27
Jul 2016

#allwordsmatter

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Wieder nur ein kleiner Beitrag. Ich nenne das Affekt-Blogging – wenn mir quasi im Vorbeilesen was aufstößt und raus muss.

Heute geht es unter anderem um den Independent-Thriller “River”, der in Deutschland “Mekong-Rush – Renn um dein Leben” heißt:

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Die offizielle Synopsis macht in zwei, drei Zeilen durchaus Lust:

“In the south of Laos, an American volunteer doctor becomes a fugitive after he intervenes in the sexual assault of a young woman. When the assailant’s body is pulled from the Mekong River, things quickly spiral out of control.”

Das baut Spannung, setzt den Konflikt, erzählt aber nicht zu viel.

In der IMDB hat jemand eine eigene Inhaltsangabe hochgeladen – ungefähr genau so lang, mit ungefähr den gleichen Beats. Und trotzdem ist sie ein Beispiel dafür, wie problemlos man auch jedes Interesse an einem Film im Keim ersticken kann:

“A medical practitioner gets himself involved in a crime which happens in a unexpected way. Filled full of guilt, he tries to escape from the cops of Thailand but finally gets captured for a while, then gets approached to go back to his own country.”

Das gehört dann schon wieder in die Rubrik “Inhaltsangaben zum Abschalten“.

Ich will dem Autor der zweiten Synopsis gar keinen Vorwurf machen – vermutlich auch nur ein Fan, möglicherweise ist Englisch nicht seine Muttersprache. Es geht mir eher darum aufzuzeigen, wie wenig Text es braucht, um Qualität zu setzen – oder eben nicht. “Kann doch jeder schreiben, wie er will” ist für mich keine Option. Es erschüttert mich immer, wenn ich Menschen treffe, die sich keinerlei Gedanken mehr über den Impact, den Rhythmus, die Befindlichkeit ihrer Worte machen. Da haben Sätze keine Choreographie, Geschichten keine Tiden.

Ein Freund bat mich vor ein paar Jahren, seinen Pulp-Vampirroman zu lesen. Er hoffte auf ein wenig ehrliches Feedback, nachdem die Mitglieder seiner Familie das 150 Seiten-Werk hoch gelobt hatten. Ich tat ihm den Gefallen, ihm keinen Gefallen zu tun. Ich schrieb sieben Seiten Notizen – über die durchsichtige Motivation des Bösewichts, die allgegenwärtigen Klischees, die kleinen Schlampereien bei der inneren Logik. Vor allem aber: Ich wies ihn darauf hin, dass sein Roman nie richtig in Fahrt komme, weil er das Erzähltempo nicht wechseln wolle. Dialoge und Beschreibungen hatten immer den gleichen Flow. Das kann nicht funktionieren. Wenn der Ich-Erzähler plötzlich in einer dunklen Seitenstraße brutal zusammengeschlagen wird, darf er es nicht mit der selben Ausführlichkeit beschreiben, mit der man eine lange Autofahrt von Rügen nach Hannover nacherzählt. Menschen unter Stress sprechen anders als Menschen unter Drogen. Ein schmieriger Drogendealer spricht anders als ein College-Professor. Unsere Intentionen und Komplexe sind in unseren Gesprächen vielleicht nicht immer konkret hörbar – aber ein guter Autor weiß, wie man sie mitschwingen lässt.

Es tut mir bis heute leid, dass der Freund sich zwar überschwänglich für die “ehrlichen und weitgehend nachvollziehbaren” Notizen bedankte, sie aber nicht umsetzte. Er ließ das Projekt sterben. Ein Fehler.

Kein seltenes Phänomen übrigens: Autoren behaupten zwar gerne, konstruktive Kritik zu wollen, sind aber sehr selten in der Lage, damit umzugehen. Selbst wenn sie zugeben (müssen), dass der Rezensent ganz objektiv problematische Stellen aufgezeigt hat, ist die Reaktion zumeist mühsam verkleideter Trotz. Man erklärt Fehler lieber zu persönlichem Stil, als sich mit den eignen schreiberischen Defiziten auseinander zu setzen.

Aber zurück zum Thema Sprachgewalt – ein Begriff, der eigentlich mal eine eigene Doktorarbeit wert wäre.

Wie knapp man Spannung und Terror setzen kann, wurde auch gestern bei der achten Folge von “Preacher” klar (die Serie hat zwar immer noch einen Schneckenplot, überlebt aber dank ihrer Atmosphäre und ihrer Charaktere): Der bedauernswerte Junge Arseface schafft es (scheinbar) aus der Hölle zurück, er gräbt sich durch den Kirchenboden nach oben wieder in unsere Welt. Jesse Custer ist so erschüttert wie fasziniert und hat ein paar Fragen zur Befindlichkeit der Unterwelt.

Nun ist “Preacher” eine Serie im wahrsten Sinne des Wortes über “die Macht der Sprache”. Man kann die Hölle vielfältig beschreiben, kann Worte finden für Qualen, Brutalität, Hoffnungslosigkeit. Man kann viel darüber schreiben – oder sehr wenig. Und “Preacher” hat auf zwei Fragen genau die Antworten, die ich nicht erwartet habe – und sie sind entsetzlich, weil sie Bilder in den Kopf brennen.

Jesse Custer :
“You dug all the way up from hell?!”

Arseface:
“It’s not that far.”

Jesse Custer:
“What’s it… like?”

Arseface:
“Crowded.”

Bam.

P.S.: Ich wollte eigentlich nur über den Inhaltstext zu “River” schreiben. Der Rest ist mir so spontan rausgeplumpst. Sorry.



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Dirk
Dirk
27. Juli, 2016 17:00

Eine der besten “Dialoge” in Preacher bisher, wie ich finde… Nach einem langsamen Anfang wird die immer besser!
Und danke für den Plumps.