21
Feb 2016

London: Look sharp!

Themen: Neues |

Es  hat sich in gewissen Zirkeln herum gesprochen – wir ziehen wieder um. Diesmal allerdings nur innerhalb Baden-Badens. Ein Zimmer mehr, ein großer Keller, ein Garten. Die nächste Woche wird sicher hektisch werden, weshalb es eine gute Idee war, dass ich mit der LvA am letzten Wochenende noch mal nach London geflogen bin, um die Synapsen durchpusten zu lassen.

Bei dieser Gelegenheit durfte ich feststellen, dass unsere Kamera recht schöne Nachtaufnahmen machen kann, wenn man weiß, welche Knöpfchen zu drücken sind:

tower

Als ich die Reise gebucht habe, war ich diesmal ein wenig rebellisch gewesen – muss es denn immer ein Hotel am Trafalgar Square sein?! Gut, von da aus kann man die spannendsten Sachen prima zu Fuß erlaufen, aber man kennt die Gegend halt auch schon in- und auswendig. Und warum nicht mal ein Hotel mit Frühstück, damit man sich in Ruhe auf den Tag in der britischen Metropole vorbereiten kann?

Diese Gedanken brachten mich dazu, ein Zimmer im Tower Hotel zu buchen, einem monströsen Klotz aus dem Jahr 1973, der bereits zweimal zum hässlichsten Gebäude der Stadt gewählt worden ist. Das Hotel steht exemplarisch für den lebensfeindlichen Beton-Gigantismus der späten 60er und frühen 70er, der in der großartigen Dokumentation “The London nobody knows” mit James Mason beklagt wird:

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Freitag

In der Tat ist das Tower Hotel von außen keine Schönheit. Aber es ist ein gut erhaltenes Luxushotel mit sehr schönen Zimmern, exzellentem Service und einer Location inmitten von Tower Hill, Tower Bridge, St. Katherine’s Dock, Rathaus, Shard und Butlers Wharf. Wie die LvA immer sagt: “Wie das Hotel von außen aussieht, schert mich doch nicht, wenn ich drinnen hübsch sitze.”

DSC03627 Hinzu kommt, dass diese “hohen Häuser” den Vorteil mitbringen, dass man bei der netten holländischen Rezeptionistin um ein Zimmer “möglichst weit oben” nachfragen kann. In unserem Fall bedeutete das neunter Stock und diese Aussicht:

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Auch verkehrstechnisch liegt das Tower Hotel günstig – der Stanstead Express fährt bis zur Liverpool Station, von dort aus sind es zwei Stationen mit der Ubahn zum Tower Hill – oder eine kurze Fahrt mit dem Taxi. Von dort aus kommt man auch mit der District und der Circle Line in zehn Minuten zum Embankment und damit zum Trafalgar Square.

Geflogen sind wir diesmal von Stuttgart, was kein Problem war und für angenehme Zeiten sorgte. Der Stanstead Express ist zwar nicht so schnell wie der Heathrow Express, aber nicht weniger komfortabel. Man reist bequem. An der Liverpool Station haben wir uns zudem noch lecker Pasties gegönnt – eine englische Fast Food-Tradition, die auch bei uns gerne Einzug halten dürfte.

Trotzdem: Man ist auch nach einer kurzen Flugreise doch recht geschafft und wir machten uns einen gemütlichen Abend im Hotelzimmer, wo ich auf einen “drunk octopus wants to fight you” stieß:

drunkoctopus

Samstag

Das Frühstück im Tower Hotel ist klasse, sehr umfangreich und wertig, aber die schiere Menge an Menschen an diesem Valentinstag-Wochenende sorgte natürlich für ein gewisses Mensa-Feeling. Da muss man durch. Zumal auch chinesisches Neujahr anstand – entspannte Spaziergänge in der menschenleeren Innenstadt waren demnach nicht zu erwarten.

Ab in die Ubahn, wo mittlerweile großflächig Werbekooperationen zwischen Turkish Airlines und “Batman vs. Superman” plakatiert werden:

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Embankment, Covent Garden, Leicester Square – wir bummelten den Samstag durch die Menschenmengen, sahen Umzüge und viele “schwebenden Figuren“, deren bleibender Eindruck auf die Touristen mich immer noch am Fortkommen unserer Spezies zweifeln lässt.

