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Mai 2013

Die Autobiographie von Harry Alan Towers: Ein zu kleines Buch für eine zu große Persönlichkeit

Themen: Film, TV & Presse, Neues |

Mr Towers of London-500x500 Ich habe Harry Alan Towers wahrlich oft genug gebeten, seine Biographie schreiben zu lassen. Mit dem unausgesprochenen Zusatz “… am besten von mir”. Irgendwann erwähnte Harry beim Mittagessen, dass er mit einem kanadischen Journalisten dabei sei, sein Lebenswerk zu durchforsten. Wie es aussieht, wurde daraus nichts.

Mir war immer klar, dass es eine schwierige Aufgabe sein würde, Harry Alan Towers zwischen zwei Buchdeckeln gerecht zu werden. Sein Leben war lang, ereignisreich, voller unerwarteter Wendungen – und voller dunkler Ecken, in die er niemanden schauen lassen wollte. Von denen gerne mal zwei oder drei “Wahrheiten” existierten. Darum schien es mir auch angebracht, auf eine Biographie zu setzen und nicht auf eine Autobiographie. Dass Harry sich sein eigenes Leben schön schreiben würde, war genau das, was es zu verhindern galt. Ich wollte die große Enthüllung, den Skandal, die Exzesse – the true Harry, warts and all.
Im Juli 2009 verstarb Harry Alan Towers. Danach habe ich noch zweimal versucht, das Projekt anzuschieben. Ich habe Ted Newsom den Tipp gegeben, Harrys Leben für ein Buch aufzuarbeiten, Tim Lucas auch. Beide haben nicht angebissen. Dabei gibt es genügend Mitstreiter, Komplizen und Weggefährten (inklusive Christoper Lee, Peter Jobin und Maria Towers), die Auskunft über sein bemerkenswertes Leben geben könnten. Jack Palance, Jess Franco und Oliver Reed hingegen können schon nicht mehr interviewt werden.

Neulich erzählte ich Peter Osteried von diesem Traum, nach dem Charles Band-Buch vielleicht doch mal die Towers-Biographie anzugehen. Mampfend murmelte Peter: “Wieso? Ist doch neulich erst erschienen”. Entgeistert checkte ich Amazon UK – und siehe da. Eine Autobiography. Keine Biographie. Hurra?

Ich habe das Buch vor 2 Wochen bekommen. Es ist von der Aufmachung her so ernüchternd, wie das Cover befürchten ließ: Druckqualität und Bindung sind auf BOD-Level, das Layout ist schlampig, diverse Rechtschreibfehler und mangelndes “fact checking” trüben schon den oberflächlichen Ersteindruck.

Der Titel ist auch nicht gerade der Knaller: “Mr. Towers of London – A Life in Show Business. The Autobiography of Harry Alan Towers. Movie Producer Extraordinaire”. Könnte ETWAS knapper sein, ETWAS knalliger. Wenn ich mal die Biographien seiner Kollegen dagegen halte:

Roger Corman: How I made 100 movies in Hollywood and never lost a dime

William Castle: STEP RIGHT UP!…I’m Gonna Scare the Pants Off America

Sam Arkoff: Flying Through Hollywood by the Seat of my Pants 

Lloyd Kaufman: Make Your Own Damn Movie! Secrets of a Renegade Director

Hier, wie in der ganzen Aufmachung, mangelt es an Showmanship. Wieso zeigt das Cover nicht eine Collage von “Fu Man Chu”, “Delta 3”, “Quatermain”, “10 Little Indians”, “99 Women” und “Fanny Hill”? Wo ist der erklärte Wille, Harrys Werk auch jüngeren Filmfans schmackhaft zu machen?

Es zeugt zudem von wenig Feingefühl in gestalterischen Dingen, auf der Rückseite mit einem fetten Anführungszeichen einzusteigen, dessen korrespondierendes Abführungszeichen man mit der Lupe suchen muss.
Scan
Wer hat die grässlichen Farben ausgesucht, dieses Muster, die Schrift?

