09
Jan 2013

Eine dumme Frage, die ich schon immer stellen wollte

Themen: Neues |

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Ganz im Gegensatz zum Eindruck, den ich hier erwecke, habe ich nicht alle Antworten auf die Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Ich habe nur zu allem eine MEINUNG. Die hilft allerdings auch nicht immer weiter. Nämlich dann, wenn gar keine Meinung gefragt ist.

Heute habe ich eine Frage, bei der mir weder mein Ego, noch Wikipedia, noch mein Bruder helfen konnten. Jeder hat Theorien, aber niemand weiß es genau. Und darum reiche ich die Frage hiermit mal an euch durch.

Ich meine das nicht witzig, nicht hypothetisch, nicht polemisch.

Können Städte sterben?

Kann man Städte abschaffen, bzw. dicht machen, bzw. “entgründen”?

Der Gedanke dahinter: Es gibt Geisterstädte. Im amerikanischen Westen wie im deutschen Osten. Ich meine nicht erzwungene Geisterstädte wie die Ortschaften rund um Tschernobyl. Ich meine natürlich sieche Städte. Die müssen nicht mal vollständig entvölkert sein. Rechnen wir mal spasseshalber mit 10 Prozent der ursprünglich vorhandenen Einwohnerzahl. Einstmals mittelgroße Kleinstädte, in denen nur noch ein paar Dutzend, vielleicht ein paar hundert Aufrechte aushalten. Vielleicht, weil es ihre Heimat ist, vielleicht aber auch nur, weil sie jenseits der Stadtgrenze keine Perspektive sehen und zusammen mit ihrem Ort sterben wollen.

Solche Orte kosten viel Geld. Die Infrastruktur muss aufrecht erhalten werden. Die Versorgung mit Wasser, Strom, Gas. Die Betreuung durch Ämter, Polizei, Feuerwehr. Es muss eine politische Struktur geben, einen Bürgermeister, Wahlen. Es gibt Förderung, Etats, Finanzausgleich. Die Fläche und die Zahl der Gebäude ist nicht mit der Bevölkerung geschrumpft, pro Kopf steigen die relativen Kosten ins Unverantwortliche.

Kann man solche Städte dicht machen? Könnte z.B. die Landesregierung beschließen, dass sich ein Ort nicht mehr “lohnt” und ihn von der Karte und aus den Registern streichen? Können Gemeinden so bankrott gehen, dass sie nicht mal mehr den Konkursverwalter lohnen? Die verlassen in der Gegend stehen, bis die Natur sie holt?

#Es ist keine so absurde Frage, wie es auf den ersten Moment erscheinen mag. Städte wurden/werden gegründet, weil Menschen sich ansiedeln wollen, weil sie Wohlstand und Sicherheit in der Gemeinschaft suchen. Dann gibt man dem Ort einen Namen, baut eine Verwaltung auf, zieht Straßen. Aus einem Dorf kann eine Kleinstadt werden, eine Stadt, eine Großstadt.

Aber ich lese immer nur, dass Städte gegründet wurden. Ich höre nie, was logischerweise auch möglich sein müsste: dass eine Gemeinde wegen nachhaltiger Erfolg- oder Perspektivlosigkeit eingeebnet oder einfach vollends aufgegeben wird.

Ist das rechtlich oder politisch vielleicht nicht möglich? Haben Gemeinden ein Lebensrecht wie Menschen – zumindest, solange irgend jemand noch drin lebt? Ist es verboten oder nur unvorstellbar, die Möglichkeit einzuräumen, dass in tausend Jahren nicht immer nur Städte auf-, sondern auch verblühen?

Wie gesagt: ich bin ehrlich an einer Antwort interessiert. Wenn ihr keine habt, nehme ich aber auch ersatzweise eure Meinungen.



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BakteriusFloh
BakteriusFloh
9. Januar, 2013 22:01

Ich glaube in Deutschland wird das üblicherweise so geregelt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Gebietsreform

Julian
9. Januar, 2013 22:14

Gute Frage. Ich selbst kenne nur das Aufgeben von Städten, oder natürlich die totale Vernichtung. Wollte man nicht München nach dem zweiten Weltkrieg komplett nach Starnberg verlegen, gab es da nicht Überlegungen?
Mich interessiert die Antwort auf diese Frage auch. Allerdings möchte ich noch hinzufügen: Entgründet man eine Stadt anstatt sie nur aufzugeben, sollte man auch die Natur dort in den Urzustand zurückversetzen. Also alle Rohrleitungen usw. entfernen, Löcher zuschütten, Straßen wegfräsen, Häuser komplett abtragen usw., dann eine Schicht Humus darüber und der Natur ihren Lauf lassen. Erstmal 30 Jahre Sperrgebiet zur Wundheilung. Dann reden wir meines Erachtens von Entgründen.

reptile
reptile
9. Januar, 2013 22:16

Interessante Frage, gibt es vielleicht eine Hemmung gegen so ein radikales Vorgehen? Aber Instandhaltung ist nun Mal teuer. Aber was macht man mit einer entvölkerten Stadt? Verrotten und verfallen lassen? Abriss ist auch wieder mit Kosten verbunden.

Wortvogel
Wortvogel
9. Januar, 2013 22:20

@ Bakterius: Bei der Gebietsreform werden nur existierende Orte neu geordnet, manchmal zusammen gelegt. Das sind verwalterische Vorgänge, bei denen an der Struktur der eigentlichen Stadt nichts geändert wird.
@ reptile: Ich denke auch, eine “aufgegebene Stadt” würde als “lawless land” schnell entsprechende “Neuzugänge” verzeichnen. Und gerade weil ich so etwas noch nie gesehen habe, muss ich unterstellen, dass es nicht vorkommt.

reptile
reptile
9. Januar, 2013 22:38

Ich muss dran denken, ob sowas nicht gemacht wird, weil dies ein Eingeständniss eines totalen Scheiterns voraussetzt. Wer will sich diesen Schuh anziehen? Hat die Politik versagt?`Hat die Gesellschaft versagt? Ist die Gegend einfach zu unaktraktiv? Wurde zu wenig getan und von wem?

aCks
aCks
9. Januar, 2013 22:48

Ortschaften und Städte verschwinden häufig von der Landkarte, wenn es beispielsweise um den Abbau von Rohstoffen geht. Hier wird allerdings die Bevölkerung entschädigt. Es ist also durchaus möglich eine Stadt aufzugeben, wenn das Allgemeinwohl gegenüber den Interessen einzelner Bewohner überwiegt. Theoretisch müsste es auch möglich sein eine Stadt wegen “Erfolglosigkeit” zu schließen. Allerdings müsste dann die öffentliche Hand für entsprechenden finanziellen Ausgleich sorgen.

joerg
9. Januar, 2013 22:51

Ich denke, das hat damit zu tun, dass Gemeinden durch ihr kulturelles und geschichtliches Gepräge irgendwie zu einem gewissermaßen über-menschlichem “Wesen” werden, dass älter und “größer” ist als die Menschen, die sowas dann zu entscheiden hätten. Und das hält womöglich von einer solchen Entscheidung auch wider ökonomische Vernuft ab. “Das macht man einfach nicht.”
(Theorie hab ich mir in einer Zigarettenlänge ausgedacht, is also vielleicht nicht völlig ausgereift, jedenfalls danke für den Denkanstoß.)

Spandauer
Spandauer
9. Januar, 2013 22:56

Naja, gebe ich auch mal meinen Senf dazu.
Historisch gibt es die Wüstung:
http://de.wikipedia.org/wiki/Wüstung
Dies kam besonders nach dem 30jährigen Krieg (1618 bis na?) und den Pestzügen danach vor.
Wie schon erwähnt gibt es im Rahmen von Tagebauen Umsiedlungen, aber auch für Flughäfen (BER) wurden Menschen umgesiedelt.
Soweit ich mich erinnere, gab es eine Studie des Regional Instituts aus Erkner bezüglich Brandenburg und auch eine Empfehlung manche Gebiete aufgrund der sinkenden Bevölkerung und den Infrastrukturkosten (Wasser, Abwasser, Strom, Straßen, Rettungsdienste etc. pp.) aufzugeben.
Diese wissenschaftlichen Empfehlungen wurden von der Politik aber nicht akzeptiert.

Wortvogel
Wortvogel
9. Januar, 2013 22:56

@ aCKs: An zur Überflutung für Staudämme aufgegebene Städte habe ich auch gedacht – aber das ist “erzwungene” Aufgabe, wie ich sie oben schon schilderte.
Vielleicht kann ich es so einfacher formulieren: können Städte sterben?