Wir waren im Vorfeld etwas frustriert gewesen, weil die üblichen Webseiten für Theater-Tickets eine vergleichsweise magere Auswahl geboten hatten. Sechs, sieben Show, von denen wir die Mehrheit schon gesehen hatten – das konnte doch nicht alles sein?! War es auch nicht, denn die LvA entdeckte nahe Leicester Square plötzlich Aushänge für das Stück “Hangmen” mit David Morissey, oder wie sie es ausdrückte: “DAVID MORISSEY!!!”

Zehn Minuten später hatten wir zwei Karten für die Matinee-Vorstellung, die um 14.30 Uhr beginnen sollte. Zeit genug, zwei weitere vorbestellte Karten für den Abend am Palladium-Theater abzuholen und in der gut sortierten Zeitschriften-Abteilung von Selfridges die neusten Ausgaben des “Skeptic” und “Writer” einzutüten.

Dann war es auch schon Zeit für die “Hangmen”, ein Comedy-Drama über den Mangel an moralischer Reflexion eines staatlichen Henkers zur Zeit der Abschaffung der Todesstrafe 1965:

Hangmen

Phantastische, so plastisch wie authentisch wirkende Sets, großartige Darsteller, spannende Kehrtwendungen – gute Wahl!

Nach dem Theater wollten wir wieder ins Hotel, denn für den Abend hatten wir weitere Karten. Ich setzte mich beim Essenswunsch durch (Cheat Day!) und wir holten uns was bei “Five Guys“, die mittlerweile einige neue Filialen in London aufgemacht haben. Das entpuppte sich allerdings als Flop, denn im Gegensatz zum ersten Besuch vor mehr als zwei Jahren ging diesmal alles schief: Die falschen Pommes, die falschen Burger – und als wir im Hotel ankamen, war alles ungenießbarer Matsch.

Ebenfalls fehlgeleitet war die Idee, statt mit der Ubahn mit dem Taxi zum Palladium zu fahren. Wie uns der freundliche Fahrer erklärte, lässt Boris Johnson gerade die halbe Stadt aufreißen, um seinen Traum der “Cycle Superhighways” bis zum Ende seiner Amtszeit mit Gewalt durchzuprügeln. Für Autos ist aktuell im Bankenviertel Richtung City und Westminster gerade in Stoßzeiten kein Durchkommen. Wir brauchten 50 Minuten für eine Strecke, die wir in der Zeit auch zu Fuß hätten gehen können.

Es ärgerte mich auch, dass ich auf dem Weg die Plakate für Eddie Izzard entdeckte, von dessen Auftritten in London ich gar nichts wußte – aber das habe ich ja bereits erzählt.

Aber das Ziel ist bekanntlich das Ziel – und das Ziel war Joe Jackson, einer der großen Pop-Heroen meiner Jugend, den ich seit der “Big World”-Tour vor 30 Jahren nicht mehr live gesehen hatte:

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Man muss wissen, dass das Palladium ein klassisches Varieté-Theater ist, mit konservativer Bestuhlung und gesittetem Ambiente. Hier wird nicht gekreischt, hier werden keine Feuerzeuge geschwenkt – gut situiertes Publikum erfreut sich an bewährt guter Musik, zwei Stunden lang, ohne Bombast, aber in fast schon intimer, freundschaftlicher Atmosphäre. Ich hatte der LvA (die mit Jackson nicht so vertraut ist) vorher die sechs Titel genannt, die zu hören ich erwartete: My hometown, Breaking us in two, Steppin’ out, Slow song, You can’t get what you want, Is she really going out with him. Er spielte alle, dazu noch ein paar Nummern von der neuen CD und drei Cover-Versionen.

Ungefähr so muss man sich das vorstellen:

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Die Musiker waren samt und sonders exzellent, besonders der Drummer, der deutlich stärkere Akzente setzt als auf den Alben. Mir selbst fehlten ein bisschen die Bläser, die Stücke wie “You can’t get what you want” noch ein wenig aufpumpen, aber es war trotzdem ein rundum gelungenes Konzert und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es ein Abschied war – ich vermute, dass ich Joe Jackson nicht mehr live auf der Bühne sehen werde.

Und damit zurück ins Hotel, durchs nächtliche London, zu dem die Musik von Joe Jackson so wunderbar passt.

