30
Jan 2007

Produktionstagebuch “Märchenstunde”

Themen: Neues |

Drosselbart SetsDieser Tage ging in Prag ein weiterer Erguss meiner kreativen Säfte vor die Kameras: Meine erste “Märchenstunde” für den Sender ProSieben, eine Parodie auf “König Drosselbart”. Die Hauptrollen spielen Christoph M. Ohrt (“Edel & Starck”), Pop-Prinzessin Jeanette Biedermann, Kai Lentrodt (“Zwei Engel für Amor”), und Eva Habermann (“Lexx”).

Wir erinnern uns (oder auch nicht): Im März 2006 liefen vier von acht gedrehten “Märchenstunden” mit großem Erfolg an. Die erste Folge machte mehr als 28 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe, was für den Sender nicht weniger als sensationell war. Autor dieser Episode war übrigens mein alter Komplize Marc Hillefeld. Es war klar, dass ProSieben auch eine zweite Staffel mit weiteren acht Folgen ordern würde, um 2007 damit auf Sendung zu gehen. Ich bekam eine Einladung, als Autor an der Staffel mitzuarbeiten, was mich sehr freute, denn Comedy ist eine meiner heimlichen Leidenschaften.

Die Story von “Drosselbart” orientiert sich eng an der Vorlage: Verwöhnte Prinzessin à la Paris Hilton will lieber Party machen als heiraten, und der genervte Vater gibt sie einem Barden von der Straße mit, auf dass sie Demut lerne. Durch diverse größere und kleinere Katastrophen kommen sich die beiden näher, und am Schluss – Schockschwerenot! – entpuppt sich der arme Spielmann als der vorher abgelehnte “König Drosselbart”. Wenn sie nicht gestorben sind etc. pp.

Natürlich wird die Handlung mit einer Menge Gags und Parodien aufgepeppt, auch wenn nicht alles, was ich mir ursprünglich ausgedacht habe, es in die fertige Fassung geschafft hat: Heinz Sielmann fiel aus diversen Gründen (inklusive Ableben) ebenso raus wie Dieter Bohlen und ein schwuler Prinzessin Leia-Imitator. Das mittelalterliche Tonstudio aus Wurzelholz blieb so ungebaut wie der antike Segway. Das hatte zumeist jedoch einen ganz pragmatischen Grund: Mein Skript war mit 60 Seiten deutlich zu lang (45-48 sind Drehlänge), und da musste eben raus, was nicht direkt zur Handlung beitrug.

Über die Umsetzung meines Drehbuches kann ich erst urteilen, wenn ich zumindest den Rohschnitt der Episode gesehen habe, aber auch angesichts einer exzellenten Regisseurin bin ich sehr zuversichtlich, dass “Drosselbart” relativ nah an dem bleibt, was ich mir ausgedacht habe. Und DAS ist beileibe nicht die Norm in dieser Branche…

Ich dachte mir aber, dass es den geneigten Leser meines Blogs interessieren könnte, mal die zeitlichen Abläufe einer solchen Produktion zu erfahren, die ich angesichts der datierten Emails und Word-Dokumente problemlos nachverfolgen kann.

Hier also mein PRODUKTIONSTAGEBUCH:

11.5.2006: Autoren-Roundtable auf der Terrasse über dem Gasthof Menterschwaige im fettesten Sommerwetter. Neben den eingeladenen Schreibern sind die verantwortlichen Redakteure des Senders, die Produzenten von Rat Pack Film sowie Head-Autor Tommy Krappweis dabei. Jeder Autor stellt seine Story vor, und erläutert, wie er es anstellen würde, daraus eine tragfähige Parodie zu machen. Ich hingegen muss erstmal erklären, warum ich die vorausgewählte “Goldene Gans” eben NICHT machen will – die Handlung ist dramaturgisch wie tricktechnisch kaum umzusetzen -, was zu meiner Freude sehr schnell nachvollzogen wird. Aus dem Fundus der großen Märchen habe ich vorbereitend “König Drosselbart” und “Der Teufel mit den 3 goldenen Haaren” als Ersatz herausgesucht, und schlage vor, diese erstmal als Exposés (3-5 Seiten) aufzuarbeiten. Außerdem kommt noch die Idee auf, “Der Prinz und der Bettelknabe” zu machen, was wirklich toll wäre – wenn es sich dabei um ein Märchen handeln würde. Wie ich später herausfinde, ist es ein Roman von Mark Twain, und damit ungeeignet.

15.5.2006: In einem Anfall von Strebertum reiche ich bereits vier Tage nach dem Autorentreffen zwei Exposés ein – “König Drosselbart” ist dabei eher als klassische Romantic Comedy ausgelegt, während “Der Teufel mit den 3 goldenen Haaren” in Richtung Slapstick geht. Produktion & Sender entscheiden sich für Drosselbart, was mir ganz recht ist, denn die Geschichte bringt von vorne herein eine schöne 3-Akt-Struktur mit, an der man eine Menge Gags aufhängen kann. Was mich ein wenig nervös macht – da ich bei der ersten Staffel der “Märchenstunden” nicht dabei war, fehlt mir das Gespür, wie die Befindlichkeiten der Redaktion beim Sender sind, und auf was man dort besonders Wert legt. Auch die immer wiederkehrenden Elemente der Episoden (der Erzähler, sein Helfer Hoecker) sind mir nicht vertraut, und ich hoffe, da halbwegs den richtigen Ton zu treffen.