Lukas
9. Januar, 2013 22:58

Bislang stand das vermutlich höchstens in Ausbahmefällen zur Debatte, aber der demografische Wandel wird absehbar dazu führen, dass in kommenden Jahrzehnten öfter mal eine ganze Stadt leersteht.

Wortvogel
Wortvogel
9. Januar, 2013 23:01

@ Spandauer: Das ist schon mal ein guter Ansatz, auch wenn er sich nicht auf “sterbende” Orte bezieht – von der Wüstung kommt man bei der Wikipedia zur Devastierung, wo es ein tolles Foto vom zur Zerstörung freigegebenen Großgrimma gibt.

Wortvogel
Wortvogel
9. Januar, 2013 23:02

@ Lukas: Meine Rede. Und die Frage ist: wie macht man das dann? Hätten die Amis, wenn es mit Detroit so weiter gegangen wäre, da irgendwann einen Zaun drum gezogen und es zur entvölkerten Sperrzone erklärt?

Spandauer
Spandauer
9. Januar, 2013 23:03

@Lukas
Naja ist das ein Punkt, wobei z.B. Zuzug von aussen nicht berücksichtig ist.
Auch die Ansprüche an die Größe des Wohnraums steigen. In den 20er Jahren war für eine Familie (3 bis 4 Personen) eine 2,5 Zimmerwohnung mit ca. 60 qm schon relativ viel. Heute haben vielen 1 bis 2 Personenhaushalte 60qm.
Wobei es z.B. in Berlin auch schon Rückbau von Plattenbauten gab, hier wurde sozusagen “entrichtet”, aber an dem eigentlichen Wohngebiet festgehalten.

Brandenburgerin
9. Januar, 2013 23:03

ich habe grade nicht die zeit das ausführlicher zu recherchieren, aber ich meine mich zu erinnern, dass die franzosen sowas tatsächlich machen. die haben wohl auch genug entlegende gegenden und ziehen behörden und infrastruktur absichtlich ab, damit die bevölkerung folgt.

PabloD
PabloD
9. Januar, 2013 23:06

Zumindest wenn Braunkohle darunter liegt oder man einen Stausee anlegen will, funktioniert(e?) das jedenfalls problemlos:
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_abgebaggerter_Ortschaften
Ist jetzt nicht ganz das, was du meinst, aber zumindest verwaltungstechnisch scheint es da mit Umsiedeln und ggf. Eingemeinden keine Hindernisse zu geben.
Bzgl. der Ausgangsfrage denke ich, dass wir spätestens in 20Jahren in einigen nord- und v.a. ostdeutschen Gegenden entsprechende Beispiele kleinerer Orte finden werden. Allerdings gehe ich davon aus, dass dies aus Kostengründen einfach mit dem Prinzip “eingmeinden + vergammeln lassen” gelöst wird.

Wortvogel
Wortvogel
9. Januar, 2013 23:07

@ Spandauer: Klar werden auch immer wieder Viertel abgerissen. Ich meine aber die Auslöschung einer Stadt. Was geschieht danach? Ist die dann auch nicht mehr auf der Landkarte verzeichnet? Werden die Schilder und Hinweise auf sie entfernt? Gibt es eine Gedenktafel “Hier stand einst…”?
Ich finde das hoch spannend.
@ Brandenburgerin: Die Frage ist ja – was machen die, wenn die Bevölkerung nicht spurt? Man kann Menschen nicht so leicht zwangsumsiedeln und der Staat kann sich aus der Fürsorgepflicht auch nicht bequem verabschieden.

Spandauer
Spandauer
9. Januar, 2013 23:12

@Wortvogel:
Hier der Link zum Institut:
http://www.irs-net.de/
Ich bin leider zu müde um die Studie die meine zu finden, evtl. hole ich das morgen nach.
Ob es eine “Auslöschung” einer Stadt in der “Neuzeit” (also seit 45) gegeben hat, glaube ich nicht. Aber Glaube ersetzt nicht Wissen.
Ist eine spannende Frage …

Spandauer
Spandauer
9. Januar, 2013 23:15
Wortvogel
Wortvogel
9. Januar, 2013 23:16

@ Pablo: Das ist wieder die zweckgerichtete Auslöschung, die meinte ich nicht.
“eingmeinden + vergammeln lassen” – das kann gut sein.
@ Spandauer: mir scheint es sich auch um ein neuzeitliches Phänomen zu handeln. Das steht auch in einem größeren Kontext: die Menschen überbewerten Nostalgie und Historie. Dinge haben Wert, einfach weil sie alt sind. Ich müsste mich mal schlau machen, wann das Prinzip der Nostalgie überhaupt aufkam. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Menschen im 12. Jahrhundert nach dem einfacheren Leben im 11. Jahrhundert zurück sehnten…

Der Karsten
Der Karsten
9. Januar, 2013 23:32

“Ist die dann auch nicht mehr auf der Landkarte verzeichnet? Werden die Schilder und Hinweise auf sie entfernt? Gibt es eine Gedenktafel “Hier stand einst…”?”
Bielefeld???? ^^
Hier im Ruhrpott hört man immer häufiger, dass manche Stadtteile regelrecht “entvölkert” sind.. Gelsenkirchen soll wohl im Moment einen extremen Schrumpfungsprozeß durchlaufen. Aber was passiert, wenn keiner mehr da ist? Keine Ahnung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in einem dicht besiedelten Gebiet wie Deutschland, einfach mal so eine Stadt “verschwindet”. Eventuell kann man das mit dem gesundschrumpfen einer Firma vergleichen: Es werden solange Bewohner wegziehen, bis eine bestimmte Menge unterschritten wurde. Dadurch kann der Verwaltungsapparat verkleinert werden, die Kosten werden niedriger: Die Stadt hat wieder mehr Geld zur Verfügung. Jetzt kann die Infrastruktur verbessert werden, die Lebensqualität steigt wieder und es kommen wieder mehr Zuwanderer.
Eventuell ist das alles ein ständiges auf und ab.. VWL eben. ^^

Nobby
Nobby
9. Januar, 2013 23:43

Also, zum Begriff der schrumpfenden Städte/Shrinking Cities wird in der Stadt- und Regionalplanung ja durchaus einiges geforscht, aber es gibt bislang weder eindeutige Lösungswege, noch klare Antworten, wie mit solchen Städten umzugehen ist. Die Option der Stadtauflösung wird dabei meiner Einschätzung nach aber bislang nur in Ausnahmefällen ernsthaft in Betracht gezogen. Vielmehr konzentriert man sich darauf, entsprechenden Schrumpfungsprozessen entgegen zu wirken, sie wenigstens aber zu verlangsamen.
Bezüglich des obigen Rechenbeispiels: Eine Stadt mit nur noch 10% der ursprünglichen Einwohnerzahl ist meines Erachtens überhaupt nur noch dann funktionsfähig, wenn sie parallel zur Bevölkerungsmigration einigermaßen mitgeschrumpft ist. Das bezieht sich vor allem auf den rechtzeitigen Rückbau der Infrastruktur, um die Kosten der Instandhaltung zu minimieren. Ist dies nicht geschehen, dürften die städtischen Versorgungsfunktionen eigentlich längst zusammen gebrochen und die Stadtverwaltung handlungsunfähig sein. Irgendwie muss den verbleibenden Bürgern natürlich ein Mindestmaß an Wohnqualität gewährleistet werden, welches die Stadt aber nicht mehr leisten kann. Was in einem solchen Fall dann aus juristischer Perspektive geschehen würde oder müsste, weiß ich nicht – dazu könnte man aber bestimmt jemanden befragen, der sich mit Kommunal- oder Landesrecht gut auskennt.
EDIT: Argh, musste die Hälfte wieder löschen, weil Spandauer mittlerweile dasselbe gepostet hatte. 😉

Wortvogel
Wortvogel
9. Januar, 2013 23:43

@ Karsten: Mit Sicherheit nicht. Wenn ich mich mal selbst zitieren darf: “Die Fläche und die Zahl der Gebäude ist nicht mit der Bevölkerung geschrumpft, pro Kopf steigen die relativen Kosten ins Unverantwortliche.”
Die Kosten für Gelsenkirchen sinken nicht proportional mit der Einwohnerzahl.

