01
Jan 2015

Wicked Vision Magazin: Schlampe im Armani-Kleid

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

wv Aus berufenem Munde weiß ich, dass es die Horror-Webseite Wicked Vision seit 15 Jahren gibt. Ich bin nie drauf gewesen. Nicht nur habe ich kein großes Interesse an deutschen Releases und Reviews – ich meide auch das deutsche Horror-Fandom, das ich weitgehend für spackig und uninteressant halte. Regt euch drüber auf, gebt mir Tiernamen, ist aber so.

Zu meiner Überraschung (und sicher nicht zufällig im Fahrwasser des Erfolges vom Zombie) hat Wicked Vision sich nun auch an einem Print-Produkt versucht. Und zu meiner noch größeren Überraschung haben sie mir kommentarlos die Erstausgabe geschickt, auf dass ich sie loben und preisen möge. Schauen wir doch mal.

Zuerst einmal – und das muss man neidlos anerkennen – ist “Wicked Vision – Das Magazin für den phantastischen Film” ein echter Hingucker. Dickes Papier, Hochglanz, kräftige Farben, Da hat man 86 Seiten in der Hand, die auch nach zwei Wochen Klolektüre nicht zerfleddern und sich auch in zehn Jahren auf Ebay noch als “neuwertig” verkaufen lassen. Haptisch ein Sammlerstück.

Noch wichtiger: Das Layout stimmt. Ich predige mir da gerne den Mund fusselig, aber unglaublich viele Webseiten (*hust*badmovies*hust*) und semi-professionelle Zeitschriften tun sich wahnsinnig schwer damit, auch nur die Grundlagen von Seitenaufbau, Margen und Schrifttypen zu beachten. Lesenswert ist nicht gleich lesefreundlich – und wenn meine Augen nach zwei Minuten zu tränen beginnen, ist niemandem geholfen. Dabei ist es nicht so schwer: mindestens zweispaltig, ausreichend Zeilenabstand und Schriftgröße, gefälliger Font, anständige Abstände zwischen den Textkästen, ordentliche Kontraste.

“Wicked Vision” macht das richtig. Man könnte zwar die Entscheidung bemängeln, den Großteil der Seiten “weiß auf schwarz” zu drucken, aber es passt zum Thema und macht die Texte nicht unleserlich. Die Balance zwischen Texten und Bildern ist ausgewogen, das Cover ist auch klasse.

Nur von Aufmacherseiten hat der Layouter offensichtlich noch nie gehört, die Titelzeilen sind am Spaltenanfang versteckt, es gibt weder Aufmacherbilder noch Anreißer-Texte, wie sie in professionellen Magazinen üblich sind.

Trotzdem bekommt man ein schick aussehendes und dem Auge des Lesers zuarbeitendes Magazin, das sich auch in größeren Mengen im Bahnhofsbuchhandel gut machen würde und neben Klassikern wie “Rue Morgue” oder “Dark Side” nicht verstecken muss.

Dann wendet man sich dem Inhalt zu. Und findet alle Gründe bestätigt, warum ich das deutsche Horror-Fandom gewöhnlich meide.

Erster Bock, den “Wicked Vision” schießt: Es ist ein monothematisches Heft. Alles dreht sich mehr oder weniger um Lovecraft. Und nicht nur das: Die komplette Sonderausgabe war den Machern nicht genug, in Heft zwei (so es noch erscheint) geht es damit weiter.

Sorry, von einem “Magazin für den phantastischen Film” erwarte ich mehr als ein Thema. Das ist kein Magazin, das ist ein Sonderheft. Und ein Sonderheft ist was für die Nische. Wenn man schon Zweifel hat, ob ein Genre-Magazin hierzulande genug Abnehmer findet, dann stehen die Chancen für ein Genre-Nischenmagazin noch schlechter. Hier haben sich die Macher an ihrer Begeisterung für “all things Cthulhu” besoffen und nicht an die Zielgruppe gedacht.

Auch inhaltlich ist nicht alles eitel Sonnenschein: Mit einer gewissen Präzision hätte sich Lovecraft samt aller filmischen Adaptionen sicher in einem Heft abhandeln lassen. Aber die Macher von “Wicked Vision” blähen das Thema mit viel heißer Luft auf. So gibt es bizarre, widersprüchliche und fahrige Artikel über Lovecrafts persönliche Filmvorlieben, sechs verschwendete Seiten über einen von HPL inspirierten Tattoo-Künstler und einen ausführlichen Review über eine obskure Lovecraft-Adapation, den ich erst nach einer dreiviertel Seite als Review identifizieren konnte. Gerade bei den biographischen Beiträgen vermisse ich Quellenangaben, denn es klingt oft so, als hätten die Autoren Lovecraft persönlich gekannt – was kaum sein kann. Zwischen den Füllern verlieren sich leider ein paar wirklich gute Artikel über Biographie und Filmographie von HPL, die man als Kern hätte nehmen sollen.