Die Fotosektion in schwarzweiß und auf holzigem Papier ist eine weitere Enttäuschung: ein paar Familienfotos, ein paar Pressefotos, das war’s auch schon. Mehr hat der Produzent von “Sumuru”, “Christina”, “River of Death” und “Bullet to Beijing” nicht in seinen Schuhschachteln finden können?

Aber es geht ja um den Inhalt, um die “life story”, die Harry Alan Towers hier tatsächlich noch selbst erzählt. Wie ehrlich, wie schonungslos, wie selbstkritisch geht er mit seinem eigenen Leben und seinen Filmen um?

Die Antwort ist ernüchternd. “Mr. Towers of London” gönnt sich gerade mal 138 Seiten, um von 80 Jahren zu erzählen, über 100 Filmen, Hunderten von TV- und Radioepisoden. Die Erzählgeschwindigkeit “Schweinsgalopp” zu nennen, wird ihr nicht gerecht. Harry hastet hier noch einmal durch sein Leben, räumt Anekdoten über britische Theaterregisseure mehr Platz ein als seinen Produktionen, hält sich immer wieder mit Altherrenwitzen auf, springt ständig vor und zurück, ohne den Leser dabei an die Hand zu nehmen. Eine wirre Sammlung von Erinnerungen, geeignet für einen Plausch auf der Cocktailparty – aber keine Autobiographie. Harry sonnt sich in der Gesellschaft erheblich berühmterer Zeitgenossen wie Noel Coward und Orson Welles, redet von Deals und Abschlüssen – zu den Filmen selbst mag er uns allerdings nicht mitnehmen.

Nur ein Beispiel: Einer der ersten aufwändigeren Towers-Filme, die als Kind mein Interesse erregten, war “The Shape of Things to Come”, ein Abklatsch von “Star Wars” und “Battlestar Galactica”:

http://www.youtube.com/watch?v=GkR7R-kZW7k

Hier der vollständige Text aus der Autobiographie dazu:

“Around the time of the first Star Wars success, when Science Fiction was very popular, I felt that it was a good time to return to the master and I adapted H.G. Wells’s The Shape of Things to Come with Jack Palance. The film was shot entirely at the Kleinberg Studios, on the outskirts of Toronto.”

Die meisten seiner Filme sind Harry sogar noch weniger Erwähnung wert, viele finden sich gar nicht. Natürlich weiß ich auch, woran das liegt: Harry war nur selten selbst am Set, ihm ging es um den Deal, nicht um Inhalte. Aber genau DESHALB wäre es notwendig gewesen, mit den Leuten zu sprechen, die für ihn vor Ort die Stellung gehalten haben, die vor und hinter der Kamera umsetzen mussten, was er in windigen Absprachen weltweit verkauft hatte. DA ist das Fleisch, DA ist der Nektar für die Nerds.

Ich kann nur vermuten, dass es sich bei dieser “Autobiographie” um eine grobe erste Sammlung von Erinnerungen handelt, die von einem Profi gesichtet, strukturiert, erweitert und ergänzt werden sollte. Was dann leider nicht mehr passierte.

Die Einblicke in Harrys Privatleben überschreiten mitunter die Grenze zur Schmierigkeit. Wer Jewel Shepards spannendes, aber sicher auch nicht immer wahres Buch “If I’m So Famous, How Come Nobody’s Ever Heard of Me?” gelesen hat, der wird wissen, dass Harry eine eher rustikale Einstellung in Sachen Sex hatte. Frauen waren für ihn “crumpets”, die man sich ins Hotelzimmer bestellte oder mit denen man sich auf Filmpremieren sehen ließ. Und darum beschreibt er auch mit augenfällig großer Begeisterung die Nachtclubs, in denen er in den 50ern einen Stammtisch hatte, die Escort-Services, von denen er sich in den 60ern “Hausdamen” schicken ließ, ehemalige Schönheitsköniginnen, die arabischen Herrschern “zugeführt” wurden. Das ist alles so uninteressant wie unangenehm.

Wie ich befürchtet  hatte, kehrt Harry zudem seine Beteiligung an diversen epochalen Skandalen wie der Profumo-Affäre bequem unter den Teppich. Er hatte mit nichts was zu tun, kannte auch niemanden der Beteiligten genauer, war immer die verfolgte Unschuld. Das ist mit ziemlicher Sicherheit nicht mal die halbe Wahrheit und immer noch ein Feld, das einem ehrgeizigen Journalisten üppige Ernte verspricht.