21.6.2006: Ungewöhnlich – in einem Kleinbus werden die eingeladenen Autoren von der Produzentin zusammen mit der Szenenbildnerin nach Prag gekarrt, um sich die Schlösser und Wälder, in denen die Folgen spielen sollen, mal selber anzusehen. Das hat was von Klassenausflug, es ist eine tolle Abwechslung, und man hat das seltene Gefühl, als Autor auch mal in die Produktion eingebunden zu sein. Es ist ein weiterer langer, heißer Tag.

26.7.2006: Das Treatment ist fertig. In diesem 12seiter ist die Handlung schon in Akte und Szenen unterteilt, zum Drehbuch fehlen eigentlich nur noch die Dialoge. Der Sender hat an diesem Punkt noch einmal die Möglichkeit, Änderungswünsche anzubringen. Doch bei ProSieben ist man ganz glücklich mit dem Entwurf, und ich darf mich an die erste Drehbuchfassung geben.

3.8.2006: Das ging aber fix! Na ja, wenn man ein gut ausgearbeitetes Treatment hat, ist der Sprung zum Drehbuch gar nicht so schwer. Mir ist klar, dass ich mit 60 Seiten etwas über das Ziel hinausgeschossen bin (eine Drehbuchseite sollte im Idealfall einer Sendeminute entsprechen, und die “Märchenstunden” haben 45 Minuten Laufzeit). Aber das ist kein Beinbruch: Es ist allemal leichter, ein langes Skript zu kürzen, als ein kurzes Skript aufzupumpen.

16.8.2006: Tommy Krappweis und die Produzentin von Rat Pack haben mir drei Seiten mit Anmerkungen geschickt, die ich noch einarbeiten soll. Erfreulicherweise meistens Kleinkram: Würde eine bestimmte Figur dieses oder jenes wirklich sagen? Kann die Prinzessin an dieser Stelle noch mehr leiden? Kann man diese Szene anders aufschlüsseln? Nach Rücksprache arbeite ich ca. 95 Prozent der Notizen ein, beim Rest einigen wir uns, dass mir an diesen zwei, drei Szenen sehr viel liegt, und ich sie lieber erstmal wie vorgeschlagen beim Sender sehen möchte. Insgesamt ist es wie immer – die zweite Fassung ist deutlich stärker als die erste, denn hier ist kompetente Kritik von außen eingeflossen. Und nun kommt der nächste wichtige Schritt: das Drehbuch geht zu ProSieben.

7.9.2006: Hurra, hurra, der Drehbuchvertrag ist da. Damit ist der Auftrag quasi “offiziell” (bisher hatte ich nur einen Treatment-Vertrag), und ich kann formell damit angeben, für die “Märchenstunden” zu schreiben. Das Honorar stimmt auch, da werde ich mich nicht beschweren.

9.11.2006: Das ging aber stressfrei – dem Sender hat das Drehbuch gut gefallen, und mittlerweile ist auch eine Regisseurin an Bord. Es gibt noch einmal eine Telefonkonferenz zwischen allen Beteiligten (die Achse ist Köln/München/Prag), und wieder sind die Anmerkungen vernünftig und nachvollziehbar (ich erwähne das so oft, weil es wirklich ungewöhnlich ist). Bei ein paar Verständnisproblemen lösen sich die Knoten im Gespräch, und am Ende habe ich den Auftrag, die sogenannte “Senderfassung” zu schreiben. Und die ist heute fertig geworden. Damit habe ich die im Vertrag vereinbarten Arbeiten erfüllt. Alle künftigen Änderungen, die sich direkt auf die Dreharbeiten beziehen (manchmal müssen Szenen z.B. wegen veränderter Bauten angepasst werden) übernimmt die Regisseurin vor Ort, auch wenn ich mich bereit erklärt habe, da noch auszuhelfen.

23.11.2006: Rat Pack teilt mir mit, dass die Figur der Königin (die Mutter unserer “Heldin” Zuzu) gestrichen wurde, um die Menge der Schauspieler im überschaubaren Rahmen zu halten. Damit kann ich leben, auch wenn die Mutter eine schöne Spiegelung der Tochter war, die uns quasi eine Ahnung gibt, was aus der Prinzessin mal werden kann. Außerdem hatte die Königin ein paar drollige Ohnmachtsanfälle. Aber wie heißt es so schön? “Kill your darlings”. Ganz generell hat “König Drosselbart” einen eminenten Vorteil gegenüber den meisten anderen Märchen, die z.T. noch einmal erheblich überarbeitet werden müssen – es gibt nur wenige Drehorte, 80 Prozent der Szenen brauchen nur die beiden Hauptfiguren, und Spezialeffekte sind gleich Null. Damit ist meine Episode eher ein “Leichtgewicht”.

