17
Okt 2011

VHS, NTSC, FSK, NL, CAT III, BPjS, LD, ZDF, OmU: Erinnerungen an eine Horrorgeek-Jugend in den 80ern

Themen: Neues |

Abteilung “Hoffentlich ist das alles verjährt…”

In den seltenen Momenten, in denen ich auf dem Fantasy Film Festival Zeit zum Nachdenken habe – wenn der Saal dunkel ist, die Pause zwischen zwei Filmen lang -, dann denke ich manchmal daran, wie es in den 80ern war. Wenn ich bei Amazon eine DVD aus den USA für ein paar Dollar bestelle, dann erinnere ich mich. Wenn im Internet das alternative Ende eines obskuren Horrorstreifens auftaucht, fühle ich mich unglaublich privilegiert. In was für einer unglaublichen Zeit wir doch leben. Es ist heute so leicht, ein Geek zu sein. Und so unpeinlich. Können sich die 20jährigen eigentlich vorstellen, dass das nicht immer so war?

Dies sind meine Erinnerungen. Your mileage may vary.

Die frühen 80er. Keine Handys. Kein Internet. Keine PCs. Keine DVDs. Keine Videorekorder. Keine Splatting Image. Kein Fantasy Film Fest.

Horrorfan in den 80ern – das bedeutete Einsatz, Aufwand und Entbehrungen. Sowas ging nicht unauffällig. Heute ist es vergleichsweise wurscht, ob man “Sweet Home Alabama” oder “Saw 5” in den Player schiebt. Es ist Geschmackssache und kein kultureller Gegensatz. Horror ist aus der Nische gekrochen, kein Stigma mehr.

Das war damals noch GANZ anders. Horror war klein, schmutzig, billig, und gefährlich. Und die Medien waren extrem scharf drauf, das Genre für so ziemliche allen sozialen Unbill der Zeit verantwortlich zu machen. Ein Klassiker ist die SPIEGEL-Titelgeschichte “Zum Frühstück Ein Zombie hing am Glockenseil”, die besonders in der PDF-Version ein lesenswertes Stück Propaganda im “Nieder mit Schmutz & Schund!”-Stil ist und außerdem ein Interview mit der denkwürdigen Headline “Alle haben gekotzt, nur ich nicht” vorhält. Es sei jedem Interessierten als Einarbeitung und Vorbereitung für diesen Artikel auf das Wärmste ans Herz gelegt. Lustig ist es obendrein.

Ich will damit nicht sagen, dass der Horrorfilm der 80er gesellschaftstragende Verantwortung übernahm – er war in der Tat erfreulich krude und gemein:

Aber es geht in diesem Beitrag nicht um Horrorfilme. Es geht um die Kids, die sie anschauten. Es geht um mich und meine Freunde.

Kindheit, wo sie hin gehört: vor der Glotze

Meine Sozialisierung in Sachen Horror ist eigentlich sehr typisch. Ich bin mit den Samstag-Spätfilmen der ARD (nach Lottozahlen und “Wort zum Sonntag”) aufgewachsen, dem “phantastischen Film” im ZDF, dem kleinen Fernsehspiel.

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Das gab über die 70er hinweg eine breitere Grundlage, als man heute meinen sollte. Noch bevor ich in Kinofilme mit 16er-Freigabe gehen konnte, hatte ich alle Teile von “Das Omen” gesehen, “Rosemary’s Baby”, “Dracula” (mit Lugosi), “Barbarella” und die heilige Heston-Trilogie (“Planet der Affen”, “Der Omega-Mann”, “Jahr 2022 – Die überleben wollen”). Ich sah, wie sich Oliver Reed in “Der Fluch des Siniestro” in einen Werwolf verwandelte und wie die Welt in “Tanz der Vampire” den Blutsaugern anheim fiel. Ich kannte obskure osteuropäische Fetzer wie “Der Rattenkönig” und “Der Autovampir”, war vertraut mit deutschen Problemgruslern wie “Macumba” und “Cherie, mir ist schlecht”. Christopher Lee war mir ebenso ein Begriff wie Donald Sutherland. “Wenn die Gondeln Trauer tragen” verstand ich damals zwar noch nicht, fand ihn aber trotzdem toll.

http://www.youtube.com/watch?v=P0Rw2ZdqLYo

Ich blieb dabei immer ein Weichei: Bei “Dracula” hielt ich sicherheitshalber mein Kommunionskreuz in der Hand (meine Eltern waren nicht zu Hause), und die gleichnamige Hörspiel-Platte von Europa fand ich so gruselig, dass sie nach einmaligem Anhören auf dem Trödelmarkt landete.

