29
Jul 2007

Fantasy Filmfest 2007: I’m a Cyborg, but that’s okay

Themen: Fantasy Filmf. 07, Film, TV & Presse, Neues |

I’M A CYBORG, BUT THAT’S OK (SK 2006, 105 min, OmeU)

REGIE: Chan-wook Park
DARSTELLER: Su-jeong Lim, Rain, Hie-jin Choi, Byeong-ok Kim, Dal-su Oh
DREHBUCH: Chan-wook Park, Seo-Gyeong Jeong

CyborgStory:
Young-goon lutscht an Batterien, spricht mit Kaffeeautomaten, trägt die Zahnprothese der Großmutter – und sitzt konsequenter- weise in der Klappse. Normales Essen verweigert sie – das täte ihren Cyborg-Innereien nicht gut. Ach so, richtig: Young-goon glaubt, sie sei ein Maschinenwesen, und ihre Aufgabe sei es, „die Weißen“ (Ärzte. Pfleger, Schwestern) zu massakrieren. Leider ist ihr Akku dafür noch nicht weit genug aufgeladen.

Ihre Ärzte hingegen sind der Meinung, dass das mit dem Akku auch nichts mehr wird – auf Grund der konsequenten Nahrungsverweigerung wird Young-goon sterben. Dem schüchternen Mitpatienten Il-Sun, der sich gerne hinter Masken versteckt, ist das gar nicht recht…

Kritik:
Chan-wook Park ist ein Ausnahme-Regisseur, der im asiatischen Raum allenfalls mit Takeshi Kitano vergleichbar ist, und weltweit vielleicht noch mit David Cronenberg. Seine Filme zeugen nicht nur von absoluter technischer Brillanz, sondern auch erzählerischem Übertalent. Park beherrscht das Medium auf eine Weise, die es ihm erlaubt, mühelos Genregrenzen zu durchbrechen, und sich das Kino untertan zu machen. Ein Park-Film ist immmer ein Park-Film – nie ein Gangsterfilm, ein Drama, oder eine Komödie.

Auch „I’m a Cyborg, but that’s okay“ (sicher der sympathischste Filmtitel, den ich seit langem gehört habe) ist das Ergebnis einer singulären Vision, die unbeeinflußt geblieben ist von kommerziellen Erfordernissen, oder dem Versuch, nach der Vengeance-Trilogie auf Nummer Sicher zu gehen.

cyborg1.jpg

Man kann „I’m a Cyborg“ mit dem Satz „Ein koreanischer ‚Einer flog über das Kuckucksnest’“ recht solide auf den Punkt bringen. Und doch ist der Film viel mehr: Liebeskomödie, Drama, Slapstick, Familienfilm, Fantasy. Durch alle Genres zieht sich wie ein roter Faden die Frage nach Selbstbestimmung, nach Identität, nach dem Platz des Einzigartigen in einer Welt der Konformität. Dass damit auch das Dilemma des koreanisches Selbstverständnisses auf den Punkt gebracht wird, sei nur am Rande vermerkt.

Natürlich profitiert Park nicht nur von seiner absolut meisterlichen Handhabe aller dramaturgischen Mittel, sondern von exzellenten Darstellern in extrem schrägen Rollen. Hauptdarstellerin Lim (und ja – ich weiß immer noch nicht, ob das nun Vor- oder Nachname ist) sieht mit Riesenaugen, weißen Augenbrauen und Schockhaar-Perücke wirklich wie ein Alien aus, während Popstar Rain die notwendige Unschuld mitbringt, um Young-goons potentieller rettender Engel zu werden.

Vielleicht ist es das größte Hindernis des Films, dass die Zuschauer eine konsequente Fortführung des „Old Boy“-Stils erwartet haben. Genau dem verweigert sich Park – „I’m a Cyborg“ ist seiner künstlerischen Freiheit ebenso geschuldet wie „Dolls“, den Takeshi Kitano nach „Brother“ drehen MUSSTE, um seine Autonomie zu wahren. Der Bruch der Erwartung ist der Schritt zur völligen Unabhängigkeit.

Okay, genug salbadert – ist der Film denn auch wirklich unterhaltsam? Das steht wieder auf einem ganz anderen Blatt. „I’m a Cyborg“ ist (mit zwei Ausnahmen) frei von Actionszenen, und handelt von Charakteren, die kaum in der Lage sind, sich zu artikulieren. Man muss sich einlassen, einfühlen, und langsam den Weg in die absurde Welt der Nervenheilanstalt finden. Das erfordert eine gewisse Investition in Aufmerksamkeit, die nicht jeder zu leisten bereit ist (ein Zuschauer drei Sitze links von mir schlief nach einer Stunde ein, und schnarchte laut). „I’m a Cyborg“ bietet sich nicht an, sondern muss erarbeitet werden.

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Hinzu kommt ein beständig wechselnder Fokus. Park gibt sich mehr Mühe mit den Nebenfiguren, als vielleicht notwendig gewesen wäre – nur um sie am Schluss dann doch fallen zu lassen. Damit füllt er 105 Minuten Laufzeit, ohne immer den erzählerischen Faden zu halten. Im Kern ist die Geschichte von Young-goon und Il-san außerdem sehr simpel gestrickt.

All das kann man für Schwächen im Drehbuch halten, aber wenn man sich anschaut, wie perfekt Park ohne größere Exposition die Gründe für Young-goons Psychose aufarbeitet, dann wird klar, dass nichts in „I’m a Cyborg“ zufällig ist. Die gewisse erzählerische Unschärfe ist gewollt.

Ach ja: es wird auch gejodelt. Und von den Schweizer Alpen geträumt. Und mit der statischen Elektrizität von Filzsocken geflogen.

Nach längerem Kampf mit mir selbst habe ich mich entschieden, „I’m a Cyborg“ keine Bela-Wertung zu geben.

Dringlichkeit: Für solche Filme wurden Kinoleinwände erfunden – man sollte allerdings wach bleiben können

Positiv:
Drehbuch, Darsteller, Inszenierung

Negativ:
Längen im Aufbau, Schwierigkeiten, den Fokus zu halten

Hört nicht auf mich:
“Thoroughly inspired, genuinely charming, and gloriously bizarre” – Efilmcritic.com



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4 Kommentare
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comicfreak
29. Juli, 2007 17:55

..klingt gut!

Tornhill
Tornhill
30. Juli, 2007 16:32

Rätselhaft…aber nicht uninteressant!
Schon ohne den Film gesehen zu haben, scheint mir die Entscheidung, auf eine Punktwertung zu verzichten recht sinnvoll – ich weiger mich z. B. bei Linklaters "Waking Life" auch, mich irgendwie festzulegen.

Wortvogel
Wortvogel
30. Juli, 2007 16:35

Gutes Beispiel, Tornhill – es gibt einfach Filme, deren Qualitäten man "erfühlen" muss. Ich kann niemandem vorwerfen, wenn er "Waking Life" nicht mag – obwohl ich selber ihn großartig finde. In so einem radikalen Kontext über technische Aspekte und Dramaturgie zu reden, ist komplett hinfällig.

Mo
Mo
11. März, 2008 21:18

DANKE FÜR DIESE SENSIBLE EINSCHÄTZUNG DIESES WERKES:
ich habe den film in der weltpremiere auf der berlinale gesehen und er war mein absoluter liebling … leider sehen das nicht alle so. schade eigentlich, zumal es eine herausragende geschichte ist. mehr davon!!!!!!!