Fake
Fake
10. Januar, 2013 00:13

imho gibt es sowas wie komplette Gemeindeaufgaben nicht. Die Entwicklung einer Gemeinde ist eher ein wachsen und schrumpfen. Notfalls sink eine Stadt halt auf den Status eines Ortsteils herab und wird dann eingemeindet. Solche Entwicklungen können aber auch sehr drastisch sein: http://de.wikipedia.org/wiki/Desurbanisierung
Den Begriff hab ich mal in einer TV-Doku über eine Ausstellung im Jahre 2000 (?) gehört wo dieser Prozess anhand der Großräume Halle-Leipzig, Manchester und Detroit gezeigt wurde.
In Detroit z.B. wurde ein ganzes Gewerbegebiet abgerissen und alle Fundamente bis zu einer bestimmten Tiefe und alle Infrastruktur abgetragen. Zum Schluß wurde aus dem Gebiet wieder ein (Rüben)Acker wie er es schon vor ca 100 Jahren war – bevor dort das Gewerbegebiet errichtet wurde. iirc wurde dort gesagt das man nicht genau wusste ob das klappt (Bodenfruchtbarkeit, eventuell übersehene Schadstoffe) aber man säte halt als erstes wieder was als letztes angebaut wurde.
Ich glaube auch das D für eine komplette Gemeineaufgabe zu dicht besiedelt ist. Wenn ein Ort “leerer” wird sinken dort die Wohn- und Gewerberaummieten und einige aus den Nachbarorten werden, wenn das Gefälle groß genug ist, sich dort wiederansiedeln.
Auch könnte eine komplette Aufgabe wegen der Entschädigungszahlungen auch zu kostspielig sein. Ich stelle mir da eine Eigenheimbesitzer vor der im Laufe der Jahre viel in sein Grundstück/Haus investiert hat und dem man nun sagt wir klemmen dir Strom, Wasser und Abwasser ab. Der wird auf dem normalen Markt nun zu wenig für seinen Besitz bekommen um sich woanders ein neues Eigenheim zuzulegen. (Von den “richtigen” Haus-, Grundstücks- und Industriebesitzern ganz zu schweigen 😉 )

sergej
sergej
10. Januar, 2013 00:15

Rein rechtlich glaube ich schon, dass man Orte aufgeben kann. Wie oben schon genannt, wurde es ja bspw. bei Tagebauten gemacht.
Ob es auch ohne “höhere Gründe” gemacht wird, nur wegen “Entvölkerung”, wird vermutlich eher eine politische Frage sein.
Zwei Orte, die aus politischen und militärischen Gründen in der BRD aufgelöst wurden, sind Bonnland und Hundsfeld.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bonnland
http://de.wikipedia.org/wiki/Hundsfeld_%28Rh%C3%B6n%29

Fake
Fake
10. Januar, 2013 00:21

@sergej
Wie dort auch gesagt wurde war die Frage aber nicht aus solchen wichtigen Gründen, wo Ortsfläche für was anders gebraucht wird, sondern nur aus Abwanderungsgründen. Das findet meiner Meinung nach nicht statt.

Sven
Sven
10. Januar, 2013 00:29

Da unsere Kultur die Idee von Grundeigentum kennt werden Städte nicht so einfach sterben. Wenn Grund nur verpachtet wäre könnten Pachtverträge auslaufen und nicht verlängert werden. Eigentum jedoch verpflichtet, sagt man.
Möglich also nur, wie oben erwähnt, wenn politisch gesteuert. Momentan für Tagebaue, in Zukunft vielleicht auch für Stadtteilschließungen. Aber wer soll in wirtschaftlich schwacher Region noch Hauseigentümer entschädigen damit sie ihr Eigentum in einem zu schließenden Viertel aufgeben?

Magineer
Magineer
10. Januar, 2013 00:33

” Ich müsste mich mal schlau machen, wann das Prinzip der Nostalgie überhaupt aufkam. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Menschen im 12. Jahrhundert nach dem einfacheren Leben im 11. Jahrhundert zurück sehnten…”
—————————————————————————–
Das kannst du beim altbewährten Otto Borst eigentlich schon auf den ersten Seiten sehr anschaulich nachlesen, wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe. Ein Lebenskonzept, dass Nostalgie hervorbringen könnte, war damals noch völlig unbekannt.

Kai
Kai
10. Januar, 2013 00:54

Nein. Einer Aufgabe von Städten steht das Eigentumsrecht (Art 14GG) und das Recht auf kommunale Selbstverwaltung (Art 28GG) gegenüber. Dagegen stünden nur öffentliche Interessen, die das wesentlich überwiegen können wie etwa der Abbau von Kohle.
Aber: mit abnehmender Einwohnerzahl kann sich der Status von Städten verändern, was zum Beispiel ein Ende der selbständigen Verwaltung bedeutet, die dann mit anderen Städten — oder, nach Verlust des Stadtprivilegs: Gemeinden — geteilt werden muss.

Howie Munson
Howie Munson
10. Januar, 2013 00:58

Ich meine aber die Auslöschung einer Stadt. Was geschieht danach? Ist die dann auch nicht mehr auf der Landkarte verzeichnet? Werden die Schilder und Hinweise auf sie entfernt? Gibt es eine Gedenktafel “Hier stand einst…”?

Auf dem Truppenübungsplatz Bergen (und Munster) gibt es Hinweisschilder auf denen die Namen der jeweiligen umgesiedelden Dörfen dann drauf stehen.
z.B. Pröbsten quelle*: lostplaces / vergessene-orte.blogspot.com
*=vom Foto, das es solche Schilder gibt, hab ich selbst gesehen….

Moepinat0r
Moepinat0r
10. Januar, 2013 01:16

Also als momentaner US-Buerger in SW-Virginia sehe ich des oefteren Ortschaften, die aus nichts weiter als zerfallenen Haeusern und ein paar Bewohnern, dem “harten Kern,” bestehen. Oft gab es in solchen Orten frueher eine grosse Fabrik, die aus irgendeinem Grund zugemacht hat. Mit der Zeit machen dann auch die anderen Geschaefte dicht, alte Haeuser bleiben einfach stehen und zerfallen. Die meisten Einwohner ziehen dann um, aber aus irgendeinem Grund bleibt immer ein Teil der Bevoelkerung zurueck. Diese Zurueckgebliebenen (ihr wisst wie ich das meine) leben dann meist in bitterer Armut, ohne Perspektive und ohne Aussicht auf Besserung. Die Einwohner sind idR sehr misstrauisch, da sie sich (zurecht) von der Regierung im Stich gelassen fuehlen da diese auch abgezogen sind.
Meistens faellt eine solche Ortschaft dann unter die Verwaltungsmacht eines Counties, aber wirklich was davon hat man bei 45 min. bis zur naechsten Regierungsstelle nicht.
Aber dennoch: solche Kaffs sterben einfach nicht. Irgendwer bleibt immer zurueck, auch wenn es mehr Sinn macht woanders sein Glueck zu suchen. Momentan sieht man das ja ganz gut an Detroit. Die Stadt hat momentan AFIAK nur noch knapp 35% der Einwohner, die sie zu ihren guten Zeiten hatte. Ueberall stehen verlassene Haeuser und Fabriken. Aber die Verbliebenen ueberlegen gerade wie man die Stadt gesund schrumpfen kann (http://www.wbur.org/npr/168480013/digging-up-a-different-detroit). Daher glaube ich nicht, dass eine Stadt einfach einen “natuerlichen Tod” sterben kann, einfach weil immer ein paar bleiben und seien es nur Obdachlose.
Just my $0.02.

Peroy
Peroy
10. Januar, 2013 01:51

Die wichtigste Frage stellt sich mal wieder keiner: Was hat der Wortvogel vor?

gerrit
gerrit
10. Januar, 2013 03:45

Landstriche entvölkern? Brainstorming für sf-Projekt?