Wirklich interessant ist nur der beiläufige Einblick in die “Methode Towers”. Harry hatte die Gabe, Steuervorteile und Drehorte zu kombinieren, internationale Partner zu finden, in jede Nische zu stoßen, die irgendein Blockbuster oder ein Förderprogramm gerade aufmachten. Wer heute preiswerte Exploitationfilme für den Weltmarkt produzieren will, tut gut daran, von der Umtriebigkeit und Flexibilität eines Harry Alan Towers zu lernen. Ob die Zielgruppe des Buches damit mehr als 20 Personen überschreitet, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Für mich persönlich hat das Buch den mageren Mehrwert, dass ich viele der Geschichten aus erster Hand kenne und hier in teilweise variierter Fassung vorfinde. Kinskis Sexkapaden, die Streitigkeiten der Cannon-Gründer, Orson Welles’ Geldsorgen – ich weiß noch, wie ich an Harrys Lippen gehangen habe, als er mir auf Locationsuche in Kroatien davon erzählte.
Ich mochte Harry Alan Towers – warts and all. Manchmal, besonders in den letzten Jahren seines Lebens, stand er sich aber selbst im Weg. Weil er verlernt hatte, was ihn einst groß machte: zu erkennen, was der Markt will – und ihm genau das zu geben. Diese Autobiographie ist ein letztes Zeugnis davon. Sie baut ihm weder ein zufrieden stellendes Denkmal, noch taugt sie als letztes “Fuck you!” an ein eitles, gieriges und niederträchtiges Geschäft, auf das Harry sich verstand wie wenige andere. Sie entspricht eher unseren langen Tischgesprächen – angefüllt mit schwach verknüpften, zotigen, halbgaren Anekdoten aus vergangener Zeit, nur halb wahr aus Berechnung und schwindender Erinnerung, amüsant, aber letztlich erkenntnisfrei und oft frustrierend. All sizzle, no steak.

Ich hätte mir viel mehr gewünscht – und Harry viel mehr gegönnt.



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Jake
Jake
23. Mai, 2013 17:05

Bah, pfui Deibel. Kann man ein Buchcover NOCH unattraktiver gestalten? Ich glaube nicht. Und dann noch dieses hässliche Hintergrundmuster auf der Rückseite mit einer ekligen Schrift- und Rahmenfarbwahl, die mich stark an Jogginganzüge erinnert, die man Anfang der 90er getragen hat. Aber gut, dass der Pandabär noch draufgepasst hat, der reisst’s wieder voll raus…

Doc Knobel
Doc Knobel
23. Mai, 2013 20:02

Schade. Bin durch Zufall auf das Buch aufmerksam geworden, hatte es dann nur vergessen, zu bestellen. Das kann man sich aber scheinbar ohnehin sparen, wie es scheint. Für mich wäre dann nur interessant, was Towers zu den Cannon-Produktionen bzw. zu Golan/Globus an sich gesagt hat. Aber dafür einen Import? Ne.

heino
heino
24. Mai, 2013 08:54

Wirklich schade, das hätte durchaus interessant sein können und wunderbar in mein Bücherregal gepasst. Aber gut, dann habe ich eben Geld gespart und nehme jetzt mit “Tales from Development Hell” von David Hughes Vorlieb

Wortvogel
Wortvogel
24. Mai, 2013 08:55

@ heino: Tales from Development Hell ist ein Knaller.

heino
heino
24. Mai, 2013 09:02

@WV:glaub ich gern. Schon das Vorwort wirft die Frage auf, warum überhaupt irgendjemand auf der Welt auf die Idee kommen sollte, Drehbuchautor werden zu wollen. Christopher Keane hat da auch so einiges zu erzählt, was einem echt die Haare zu Berge stehen lässt

Dominik
25. Mai, 2013 21:32

Wirklich bedauerlich, dass das Buch scheinbar weder Fleisch noch Fisch ist. Hatte mich gerade erst aufgrund zweier Booklets wieder etwas verstärkt mit Harry Alan Towers beschäftigt und dabei auch das Buch entdeckt. Dessen Erwerb ich mir nun wohl sparen kann.
@WV: Damit böte sich doch noch die Chance ein Buch über Towers’ Werk mit Daseinsberechtigung zu schreiben! Mich würd’s interessieren. Aber vielleicht sind wir beide dann auch nur 2 aus 20 und stellen mit ein paar Anderen aus dem Blog hier alle Käufer der Erstauflage.

