17
Feb 2013

Rücksturz in die Trauer

Themen: Abby Sunday |

Es war ein harter Tag, dieser Dienstag. Von morgens 8.00 Uhr bis abends 21.15 Uhr beruflich unterwegs. 500 Kilometer im Mietwagen durch Schneefall, Gebirge, vereiste Autobahnen. Dunkelheit, Hunger, die wie immer nagende Sorge, dass die sorgfältige Planung sich nicht auszahlt, dass was dazwischen kommt, dass das Ergebnis den Aufwand nicht rechtfertigt.

Ich bin fertig, als ich daheim in den Sessel falle. Und allein. Die LvA ist ebenfalls unterwegs, den ganzen Rest der Arbeitswoche noch. Ich skype sie im Hotel an, wir erzählen unseren Tag, vermissen uns. Als ich die Verbindung beende, ist es 23.15 Uhr.

Entsetzlicher Hunger. Auf Reportage bin ich immer zu aufgedreht, um ordentlich zu essen, das rächt sich nun. Kein Eiweiß mehr für ein Omelette, kein Mehrkornbrot für eine Stulle. Ich bin schlecht vorbereitet und einfach zu hungrig, um hungrig ins Bett zu gehen. Heute darf es mir egal sein, heute muss meine Diät eine kleine Pizza vertragen, weil der Bringservice in der Nähe bis Mitternacht auf hat. “Klar, kein Problem, kommt in 15 Minuten”. Erfreulich.

Es klingelt zeitnah, ich erwarte den Boten an der Wohnungstür. Er entspricht diesem Klischee, das ich kenne, aber nicht verurteilen mag: Mitte bis Ende 30, strähnige lange Haare, Tattoos und ausgelatschte Turnschuhe. Man muss nicht gemein sein, um zu vermuten, dass er ausreichend Erfahrung mit Drogen, Knast und Schulden hat. Der Job ist vielleicht – hoffentlich – so was wie ein Anker. Keine Karriere, aber ein Halt vor dem Absturz. Ehrliche Arbeit, so albern das klingt.

Vielleicht irre ich mich auch. Vielleicht hat er zu Hause eine Frau und zwei Kinder, die Tattoos sind Jugendsünden von der Bundeswehr und mit den Pizzas verdient er sich den Mallorca-Urlaub dazu.

Er ist freundlich und versucht einen Blick in unsere Wohnung zu erhaschen, als er mir die Pappbox reicht. Warum? Er grinst mich an: “Na? Ist der Panther wieder unterwegs?”

Ich brauche keine Sekunde, um zu verstehen, was er meint. Er weiß es nicht. Er war vielleicht ein oder zweimal letztes Jahr hier, als ich mich noch nicht so gesund ernährt habe. Als ich noch öfter Pizza bestellte.

Als Abby noch da war.

Sie hat jeden Besuch des Pizzaboten genutzt, um in den Hausflur zu flitzen. Sie liebte es, nach oben zu laufen, an den Türen und Fußabtretern der Nachbarn zu schnuppern. Das war für sie Abenteuer. Und nun fällt es mir auch wieder ein – es war dieser Pizzabote, der sie damals mal mit einem schnellen routinierten Griff gepackt und wieder in unsere Wohnung geschoben hatte.

Ich schaue ihn an. Ich nehme die Pizza und sage: “Nein, sie ist nicht da. Sie ist… nicht mehr da.”

Er schaut mich an. Er weiß nicht, was er sagen soll. Er sagt: “Ich sage wohl besser nichts”. Wir schweigen, während ich das Geld rauskrame. Das Schweigen macht es schlimmer, darum flüstere ich: “Ist nicht leicht. Ist es wohl nie”. Nun hat er das Gefühl, doch etwas sagen zu dürfen: “Ich habe einen Hund, der ist schon 15. Ich hatte immer Hunde und Katzen, mein ganzes Leben. Nein, einfach ist es nie.”

Es ist keine Plattitüde, kein leeres Gerede zweier Menschen, deren Leben sich nur marginal überschneidet und die einen betretenen Moment überwinden müssen. Er meint es wirklich so. Ich sehe ihm an, dass er in diesem Moment bei den schlimmen Momenten seiner früheren Haustiere ist und bei seinem altem Hund.

Er bekommt sein Geld, aber ich will ihn nicht so bedrückt gehen lassen. Bemüht lässig winke ich ab: “Wir haben uns schon Nachfolger ausgesucht. Dann geht’s wieder rund.”

“Ist sicher gut”, murmelt er, bedankt sich für das Trinkgeld und rafft sich auch noch mal zu einem Lächeln auf. “Ich wünsche Ihnen einen wirklich schönen Abend.”

Ich schließe die Wohnungstür, lege die Box auf die Kommode und fange an zu heulen. Ich bin müde, ich bin hungrig – es war einfach ein zu langer Tag.

Danke, Mr. Pizzabote. Ganz ehrlich. Danke.



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Dietmar
Dietmar
17. Februar, 2013 09:28

Woah …
Danke.