Spandauer
Spandauer
10. Januar, 2013 06:41

Spannende Diskussion, macht richtig Freude.
Einen Punkt möchte ich noch zu Bedenken geben.
Wie @Fake schon schrieb, wäre eine “Entsieglung” von Flächen durchaus angebracht.
Der Flächenverbrauch (Wohngebiete, Gewerbegebiete, Verkehrflächen) ist in Dtl. immer noch bei ca. 80 ha je Tag (!) Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%A4chenverbrauch
Zur Situation in Brandenburg ein Interview aus dem Tagesspiegel http://www.tagesspiegel.de/berlin/brandenburg/brandenburg-braucht-raumpioniere/848230.html
Dazu noch die Idee der „kontrollierten Verwilderung“
http://www.tagesspiegel.de/verwilderung-als-zukunftsvision/843630.html
Auch künstlerisch wurde das ganze schon aufgearbeitet: In dem Stück “Brachland”
http://www.bln.fm/2010/09/geschichten-vom-nichts/

Der Karsten
Der Karsten
10. Januar, 2013 07:17

@WV: Ich glaube eben nicht, dass die Kosten ins Unermessliche steigen. Private Investoren und auch Wohnungsbaugesellschaften müssen immer irgendwie auch Rendite machen.. das heisst, bis zu einem bestimmten Punkt steigen die Kosten.. bis die Eigentümer / Städte aufwachen und anfangen, an der Infrastruktur zu schrauben. Wie schon Fake geschrieben hat: Es ist ein stetiges Wachsen und Schrumpfen. Sobald die Grundstückspreise sinken, wird es wieder jemanden geben, für den es sich lohnt, sich in der “Einöde” anzusiedeln.
Ich habe letzte Woche noch einen Bericht gesehen (auf dem WDR) über eine Technologiefirma, die sich in BORKEN niedergelassen hat (wir sind uns einig: Die Kreise Coesfeld / Borken sind nicht sonderlich dicht besiedelt :D). Warum? Niedrige Gewerbesteuer, gute Anbindung ans Ruhrgebiet, qualifizierte Mitarbeiter. Die zahlen sogar den Mitarbeitern den Umzug nach Borken. Dort wurde der Trend abgefangen und in Aufschwung umgewandelt. Die Gemeinden dort sind ein Paradebeispiel dafür, wie man mit Geld umgeht und den Abwärtstrend stoppt.
Natürlich sind diese amerikanischen Geisterstädte ein extremes Beispiel.. wird hier aber nicht wirklich passieren (außer vielleicht in der Uckermark oder so ^^ ).
Peroy: Ich glaube, er wartet, bis Schwabing entvölkert ist und baut sich dort ein riesiges Anwesen drauf. ^^

Nirraven
Nirraven
10. Januar, 2013 07:43

Im Spiegel gab es vor einigen Jahren eine mehrteilige Serie zu dem Problem der schrumpfenden Städte in Deutschland. Für den Wortvogel interessant sind sicher die Teile 4 und 5:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/verlassenes-land-lockruf-der-leere-a-406499.html
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/schrumpfende-staedte-diaet-fuer-die-speckguertel-a-406501.html
Können Städte sterben? Ja, aber es passiert, wenn man von Kriegen oder Katastrophen absieht, sehr langsam. Wir reden hier mindestens von Jahrzehnten, bei Großstädten von Jahrhunderten. Und in dieser Zeit wird eben auch die Infrastruktur langsam zurückgebaut, ganze Stadtviertel abgerissen, z.B. durch das schon erwähnte “Stadtumbau Ost” Förderprogramm. Irgendwann wird die Ortschaft dann woanders eingemeindet, sie braucht keine eigene politische Struktur mehr. Dann verschwinden nach und nach auch Polizei, Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten, bis vielleicht wirklich nur noch ein paar hundert Menschen in einem kleinen Dorf wohnen. Die aber kennen die alte Stadt höchstens noch von Fotos aus dem Geschichtsunterricht.

Frank Böhmert
10. Januar, 2013 08:25

Da der Wortvogel absichtserklärtermaßen dieses Jahr mehr Bücher lesen möchte, hier zwei Lektüretipps, nicht die Gegenwart betreffend, aber das Thema sterbender (und wiederauferstehender) Städte nicht nur streifend …
Jared Diamond, KOLLAPS (USA 2005)
http://frankboehmert.blogspot.de/2011/09/gelesen-jared-diamond-kollaps-usa-2005.html
L. Sprague de Camp, NEW YORK LAG EINST AM BOSPORUS (USA 1972)
http://frankboehmert.blogspot.de/2012/10/gelesen-l-sprague-de-camp-new-york-lag.html
Beides waren Anwärter auf mein persönliches Buch des Jahres.

holber
holber
10. Januar, 2013 08:27

Mann kann sogar die Bauteil eines Plattenbau wieder recyclen und daraus dann Einfamilienhäuser bauen. Also aus einer Stadt eine Dorf.
Probleme gibt es vor allem mit zu groß dimensionierten Abwasserkanälen, wo zu wenig Wasser läuft.

S-Man
10. Januar, 2013 09:11

Vorab: Ich entschuldige mich, wenn ich etwas wiederhole, mangels Zeit habe ich diesmal die Kommentare nicht komplett gelesen.
Ich selbst habe direkt Erfahrungen mit “sterbenden Städten”. OK, genau genommen nur Stadtteile. Ich bin in Cottbus aufgewachsen. Damals zogen meine Eltern und ich in den Stadtteil Schmellwitz im äußersten Norden der Stadt. 1991. Ein gerade völlig frisch hochzogener Plattenbau-Stadtteil. Die letzten Auswirkungen der Wende. Wirklich: Die letzten Bauten waren gerade neu. Damals sah es dann etwa so aus (noch nicht so grün): http://www.lausitz-bild.de/galerien/luftbild_cottbus/source/image/e0042578.jpg
Gegen Ende der 90er begannen aber die sozialen Verhältnisse extrem zu sinken, Schmellwitz wurde mehr und mehr zu dem, wie man sich solche Viertel vorstellt. Wir zogen weiter in die Innenstadt – gemeinsam mit vielen anderen Familien. Die Blöcke wurden in der Tat immer mehr zu “Geisterstädten”. Seit ca. 2005 kamen dann die Konsequenzen. Für die Stadt war das Viertel nur 15 Jahre nach Entstehung nicht mehr lukrativ – viel wurde einfach abgerissen (http://www.lr-online.de/storage/scl/home/875829_m1mst1w500q75v45538_schmellwitz.jpg?version=1201770619). Das geschah aus genau den Gründen: Die Versorgung war einfach zu teuer und die Instandhaltung der Gebäude nicht mehr finanzierbar.
Aktuelle Luftbilder zeigen im Vergleich zum ersten verlinkten Bild, wie wenig von diesen Blöcken noch stehen (http://binged.it/13keA6i).
Aktuell wird viel diskutiert, ob man den Rest auch noch abreißen muss, eben wieder aus den gleichen Gründen.
Das ganze passierte an vielen Stellen in CB. Nicht nur in Schmellwitz, auch Sachsendorf (großer Stadtteil im Süden, zu gefühlten 85% auch nur Platten), aber auch in der Innenstadt. Man sieht jetzt an sehr vielen Stellen große Löcher, weil viel nicht mehr finanzierbar war.
Die Einwohnerzahlen sanken rapide. Das lag meiner Meinung (sic!) nach an fehlendem Fortschritt in der Stadt: CB war (und ist wohl wieder) Großstadt, also >100k Einwohner, hatte lange keine funktionierende Schwimmhalle, weil bei der alten die Decke runterkam und keiner sie sanierte. CB hatte sehr lange kein Kino. Nur vor der Stadt – die Abgeordneten diskutierten über 10 Jahre über einen möglichen Standort. Das UCI vor der Stadt gehörte später durch Eingemeindungen zu Cottbus. Vieles wurde einfach zu lange diskutiert, viel was Kultur und Freizeit betraf. Für die Jugend war es nicht mehr attraktiv. Dann fehlten, wie überall im tiefen Osten, Ausbildungsplätze und Jobs. Weggang, steigendes Durchschnittsalter. Gegen 2005 (vllt. auch etwas später) wurde CB dann auch der Großstadtstatus aberkannt, den sie sich noch wenige Zeit vorher durch großflächige Eingemeindungen zeitweise erhalten konnte.
Egal wie. Ja, Städte können sterben. Mancherorts wird dann abgerissen. An manchen Stellen sinnvoll, an anderen weniger (In Schmellwitz steht ein Teilblock recht weit außerhalb, dafür muss die Infrastruktur erhalten bleiben.) Mancherorts wird auch einfach alles brach gelassen – zu sehen an vielen anderen ostdeutschen Orten, wo ganze Viertel eben geisterbewohnt sind.
ALLERDINGS: Ich kenne in der Tat keinen Ort, den es von der Landkarte getilgt hat. Irgendwo wohnen immer noch ein paar Rentner. Ich glaube aber, dass das nicht mehr so unwahrscheinlich ist, wenn ich mir Orte wie Hoyerswerda (südlich von CB, gerade hinter der sächsischen Grenze) oder Spremberg (südlich von CB, gerade vor der sächsischen Grenze) anschaue, wo der gefühlte Altersschnitt jenseits der 60 liegt (Eindruck, wenn man durch die Orte schlendert). Irgendwann sterben die Alten, die 2 Jugendliche werden dann auch wegziehen. Und aus.
Fazit: Verkleinerungen sind möglich. Geisterviertel auch. Und in nicht allzu ferner Zukunft glaube ich auch komplett ausgestorbene ehemalige Kleinstädte.

