich sind, ist oftmals noch nicht verinnerlicht worden. Und egal wie „radical chic“ es ist – ich WILL das Blatt nicht um 90 Grad drehen müssen, weil gekippte Texte von unten nach oben laufen. Das ist natürlich Geschmackssache. Allenfalls um der kleinen Redaktion willen zu akzeptieren ist jedoch die Menge der (teilweise sogar sinnentstellenden) Rechtschreibfehler. Wenn man die Fahne des Qualitätsjournalismus hoch hält, sollte man nicht „Rezension“ schreiben, wo man „Rezession“ meint.
Fazit: Es gibt ganz wenige Magazine, deren Ausgaben ich komplett im Schuber behalte. „Dummy“ gehört dazu. Ein Heft für mutige Leser mit offenen Köpfen.
“Fazit: Es gibt ganz wenige Magazine, deren Ausgaben ich komplett im Schuber behalte. „Dummy“ gehört dazu. Ein Heft für mutige Leser mit offenen Köpfen.”
Kenn’ ich ned, fress’ ich ned…
jaja, der bauer…