In den 80ern waren Horrorfans Außenseiter. Das lässt sich tatsächlich pauschal so sagen. Wer im Kino lieber “Tanz der Teufel 2” statt des neusten Terence Hill & Bud Spencer-Films gucken wollte, gehörte in die Ecke mit den Metal-Freaks und den C64-Nerds. Die kriegten keine Zettel zugesteckt, auf denen “Willst du mit mir gehen? Bitte ankreuzen:” stand. Die hatten in Sport maximal eine 3. Denen kauften die Eltern keine Enduro zum 16. Geburtstag. Horrorfilme gucken war mehr als eine Geschmackssache. Es war Rebellion, pubertäre Flucht, die Freude am Unverständnis der Welt, die sonst ja auch nichts kapiert hat.

Klar konnte man 1982, 1985 oder 1988 auch Horrorfilme im Kino anschauen – wenn man alt genug war. Alternativ konnte man den großen Bruder in die Videothek schicken, damit er eine schnell gekrakelte Liste mitbringt, was dort so ausliegt. Videothekare hatten kein Interesse, uns Verleihinfos zukommen zu lassen. Filme wurden nicht released, die wurden entdeckt. Das Problem: In Deutschland war manches verboten, alles andere geschnitten, und vieles einfach nicht vorrätig. “Mal eben bestellen” war keine Option.

Video Wunderland

Videotheken waren damals so etwas wie verbotene Tempel. Die meisten von uns waren zu jung, um reingehen zu dürfen. Man musste mit dem Besitzer schon sehr “per du” sein, damit der seine Lizenz riskierte und einen doch die Boxen angrabbeln ließ. Was waren das damals noch für Cover! Was wüteten unsere Hormone bei tollen Artworks für irgendwelche italienischen Sexkomödien, die den Verheißungen der gezeichneten prallen Rundungen niemals gerecht werden konnten. Was wurden wir von überhitzten Texten und Titeln wie “Dämon des Grauens” angefixt, nur um dann herauszufinden, dass es sich dabei um fade, 10 Jahre alte englische Billigproduktionen handelt. Es gab durchaus Fälle, die ich heute als arglistige Täuschung, als versuchten Betrug werten würde. Was erwartet den filmische Grausamkeiten suchenden Jungnerd, wenn er einen Titel namens “Splatter” ausleiht, der noch dazu in dieser Weise auf dem Backcover trommelt?

Eine Dokumentation, genau. Wenigstens war die gar nicht so schlecht…

Das Erlebnis, in einer Videothek herum zu stöbern, war dem tatsächlichen Genuss der dort verliehenen Filme meist weit überlegen, zumal deutsche Fassungen gerne an den interessantesten Stellen ein paar Minuten ausfallen ließen.

Es war auch durchaus nicht üblich, dass man Zugriff auf einen Videorekorder hatte. Bei uns kam erst Mitte der 80er mit meinem Stiefvater ein Gerät ins Haus. Er brachte ein paar Kassetten mit italienischen Softsex-Soldatenkomödien und rumänischen Kriegsfilmen mit. Mehr war damals legal für wenig Geld kaum zu bekommen. Ich überspielte den Krempel nach und nach. Meine ersten der Ewigkeit anvertrauten Filme waren damals der Pilotfilm zu “Buck Rogers” und John Carpenters großartiger “The Fog – Nebel des Grauens”.

Aber es musste doch mehr geben! Mehr als Fernsehen, mehr als das, was man uns zumutete, mehr als das, was Eltern und Lehrer für “anständig” hielten. Filme, über die auf dem Schulhof geflüstert wurde, deren Titel in Zeitschriftenartikeln genannt wurden, die gegen die Verrohung der Jugend wetterten. Mit Zombies. Und Kannibalen. Kurzum: Ich wusste, dass es Sachen gab, die für mich nicht gut waren. Die wollte ich sehen. Und ich war damit nicht allein.