MoZ
MoZ
10. Januar, 2013 09:11

Interessant dazu finde ich eine Folge von “Herr Eppert sucht…”. In diesem Fall “.. Anschluß”. Da hat eine kleine Stadt (oder ein Dorf) den “Anschluß” verloren und wird demnächst aufgelöst in dem es mit dem Nachbardorf verschmilzt.
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1577592/Herr-Eppert-sucht-Anschluss#/beitrag/video/1577592/Herr-Eppert-sucht-Anschluss

Patrick
10. Januar, 2013 09:31

Hier treffen gleich mehrere Probleme aufeinander:
Die Grundstücke – ob verlassen oder nicht – sind nicht mehr im Besitz des Staates. Ein kleiner Teil fiel eventuell schon dem Staate zu, in dem das Grundstück nicht testamentarisch vergeben wurde oder die Erben das Testament ausschlugen, weil es zu hoch belastet war. Egal, einige Grundstücke fallen also der Stadt zu.
Trotzdem wird die Mehrzahl der Flure verkauft sein und in Privatbesitz weilen.
Weiterhin ist es nicht so, dass man mal eben Menschen umsiedeln kann, da gibt es sehr hohe rechtliche Grenzen! Glücklicherweise. in ein paar Jahrzehnten könnten sonst deutlich lockere Gesetze dazu missbraucht werden, Menschen die nicht dem richtigen Glauben oder der richtigen Rasse mal so mir nichts, dir nichts zu enteignen.
Weiterhin ist es irrelevant für eine Stadt – die diesen Status mal zu Recht besessen hast – oder eine Ortschaft, wie viele Menschen dort *jetzt* noch leben. Wenn Menschen dort leben, lieben und streiten halten diese eine Gemeinschaft aufrecht.
Infrastrukturkosten: Natürlich entstehen diese, allerdings sind diese “paar” Ortschaften, die dort in Deutschland entstanden sind und problematisch sind, nicht das Problem. Problematischer sind die tausenenden und abertausenden Aussiedlerhöfe oder Mini-Ortschaften abseits aller größeren Orte bzw Städte deutlich teurer. Siedlungen, die nur für sieben oder acht Familien geplant waren und sind. Da gibt es gerade hier in RLP verdammt viele.
Nun gäbe es politisch für diese Orte oder Städte einen Trick, den du als Hausbesitzer auch kennen dürftest und vor dem wohl nicht wenige Grundstücksbesitzer “zittern” dürften: Anliegerkosten.
Da wird im Zuge der “Aufbereitung” der Stadt alles saniert. Versorgungsleitungen, Laternen, Straße, Bürgersteig. Da darfst du dann mit 25-40€ pro m2 rechnen. Wer würde das mit machen wollen? Gleichzeitig bietet der Landkreis den Rückkauf der Grundstücke an.
Am Ende kostet sowohl der Rückkauf, als auch das Abreißen der Gebäude nur Geld. Kupferleitungen dürften mittlerweile komplett entnommen sein, genauso wie alles andere was Geld bringt.
Verrotten ist da tausend mal billiger.

Uli
Uli
10. Januar, 2013 09:35

Ich würde behaupten wenn eine Stadt zu klein wird entzieht man ihr das Stadtrecht, beispielsweise in Form einer Gebietsreform:
http://de.wikipedia.org/wiki/Stadtrecht
Die nächstkleinere Form heißt glaube ich “Gemeinde”, diese kann man mit anderen umliegenden Gemeinden zusammenlegen um Wahlen, Ämter und Zuständigkeiten von Polizeit und Co. zu minimieren. So etwas scheint aber sehr selten zu passieren:
http://www.stolberg-im-harz.de/stolberg+stadtrecht.html
Viel öfter werden wohl Gemeinden aufgelöst oder mit anderen Gemeinden oder Städten zusammengelegt (eingemeindet). Verzeichnet wird so etwas hier:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/LaenderRegionen/Regionales/Gemeindeverzeichnis/NamensGrenzAenderung/NamensGrenzAenderung.html
Wasser, Strom und Kanal ist ja auch bei einem Einsiedlerhof garantiert sofern die Anschlüsse schon vorhanden sind, also kann wohl niemand beschließen ein Dorf plötzlich nicht mehr zu versorgen.

Björn
Björn
10. Januar, 2013 10:35

Nun, Hashima kann man schon auch als aufgegebene Stadt bezeichnen (http://de.wikipedia.org/wiki/Hashima_%28Insel%29). Ist allerdings eher ein künstliches Gebilde. Da wohnten nur die Bergbauarbeiter und die wurden alle gleichzeitig entlassen.

Dietmar
Dietmar
10. Januar, 2013 11:03

In Niedersachsen gibt es den Truppenübungsplatz (der nachts mit dem Rennrad durchfahren durchaus gruselig ist: keine Beleuchtung, keine Fahrbahnmarkierung, jede Menge Wild im Gebüsch. Heulende Wölfe, jagende Vampire, etc. Niedersachsen eben …). Dort sind alle Gemeinden aufgelöst und dies zum “gemeindefreien Bezirk” geworden.
Im Kommunalrecht gibt es eine Regelung, die sagt, dass die Auflösung von Gemeinden und Landkreisen möglich ist, wenn das dem öffentlichen Wohl entspricht. Darunter würde das wohl fallen, wenn Städte aussterben. (Im Hunsrück soll das ja auch schlimme Ausmaße angenommen haben.)
(Verwaltungslehre und Arbeit dort sind nun auch schon mehr als 20 (!) Jahre her … So, liebe Kinder, setzt euch brav an den Kamin: Opi erzählt von damals.)

Dietmar
Dietmar
10. Januar, 2013 11:24

(Rechne, rechne: WAAAAHHH!!! Dreißig … 🙁 )

Wortvogel
Wortvogel
10. Januar, 2013 11:53

Wow, danke an alle! Das sind viele Antworten, die wichtige Fakten liefern – und auch kompetente Einschätzungen. Zusammen gefasst kann man wohl sagen: die Aufgabe einer sterbenden Stadt ist aus rechtlichen wie administrativen Gründen kaum möglich, kulturell und politisch ist sie praktisch nicht durchsetzbar.
Das führt natürlich zur nächsten Frage: sollte es die Möglichkeit nicht doch geben? Festgeschrieben in Gesetzen? Wäre es der Flexibilität der Regionen nicht förderlich? Würde es nicht Millionen sparen? Wäre es nicht auch spannend?
Es gibt übrigens ein Beispiel aus dem Osten, an dem ich in den nächsten Tagen mal exemplarisch zeigen werde, wie erstaunlich das Gefälle in unserem wohlhabenden Land sein kann.

sergej
sergej
10. Januar, 2013 12:01

“Es ist ein stetiges Wachsen und Schrumpfen. Sobald die Grundstückspreise sinken, wird es wieder jemanden geben, für den es sich lohnt, sich in der “Einöde” anzusiedeln.” #34
In einem gewissen Rahmen mag das gelten, vl. bei kleineren Städten oder Gemeinden im Speckgürtel einer Großstadt. Ich glaube aber, bspw. für kleine Dörfe, gibt es irgendwann einen “point of no return”.
Wenn ein Ort nichts mehr bietet (kein Arzt, keine Post, keine Einkaufsmöglichkeit, keine Bank, keine Schule, keine Arbeitsmöglichkeiten, schlechter Anschluss an den ÖPNV, die jungen und gut ausgebildeten sind weggezogen), helfen auch niedrige Grundstückspreise nicht mehr. Warum sollte sich da jemand niederlassen?
Es mag Leute geben, die gerade in solchen Gebieten wohnen wollen (Achtung Klischee: einfaches, ruhiges Landleben), aber ich bezweifle, dass es die große Masse ist.

Wortvogel
Wortvogel
10. Januar, 2013 12:16

@ sergej: exakt. Man sieht das im Osten an vielen Stellen – es ist spottbillig, es gibt schöne Wohnungen und Häuser, aber trotzdem zieht niemand hin.