Sonntag

Valentinstag. Wieder die Hölle los in London. Nächster Ausflug ins Zentrum. Es ist schon erstaunlich, wie markant die Stadt Tradition und Moderne gegeneinander stellt, lieber auf Eklektizismus als auf Homogenität setzt:

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Man mag gewisse Bauten ästhetisch fragwürdig finden, aber letztlich trägt selbst der “Tischlüfter” prägnant zum Stadtbild bei, ist in seiner Eigenwilligkeit wenigstens nicht übersehbar:

DSC03656 Es trennten sich die Wege, denn die LvA ging shoppen, während ich mich mit Dave traf, dem Ko-Autor meines Charles Band-Buches. Oder besser gesagt: Meiner Charles Band-BÜCHER. Denn jawohl, Band 2 ist seit ein paar Wochen fertig, es geht nur noch ums Layout und ein paar letzte Lücken in der Bebilderung. Wir sind sehr stolz, denn Band 2 ist strukturell ganz anders gebaut als der Vorgänger, setzt mehr auf filmhistorische Zusammenhänge als auf Einzelreviews und verfolgt die Karriere von Charles Band über die letzten 25 Jahre. Wir haben insgesamt über 100 Mitstreiter B-Movie-Moguls interviewt und dabei so manches wohl gehütete Geheimnis gelüftet.

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Mit Dave saß ich zwei Stunden in der Bar des Corinthia-Hotels (an einen Platz in einem Café war gar nicht zu denken, selbst die Starbucks-Filialen waren rappelvoll) bei Tee und tiefergehenden Gedanken zum Trash-Film der letzten 30 Jahre. Es war ein Heidenspaß. Dave hatte auch ganz schön was zu schleppen gehabt, denn ich hatte einen Deal von Groupon London an ihn schicken lassen, den ich nun entgegen nahm:

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Sieht aus wie Nudeln und Reis, ist aber Glibber, genauer: Shirataki.

Nun wisst ihr, dass ich am Trafalgar Square immer nachschauen muss, was denn auf dem vierten Podest steht – die wechselnden Exponate üben auf mich eine ungesunde Faszination aus. Diesmal gab es ein Skelett zu bewundern:

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Nach 48 Stunden begeisterter Hektik ist man dankbar für eine kleine Pause, darum beschlossen die LvA und ich, ein wenig in der Marina herum zu spazieren, die Gegend um Tower Hill zu erkunden – und ganz spontan im Dickens Inn essen zu gehen:

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Hier gibt es drei Gastronomien auf drei Ebenen: Pub, Pizzeria, Edel-Restaurant. Besonders die Bedienung war extrem sympathisch – als ich beim umsichtigen Chef des Hauses eine Tiramisu bestellte, klopfte er mir seufzend auf die Schulter: “I envy you so much right now.”

Der Rest des Tages? Valentinstag. Und damit mal ausnahmsweise Privatsache.

Montag

Das Wochenende verflog also, der Montag begrüßte uns mit einem neuen monströsen Frühstück und der Notwendigkeit, die Koffer zu packen und beim Concierge zu verstauen. Da der Flug erst am frühen Abend ging, hatten wir uns vorgenommen, noch mal richtig was abzulaufen.

Erste Station: Uniqlo in der Regent Street. Was soll ich sagen? Die LvA und ich, wir lieben den sympathisch unaufdringlichen Stil der Marke und die solide Qualität. Da kann man exzellent Basics kaufen. Was wir auch gemacht haben.

Nächste Station: Tate Modern. Kunst darf ja auch mal, und montags sollte es da nicht so voll sein. Ein kleiner Disput über die beste Verkehrsverbindung zum Museum endete damit, dass wir an der Waterloo Station ausstiegen und ich darauf bestand, an der Southbank der Themse zu Fuß weiter zu gehen. Das sollte sich schnell als Glücksfall erweisen, denn wir stießen auf einen der Real Food Markets der Stadt:

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Meine Damen, meine Herren, halten Sie Ihren Cholesterinspiegel im Zaum, denn was hier an hochwertigem internationalen Street Food angeboten wird, ist wirklich überwältigend – und lecker. Ich gönnte mir ein koreanisches Burrito, die LvA einen Pork Pie, aber im Ernst: Es hätten auch zehn bis zwanzig andere Gerichte sein können. Ähnlich wie am Wochenende in der Brick Lane sind die Street Food Festivals ein absoluter Pflichtbesuch für London-Besucher.

