28
Dez 2014

The Year of Giving Dangerously – Update

Themen: Neues |

Ich erinnere mich nur vage an diesen Bekannten. Das war Mitte der 70er, da war ich noch ein Knirps und der Mann hat uns nur ein paar Mal besucht. Ich glaube, er war mit einem Onkel oder einer Tante deutlich besser befreundet. Ich kannte allerdings seinen Arbeitgeber – er war bei Henkel. Das war offensichtlich, denn er brachte uns eines Tages einen Kofferraum voll mit Waschmitteln und anderen Produkten aus dem Sortiment dieses Herstellers. Aus Gesprächsfetzen konnte ich schlussfolgern, dass er auch andere Menschen seines Umfelds derart beschenkte.

Zwei Tage später hängte er sich auf.

Seinen Grabstein fand ich ein paar Jahre später auf den Hinweis meiner Mutter nur ein paar Meter neben dem von meiner Oma. Eine schmucklose letzte Ruhestätte – er hatte wohl an Einsamkeit gelitten und entschieden, dass “weiter so” nicht mehr die Attraktivität von “weg hier” hatte.

Es hat mich als Kind fasziniert, dass jemand, der seinen Suizid plant, vorher noch Dinge im Bekanntenkreis verteilt, die andere Leuten brauchen können. Diese Rücksicht angesichts eines doch so viel wichtigeren, persönlichen Schrittes. Oder war es ein Hilferuf, den niemand hören wollte?

Wie dem auch sei – die folgenden Zeilen sollten bitte nicht ähnlich interpretiert werden. Meine Inventur ist kein Kassensturz vor dem Brückensturz. Alles easy. Mir geht’s prima.

Der Adventskalender 2014 ist rum und war – wenn ich das sagen darf – ein voller Erfolg. Nicht finanziell, und anstrengend war es auch, aber ich glaube, viele schöne Dinge haben stolze neue Besitzer gefunden. Und ein Bücherregal ist für ein Buch nun mal der karmisch fairere Platz im Vergleich zum Altpapiercontainer.

Im ersten Beitrag zu diesem Thema habe ich schon gesagt, dass ich diesmal dran bleiben will. Dass es um mehr geht als um ein aufgeräumtes Arbeitszimmer. Es geht um ein aufgeräumtes Leben. Und darum haben die LvA und ich an und zwischen den Feiertagen begonnen, die Regale auszumisten, die Schubladen zu sichten, die Bestände in Sachen Werkzeug, Putzmittel und Kugelschreiber zu ordnen.

Mir ist dabei aufgefallen, dass das Problem der Grundräumung sich in ein leichtes Prinzip fassen lässt – und seine Lösung ebenso.

Wir besitzen meistens drei Sorten Dinge: ja, nein und vielleicht. Ja sind die Dinge, die wir unbedingt brauchen, an denen unbezahlbare Erinnerungen hängen, die einen Wert über den Wert hinaus haben. Das kann eine Kette der Oma sein, ein Requisit von meinen Dreharbeiten oder auch nur eine Box mit alten Briefen. Nein sind Dinge, die wir nicht mehr brauchen und bei denen das auch klar ist. Die können weg, von Herzen ohne Schmerzen.

Triumph und Niederlage bei der Entmistung sind die vielleicht. Vielleicht brauche ich das noch mal, vielleicht findet sich ja doch noch ein Platz, vielleicht kann Kumpel X oder Y das brauchen. An vielleicht hängt oft auch Geld (“weißt du, was das gekostet hat?”) oder Nostalgie. Und vielleicht ist der Punkt, an dem man ansetzen muss. Vielleicht darf sich nicht mehr an ja kuscheln und in dunklen Ecken verstecken. Vielleicht muss den Weg von nein gehen. Hinaus!

DB3 So, wie ich das eben gesichtet habe, besteht unser 85 Quadratmeter Dachboden zu 80 Prozent aus vielleicht. Machen wir uns nichts vor: Es wird mir nicht gelingen, mich von diesen 80 Prozent vollständig zu lösen. Aber es wäre unheimlich was gewonnen, wenn ich von den 80 Prozent vielleicht 50 Prozent loswerden könnte. Denn die 50 Prozent machen wiederum 80 Prozent des Volumens aus. Was wir an Bastkörben, Schaumstoffmatratzen, Holzbrettern, Schränkchen und verrotteten Bilderrahmen da stehen haben, geht nicht auf die sprichwörtliche Kuhhaut (von der ich – anders als einer meiner ersten Blogbeiträge impliziert – keine habe).

