Sim Country
Themen: Film, TV & Presse, Neues |Guyana bietet Großbritannien seinen Regenwald an – der fast so groß ist wie Großbritannien selbst. Im Gegenzug will das Land wirtschaftliche Unterstützung: SPIEGEL-Artikel.
Neu ist die Idee nicht: In einem Godzilla-Film der 90er hatten die Japaner in der Zukunft weite Teile Afrikas gekauft (so ich mich recht erinnere), und brutal zu Ende gedacht wurde das oben genannte Szenario in einem Comic ("Martha Washington" von Frank Miller vermutlich, könnte aber auch mal wieder "Watchmen" von Alan Moore gewesen sein). Ich selbst hatte vor 15 Jahren die Idee, unter dem Titel "Deal of the Century" einen Roman zu schreiben, in dem ein Billionär vom Schlage Bill Gates aus lauter Langeweile ein bankrottes Land aufkauft, bei der Sanierung letztlich aber an Politik und verknöcherten soziopolitischen Strukturen scheitert.
"Land gegen Geld" – klingt fast harmlos im Vergleich zum bisher praktizierten "Land gegen Gewalt". Natürlich ist hier noch kein Tabu gebrochen – England könnte Land im Sinne von "Fläche" kaufen, nicht im Sinne von "Nation". Sowas gab es bis weit ins 20. Jahrhundert ja regelmäßig – Alaska wurde ebenso verhökert wie New York.
Aber was wäre wenn? Es gibt Staaten (z.B. die Emirate und China), deren Wirtschaftskraft so groß ist, und der Budget- überschuß so üppig, dass sie ausgemergelte Entwicklungsländer auf Jahrhunderte aushalten könnten. Wären die Staaten Unternehmen – Saudi Arabien hätte sich Albanien schon längst im Zuge einer feindlichen Übernahme einverleibt. Und große Teile Afrikas. In den 80ern wären Teile Mittelamerikas (auch aus "sicherheitstechnischen Gründen") den USA zugeschlagen worden. Die BRD hätte sich mit der DDR gar nicht wieder vereinigen müssen – wir hätten den ganzen Laden einfach aufgekauft.
Ich bin kein Experte, aber rechtlich kann sowas momentan doch kaum möglich sein, oder? Ein Land ist mehr als Fläche, gehört dem Volk, und selbiges kann ja schlecht mitverkauft werden. Ein Volk "gehört" niemandem, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die UNO oder das Völkerrecht da mitspielen würden. Vom globalen Erbe in Form von kulturellen und historischen Gütern mal ganz abgesehen.
Obwohl – Vorteile könnte es ja haben: Würde z.B. die Elfenbeinküste (wieder mal) zu Frankreich gehören – es gäbe gute Gründe, das Land auf Vordermann zu bringen. Entwicklungshilfe könnte besser kontrolliert werden, und brächte mittelfristig messbare wirtschaftliche Rückflüsse. Ebenso beim Regenwald und anderen ökologisch kritischen Gebieten: reiche und umweltpolitisch sensibilisierte Staaten hätten die Möglichkeit, direkt einzugreifen, Mißbrauch und Zerstörung zu stoppen. Es ist nun einmal traurige Tatsache, dass gerade die armen Länder kaum die Möglichkeit haben, ihre ökologischen Schätze adäquat zu schützen.
Warum bei Staaten aufhören? Spanien könnte alle Delfine der Welt kaufen – wer sie jagt, vergreift sich an spanischem Besitz, und kann strafrechtlich verfolgt werden. Die Kanadier kaufen die Eskimos, und garantieren ihnen einen gewissen Lebensstandard. Würde Amerika nicht massiv gegen den CO2-Ausstoß angehen – wenn ihnen die schmelzenden Arktis-Gletscher gehören würden? Sollten Eisbären ein Rohstoff sein, dessen Rückgang einen klar definierten Besitzer schädigt?