Die Suche nach Sex, Drugs and Blutmatsch

Weil es kein Amazon gab, kein Usenet, keine Filmbörsen und keine Videotheken, in denen das Wort “ungeschnitten” irgendeinen Wert hatte, war man darauf angewiesen, sich zusammen zu rotten. Auf dem Schulhof, im Verein, in der Nachbarschaft – man fand sich, auch wenn man sich nicht leiden konnte. Die Leidenschaft für das Genre überwand Klassenschranken und alle Hemmungen. Man lungerte mitunter in düsteren Buden herum, die eher an Opiumhöhlen erinnerten als an Jugendzimmer. Ich war ein spießiges Mittelklassekind damals und ja – ich spielte mit den Schmuddelkindern. Denn die hatten Connections, von raubkopierten C64-Disketten bis zum neusten Teil von “Freitag der 13.”. Uncut. Einer hatte sogar schubladenweise gefälschte Streifenkarten für die Straßenbahn. Da nimmt man es in Kauf, wenn man auf dem Sofa in nur mangelhaft getrockneter Hundepisse sitzt.

Obwohl die Liebe zum Horror uns einte, gab es doch auch damals schon zwei Lager, die einander tolerierten, ohne sich zu mögen: Die fetten Bastarde mit den schwarzen Metal-T-Shirts, denen es primär um den Splädda ging. Die den immer härteren Kick suchten. Die mit 15 Dosenbier tranken, rauchten und bestenfalls das Backcover einer Videohülle lesen konnten. Und wir: saubere Jeans, Fahrrad immer ordentlich abgeschlossen, Videokassetten penibel beschriftet, begeistert von Stop Motion und der Frage, wie Fulci das mit dem Bohrer in “Ein Zombie hing am Glockenseil” gemacht hat. Wir hatten Katzen, die hatten Eidechsen. Wir kauften “Cinefantastique”, die “Fangoria”. Was uns einte, war nur die Liebe zum Schocker.

Wenn es dann gelungen war, einen begehrten Horrorstreifen halbwegs zeitnah und uncut zu bekommen, war immer noch nicht alles eitel Sonnenschein – aber das kann ich besser erklären als ich, darum gebe ich mal kurz an mich weiter:

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Vielleicht einer der Gründe, warum ich bis heute niemals so einen beschissenen Cam-Rip aus dem Netz anschauen würde…

So gingen die 80er ins Land. Sich bei Kumpeln zum gucken zu treffen, war noch der einfachere Teil des Geek-Lebens. Aber irgendwo mussten die Streifen ja her kommen. Und man konnte nicht immer nur schmarotzen. Also machte man sich auf die Suche. Wieder nicht mit Google und Amazon, sondern mit Auto und Videorekorder. Ich erinnere mich an Fahrten nach Amsterdam in irgendeiner Rostlaube eines schon volljährigen Kumpels. Drogen? Uninteressant. Nutten? Unwichtig. Was die holländische Stadt zum Paradies machte, war die niederländische Liberalität in Sachen Horrorfilm. Hier gab es praktisch alles – uncut und nur mit dödelsprachigen Untertiteln verhunzt, die man aber verschmerzen konnte.

Wir verbrachten diverse Wochenenden damit, Kassetten stapelweise aus der Videothek unseres Vertrauen (= die mit der größten Adult-Abteilung) abzuholen und im Hotelzimmer gleichzeitig auf mehrere Leerkassetten zu verteilen. Nicht etwa, um sie kommerziell zu vertreiben – es wollte nur jeder, der zu dem Trip beigetragen hatten, gefälligst seine eigene Kopie haben. Geschlafen wurde in Schichten, wir waren eh zu sechst in dem kleinen Kabuff.

Nicht viel anderes war es bei den Trips zum Howl Weekend of Fear in Nürnberg, wo man damals noch unbekannte Nachwuchsregisseure wie Peter Jackson beim Bier anlabern konnte. Dort wurden die knappen Stunden zwischen dem Ende des letzten Festival-Films und dem Anfang des nächsten Tages genutzt, um übernächtigt in die Ami-Soldatensiedlung zu fahren, denn in deren Videotheken war ebenfalls immer ungeschnittene Schauerware zu finden. Das Problem: Die Kassetten waren im amerikanischen NTSC-Standard. Kumpel Pedda, bei dem wir die Filme dann anschauten, hatte einen der mondänen Videorekorder, die das tatsächlich abspielen konnten. Leider waren Kopien damit aber nicht möglich. Meine Erinnerungen an diese Nächte sind arg löchrig, aber ich bin ziemlich sicher, Scott Spiegels beschissenen “Skinned alive” dort gesehen zu haben.