Aus einem vielleicht ein nein zu machen, bedeutet auch nicht, es zu entwerten.  Ich werde jedes Stück einzeln sichten. Es gibt keinen Grund, einen sehr gut erhaltenen Gel-Kamin wegzuwerfen. Drei Kisten mit Elektrokabeln. Einen Panasonic-DVD-Rekorder, der mal 1000 Euro gekostet hat. Einen Gameboy Advance SP mit einem frei bespielbaren Modul. Eine Canon Ixus-Kamera. Einen Rimowa-Koffer. Einen iRiver-MP3-Player. Einen noch von der Vorwohnung frisch gereinigten und verpackten Teppich. Eine Vibro-Plate. Ein Ergometer. Ein altes, aber noch funktionsfähiges Notebook.

Und dann die Bücher. Hunderte. Die DVDs. Auch Hunderte. Zeitschriften. Hunderte. Comics. Hunderte. Im Kamin verfeuern? Nie im Leben.

Nun kann man viele Bücher einfach in diese Bücherschränke packen, wie es sie hier auch in Speyer mittlerweile gibt. Aber da finde ich die Zielgruppe falsch. Meine Bücher sind meistens aus England oder Amerika, waren ziemlich teuer und dürften bei den entsprechenden Nerds prima Verzückung auslösen.

Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, im ersten Quartal 2015 “Wortvogels wirtuellen Wlohmarkt” (Arbeitstitel) zu starten. Dabei handelt es sich um einen Beitrag an dieser Stelle, der für einige Monate immer als erster auf der Webseite steht. In einer Galerie werden dabei eine wachsende Menge an vielleicht zu sehen sein, die ich unter das Volk zu bringen bereit bin. Viel mehr als Porto & Verpackung werde ich nicht verlangen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst – und was weg ist, wird in der Liste sichtbar ausgestrichen.

Natürlich muss ich darauf achten, den Aufwand für mich handhabbar zu halten. Das heißt, ich werde Bücher und DVDs in eigenen Listen präsentieren und dann “en bloc” verkaufen. Man kann sich drei Bücher oder DVDs (Mischungen gehen auch) auswählen und diese dann für einen noch festzulegenden Pauschalpreis abgreifen.

Andere Dinge werde ich bei Ebay einstellen (z.B. meine Sammlung an SFX-Ausgaben), seltene Bücher bei Amazon gebraucht.

Und was dann am Ende nicht weg gegangen ist – DAS kommt dann in die Bücherschränke der Stadt, in “zu verschenken”-Kartons vor der Haustür und zum Wertstoffhof.

Leben heißt loslassen. Und durchatmen.



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Lars,too
Lars,too
28. Dezember, 2014 09:35

Gute Idee. Und DIBS auf den GameBoy! 😀

HowieMunson
HowieMunson
28. Dezember, 2014 09:54

Da die Sachen günstig weg sollen, fände ich ja Fortvogels fairer Flohmarkt auch passend als Arbeitstitel… (jedenfalls nicht schlimmer als “wirtuelle Wlöhe” *duck*)

DJ Doena
28. Dezember, 2014 10:34

Ich kann auch prrsönlich vorbeikommen und beim ausmisten helfen. 😉 (is nur 25km)

Manuela
Manuela
28. Dezember, 2014 11:38

Da kann ich Dir das Buch ‘Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags’ von Karen Kingston empfehlen. Ich habe es von einer Kollegin geliehen bekommen und es liest sich nicht nur sehr gut (an manchen Stellen musste ich sehr lachen und habe mich sofort wiedererkannt), sondern gibt auch praktische Tipps – gerade um auch ‘Herzenssachen’ zu entsorgen…. Ich bin ein chaotischer Hamster und horte einige Dinge seit 4 Umzügen (die haben mal soooviel gekostet und ich kann sie bestimmt iwann wieder brauchen, genau wie Du es beschreibst).
Nach dem ersten Lesen des Buches habe ich meinen Keller aufgeräumt. Das war besser als ein Wellness-Tag 🙂
Viel Spaß weiterhin beim Entrümpeln …..
Ich ziehe in 3 Monaten zum 10. Mal um und bekomme schon leichtes Herzrasen, wenn ich mich hier so umschau…..