Es klingt pervers, ich weiß. Aber es wäre nur eine weitere Stufe der Marktwirtschaft, eine konsequente Anwendung des kapitalistischen Prinzips. Ist es besser, die Menschen im Tschad verhungern zu lassen, anstatt das ganze Land samt Bevölkerung an Brunei zu verkaufen? Haben wir nicht ein Recht, die Regenwald-Staaten notfalls mit Gewalt von der Zerstörung der globalen Lunge abzuhalten? Wer sagt, dass die "Corporate Strategy"-Abteilung von Apple Bulgarien nicht besser managen könnte als die aktuelle Regierung? Was spricht gegen eine "private/public partnership", die ja auch hierzulande auf niederer Ebene bereits praktiziert wird, im großen Stil? Kapitalismus braucht Konsumenten – hungernde und bankrotte Massen könnte sich das System langfristig gar nicht leisten. Krieg rechnet sich für zu wenige Branchen, als dass er ökonomisch wirklich begründet sein könnte. Vielleicht ist das politische Versagen der letzten Jahrzehnte wirtschaftlich zu bereinigen?
Wie gesagt: Momentan gibt es weder die wirtschaftliche noch die politische Grundlage, um mit den Staaten der Welt eine globale Runde Real-"Risiko" zu spielen. Aber vielleicht sollten die Verantwortlichen sich angesichts des Guyana-Vorschlags mal ein paar Gedanken zu dem Thema machen.
Ist ein Land auch nur ein Firmengelände?
Ist ein Volk auch nur eine Belegschaft?
Ist Politik nur Firmenstrategie?
Ist das Bruttosozialprodukt nur der Umsatz?
Ich finde das Thema außerordentlich spannend, und die möglichen Denkspiele erregend komplex. Ihr auch?
"Ich finde das Thema außerordentlich spannend, und die möglichen Denkspiele erregend komplex. Ihr auch?"
Nö…
"Ist ein Land auch nur ein Firmengelände?
Ist ein Volk auch nur eine Belegschaft?
Ist Politik nur Firmenstrategie?"
Böse Antworten darauf wären das Nigerdelta, Sweatshops und Lobbyismus 😉
Nun ja, konsequenter Kapitalismus, wie Du schreibst, wäre das mit Sicherheit. Da muss dann aber auch die Frage erlaubt sein, inwiefern ein funktionierender Kapitalismus (in dem wir unzweifelhaft leben) und die mit ihm verknüpften Phänomene wie z.B. Privatisierungen in großem Rahmen, dann auch wirklich zu einer Verbesserung der Lebenssituation der beteiligten Menschen führen kann. Da sehe ich abseits von wirtschaftsliberalen Theorien keine Beweise für, eher das Gegenteil.
Und die Rolle der Eisbären und Delphine im Kapitalismus ist zwangsläufig die, die kapitalistische Strukturen fördert. Dann eher das Ausstellen im Zoo oder die Verfügbarkeit als Luxusobjekt. Nachhaltigkeit bedeutet im kapitalistischen Sinne eben etwas anders als im ökologischen.
Analog verhält es sich in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales, bei denen solche Vorschläge schon länger gemacht und teilweise auch in die Tat umgesetzt werden. Da ist auch die kapitalistische Struktur der Generalfehler: wenn ein System für sich effizient und profitabel ist, muss es noch lange nicht für alle gut sein.
Zuerst müsste da eine Umdefinierung des Profitbegriffes stattfinden; Profit in dem Sinne als die möglichst gerechte Verteilung von Lebenschancen und verfügbaren Optionen. Dahinter müsste dann aber imho ein System stehen, das kaum mehr als Kapitalismus zu bezeichnen ist.
Vielleicht ist das ein Grund, warum jede auf solchen Gedankenexperimenten aufbauende Zukunftsvision unweigerlich dystopische Züge trägt.