Enter the Ninja? No, Enter the Nineties

Ihr merkt: Es war eine echte Schinderei, als Horrorfan nicht immer nur hinterher zu laufen, sondern vorne mit dabei zu sein. Die Qualität, in der wir viele Filme gesehen haben, war bodenlos. Immer wieder spulte man sich durch Kassetten, weil irgendein Kumpel gehört hatte, DIESE Fassung von “Day of the Dead” enthielte noch zwei Sekunden MEHR Footage als die ANDERE Unrated-Version, die er zwei Wochen davor aus Thailand importiert hatte. Es kursierten “Langfassungen” von “Tanz der Teufel”, in die irgendein Spacko einfach Szenen aus Raimis Kurzfilm “Within the Woods” reingeschnitten hatte. Es gab lebhafte Debatten zwischen den beiden oben erwähnten Lagern, welche die bessere “Re-Animator”-Version ist: die kürzere mit dem vielen Splatter oder die längere, die etwas mehr Raum für Story und Charaktere ließ. Manche Tapes galten trotz ihrer erbärmlichen Qualität als so wertvoll, dass die Besitzer sie nicht aus den Händen gaben, geschweige denn eine Kopie zuließen. Es war ein Statussymbol, diesen Kram zu besitzen.

Ich erinnere mich daran, dass ich einem No Name Nachwuchsfilmer namens Olaf Ittenbach eine Pressekassette von “Blast Killer” (die im Gegensatz zur tatsächlichen Verleihversion uncut war) für 150 Mark verkauft habe. Keine meiner nobleren Gesten…

Mitte der 90er wurde es etwas besser, es gab in verschiedenen Städten immer mehr “spezialisierte” Videotheken für uns Horrorfans. In München eröffnete mein entfernter Kumpel Blockinger eine Filiale von “Hard to get”. Leider ist München nicht Hamburg und ein paar Sperenzchen der Staatsanwaltschaft später musste Blockinger darauf verzichten, Horrorfilme zu verleihen. Der Laden stellte auf den Verkauf von seltenen Laser Discs um, die Blockinger bei weiten Reisen in ferne Ländern einkaufte und zum Teil für Mondpreise los schlug. Doch selbst diese magere Blütezeit währte nicht lang, denn mit dem Start der DVD brach der ohnehin elitäre Markt der Laser Discs dann vollständig weg. “Hard to get” machte bald die Schotten dicht.

Aber dann kam auch schon bald das Internet. Offiziell Scheiben shoppen war anfangs etwas begrenzt, Download von Videos stand gar nicht an. Aber in Newsgroups fanden sich immer Leute, die bereit waren, bei sich um die Ecke in Michigan die Videothek zu plündern und Kopien nach Deutschland zu schicken. Im Gegenzug gerne genommen: deutsche Pornos und Softsex-Kram wie “Bilitis” oder obskure Italo-Western, die man damals noch prima bei Kabel1 aufnehmen konnte.

Außerdem hatte man ab Mitte der 90er leichteren Zugriff auf Magazine wie den “Phantom Video Guide” und “Filmfax”, in denen diverse halblegale Videokopierer aus New York und Florida inserierten. Diese wiederum verschickten auf Anfrage Listen von locker 2000-3000 Filmen, die sie preiswert unter die Leute brachten. Der Urheberrechts-Begriff wurde in diesen Fällen extrem weit ausgelegt – wenn es den Film im eigenen Land nicht gibt und man die Quelle nicht kennt, kann man den natürlich verkaufen. Auf diese Weise bekam ich eine ganze Reihe von Hongkong-Krachern zu sehen, die augenscheinlich von (in Asien sehr populären) Laser Discs gezogen worden waren. Leider ohne Untertitel. Aber bei den meisten CAT III-Heulern war das Verständnis der Dialoge sowieso minder relevant…

Damit bin ich allerdings schon weit über das thematische Ziel hinaus geschossen. Ich wollte ja bei den 80ern bleiben. Wir spulen also ein wenig zurück…

Neue Deutsche Welle, Zauberwürfel, Edding

Irgendwann regte sich bei mir das Interesse, Filme nicht mehr nur passiv zu konsumieren. Es gab durchaus den Gedanken, selber welche zu drehen.