Was also als einzelnes Special Interest-Heft zu Lovecraft funktionieren könnte, wirkt als erstes Heft einer Reihe zu dünn und teilweise an den Haaren herbei gezogen.

Keinen Gefallen tun sich die Macher auch mit ihrer teilweise präpotenten Fanboy-Schreibe, die in Ausfällen gipfelt wie

Cormans gotisch-artifizelle imago mundi setzt nicht mehr nur einen filmhistorisch bewanderten Rezipienten voraus, sondern einen durch Enkulturation und Sozialisation popkulturell vorgebildeten Zuschauer, der die Stereotypen der “Schauergeschichte” durch ihre verschiedenen medialen Varianten (Film, Hörspiel, [Groschen]Roman) verinnerlicht hat.

Wie ich immer sage: Kannst du es nicht einfach sagen, halte die Klappe.

Bei der wichtigen Unterscheidung von Meinung und Fakt sind die Autoren nicht immer standsicher, wie diese steile These belegt (es geht um Charles Band als Produzent von “Re-Animator”):

Für einen Regisseur und Produzenten, der sich mit seiner späteren Produktionsschmiede Full Moon weitgehend durch lächerliche Puppen-Horrorfilm (PUPPET MASTER-Reihe) und albernem, dämonischem Spielzeug (DEMONIC TOYS-Reihe) sowie diversen Ablegern im C-Bereich etablierte, klingt es etwas vermessen, eine der wichtigsten und besten Lovecraft-Geschichte abzulehnen. Das beweist, dass sich Charles Band nicht mit dem Stoff auseinander gesetzt hatte, auch wenn er es in Interviews gerne anders darstellt.

Aus einer Vermutung einen “Beweis” herzuleiten und einen international erfolgreichen Produzenten der Lüge zu bezichtigen, das ist schon SEHR dünnes Eis.

Es ist kein Geheimnis, dass es in der deutschen Presse üblich ist, “reporting” und “editorial” zu mischen, also Bericht und Meinung. Die anglo-amerikanische Journaille müht sich meist um klare Trennung. Darum wirken Hefte wie “Rue Morgue” auch erheblich faktenlastiger und neutraler als “Wicked Vision” – es schimmert nicht permanent und penetrant die persönliche Meinung der Autoren durch. Diverse Male murmelte ich bei der Lektüre “Was für ein Kappes!” und “Na, das denkst aber auch nur DU!”…

Letztlich ist “Wicked Vision” ein Fanzine, das durch moderne Produktionstechniken wie ein professionelles Magazin daher kommt. Aber man darf sich von der edlen Aufmachung nicht täuschen lassen: Hier kommen bemühte Autodidakten zu Wort, die sich Begeisterung und Frust gleichermaßen von der Seele schreiben. Mit filmischer Expertise und substantieller Auseinandersetzung hat das meist wenig zu tun, auch wenn Schachtelsätze und Fremdworte etwas anderes suggerieren möchten.

“Wicked Vision” hat in dieser Form für mich keine Zukunft, bietet keinen Mehrwert zu Webseiten über Lovecraft. Für gerade mal eine Hälfte eines Lovecraft-Specials ist es außerdem schlicht zu teuer. Und “Call of C’rruso” kommt auch nicht drin vor…



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Goran
Goran
2. Januar, 2015 11:23

Ah schön, mit “Entkulturation” habe ich ein neues Hasswort ins Bewusstsein bekommen.
Bin mir sicher, diesem schon begegnet zu sein, aber gezündet hat’s jetzt.

Wortvogel
Wortvogel
2. Januar, 2015 12:24

@ Goran: Es soll “Enkulturation” heißen, wie mir der Autor eben angefressen mitgeteilt hat.

Justin
Justin
3. Januar, 2015 00:12

Finde das Heft gar nicht sooo übel. Es wird aber wegen der unsäglichen Seiten mit diesem Tattoo-Spinner trotzdem im Altpapier landen. Was soll so eine Grütze nur?

Tattoo Tate
Tattoo Tate
3. Januar, 2015 00:27

@ Justin
Tommy Lee Wendter ist ein Gott an der Nadel. Der Schmerz des Stechens fließt in seine Arbeit ein, die klare cthullueske Züge trägt. Das muss man wissen.

Wortvogel
Wortvogel
3. Januar, 2015 06:24

@ Tattoo Tate: Das muss man nicht wissen – und das hat trotzdem nichts in einem Filmmagazin zu suchen.

@ Justin: Ein Heft wegen eines Artikels ins Altpapier zu schmeißen, finde ich auch albern.