RSS
RSS
25. Mai, 2013 23:42

Lass deinen Techniker mal den RSS-Feed überprüfen. Scheint nicht mehr zu funktionieren 🙁

reptile
reptile
30. Mai, 2013 20:57

@Heino
Ja, Christopher Keanes Anekdoten in Schritt für Schritt zum erfolgreichen Drehbuch sind schon haarsträubend. Besonders gut hat mir die Geschichte mit Steve McQueen gefallen.

Wortvogel
Wortvogel
30. Mai, 2013 21:08

@ reptile: Schlag nach bei William Goldman. Ich kenne auch vom deutschen Markt absurde Geschichten, wenn Stars sich in ein Drehbuch “einbringen” wollen. Ich muss immer kichern, wenn Til Schweiger erzählt, er habe die Figur seines Tatort-Kommissars (die wirklich das billigste Steiger-Klischee ist) “mit entwickelt”. Und wenn man sich die Doku “30 Jahre Tatort” anschaut, merkt man auch, wie sehr Götz George sich jeden Stoff untertan macht – Regisseur be damned. Nicht zu erwähnen die deutsche Diva, die (wie man so hört) eigene Dramaturgen beschäftigt, die jedes angebotene Skript nach ihren Wünschen umschreiben. Da ist der Original-Autor nicht mal mehr den feuchten Händedruck wert. Auch wird dann gerne die Phrase “Ich habe die Figur zusammen mit dem Autor entwickelt” verwendet. Da sträuben sich jedem echten Drehbuchautor die Haare.

heino
heino
30. Mai, 2013 21:16

@reptile:mir gefiel die mit dem Drehbuch über das Poker-Spiel am besten, in der die beiden “Investoren” aus Miami die Hauptrolle hatten.
Bin jetzt bei “Tales of Development Hell” bis zur Aviator-Story durch und kann hauptsächlich nur fassungslos mit dem Kopf schütteln. Als nächstes steht das Sandman-Trauerspiel (davon hab ich tatsächlich mal das abgelehnte Script dank JoBlo lesen können) an, da werde ich dann vermutlich nur noch den Kopf gegen die Wand schlagen, bis er aufplatzt

reptile
reptile
31. Mai, 2013 13:55

@Wortvogel
Man,man,man, es ist aber schon erstaunlich, welch niedrigen Stand die Autoren haben. Dabei geht ohne Drehbuch gar NIX! Hat man ja beim Autorenstreit in den USA gesehen. Und diese “mit entwickelt” Phrasen sind wirklich – dämlich. Jeder will alles mit entwickelt haben. In der Werbung hört man, Starfriseur XYZ hat dieses Shampoo mit entwickelt. Wie sah dass denn genau aus? War er jahrelang mit in den Laboren?
Ich kannte Mal jemanden aus der Videospielbranche. Dort ist es natürlich nicht anders, als im Filmgeschäft. Er erzählte mir dann auch Geschichten, wenn es heisst, dieser und jener Star/Regisseur habe Spiel XYZ mit entwickelt. Heisst in der Regel: war einen Nachmittag zum Kaffee trinken da.
Aber was man hier im Blog für schöne Geschichten erfährt – dass ist schon unbezahlbar.

heino
heino
2. Juni, 2013 23:13

“Tales of development hell” habe ich jetzt durch und kann nun erst rehct nicht mehr verstehen, warum man Drehbuchautor werden sollte, außer, man weist eine unfassbar große masochistische Ader auf. Und ich bin froh, dass wir niemals “Batman:Year one” von Aronofsky und Miller bekommen haben, das wäre eine echte Katastrophe geworden.
Gestern war dann auch “The greatest Sc-Fi movies never made” im Briefkasten, das folgt als nächstes:-)