Wortvogel
Wortvogel
28. Dezember, 2014 11:42

@ Manuela: Mit Feng Shui habe ich es gar nicht, aber es gibt ein Buch, das mir sehr geholfen hat: “Simplify your life”. Da werden die Mechanismen des (An)Sammelns sehr schön analysiert und man bekommt auch die richtigen Gegenstrategien an die Hand.

Manuela
Manuela
28. Dezember, 2014 12:16

Danke für den Tipp – das werde ich mir besorgen !
Und das andere hat eigentlich mit Feng Shui wenig zu tun – die paar Seiten hab ich übersprungen 🙂

Moss
Moss
28. Dezember, 2014 16:37

Falls der alte Laptop in die Kategorie nein kommt, kannst Du ja mal überlegen, ihn an Labdoo zu geben; die sammeln sowas, beschicken die Geräte mit kindgerechter Lernsoftware und -inhalten und stellen sie weltweit (Schul-)Kindern zur Verfügung.

Flay
Flay
29. Dezember, 2014 00:53

Wünsche viel Erfolg für das Projekt! Ich bin selber in einem riesigen Haus aufgewachsen, wo Platz gar kein Thema war, lebe aber mittlerweile auf 30 qm in der Nähe von Paris, da ist selbst bei überdurchschnittlichem Gehalt nicht viel mehr drin:) Zuerst waren es nur 22qm (da sah es dann erstmal wie in einer Messiebude aus), und beim Umzug hab ich dann rigoros drauf geachtet, dass nur Sachen in die neue Wohnung kommen, die ich auch wirklich verwende – ein paar wenige Kisten mit Erinnerungsstücken lagere ich im Elternhaus.

Da es in so einer Minibude sofort chaotisch aussieht, wenn ein paar wenige Sachen offen rumliegen, muss jeder Gegenstand nen eigenen Platz haben, und zuviel Stauraum geht auch nicht, ohne dass die Wohnung dann überladen aussieht. Daher überlege ich mittlerweile vor jedem Kauf von was auch immer, ob ich das Teil wirklich brauche, und falls ja, an welchen Platz es kommt, und auch ob es irgendwas ersetzt, was dafür weg muss 🙂 Jedes “zuviel” belastet und frisst einem letztlich Zeit. Vielleicht hilft dir die Überlegung auch was, da du ja oft Sachen kaufst, die du dann gar nicht mehr verwendest.

Das Simplify-Buch habe ich auch mal gelesen und fand es sehr praktisch. Ist tatsächlich so, dass man Sachen, die man schon 1-2 Jahre nicht mehr verwendet hat, mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht mehr braucht(von Ausnahmen wie Werkzeug mal abgesehen), oder falls doch, nicht mehr findet.
Zuviele gesammelte Sachen sind halt mehr Belastung als Hilfe, wenn man dann z.B. nicht mehr vernünftig saubermachen kann oder Sachen nicht mehr findet, obwohl man sie schon hat und dann nochmal kauft, oder man schlicht Geld für eine größere Wohnung und deren Beheizung verschwenden würde, nur um Sachen zu lagern. Oder man wertvolle Zeit aufwenden muss, Dinge in Ja/Nein/Vielleicht einzuteilen – daher lieber künftig vorher genau überlegen 🙂

Reini
29. Dezember, 2014 11:46

Ich nehme die DVDs. 🙂

Rudi Ratlos
Rudi Ratlos
7. Januar, 2015 09:50

Schöne Idee mit dem Flohmarkt, nur ein Wort zum Gameboy mit “frei bespielbarem Modul”: Das klingt nach einem dieser obskuren ROM-Dinger, deren Vertrieb Nintendo via Gerichtsbeschluss untersagt haben soll – da wäre ich im Zweifelsfall vorsichtig 😉