28
Aug 2015

FFF 2015 Zweitgutachten: „The Midnight After“, „Howl“, „Sweet Home“

Themen: Fantasy Filmf. 15, Film, TV & Presse, Neues |

FFF, Tag 5. Nach zwei Tagen Pause zurück in Köln, abends auf dem Hotelzimmer mit hundsmiserablem WLAN.

THE MIDNIGHT AFTER

The_Midnight_After_poster Hongkong 2014

124 min

REGIE

Fruit Chan

DARSTELLER

Janice Man, Kara Hui, Tien-You Chui, You-Nam Wong, Simon Yam

Worum geht’s? Eine Gruppe wild zusammengewürfelter Menschen steigt in Hongkong in einen Nachtbus. Bei der Durchfahrt eines Tunnels blinzeln alle einmal kurz, und schwupps, sind nicht nur alle Autos verschwunden, sondern auch alle anderen Menschen. Freunde sind über Handy nicht mehr erreichbar, sogar bei Notrufnummern geht niemand ran. Hongkong scheint entvölkert. Und so muss sich unser Grüppchen notgedrungen zusammenraufen, um herauszufinden, was hier los ist – zumal sich schnell herausstellt, dass es extrem ungesund endet, wenn man sich alleine durchschlagen will…

Wie ist er? Trailer und Inhaltsangabe klingen nach einem handfesten Mystery-Thriller. Dieser Eindruck könnte nicht falscher sein – THE MIDNIGHT AFTER ist eine fast schon „Groteske“ zu nennende Komödie, die sich über die üppige Laufzeit von über zwei Stunden hinweg in immer neue, immer absurdere Höhen hinaufschwingt. Nicht nur entpuppen sich unsere Überlebenden als Ansammlung enorm schräger Typen, sondern auch als gewiefte Popkultur-Kenner, die die üblichen Verdächtigen im Theorien-Sammelsurium (z.B. der Evergreen „Sind vielleicht WIR gerade gestorben?“) im Schnelldurchlauf abarbeiten und verwerfen. Später gibt es dann geheimnisvolle Maskenmänner, Spaß mit Google Translate und spontane Gesangseinlagen (!) mit animiertem Ad hoc-Musikvideo (!!), oben drauf allerlei Gesplatter. Nachvollziehbare Erklärungen für das Grundszenario, soviel wird schnell klar, interessieren hier nur am Rande.

Gucken? Wenn man mal was ganz Absurdes sehen will, dass zwar keinen Sinn, aber dafür eine Menge Spaß macht. 7/10.

HOWL

howl-hyett-poster Grossbritannien 2015

95 min

 

REGIE

Paul Hyett

DARSTELLER

Ed Speleers, Holly Weston, Elliot Cowan, Amit Shah, Rosie Day, Sam Gittins, Sean Pertwee, Shauna Macdonald

Worum geht’s? Fahrkartenkontrolleur Joe ist gerade nicht so wirklich gut drauf, denn seine ersehnte Beförderung wurde nicht nur abgelehnt, sondern der stattdessen Beförderte verdonnert ihn auch noch zu einer Extraschicht in einem Regionalzug. Ein auf der Fahrbahn stehender Hirsch sorgt für einen unplanmäßigen Halt mitten im vollmondbeschienenen Wald (quasi Wolfs Revier, hehe). Auftritt Werwölfe, Abgang Schaffner Sean Pertwee, Auftakt für ein John Carpenter-Gedächtnis-Belagerungsszenario.

Wie ist er? Hier wurde erkennbar nicht mit dem Anspruch angetreten, große Filmkunst zu schaffen – ein knackiger Partyhorrorfilm soll es sein, mit Blut, Spannung und einer gutdosierten, äh, Dosis Humor. Und genau das liefert der Film auch bestens, dank spielfreudigem Ensemble, einem slicken Look (dass laut des hier in Köln anwesenden Regisseurs nichts davon on Location in einem Zug oder im Wald gedreht wurde, beeindruckt mich – hier sieht nix billig nach Studio aus) und guten, wenn auch etwas gewöhnungsbedürftig gestalteten Monstern (einer meiner Begleiter meinte, die sehen weniger nach Werwölfen mehr nach den Morlocks aus der ZEITMASCHINE aus). Da stört es dann auch nicht, dass das Drehbuch eher zweckmäßig als inspiriert ist.

