07
Jan 2016

Reichs-Telekom: Der deutsche Amtsschimmel – intakt

Themen: Film, TV & Presse |

Es gehört zu den unangenehmeren Aufgaben, Nachlässe aufzuarbeiten, das Leben Verstorbener abzuwickeln. Es ist, als schließe man letztmalig eine Tür, als lasse man jemanden zurück. Wir hier, du da. Und tschüss.

Manchmal findet sich aber auch ein Grund zum Schmunzeln. Letzte Woche sind wir auf einen schwer behördlichen Vorgang aus dem Jahr 1961 gestoßen, der sehr schön illustriert, wie viel sich geändert hat vom Volksempfänger zum WLAN-Router – und wie wenig.

Es geht um die Anmeldung eines Fernsehers.

Beide Bescheinigungen sind übrigens in “mint condition”, wie der Sammler sagt. Als amtliche Schreiben wurden die sehr sorgfältig aufbewahrt – steht ja auch drauf: “Sorgfältig aufbewahren”. Ich habe sie mit ebensolcher Sorgfalt gescannt.

Auf relativ dünnem Papier und in kleinem Format wäre da erstmal die grundsätzliche “Rundfunkgenehmigung”. Diese bezieht sich, wie erklärt wird, auf die “Bestimmungen über den Rundfunk” aus dem Jahr 1931. Damals war Deutschland noch die Weimarer Republik, Hitler noch nicht Reichskanzler und Fernsehen gab es nicht – aber immerhin Radios.

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“Rückseite beachten!” – machen wir doch glatt.

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Ja ja, die Sprache kennen wir. Da spricht der Staat mit dem Untertan. Du musst, du sollst, du wirst. Wehe, wenn nicht! Erfreulich auch, dass man mit dem Erwerb eines Radios die Unverletzlichkeit der Wohnung abgibt:

“Den Beauftragten der Deutschen Bundespost ist das Betreten der Grundstücke und Räume, in denen sich Ton-Rundfunk-empfangseinrichtungen befinden, jederzeit zu gestatten.”

Andererseits: Ist schon alles prima durchorganisiert, vom Dauerauftrag für die Gebühren bis zu den Kündigungsfristen und der Menge der erlaubten Kopfhörer. Wenn ich Punkt 7 richtig interpretiere, war es die vernünftigste Lösung, bei einer Abmeldung sicherheitshalber zur Axt zu greifen.

Angetackert an dieses Formular von 1931 war das Äquivalent von 1961:

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Aha, das Wort Fernseher taucht auf – gerade rechtzeitig zur Ausstrahlung der Kultserie “Die Firma Hesselbach“.

Weil von Jesus zur Luther die Zahl der christlichen Vorschriften von 10 auf 85 erhöht wurde, verwundert es nicht, dass auch die Deutsche Post die Gebote von 9 auf 13 aufgestockt hat und deutlich festeres Papier nun zwei Seiten braucht, sie darzustellen.

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Interessant finde ich, dass Punkt 9 die Unverletzlichkeit der Wohnung zumindest teilweise wieder herstellt: Man muss die Kontrolleure der Behörde zwar rein lassen, aber nur zu “verkehrsüblichen Zeiten”. Da sage einer, der Staat wäre nicht zur Milde fähig.

Etwas überrascht hat mich Punkt 4, den ich eher in die Ära von Hakenkreuz und Volksempfänger verortet hätte: Wer Sendungen empfängt, die “nicht für die Allgemeinheit bestimmt sind” (ich vermute mal, Funksprüche von Militär und Polizei), der darf sie nicht nur nicht aufzeichnen (was damals technisch sowieso problematisch gewesen wäre), er darf das Vorhandensein solcher Sendungen auch Anderen nicht zur Kenntnis bringen! Ein a priori-Maulkorb, der sich gewaschen hat! Es würde mich interessieren, welche rechtlichen Grundlagen eine solche Bestimmung haben konnten – vermutlich keine. Ob es basierend darauf jemals zu einer Gerichtsverhandlung gekommen ist?

Andererseits: 5 Mark Gebühren.