Sonja
Sonja
10. Januar, 2013 12:33

Ein paar ungeordnete Punkte, die ich (so) noch nicht hier gelesen habe:
Die Landesregierung kann nicht Städte auflösen, das würde in die Gebietshoheit der Gemeinden eingreifen. Die Gemeinde ihrerseits könnte natürlich versuchen, die Stadt zu tilgen, aber wie schon oben gesagt, das ist wahrscheinlich schwieriger / teurer als einfach abzuwarten. Zumindest in Niedersachsen richtet sich der Status einer Gemeinde im Großen und Ganzen nach der Einwohnerzahl, und wo nichts ist, hat man dann auch keine (eigene) politische Struktur usw. aufrechtzuerhalten.
Die Gemeinden selber können nicht pleite gehen, da haftet das Land.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Infrastruktur- und andere Kosten für sterbende Städte so exorbitant hoch sind. Die Instandhaltung hat bestimmt dann nicht mehr das Niveau, das in “gutgehenden” Städten gegeben ist, und Deutschland ist einfach nicht so groß, dass Orte so richtig “im Nichts” liegen können (wie z.B. in den USA).

Wortvogel
Wortvogel
10. Januar, 2013 12:58

@ Sonja: Danke für die Infos. Lass mich aber mal eine bewusst provokante Frage stellen: wäre es nicht erheblich effizienter, die “Abschaltung” einer Stadt als Wettbewerbselement einzuführen? Was spricht dagegen, z.B. die zehn (auf den Einwohner hochgerechnet) teuersten Gemeinden alle fünf Jahre dicht zu machen? Natürlich müssen schwächere Regionen und Ortschaften gefördert und gestützt werden, aber ist es sinnvoll, dem Fass keinen Boden zu geben? Gemeinden sind keine Personen, demnach haben sie (in meinen Augen) kein “Lebensrecht”. Wenn über Jahrzehnte nur Geld versenkt wird, ist die ursächliche Aufgabe einer Gemeinde (Schaffung von sozialem Umfeld und Chance auf Prosperität) hinfällig. Dem kann man doch nicht nur mit einem nostalgischen “na ja, was willste machen?” begegnen.

Kai
Kai
10. Januar, 2013 13:13

„Was spricht dagegen, z.B. die zehn (auf den Einwohner hochgerechnet) teuersten Gemeinden alle fünf Jahre dicht zu machen?”
Das ist eine ökonomische Denkweise, die ich nicht teile und persönlich auch falsch finde. Folgte man Deinem Vorschlag, wären Helgoland und die ostfriesischen Nordseeinseln (und die Halligen!) sofort zu räumen, da diese ganz sicher nicht effizient sind.
Vor allem: was ist denn eine effiziente Stadt? Und was ist eine „teure Gemeinde”? Ich sehe keine wirklich dramatischen Fälle, zumal sich so etwas letztlich auch immer biologisch von alleine regelt.

Wortvogel
Wortvogel
10. Januar, 2013 13:21

@ Kai: Meine Frage blendet bewusst die moralischen Aspekte aus. Man kann Menschen nicht einfach umsiedeln, weil ihr Geburtsort plötzlich als “uneffizient” gilt. Das ist mir klar. Aber mir geht es um das Gedankenspiel, um die Extreme, um jene Gemeinden, die keine Chance mehr haben, praktikabel zu funktionieren.
Die Nordseeinseln und viele andere Beispiele würden allein auf Grund ihrer Sonderstellung in so einem Gedankenspiel nicht unter die Räder kommen.
Ich sehe im Osten (und auch in ein paar Gegenden Norddeutschlands) durchaus “dramatische Fälle”. Leerstand, Verfall, keine Arbeitsplätze, keine Infrastruktur, miserable Versorgung. Wie solte sich das biologisch “von alleine regeln”?

Kai
Kai
10. Januar, 2013 13:49

„Wie solte sich das biologisch “von alleine regeln”?”
Kurze Antwort: Wegzug und Rückbau.
In den von Dir geschilderten Beispielen gibt es eine Spirale nach unten, die durch Arbeitslosigkeit, Männerüberschuss, Leerstand und vor allem Perspektivlosigkeit geprägt ist. Wer auf Arbeit angewiesen ist oder Kinder hat, wird da eher wegziehen — übrig bleiben die Rentner und Immobilen. Das führt dann zu schrumpfenden Städten, die dann aber auch weniger Kosten haben. Infrastruktur kann zurückgebaut werden und im Idealfall pendelt sich das dann alles mittelfristig wieder ein.
Ansonsten hat die Stadtsoziologie hierzu sehr gute wissenschaftliche Literatur 🙂

Wortvogel
Wortvogel
10. Januar, 2013 13:53

@ Kai: Wenn dem aber nicht so ist, wenn sich die Umstände (Wirtschaft, Demographie, Kultur) so entwickeln, dass eine Kleinstadt in Randlage irgendwann praktisch entvölkert ist – was dann? Das ist meine Frage. Leerstand ist ja kein Zustand. Kommt dann jemand und hängt ein “Außer Betrieb”-Schild raus?

gerrit
gerrit
10. Januar, 2013 14:21

Das ist ja eben das Problem: Es bleiben nicht nur die Rentner und die Immobilien. Die Schulden auf den Immobilien bleiben auch. Und die Zinsen siedeln sich auch nicht selbst um.

Kai
Kai
10. Januar, 2013 14:27

@Wortvogel Ganz ehrlich: keine Ahnung. Ich gehe davon aus, dass einfach immer weiter öffentliche Infrastruktur zurückgebaut wird, bis ein Grundgerüst davon übrig bleibt.
Allerdings hast Du mit Deiner Frage das vorweggenommen was uns in den kommenden Jahrzehnten noch öfter beschäftigen wird: Schrumpfung und Rückbau. Das wird ganz neue Fragen mit sich bringen.

Kai
Kai
10. Januar, 2013 14:29

@Gerrit Beachte das Fehlende „i” 🙂 Ich meinte explizit diejenigen, die zwar erwerbsfähig, aber aus anderen Gründen nicht mobil sind.

Wortvogel
Wortvogel
10. Januar, 2013 14:35

@ Kai: “Allerdings hast Du mit Deiner Frage das vorweggenommen was uns in den kommenden Jahrzehnten noch öfter beschäftigen wird” – wenn dem nicht so wäre, hätte ich mich das ja auch nicht gefragt 🙂

Frank
Frank
10. Januar, 2013 15:16

Es gibt eine sehenswerte Doku über eine Lebensgemeinschaft, die solch ein “Geisterdorf” wieder in Betrieb nimmt:
http://www.siedler-film.de/index.html

HAB
HAB
10. Januar, 2013 17:57

Zum Thema ein Beispiel aus Österreich:
Eisenerz (http://de.wikipedia.org/wiki/Eisenerz_(Steiermark) ) lebte lange Erzbergbau und war auch dementsprechend groß. Jetzt stirbt der Ort langsam und wird wohl bald nur noch ein kleines Dorf sein, wenn überhaupt.
Hier noch ein Artikel darüber:
http://derstandard.at/1336698242393/Landflucht-Eisenerz-Wie-ein-Ort-gegen-das-Verschwinden-ankaempft
Oft hört man das Eisenerz beispielhaft für die langsame Abwicklung einer Stadt ist.

plumtree
plumtree
10. Januar, 2013 21:37

Wie die brandenburgerin ziemlich weit oben, meine ich mich zu erinnern, dass in Frankreich exakt das mit einem Dorf gemacht wurde.
Leider habe ich nichts dazu im Netz gefunden (und es ist auch schon ewig her (irgendwann 80er, ein Bericht im Spiegel)).
Die Bewohner, die sich nicht umsiedeln liessen wurden einfach zurück gelassen. Zwar wurde noch Strom und Wasser geliefert, aber nichts mehr repariert. Zum Zeitpunkt der Reportage lebten noch ca. 20 Menschen dort – alles ältere Leute, die sich nicht trennen wollten. Inzwischen dürfte dieses Dorf ausgestorben sein.
Nun habe ich doch noch was gefunden.
http://www.focus.de/finanzen/news/courbefy-in-westfrankreich-suedkoreanischer-kuenstler-ersteigert-verlassenes-dorf-_aid_756073.html
Ob es sich um das gleiche Dorf handelt, weiß ich allerdings nicht mehr.

sergej
sergej
10. Januar, 2013 23:30

“Die wichtigste Frage stellt sich mal wieder keiner: Was hat der Wortvogel vor?” #31
Wahrscheinlich tauchte beim WV ein reicher Erbonkel auf, stellte ihm ein Häuschen in Aussicht, WV besuchte es in den letzten Tagen und nachdem er das Haus und das Dorf drumherum gesehen hat, macht er sich jetzt Sorgen. 🙂

Marco
Marco
11. Januar, 2013 04:50

wie Holber, erinnere ich mich auch an Probleme mit Abwasserleitungen. So habe ich gelesen, dass Abwaserkanaele fuer eine gewisse Bevoelkerungszahl ausgelegt werden. Zu viele geht nicht, aber auch zu wenig geht nicht, weil dann einfach zuwenig Wasser durch die Leitungen geht und die permanent verstopft sind. Wohl ein problem z.b. bei grossen Neubaugebieten, die nicht so populaer werden wie erwartet. wie gesagt, alles vom hoerensagen. wobei, es war im Internet, da muss es ja stimmen …

Der Karsten
Der Karsten
11. Januar, 2013 08:21

Das ist mittlerweile ein generelles Problem.. wir sparen soviel Wasser ein, dass die Kanäle regelmässig durchgespült werden müssen, damit sie nicht verstopfen. Sieht man immer häufiger im TV.