Gucken? Der Werwolfhorrorfilm wird hier weiß Gott nicht neu erfunden, aber die bekannten Versatzstücke mit Verve und Können abgearbeitet. Wer solche Filme mag, der wird hier bestens unterhalten. 8/10.

SWEET HOME

sweet-home Spanien/Polen 2015

82 min

 

REGIE
Rafa Martínez

DARSTELLER

Bruno Sevilla, Eduardo Lloveras, Ingrid García Jonsson, José María Blanco, Luka Peros, Oriol Tarrida Homedes, Miguel Ángel Alarcón

Worum geht’s? Irgendwo in Spanien – eine Immobilienmaklerin (glaub ich wenigstens – was genau ihr Job ist, hab ich nicht verstanden) schnappt sich die Schlüssel für ein abbruchreifes, fast völlig leerstehendes Haus, um dort mit ihrem Freund zu seinem Geburtstag ein Schäferstündchen abzuhalten. So eine zugige, siffige und vermutlich nicht mal ordentlich geheizte Bude scheint mir keine besonders romantische Location, aber was weiß ich schon. Leider tauchen justament in dieser Nacht ein paar Männer auf und bringen den letzten regulären Mieter um die Ecke. Es entbrennt ein Kampf ums Überleben für unsere Turteltäubchen, der nicht nur durch allerhand verschlossene Türen und verrammelte Fenster erschwert wird, sondern auch dadurch, dass die Bösewichte noch Verstärkung rufen…

Wie ist er? Das Gute an Slashern ist, dass die Genreformel so einfach ist, dass eigentlich jeder hoffnungsfrohe Nahwuchsfilmer einen drehen kann. Das Schlechte an Slashern ist, dass das dann auch jeder tut. Meistens kommt dabei dann ungenießbare Grütze raus. Selten mal was Gutes oder auch nur Guckbares. Und manchmal sowas wie SWEET HOME.

Das hier will unbedingt ein ernstzunehmender, harter, unironischer Slasher sein. Daran scheitert der Film auf ganzer Linie, trotz achtbarer Darstellerleistungen und schickem Look, der so einiges an Atmosphäre aus seiner malerischen Location „verfallender spanischer Altbau“ rausholt (ich stellte mir den Film über vor, dass sei die Wohnung des Schwesternpaares aus SHREW’S NEST gewesen, nur 50 Jahre später). Aber im Scheitern beschert er uns ein Feuerwerk des unfreiwilligen Humors.

Das Drehbuch schießt sich quasi im Fünf-Minuten-Takt in den Fuß – wie unfassbar verschwurbelt der Film die alte „Warum ruft keiner mit dem Handy die Polizei an“-Frage klärt, muss man gesehen haben, um es zu glauben, und wie der Freund aus der Wohnung, in der er sich verbarrikadiert hatte, rausgekommen ist und nun auf einmal in einer anderen Wohnung, in der sich die Freundin versteckt, auftaucht, mögen die Götter wissen.