Gut gesättigt, aber zunehmend schweren Schrittes schlenderten wir weiter gen Tate Modern, hörten Straßenmusiker und sahen beeindruckende Sandburgen-Bauer, denen man ein wenig Münzgeld in die Eimer werfen kann/soll:

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In London mehr zu laufen als in der Ubahn zu hocken hat den Vorteil, dass man immer wieder zufällig spannende Orte und Events entdeckt. Den Gabriels Wharf, ein kleine hippe Shop-Kolonie, hatte ich bisher auf allen meinen Reisen in die britische Metropole glatt übersehen:

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Als wir am Tate Modern ankamen, waren wir ziemlich geschafft. Das außen architektonisch imposante Gebäude setzt innen auf ästhetischen Minimalismus, ich fühlte mich an alte Lagerhallen erinnert.

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Moderne Kunst. Muss man mögen. Ich war mehr historisch interessiert, hielt mich bei Beuys auf und den Guerilla Girls. Es ist schon auffällig, wie betriebslind und rückwärtsgewandt viele politische Auseinandersetzungen in der Kunst wirken, wenn sie erst mal 30 Jahre auf dem Buckel haben. So kannte Beuys nur das Lexikon des Kalten Krieges, nur Kommunismus und Kapitalismus, nur oben nach unten, sein “dritter Weg” wirkt heute wie alberne, neo-agrikulturelle Poserei.

Es gab aber durchaus auch Exponate, die mich begeistern konnten:

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Die Millennium-Brücke erlaubte uns danach den Spaziergang zurück auf die “richtige” Seite der Themse, zwei Stationen mit der Ubahn brachten uns zurück zum Hotel, wo wir die Einkäufe in die Koffer umpackten und noch einen entspannten Tee tranken.

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Meine alte Faustregel erwies sich erneut als korrekt: Zwei Tage sind verschwendet, vier sind zuviel, wenn es darum geht, London intensiv zu erleben. Nach drei Tagen tun die Füße weh und jeder Sessel wird zum Magneten. Da kann man lockende Angebote mit einem seufzenden “nächstes Mal” abwinken.

Und so ging es wieder nach Stanstead in den Flieger nach Stuttgart. Weil man von London nie genug bekommen kann, planen wir schon den nächsten Trip. Erstaunlicherweise kann man nämlich auch direkt vom winzigen Flughafen Baden-Baden aus fliegen, zu akzeptablen Zeiten. Da wird die Reise endgültig zum entspannten Ausflug.

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Ahhh, London…



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kosar34
kosar34
21. Februar, 2016 17:53

Ah, Joe Jackson in London. Ich habe ihn in Essen(Lichtburg) gesehen. Tolles Konzert.

Dietmar
22. Februar, 2016 01:55

Ahhh, London…

Oh ja! Irgendwann, wenn sich alles geglättet hat, müssen wir mal wieder hin.

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
22. Februar, 2016 12:04

Letztes Jahr die Stadt auch lieben gelernt. In der Tate gibt es in der obersten Etage ein nettes Cafe mit leckeren Kuchen und feinem Craft-Bier 🙂

Die Sandburgen-Bauer an der Themse scheinen da ja eine Institution zu sein, bei uns gab es Riesengesichter aus Sand 😀

Wechseln die Figuren am Trafalgar Square in regelmäßigen Abständen? Das Skelett stand nämlich letztes Jahr im September auch schon da.

Wortvogel
Wortvogel
22. Februar, 2016 12:26

@ Rudi Ratlos: Es ist schlimmer – weil die Lizenzen von der Stadt brauchen, sind es immer die gleichen Figuren. Neben recht originellen Hexen und Skeletten sieht man durchschnittlich 5 Yodas auf 100 Metern. Das nervt. Vor allem stört mich, dass London keine größere Vielfalt an Street Performern zuläßt. Man würde doch auch nicht 20 Jongleure auf eine Straße stellen. Diese schwebenden Heinis haben mittlerweile null Entertainment-Wert.

EDIT: Missverständnis – ich dachte, du meinst die schwebenden Figuren, die ja auch oft als Skelette auftreten. Das vierte Podest wird einmal im Jahr neu bestückt und bald wieder:
https://goo.gl/eCZ7W7

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
23. Februar, 2016 08:59

Ah, cool – danke für den Link. Die schwebenden Yodas habe ich aber auch gesehen und ein paar Meter weiter schon der nächste :/

Markus
23. Februar, 2016 11:58

Das hier ist nicht Facebook. Ich hinterlasse trotzdem mal ein “Like”.