Dietmar
Dietmar
11. Januar, 2013 08:38

@Der Karsten: An (mindestens) zwei Stellen in unserer Stadt riecht es deswegen auf der Straße wie im Mittelalter, weil niemand mehr richtig spült. Besonders, wenn es warm ist.

sergej
sergej
11. Januar, 2013 10:26

Wachstum durch Abriss
Wie schrumpft man Städte? Die Internationale Bauausstellung in Sachsen-Anhalt hat wilde Ideen.
http://www.zeit.de/2009/44/IBA/komplettansicht
Unter dem Pflaster
Wenn Städte Einwohner verlieren, werden ihre Kanalisationssysteme zu groß – mit fatalen Folgen. Ein Beispiel aus Sachsen-Anhalt.
http://www.zeit.de/2007/15/LS-Abwasser/komplettansicht

noyse
11. Januar, 2013 10:47

das mit den wassersparern nervt mich sowieso. besonders das hauptargument dass die in afrika kaum wasser haben…als ob die was davon haben dass ich hier in einer sehr regenreichen region wasser spare. statt dessen mus sich mit steigenden Wasserkosten rumschlagen weil es immer komplizierter wird die kanalisation zu warten.

Wortvogel
Wortvogel
11. Januar, 2013 14:08

Wir haben das Problem nicht nur mit Wasser, auch mit Kaminen. Moderne Heizungen erzeugen zu wenig Abwärme, um breite Kamine trocken zu halten. In meinem Haus war vor ein paar Jahren das Mauerwerk durchgesottet.

noyse
12. Januar, 2013 21:38

Das Problem ist ja nicht nur die kanalisation, sondern auch der grundwasseranstieg durch weniger wasserverbrauch- hier in berlin ist man da gerade ziemlich am rudern http://www.focus.de/immobilien/bauen/millionenschaeden-bei-immobilien-befuerchtet-experten-warnen-grundwasser-in-berlin-steigt-dramatisch_aid_852316.html
Das wäre ja auch beim städtesterben ein problem denke ich.

Spandauer
Spandauer
12. Januar, 2013 23:55

@Wortvogel
Kamine, Stahleinsatz um den Querschnitt zu verkleinern. Die Temperatur des Rauchs bleibt hoch genug. Sollte immer beim Austausch des Brenners gemacht werden.

Der Karsten
Der Karsten
13. Januar, 2013 07:52

Ich glaube, diese Konsequenzen hat man vor 20 Jahren nicht vorhergesehen, als es hiess, wir müssen Ressourcen einsparen. ^^
Aber mir wurde ja 1990 noch beigebracht, dass es in Deutschland bis 2020 keine Wälder mehr geben werde. Wer kann da noch von richtigen / unrichtigen Prognosen unterscheiden?

Fake
Fake
13. Januar, 2013 11:42

@Der Karsten
Diese “Argumentation” hasse ich besonders weil sie Warner wie Idioten aussehen lässt obwohl sie Recht haben. Das Waldsterben wurde verhindert weil man per Gesetz Massnahmen zur Stickoxidreduzierung von Kraftwerken und Fahrzeugen erlassen hat. Auch der Schwefeldioxidausstoß von Kraftwerken (durch Rauchgasentschwefelung) und Fahrzeugen (weniger Schwefel im Kraftstoff) wurde reduziert, auch wenn letzteres durch die Beimengung des Schwefels in den Treibstoff für Hochseeschiffe etwas konterkariert wird. Auch Erdöl wird es noch in 200 oder 300 Jahren geben, nur ist es dann so teuer das es in geringen Mengen nur noch für Spezialanwendungen gebraucht wird und nicht mehr als Hauptenergieträger. Der Klimawandel wird auch nicht “katastrophal” ausfallen, da man jetzt schon, wenn auch noch zu wenig, gegensteuert.

Wortvogel
Wortvogel
13. Januar, 2013 12:13

@ Fake: Das ist einfach falsch. Ich bin wahrlich ein Klimaschützer und alter Sozi, aber das Waldsterben war nicht mehr als Propaganda. Es wurde nicht “verhindert” – es stand nie bevor. Das “Waldsterben” der 80er war eine natürliche Reaktion auf klimatische Zyklen der 70er. Das haben auch alle ernst zu nehmenden Klimaforscher gewusst. Niemand außer den hysterischen deutschen Medien, den beeinflussbaren Politikern und den leichtgläubigen Lesern (zu denen ich damals selbst mit Leib und Seele gehörte) haben das geglaubt. Es gibt einen Grund, warum die Franzosen das Phänomen spöttisch “Le Waldsterben” genannt haben. Gibt es exzellente Dokus drüber. Heute ist man schlauer.

Wortvogel
Wortvogel
13. Januar, 2013 12:15

@ Spandauer: Genau so haben wir das in meinem Haus auch gemacht. Der Vorbesitzer hatte das unterlassen, um Geld zu sparen – dafür musste ich ein Drittel des Kamins im oberen Stockwerk raus schlagen und neu mauern lassen. Dann kam das Stahlrohr rein.

Nobby
Nobby
13. Januar, 2013 13:23

@Wortvogel, #72:
Welche exzellenten Dokus sind das denn? Meines Wissens sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur medien- und umweltgeschichtlichen Einordnung der damaligen Waldbelastungen auch heute noch recht uneinheitlich.

Howie Munson
Howie Munson
13. Januar, 2013 14:13

Ich dachte, man hätte in der Presse hauptsächlich verpennt, dass sich die zählweise bei der Statistik geändert hatte… und dann gab es noch paar Borkenkäferjahre.
BTW: das langjährige Temperaturmittel ist lustigerweise strenggenommen das falsche, weil man sich weiterhin (seit über 10 Jahren) auf 1961-91 bezieht. Wikipedia vermutet nun folgendes:

Die derzeit gültige CLINO-Periode von 1961 bis 1990 wird dann vom Zeitraum 1991 bis 2020 offiziell abgelöst.

aber daran glaub ich (noch) nicht, bzw. ist das noch unwissenschaftlicher als verspätet auf 71-00 und 81-10 sich zu beziehen. (Die waren beide schon wärmer . Und die Berechnungsmethode für die durchschnitliche Tagestemperaturen hat auch geändert.)
Davon ab bin ich aber sowohl froh, dass man in den meisten Flüssen in Deutschland schwimmen kann ohne nach zwei Minuten Hautausschlag zu bekommen und beim Wäsche aufhängen nicht auf die Windrichtung achten muss, damit die nicht schwarz wird… Und Solar- und Windstrom find ich auch gut. Verdrehte Fakten oder schlechte Recherchen sind aber halt Mist.

Mr_E
Mr_E
13. Januar, 2013 15:38

Ich hab den Thread nur überflogen und hoffe, ich wiederhole jetzt nicht was, aber was ist mit extremen Sonderfällen, sprich Verseuchung?
Was, wenn z.B. der Smog in Peking zur Massenflucht führt, oder noch schlimmer, wenn z.B. ein halber Staat wegen atomarer/ biologischer Verseuchung unbewohnbar wird, also der Staat dort gar nicht mehr als solcher tätig werden kann? Sagen wir ganz Bayern ist unheilbar verseucht, kann der Staat Deutschland dann beschließen, das Gebiet “aufzugeben”?