2.12.2006: Casting-Update: Jeanette Biedermann, der ich die Rolle der “Zuzu Edelweiss” auf den Leib geschrieben habe, hat zugesagt. Christoph M. Ohrt ebenfalls. Großartig. Für so eine Produktion ist das ein Top-Cast.

21.12.2006: Die Weihnachtskarte des Senders ist da: Man bedankt sich für mein tolles Drehbuch, auch wenn man es noch ein wenig “ausschütteln” musste. Ich frage mich lange, was das heißt. Aber über die Feiertage ist keiner mehr zu erreichen, also bringt es nichts, wenn ich mich jetzt verrückt mache.

28.12.2006: Morgen geht es nach Ibiza. Ich schreibe der (ebenfalls urlaubenden) Produzentin von Rat Pack eine letzte Email, dass ich mich freue, mal bei den Dreharbeiten in Prag vorbei zu schauen, die am 15.1. beginnen sollen, und eine Woche dauern. Es wird knapp, aber das ist es mir wert.

9.1.2007: Ich sitze auf Ibiza, und feile an den letzten Seiten meines neuen Romans, da erreicht mich ein Anruf des oben schon erwähnten Herrn Hillefeld (der für die zweite Staffel die Folge “Schneewittchen” geschrieben hat): Man hat den Dreh unserer beiden Episoden getauscht, und heute fiel die erste Klappe für den “Drosselbart”. Ergebnis: Ich verpasse die Dreharbeiten knapp. Ärgerlich, aber so etwas kann passieren. Wenn mein Flieger in München landet, ist “Drosselbart” bereits im Kasten. Ich grummele ein wenig darüber, die endgültige Drehfassung des Skripts nicht bekommen zu haben, aber das ist eigentlich auch nicht ungewöhnlich.

15.1.2007: Immer ein schöner Abschluss: Ich schicke die letzten Rechnungen für mein Honorar raus. Was viele Leute nicht wissen – meistens bekommt der Autor die Hälfte des Geldes nur, wenn das Projekt auch wirklich gedreht wird. Das nennt man den “Dreh-Bonus”.

17.1.2007: Telefonat mit der Produzentin – lauter gute Nachrichten: Die ersten Rohmaterialien sehen klasse aus, mit Eva Habermann ist eine meiner Lieblingsschauspielerinnen an Bord, und der Dreh wird über drei Wochen verteilt, was bedeutet – ich kann DOCH dabei sein!

24.1.2007: VERDAMMT! Der Tag begrüßt mich mit Schneechaos in ganz Bayern! Dabei wollte ich doch heute mit dem Mietwagen nach Prag! Drei Stunden später habe ich es noch nicht einmal geschafft, die Stadtgrenze zu erreichen. Nichts geht. Entnervt drehe ich um – das hat keinen Zweck. In Tschechien muss man auch wegen der weißen Pracht diverse Außenaufnahmen verschieben, was aber sein Gutes hat: Der Produzent erzählt mir, dass am folgenden Montag nachgedreht wird. Eine allerallerletzte Chance, doch noch mal am Set vorbei zu schauen.

Acht Monate vom ersten Meeting bis zu den Dreharbeiten – meine eigene aktive Beteiligung blieb sogar unter einem halben Jahr. Das ist eine hervorragende Zeit. Natürlich profitieren wir alle davon, dass nach der ersten Staffel der “Märchenstunden” die Rahmenbedingungen schon stehen, und man auf ein eingespieltes Team zurückgreifen kann. Bei anderen Produktionen habe ich deutlich mehr Reibereien und Eitelkeiten erlebt, und nicht selten wird die Zahl der Drehbuchfassungen zweistellig, oder der Regisseur schreibt wie wild “eine eigene Fassung”, was meistens ein Euphemismus für “ein bevorstehendes Desaster” ist. Die “Märchenstunden” waren mal eine außerordentlich positive Abwechslung.

Klimakatastrophe sei Dank: Es ist ein vergleichsweise warmer Winter – bei der ersten Staffel hatte es mitunter im Studio (!) sechzehn Grad unter Null…

So, und nun warte ich gespannt auf die ersten Rohmaterialien, um einen ersten Eindruck davon zu bekommen, was die Regisseurin aus meinem Skript gemacht hat. Außerdem habe ich die Produktion gebeten, meiner Marotte Rechnung zu tragen – ich möchte wie immer ein Drehbuch, das von allen Beteiligten (Cast & Crew, wie man in der Branche sagt) unterschrieben ist. Das lasse ich mir binden, und es kommt als Erinnerungsstück in den Schrank.

NACHTRAG: Und weil ich mittlerweile tatsächlich am Set war, gibt es morgen eine schicke Bildergalerie samt Erlebnisbericht



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