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Sep 2014

Fantasy Filmfest 2014 (40): The Strange colour of your body’s tears

Themen: Fantasy Filmf. 14, Film, TV & Presse, Neues |

Strange Colour Belgien/ Frankreich/ Luxemburg 2013. Regie: Helene Cattet, Bruno Forzani. Darsteller: Klaus Tange, Jean-Michel Volk, Sylvia Camarda, Sam Louwyck, Anna D’Annunzio

Offizielle Synopsis: Ein Mann kehrt nach einer Geschäftsreise nach Hause zurück und stellt fest, dass seine Frau verschwunden ist, obwohl die Wohnung von innen verriegelt ist. Als er die Nachbarn befragt, beginnt eine labyrinthische Entdeckungstour durch seine sexuellen Fantasien auf der Suche nach seiner Frau in einem fantastischen Jugendstil-Gebäude in Brüssel.

Kritik: Oh Mann. Was für eine Pleite. Was hatten wir uns gefreut. Donnerstag Abend, voller Saal, Kettensägen-Horst dabei, Regisseure anwesend, die ganz große Leinwand für den ganz großen Film, dessen Titel und Poster uns schon ganz wuschig gemacht hatten.

Und dann das.

Der Moderator des Q & A mühte sich hinterher sichtlich, unverfänglich zu bleiben, bezeichnete den Film mehrfach als „insane“. Was ja genau genommen keine Wertung ist. Cattet und Forzani betonten, ihr Film sei ein „schlimmer Alptraum“ und ein „wahr gewordener schöner Traum“. Außerdem ein „Labyrinth“, in dem man sich verlieren soll. Dass es ein Film ist, bei dem man sich gut unterhält, davon haben sie nichts gesagt. Besser so.

„The Strange Colour“ beginnt ganz interessant, verliert den Weg aber schon nach 10 Minuten, wenn klar wird, dass er weder ein Interesse hat, seine grundlegende Story (das Verschwinden der Frau) noch die Charaktere dauerhaft zu verfolgen. Stattdessen Nahaufnahmen von Augen, Kaleidoskop-Bilder, hochgedrehte Geräusche (Atmen, Schleifen, Knarzen), Schatten, Glas und immer wieder Träume.

Klar sind das alles Markenzeichen des “Giallo”, den das Team Cattet/Forzani in “Amer” und “The ABCs of Death” so brillant auf seine grundlegenden Elemente reduziert hat. Aber es sind auch nur die Mittel, mit denen die italienischen Regisseure der 70er und 80er ihre fiebertraumhaften Geschichten erzählt haben. Konzentriert sich “Amer” auf die inhaltlichen Grundlagen des Genres, so ist “The Strange Colour” lediglich eine Sammlung der Stilmittel, eine Art Grabbelkiste von Kameraeinstellungen, Filtern und Soundeffekten ohne Anfang und Ende.

Ähnlich wie “Berberian Sound Studio” spielt dieser Film auf hohem technischen Niveau, übersieht aber, dass das oft fahrige Storytelling beim “Giallo” mitnichten bedeutete, dass die Story letztlich irrelevant war. Man kann sie nicht subtrahieren, kann nicht unterstellen, der italienische Sleaze-Krimi bestünde letztlich nur aus avantgardistischen Kamera- und Soundtricks. Wenn “The Strange Colour” irgendeinen Verdienst hat, dann diesen: Er rehabilitiert den ramponierten Ruf von Argento, Bava & Co. als Storyteller.

100 Minuten Rorschach-Test und Bilderrätsel, LSD-Trip und Kunstvideo-Installation. Kann man sich (zumindest auf dem FFF) mal geben, muss man aber nicht.

runterFazit: Die Enttäuschung des Festivals. 100 Minuten selbstverliebte Giallo-Stilelemente, die schnell ermüden und am Ende keinerlei kohärenten Eindruck hinterlassen. Wegen der Ambition und der handwerklichen Fertigkeiten der Macher keine Zuschauerbeleidigung wie „Rufus“ oder „Extraterrestrial“, aber ein Rückschritt nach dem großartigen „Amer“.