Man sieht – durchorganisiert war der Deutsche Staat schon immer, die Überwachung der Bürger durch die Anbieter Teil des Systems. Damals herrschte noch – anders als heute – die Maxime: was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten.

Und zehn Uhr abends war Sendeschluss – ab ins Bett!

P.S.: Es gehört zwar nicht wirklich hierher, ist aber historisch relevant und für jeden TV-Junkie Pflicht:

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Dude
Dude
7. Januar, 2016 12:38

Das ist keineswegs historisch sondern immer noch gültig. Das Verbot des Abhörens von Polizei- und Flugfunk regelt heute ähnlich §89 Telekommunikationsgesetz:

“Mit einer Funkanlage dürfen nur Nachrichten, die für den Betreiber der Funkanlage, Funkamateure im Sinne des Gesetzes über den Amateurfunk vom 23. Juni 1997 (BGBl. I S. 1494), die Allgemeinheit oder einen unbestimmten Personenkreis bestimmt sind, abgehört werden. ”

In den 80er/90er Jahren benötigte man sogar eigentlich noch offiziell eine ähnliche Lizenz zum Betrachten von Satellitenfernsehen. Das wurde aber kaum beachtet und mit der stärkeren Verbreitung des Sat-TV in den frühen Neunzigen abgeschafft.

Wortvogel
Wortvogel
7. Januar, 2016 12:44

@ Dude: Relevant ist aber die Tatsache, dass es verboten ist, die Sachen mitzuschneiden oder anderen Leuten auch nur davon zu ERZÄHLEN.

Außerdem liegt die Lage bei Funkanlagen wieder völlig anders.

Dude
Dude
7. Januar, 2016 13:44

@Wortvogel: Auch ein normales Radio ist eine Funkanlage und es gibt tatsächlich immer wieder Verurteilungen. Einen ganz guten Überblick über die aktuelle Rechtslage findet man hier: http://www.funkwelle.com/bos-betriebsfunk/polizeifunk-abhoeren-rechtslage-detail.html

Wortvogel
Wortvogel
7. Januar, 2016 13:50

@ Dude: In der Tat – das liest sich schon wieder ganz anders, besonders §148 scheint mir interessant:

Ҥ 148 Strafvorschriften
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. entgegen § 89 Satz 1 oder 2 eine Nachricht abhört oder den Inhalt einer Nachricht oder die Tatsache ihres Empfangs einem anderen mitteilt oder (…)”

Das heißt, die TATSACHE des Empfangs mitzuteilen, ist immer noch strafbar. Da ist ein Gesetz erheblich zu lange nicht mehr entstaubt worden.

Lutz
Lutz
7. Januar, 2016 19:08

Ahem… Meinst du nicht eher “um 85” oder “auf 95” statt “auf 85”?

Wortvogel
Wortvogel
7. Januar, 2016 19:40

@ Lutz: Potato, potatoe. Ich komme sowieso in die Hölle.

Tom
Tom
8. Januar, 2016 06:13

Danke für das wirklich interessante Video, aber die Kommentare darunter haben mich dann noch länger beschäftigt. Nazis, Verschwörungsfans und noch vieles mehr. Echt unfassbar.

Moss
11. Januar, 2016 23:01

Weil von Jesus zur Luther die Zahl der christlichen Vorschriften …

„Jesus zur Luther“ wäre zwar ein super Name für einen männlichen Nachkommen uralten und entsprechend schwer durchgeknallten Adels, aber ich glaube, Du meintest da was anderes … oder?

Fake
Fake
16. Januar, 2016 01:30

Ich hab mich mal vor Jahren mit einem aus der Funkscanner-Szene (https://de.wikipedia.org/wiki/Funkscanner) unterhalten und bei denen gilt auch: nichts aufzeichnen, nicht über Inhalte reden.
Die tauschen sich untereinander nur über technische Aspekte und wo man wann auf welcher Frequenz was (Polizei, Feuerwehr, whatever) hören könnte.
Das schützt die ganz gut da, legal oder nicht, so niemand konkret nachweisen könnte das mitgehört wurde. – wo kein Kläger, da kein Richter