08
Aug 2015

FFF 2015: The World of Kanako

Themen: Fantasy Filmf. 15, Film, TV & Presse, Neues |

The World of Kanako

the-world-of-kanako-poster Japan 2014

REGIE

Tetsuya Nakashima

DARSTELLER

Kôji Yakusho, Nana Komatsu, Satoshi Tsumabuki, Joe Odagiri, Fumi Nikaidô, Ai Hashimoto, Miki Nakatani, Jun Kunimura, Asuka Kurosawa

Offizielle Synopsis: Der heruntergekommene und völlig abgebrannte Ex-Cop Akikazu unterbricht seine Abwärtsspirale in den sicheren Tod für ein paar Tage, um seine vermisste Tochter zu suchen. Was in einem anderen Film sicher als reuevolle Pilgerfahrt des gefallenen Helden erzählt worden wäre, gestaltet sich hier als unendlich brutaler und schwer verdaulicher Trip in die japanische Unterwelt. Wie sich bald herausstellt, fällt der Apfel nämlich nicht weit vom Stamm und die kleine Kanako hat selber ganz schön Dreck am Stecken. Nach und nach entfaltet sich das Psychogramm ihres wilden Lebens aus Karaoke, Sex und jeder Menge bunter Pillen. Zeit, dass der Papa sich den Nachwuchs mal vornimmt!

Kritik: Ich kann mich gut erinnern, wie sehr mich “Enter the void” vor fünf Jahren in Berlin mitgenommen hat – im emotionalen wie im mentalen Sinne. Nicht jeder Film muss ein Trip sein, nicht jeder Film muss jede Zelle deines Gehirns aufsaugen, durchkauen und ausspucken. Das wäre auch kaum erträglich. Aber manchmal ist es notwendig. Weil es hilft, das kreative Urteil zu justieren und zu erfahren, was im Medium Film noch möglich ist. Grenzerfahrungen nennt man das gerne. Jodorowsky. Noé. Lynch. Park Chan-Wook.

“The World of Kanako” ist in diesem Sinne die erste Entdeckung des Festivals, die erste Erfahrung. Ein Film, der einen durch die Mangel dreht, der sich in den Zuschauer verbeißt und ihm weh tut. Furiose Bilder, geschriene Dialoge, eine alles ersäufende Verzweiflung über die Zwiebel der Unschuld, die bis zum verrotteten Kern gepellt wird.

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Dabei ist die Story im Gegensatz zu vielen anderen asiatischen Filmen eigentlich geradezu westlich simpel: Der Ex-Cop, der sich auf die Suche nach seiner verschwundenen Tochter macht, muss erkennen, dass er über sein Kind sehr vieles nicht wusste. Und vielleicht auch nie wissen wollte.

Regisseur Nakashima spielt von der ersten Szene an mit unserer Erwartungshaltung an dieses Handlungsgerücht: Akikazu ist kein sympathisch gebrochener Antiheld, sondern ein widerliches Wrack, das vor keiner Dreckigkeit zurück schreckt. Er erinnert an den “Bad Lieutenant” von Harvey Keitel, und wie dieser sucht Akikazu Vergebung und Erlösung, hier in der Reinheit seiner Tochter – nur um zu erkennen, dass seine eigenen Defizite ein Monster geboren haben. Die Welt von Kanako ist eine Welt, in die niemand schauen sollte, schon gar nicht, wenn ihm seine Seele lieb ist.

Niemand ist unschuldig in der Welt von Kanako, die Fronten verlaufen nicht zwischen gut und böse, sondern zwischen dominant und submissiv, zwischen gelebter Grausamkeit und gebrochener Unterwerfung. Und es gibt keinen Schützengraben, in dem man sich verstecken kann. Dieser Krieg holt jeden ein.

Der (erwartbare) Verweis auf Tarantino greift in meinen Augen zu kurz und ist kultureller Snobismus. Nakashima hat mehr von Abel Ferrara gelernt (neben “Bad Lieutenant” sicher auch “Manhattan 3 Uhr nachts” und “Die Frau mit der 45er Magnum”), vor allem aber von seinen asiatischen Großmeistern: Park Chan-Wook, Takeshi Kitano, Takashi Miike. Sie allen tragen – stilistisch und inhaltlich – bei, auch wenn Nakashima stark genug ist, den Film nicht in eine Melange fremder Elemente zu verrühren. Seine inszenatorische Stimme ist kraftvoll und hält die Zügel in der Hand, auch wenn die Darsteller und die Visuals auf Flammenpferden in den Wahnsinn reiten.

Ja, wie so oft hätte man zehn oder fünfzehn Minuten früher den Nachspann einspielen können, wie “Parasyte” bieten sich viele Szenen als befriedigendes Ende an, nur um dann doch nur als Überleitung zu funktionieren. “World of Kanako” erzählt über seinen emotionalen Kern seine Geschichte noch weiter, da hätte man straffen können. Aber eine rohere, geladenere und zehrendere Erfahrung wird man auf diesem Festival sicher nicht machen. Und dafür sind wir doch letztlich alle dabei, oder?

Fazit: Ein filmischer Abstieg in die Hölle, ein verschwitztes Sleaze-Drama über Schuld, Unschuld und Mitschuld voller Gewalt, Sex, Drogen und einer alles durchdringenden Trauer über den Verlust der Liebe in einer kalten Welt. Der erste “must see”-Film des Festivals. 9 von 10.

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3 Kommentare
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Karsten
8. August, 2015 18:50

Klingt sehr spannend.

Christian Siegel
10. August, 2015 12:23

Oh, das klingt sehr vielversprechend. Den muss ich mir unbedingt vormerken (und darauf hoffen, dass er ins /slash-Programm kommt :-D)

heino
heino
26. August, 2015 06:49

Yep, sehr guter Film, mal wirklich in Abgründe führt, mit denen man nicht rechnet. Aber mir zumindest war er deutlich zu lang, am Ende hätte er locker 15 – 20 min kürzer sein können (müssen). 8/10