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Christian Siegel
Christian Siegel
5. September, 2014 14:29

Puh, da bin ich jetzt aber beruhigt. Den hab ich vor ein paar Monaten beim “/slash einhalb” (die Mini-Ausgabe des /slash Filmfestivals in Wien, das wiederum eine Art österreichisches Äquivalent zum FFF darstellt, wenn auch längst nicht mit so langer Tradition) gesehen und dachte schon, es liegt an mir, da ich jetzt was Horrorfilme betrifft nicht soooo übertrieben erfahren bin und gerade bei in Ehren gehaltenen Klassikern bzw. Meistern wie Giallo, Argento usw. noch große kinematographische Bildungslücken bei mir klaffen. Aber dann is ja gut… ^^

John
5. September, 2014 14:53

Berberian Sound Studio fand ich großartig, grade weil der Film eine sehr interessante Story hat, und das Konzept der inneren Spaltung konsequent und innovativ umsetzt. Aber “Strange Colour” hat ja nicht mal wirklich etwas zu sagen. Vaginale Öffnungen ersetzen keine psychologischen Erkenntnisse!

Dietmar
Dietmar
5. September, 2014 16:22

Das Plakat sieht ja klasse aus!

Reini
5. September, 2014 17:01

*schnief*

Mencken
Mencken
5. September, 2014 17:38

@Christian Siegel: Zum Füllen der Bildungslücke: Der Meister ist Franz Giallo, nicht verwechseln mit Günther Giallo!

Peroy
Peroy
5. September, 2014 17:49

Der Award für das beste Tittenposter des Festivals geht zum wiederholten Mal an die “Amer”-Menschen…

Marcus
Marcus
13. September, 2014 10:43

In der Tat ein herber Schlag ins Kontor. Der hat mehr Story als AMER, ergibt aber weniger Sinn als AMER.
STRANGE COLOUR… begeht die Ursünde des Films: du sollst deine Zuschauer nicht nerven. Und das tut der Film, weil er im Gegensatz zu AMER zwar anteast, eine Story zu haben, nur um sie dann nicht zu erzählen. Stattdessen wird einem 100 Minuten lang ein unentschlüsselbarer WTF-Moment nach dem anderen um die Ohren gehauen, bis selbst der geneigteste Zuschauer die Lust verliert.

Immerhin: tolle Musik, großartiger Look. Leider aber eben nichts Verwertbares dahinter. Forzani und Cattet KÖNNTEN einen großartigen Giallo machen, der sich hinter Argento nicht verstecken muss. Sie wollen aber offenbar einfach nicht.

Weil er doppelt so gut aussieht wie das andere Exerzizium in Ödnis UNDER THE SKIN, gibt’s auch doppelt so viele Punkte von mir. YMMV. 4/10.

Thies
Thies
18. September, 2014 00:50

Und ich dachte schon, ich hätte letztes Jahr mit “Upstream Colours” das nicht mehr zu toppende WTF-Erlebnis überstanden. Falsch gedacht! Man sollte T-Shirts drucken mit dem tollen Plakat und dem Schriftzug “Ich habe den Film gesehen und bin dabei wach geblieben!”. Nach der Hälfte hatten mehrere Zuschauer den Saal verlassen und schon wenige Minuten später begann ich sie zu beneiden, weil mich mein Pflichtgefühl sitzenbleiben liess. Und ich muss Marcus widersprechen: “Under the skin” hinterliess mich mit dem Gefühl, dass es sich lohnen könnte ihn ein zweites Mal zu sehen um weitere Facetten der Handlung aufzugreifen. Für diesen Film müsste man mich zweimal mit Golddublonen überschütten, bevor ich ihn mir nochmal freiwillig anschaue.

Jake
Jake
28. September, 2014 11:07

“100 Minuten selbstverliebte Giallo-Stilelemente, die schnell ermüden”

Oh ja, und WIE der mich gestern ermüdet hat. Nach ca. 15 Minuten verabschiedeten sich meine Gehirnzellen Samba tanzend durchs Nasenloch und begangen auf dem Fußboden kollektiv Selbstmord. Habe mich daraufhin tiefstmöglich in meinen Kinosessel vergraben und versucht, zu schlafen…zumindest zu dösen. Ging aber leider nicht wegen:

“hochgedrehte Geräusche (Atmen, Schleifen, Knarzen)”

Was für eine Folter. Einmal und nie wieder.