Die ursprünglichen drei Schurken sind doof und wenig bedrohlich. Und der „Liquidator“ (so nennt ihn der Abspann), den sie sich dann hinzurufen, ist – natürlich, möchte man sagen – ein zwei Meter großer, stummer Aushilfs-Jason Vorhees, der mit allerhand Heimwerkerutensilien (aber ohne Knarre, das würde ja Sinn ergeben) an sein blutiges Werk geht. Ich wüsste zu gern, was der Kerl im Filmuniversum hauptberuflich macht. Außerdem scheint er OCD-ler zu sein, denn dass im Haus noch lebende Zeugen rumwuseln, hindert ihn nicht daran, in aller Seelenruhe erstmal die bereits angefallenen Leichen akribisch zu zerlegen und zu verpacken. Wo er die Knochensäge anzusetzen gedenkt, markiert er sich übrigens auf der Haut des Opfers fein säuberlich mit Filzstift. Beim Verfolgen in dunklen Gängen nimmt er keine Taschenlampe, sondern Glowsticks – Star Wars-Fans werden sich freuen zu hören, dass seine Sticks rot sind, sich das Final Girl aber einen grünen schnappt. Und wenn er sogar nach dem Erspähen seines Opfers diesem so majestätisch und langsam nachschreitet, dass sie ihm vor der Flucht vermutlich sogar noch einen Kuchen backen könnte (und nein, das ist nicht in Zeitlupe gefilmt, der läuft wirklich so langsam), so wirkt das halt nicht ganz so bedrohlich, wie die Herren Filmemacher sich das gedacht haben mögen.

Auch zu amüsieren wusste die Unentschlossenheit des Films in Bezug auf seine eigene Sprache: der Freund des Final Girls ist Engländer, weswegen die beiden Englisch reden, obwohl wir in Spanien sind. Warum die Schurken miteinander manchmal auch Englisch reden, wenn sonst keiner dabei ist, obwohl das Spanier sein sollen – fragt mich nicht, ich habe keine Erklärung, zumindest keine außer „die wollten den Film halt zwecks besserer Vermarktung größtenteils auf Englisch drehen und sind dabei beim Schreiben durcheinander gekommen“.

Falls in Köln wer davon genervt war, warum da einer im Kino ab der zweiten Hälfte dauernd gekichert hat, sorry, das war dann ich.

Der Abspann verkündet übrigens stolz, dass durch die Produktion dieses Films 154 Jobs geschaffen wurden. Böse Zungen könnten darauf hinweisen, dass es mit einem fähigen Drehbuchautor sogar 155 hätten sein können, aber dann wäre uns viel unfreiwillige Komik entgangen…

Gucken? Eigentlich taugt der Film ja nichts. Aber er scheitert auf so amüsante Weise, dass ich eingefleischten Slasherfans, so sie denn Humor haben, nicht guten Gewissens davon abraten kann. 5/10.

So, es ist spät, und ich bin erledigt. ONE & TWO und OBSERVANCE hab ich aber heute auch gesehen und werde Langreviews (da bis jetzt vom Doc und vom Wortvogel noch unreviewt) dazu noch morgen oder am Wochenende nachreichen. Kurz gesagt: Kinder, freut euch auf GROSSE FILMKUNST. Und ja, das ist als Drohung aufzufassen.

Marcus Heine



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7 Kommentare
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DocAcula
28. August, 2015 14:06

Na, was der Liquidator im richtigen Leben ist, ist doch gut sichtbar: Kammerjäger (“SPIDER Exterminatores”).

Dietmar
28. August, 2015 14:38

Dein Sweet-Home-Review ist sehr lustig!

Peroy
Peroy
28. August, 2015 18:48

“Das Gute an Slashern ist, dass die Genreformel so einfach ist, dass eigentlich jeder hoffnungsfrohe Nahwuchsfilmer einen drehen kann. Das Schlechte an Slashern ist, dass das dann auch jeder tut.”

Das ist korrekt. 🙂

Marcus
Marcus
29. August, 2015 02:15

Danke, danke!

Peroy
Peroy
27. Mai, 2016 22:47

“Howl” ist ein Haufen Scheisse. Welcher Trottel… … ach so, der Heine…

Marcus
Marcus
28. Mai, 2016 15:06

Der Vorteil an deinen Meinungen, Peroy, ist immerhin, dass du sie ziemlich exklusiv hast.

Thies
Thies
3. September, 2017 16:51

Späte Antwort: nöh, den fand ich auch stinklangweilig – siehe meinen Kommentar bei Doc Aculas Gastreview. Zitat: “Fahrscheinkontrolle – Der Film”