Es gibt doch bereits verschiedene Überseegebiete, auf die das entsprechende Mutterland gern verzichten würde. Unabhängigkeitsbestrebungen ausdrücklich erwünscht! Aber natürlich verzichten die cleveren Insulaner (meistens sind es welche) darauf und kassieren lieber die Finanzspritze aus der Ferne. Nicht jedes Eiland ist schließlich ein Touristenmagnet, nur weil es hübsch aussieht. Da spielen noch ganz andere Aspekte eine Rolle.
Was den Kapitalismus angeht, kann es Firmen nur lästig sein, sich mit dem ganzen "Overhead" Staat beschäftigen zu müssen. Straßen instandsetzen, Krankenhäuser bauen? Wer im Billiglohnland arbeiten lässt, dem gefallen die mangelnden Vorschriften bereits so ganz gut. Korruption funktioniert, man muss sich um nichts kümmern. Hätte man ein Land an der Backe, wäre das unter Umständen ein PR-GAU, wenn man’s ausbluten lässt.
Was die Übernahme eines Landes in ein anderes angeht, das geht natürlich. Man muss es nur als Zusammenschluss bezeichnen und Volk #2 vorher abstimmen lassen.
Ich bin nicht sicher, was deine Einschätzung des Kapitalismus angeht – würde eine Firma "management style" mit einer Bananenrepublik aufräumen, würden sie zuerst die Infrastruktur verbessern, und durch Ernährung und Behausung für die Arbeitsfähigkeit der Bewohner sorgen. Nicht aus Großzügigkeit, das ist klar, sondern aus Effizienzdenken. Die dort produzierten Waren wären billig, und dank der verbesserten Infrastruktur leichter zu transportieren. Dafür kommen massig Steuern rein, und das Gehalt der Bewohner kommt indirekt über den Konsum AUCH WIEDER der Firma zu Gute. Es ist ein in sich geschlossenes System, das sicher konkurrenzfähig wäre. Korruption funktioniert eben nicht, weil sie nicht planbar ist. Und eine Bananenrepublik zu leiten sollte für die Leute z.B. von General Electric ein Klacks sein – schlechter als die Politiker können sie es ja kaum machen. Ich würde einem "Firmen-Staat" sogar eher zutrauen, "schlanke Verwaltung" zu praktizieren. Ich bin mir halt nicht sicher, ob die Verwaltungen jeder Nation nicht zwangläufig schon den parkinsonschen Gesetzen unterliegen…
Gar nicht so schlecht die Idee eigentlich. Wenn Frankreich die Elfenbeinküste dann restrukturiert und auf Vordermann gebracht hat, kann das Land ja als Spin-Off wieder in die Unabhängigkeit entlassen werden.
Volksaktie bekommt dann auch eine ganz neue Bedeutung.
Eine Sache noch:
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Ich selbst hatte vor 15 Jahren die Idee, unter dem Titel “Deal of the Century” einen Roman zu schreiben, in dem … Sanierung letztlich … scheitert.
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Das ist so typisch deutsch. *g* Nie klappt da was und Happy End gibts auch nicht.
@ Tyler: Jein. So wie der Roman geplant war, wäre zwar der Protagonist mit seinem Projekt an der generellen "Unglaublichkeit" der Idee gescheitert, aber als er am Schluss allein in seinem Hotelzimmer sitzt, kommt die Meldung im Fernsehen, dass gerade ein asiatischer Milliardär eine ehemalige Sowjetrepublik gekauft hat. Er hat also eine Entwicklung angestoßen, die sich nicht mehr aufhalten lassen wird…
Ich weiß, Klugscheißer kann niemand leiden, aber "Watchmen" ist mitnichten von Frank Miller sondern natürlich von Alan Moore (Zeichnungen: Dave Gibbons). Vielleicht war das aber auch nur ein wenig unglücklich ausgedrückt vom Wortvogel.
Nein Wizball, nicht unglücklich ausgedrückt – der Dewi hat einfach geschlampt. Sollte nicht vorkommen. Die Artwork von Gibbons war’s, die mich täuschte. Danke für den Hinweis!