McCluskey
McCluskey
17. Februar, 2013 09:28

Sehr anrührend, wirklich. Unser Tiger ist fast 14, da beschäftigt man sich auch gedanklich mit solchen Themen. War immer unser Ersatzkind, nachdem viermal eine Schwangerschaft schiefgegangen war und nun, mit dem überreichlichen Kindersegen, steht sie notgedrungen ziemlich im Abseits. Das tut einem schon sehr leid.

reptile
reptile
17. Februar, 2013 12:15

Whoa. Meine Freundin und ich reden auch manchmal darüber, wie es sein wird, wenn unsere zwei schwarzen Tiger nicht mehr da sein werden.
Eigentlich sollte man ja nicht jetzt schon daran denken, wie es DANN sein wird. Jetzt sind sie ja noch da.

Moss the TeXie
17. Februar, 2013 13:16

Stimmt, leicht ist es nie. Bei jeder neuen Pelznase habe ich mir vorgenommen, diesmal nicht so eine emotionelle Bindung aufzubauen … aber dann hab’ ich doch wieder geheult, und irgendwie sind sie auch alle noch da.
Guter Mann, Dein Pizzabote (und ein verdammt guter Text da oben).

Xander
17. Februar, 2013 13:17

Du machst mich fertig. Vor zwei Wochen wurde unsere Lilly eingeschläfert.

noergel
noergel
17. Februar, 2013 13:28

Woah.. Ein Text der mich nachdenklich stimmt…gut geschrieben.

Karsten
17. Februar, 2013 15:22

Sehr menschlich, nachvollziehbar (auf mehreren Ebenen) und dadurch umso berührender. Danke.

Mic
Mic
17. Februar, 2013 18:30

Ich sage auch einfach nur Danke! Beeindruckend, an so tiefen Emotionen teilhaben zu dürfen!

Peroy
Peroy
17. Februar, 2013 18:48

Wie war die Pizza ?

Wortvogel
Wortvogel
17. Februar, 2013 19:09

@ Peroy: Kalt und salzig.

Peroy
Peroy
17. Februar, 2013 19:36

Ah, mit Sardellen…

reptile
reptile
17. Februar, 2013 20:41

Ja, der Text oben ist großartig geschrieben. Eigentlich muss der Wortvogel mit einer Tastatur geboren worden sein. Anders kann es nicht sein, wenn man so schreiben kann.

Dietmar
Dietmar
18. Februar, 2013 12:11

@extroll: Wenn ich den Kommentar so lese: Warum “ex”?

Dietmar
Dietmar
18. Februar, 2013 12:43

@extroll: Nur ist der Vorwurf der Engstirnigkeit, Rührseligkeit und Klischeehaftigkeit nicht sachlich.
Aber Du hast damit Recht, dass ich nicht zu denen gehöre, die sachliche Kritik als Getrolle brandmarken. Aber das wolltest Du wahrscheinlich nicht gesagt haben …
(“Sie” ist übertrieben: Ich schreibe mit Vornamen, und falsche weil übetriebene Respekts-Bekundung ist mir nicht lieb.)

Wortvogel
Wortvogel
18. Februar, 2013 12:48

@ Dietmar: Lass gut sein, ich habe ihn gleich wieder raus geschmissen. Manche Leute lernen es nie, die sind falsch verdrahtet.

Jor
Jor
18. Februar, 2013 13:07

Erstmal: Toller Text, danke!
Ein Freund meinte mal: “Ich weiß mit einem Hund hole ich mir den Tod ins Haus (in Bezug auf kürzere Lebenserwartung), doch die Zeit bis dahin ist es 10fach Wert.”
Zu extroll:
Die schlimmsten Kommentare sind doch immer von übergenauen, stets politsch Überkorrekten, peniblen Zeigefingererheber.
Jede Emotion, jeder Gefühlsausbruch und jede Situation wird mit der Moralkeule auseinander genommen.
Da schreibt man über ein “Scheißvieh” (Pferd) was einen abgeworfen hat und bekommt einen 3 Seiten Brief was für edele Tiere das sind und wie man sich erdreisten kann blablabla.
Zeigt Zivilcourage und wird dafür kritisiert, weil man es ja irgendwie anders besser hätte machen können (von Leuten die vermutlich selbst einfach weitergegangen wären).
Und auch für mich sind das Trollposts.

Jor
Jor
18. Februar, 2013 13:12

Mist zu langsam, kannst den Passus “Zu extroll” ja löschen, hat sich ja erübrigt.

Wortvogel
Wortvogel
18. Februar, 2013 13:15

@ Jor: passt schon.
Das Argument, dass man sich “den Tod ins Haus holt”, habe ich früher immer so formuliert: “Ich würde schon beim Kauf der Katze mit Panik daran denken, dass sie eines Tages sterben wird. Das macht mich fertig.”
Ich habe das bei Dickie durchmachen müssen. Wir hatten wenigstens 37 Jahre. Waren immer noch mindestens 37 zu wenig.

Endstille
Endstille
19. Februar, 2013 20:37

Danke für den Text.

Nikolai
Nikolai
20. Februar, 2013 07:13

Wenn jemand mit so wenig Worten die Stimmung so massiv beeinflussen kann, dann ist das eine Gabe.
Klingt total schnulzig von mir -.-
Liest sich sehr schön, vielen Dank.

Klaus
Klaus
20. Februar, 2013 12:14

Gut geschriebener Text. Herzliches Beileid btw. Mehr kann man wohl nicht dazu sagen.

G
G
21. Februar, 2013 09:36

Wortvogel, du hast es echt drauf, mit nur wenigen Worten starke Bilder vor dem geistigen Auge zu erzeugen. Mein Beileid wegen Abby.