Wortvogel
Wortvogel
14. Januar, 2013 10:25

@ Nobby: Vor einem halben Jahr habe ich eine sehr erhellende Doku über den Bayrischen Nationalpark gesehen, in dem man in den späten 80ern und den 90ern genau das Gegenteil von dem tat, was die Ökopaxe verlangte. Man überließ den Wald sich selbst, dem Klima und den Borkenkäfern. Heute geht es ihm besser als je zuvor. Nature finds a way.
Und auf arte lief vor ca. zwei Jahren die Doku eines Journalisten, der mal nachforschte, was eigentlich aus dem Waldsterben wurde. Der stellte fest, dass die ganze Hysterie zu dem Thema auf die gewagten Thesen zweier (nicht gut reputierter) Klimaforscher zurück ging, die dann eine Medienwelle lostraten, gegen die sich niemand mehr anzureden traute. Ein Denkverbot der Gutmenschen, demzufolge man nicht einmal mehr die These vertreten darf, dass der Mensch vielleicht doch nicht das alleinige Übel der Umwelt ist.
Titel habe ich nicht mehr, sorry – ich wusste nicht, dass das abgefragt wird. Wikipedia äußert sich aber auch dazu:
http://goo.gl/QyDH7
Auch hier: http://www.zeit.de/2004/51/N-Waldsterben
@ Howie: Auch mir ist es durchaus Recht, dass falsche Ängste zu richtigen Konsequenzen führen. Es ist anzunehmen, dass ohne das “Waldsterben” der Katalysator nicht oder nicht so früh eingeführt worden wäre. Wir hätten vielleicht heute noch keinen Umweltminister und der Schadstoffausstoß der Industrie wäre vermutlich ungleich höher.

Howie Munson
Howie Munson
14. Januar, 2013 10:39

naja, mir wär’s lieber es würde über den Verstand funktionieren, aber dazu müsste Bestechung wohl erstmal auch in Deutschland streng verfolgt und Politikernebeneinkünfte reguliert werden.

Nobby
Nobby
14. Januar, 2013 10:48

@Wortvogel:
Die Doku zum Bayrischen Nationalpark klingt interessant, aber falls genannte arte-Doku diese hier gewesen sein sollte, weht der Wind aus genau der Richtung, die ich befürchtet habe: Regisseur Michael Miersch ist ein bekannter Öko- und Klimaskeptiker, dem keinesfalls die sachliche Ausgewogenheit einer sinnvollen, dokumentarischen Auseinandersetzung mit dem Thema “Waldsterben” zuzutrauen ist. Seine populistischen Beiträge für DIE WELT und die “Achse des Guten” legen das zumindest nahe.
PS: Ich will nicht bestreiten, dass das “Waldsterben” unglaublich gehypt wurde. Aber irgendwelche derart vereinfachten “Alles falsch”-Erkenntnisse über den Wahrheitsgehalt der damaligen Medien- und Gesellschaftsdebatte erscheinen mir tendenziell eher unseriös.

Kai
Kai
14. Januar, 2013 12:20

@Nobby Zustimmung: Wer auf der Achse der Blöden zusammen mit dem unsäglichen Broder publiziert, verfolgt eine bestimmte Agenda. Und zwar das exakte Gegenteil von Umweltschutz und Co. Für diese Leute sind Atomkraft, Gentechnik gar nicht breit genug auszuschöpfen und der Klimawandel ohnehin nur ein Hirngespinst linker Medien, die dem guten Bürger ans Portemonnaie wollen.

Wortvogel
Wortvogel
15. Januar, 2013 15:15

@ Kai/Nobby: Da widerspreche ich. Auch Broder sagt immer mal wieder kluge Sachen. Und Mierschs Doku erscheint mir plausibel. Es ist genau das Problem des “Waldsterbens” gewesen, dass man immer nur auf genehmen Stimmen hören wollte, die das von uns fast schon masochistisch herbei geflehte Weltenende bestätigten.
Niemand spricht von “alles falsch”. Wenn jemand die Argumente von Miersch in der Doku widerlegen kann, bin ich ganz Ohr. Miersch selbst hat auf die erwartbare Kritik des BUND recht souverän reagiert, wie ich finde:
http://goo.gl/utSyt
Dass BUND-Chef Weiger sich schon für diesen Satz schämen sollte, steht außer Frage: ” Ich fühle mich dazu auch persönlich berufen, da ich am 22. Mai 1981 die erste Pressefahrt zum Thema Waldsterben durchführte, bei der dieser Begriff geprägt wurde. ”
Nochmal: Ich mag Miersch nicht. Ich mag auch Broder nicht. Aber es wäre falsch, ihnen deshalb nicht zu zu hören – und ggf. zu widersprechen.

Nobby
Nobby
15. Januar, 2013 22:11

Meinetwegen ist das falsch, ihnen nicht zuzuhören. Aber ich kann meine Zeit ganz ehrlich halt auch besser verbringen als mit Mierschs wissenschaftlich kaum fundierten Geseier. Die Doku habe ich deshalb nicht gesehen und kann demnach nicht zu einem argumentativen Faktencheck beitragen.Aber: Sollte es zutreffen, dass Miersch tatsächlich das gesamte Thema ausschließlich auf “die gewagten Thesen zweier (nicht gut reputierter) Klimaforscher” zurück führt (siehe #77), gäbe es wohl genügend Ansatzpunkte, um das zu widerlegen. Ich verweise der Einfachheit halber auf eine wissenschaftliche Abhandlung, die sich aus umweltgeschichtlicher Perspektive umfassend mit dem Phänomen “Waldsterben” beschäftigt. Die Autoren kommen unter anderem zu diesem Schluss:

Bereits die Zeitgenossen waren mit der Komplexität des Problems, der Unbeweisbarkeit von Kausalketten und mit wissenschaftlicher Unsicherheit konfrontiert; die nachträgliche Bewertung ist noch weitaus schwieriger. […] Ein nachträgliches Urteil über den naturwissenschaftlichen Realitätsgehalt des Waldsterbens wird auch dadurch erschwert, dass zu keinem Zeitpunkt eine einheitliche Definition des Begriffes „Waldsterben“ vorlag.

Und darauf will ich im Prinzip hinaus: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur damaligen Waldbelastung sind nach wie vor uneindeutig. Den Hype bestreitet keiner, aber die tatsächlichen Fakten sind unklar. Da kann Miersch erzählen, was er will.

Wortvogel
Wortvogel
16. Januar, 2013 10:43

@ Nobby: Ich empfehle dir, die Doku mal anzuschauen. Sie ist nicht gerade brillant oder packend, legt aber den Finger auf die Wunde. Die von dir zitierte Aussage entspricht auch meinem Verständnis: es wurde in den 80ern mit Hysterie und Endzeitstimmung Propaganda gemacht, ohne zu wissen, was genau “Waldsterben” ist – oder woher das, was wir nicht mal definiert haben, kommt. Aber es gab eben ein, bzw. zwei Wissenschaftler, die das Gegenteil behaupteten: “Waldsterben” ist das Ende, Schuld sind wir alle, Klappe zu, Affe tot. Gerade der SPIEGEL und der STERN haben sich in der Diskussion nicht gerade mit Ruhm bekleckert.
“Den Hype bestreitet keiner, aber die tatsächlichen Fakten sind unklar. Da kann Miersch erzählen, was er will.” – Miersch sagt genau das, was du im ersten Satz dieses Zitats sagst.

Nikolai
Nikolai
28. Januar, 2013 14:06

Späte Antwort, sorry.
Ich habe einen Freund gefragt, welcher in unserem Stadtrat tätig ist.
Tatsächlich wird Gemeinden, die untragbar werden, einfach der Geldhahn zugedreht.
Ab diesem Zeitpunkt wären die verbliebenen Einwohner dafür verantwortlich genug Geld aufzubringen um das Versorgungsnetz von Wasser, Strom, Gas und die restliche Infrasruktur in Stand zu halten.

sergej
sergej
30. Januar, 2013 22:11

Der verlinkte Artikel beschreibt das Gegenteil der Auflösung von Gemeinden, kann man trotzdem lesen.
” Amerikas Landlust
Vergesst die Großstadt!
Für junge Amerikaner werden Metropolen immer unattraktiver. Sie ziehen in alte Kleinstädte und erfinden die „Country Cool“-Bohème. Die Deutschen dagegen lesen immer nur „Landlust“. Warum?”
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/amerikas-landlust-vergesst-die-grossstadt-12040314.html

Spandauer
Spandauer
4. März, 2014 16:10

Hier nochmal was:
Zitat:”Berliner Demografie-Experte Reiner Klingholz hat eine Wegzugprämie für Bewohner sterbender Dörfer angeregt.”
http://www.proplanta.de/Agrar-Nachrichten/Agrarpolitik/Praemie-fuer-Auszug-aus-sterbenden-Doerfern_article1393920126.html

Fake
Fake
9. September, 2018 21:24

In Kanada scheint es so einen Fall zu geben. Dort macht die Regierung eine Art Buyout – aber nur wenn eine große Mehrheit zustimmt. Die sparen so die Subventionen für die Fähre sowie Unterhalt für Strom und Wasser:

Fake
Fake
9. September, 2018 21:27