Freund Reiner hatte für 1,80 Mark auf einem Trödelmarkt eine Stummfilm-Super8-Kamera erstanden, mit der wir die erste Verfilmung von “John Sinclair” planten. Ebenfalls Feuer und Flamme: Markus Ludwig, später Mitglied der deutschen Metal-Kombo “Assassin”. Zombie-Makeups wollten wir erzeugen, in dem wir Hautfalten aus Uhu klebten und ein typischer Rellegerd-Ghoul war durch Überschütten des Kopfes mit Schauma-Shampoo prima zu simulieren. Solange es nicht anfing zu regnen…

Aber Filme drehen war dann doch nicht so meins, zumal man sehr viel an Leute gebunden war, die im entscheidenden Moment doch keine Zeit oder keinen Bock mehr hatten. Der Blick hinter die Kulissen großer Produktionen hingegen schien mir reizvoll. Es war ein kleines Büchlein, das mich erstmals für die Entstehung von Filmen, Stunts und Effekten begeisterte: “Ungeplante Abenteuer: Filmen ist nicht ungefährlich” von Blacky Fuchsberger (1972).

Es wurde mir klar und klarer: Ich war jemand, der nicht nur über Filme Bescheid wissen wollte, sondern über die ganze Industrie dahinter. Nur: Leichter gesagt als getan. War es schon schwer genug, bei den Filmen halbwegs auf dem Laufenden zu sein, so war es fast unmöglich, über den bloßen Konsumgenuss hinaus ein Experte zu werden.

Die deutschen Filmmagazine, was immer man davon zu greifen bekam, konnten selten mehr verkünden als den PR-Sprech der Verleiher. Da wurden hingerotzte 100.000 Dollar-Streifen zu Multimillionen-Epen hochgejazzt und wenn ein Vertrieb Fotos mit Titten hatte, bekam er dafür eine Doppelseite garantiert. Heute, wo man die nackten Tatsachen im Netz förmlich aufgedrängt bekommt, kann man sich kaum noch vorstellen, dass ein Oben Ohne-Bild von Nastassja Kinski allemal ein ausreichender Grund war, die “Cinema” zu kaufen. Oder ein Foto von Sibylle Rauch. Oder von Katja Bienert. Oder von Valerie Kaprisky. Oder von Sonja Martin. Oder von Sabrina Siani. Oder von Edwige Fenech.

Selbst wenn es in den USA hilfreiche Literatur zum Genre gab – wie sollte man an die ran kommen? Es gab ein paar Läden wie “Media Buch” und “Filmland”, die einen bis auf das letzte Hemd auszogen, wenn man ein paar uralte Ausgaben von “Famous Monsters of Filmland” ergattern wollte. Und da stand ja rein gar nichts zu den deutschen Filmen oder wenigstens den deutschen Fassungen ausländischer Filme drin.

Man war heilfroh, als in den 80er mit den Lexika von Heyne und Bastei zu den verschiedenen Genres (und der exzellenten Reihe von Roloff & Seeßlen) endlich etwas deutschsprachige Sekundärliteratur auf den Markt kam. Da hatte man so manchen Abend auf dem Klo was zu lesen – und zu staunen. Blättert man die Werke heute durch, freut man sich zwar immer noch über die Erwähnung einiger seltener osteuropäischer Perlen (“Der Autovampir“), wundert sich aber über die Unmengen an Fehlern, die im Zeitalter von IMDB und Wikipedia leicht zu korrigieren wären.

Überhaupt waren deutsche Bücher und Zeitschriften bis in die 90er notorisch fehlerhaft. Bei Nischengenres gleich doppelt. Das ist allerdings nicht ganz so skandalös und auf die Inkompetenz der Autoren zurück zu führen, wie man glauben möchte. Wollte man als Autor z.B. ein Buch über Horrorfilme schreiben, gab es keine kompetenten Nachschlagewerke, um mal eben Credits zu checken. Man hatte keinen Videorekorder, auf dem man 500 Filme abspulen konnte. Verpasste man eine der seltenen Ausstrahlungen z.B. bei “Der phantastische Film”, musste man eventuell drei bis fünf Jahre auf eine Wiederholung warten.

Alles in Handarbeit

Lief der Film, brauchte man einen zuverlässigen Kuli und eine fixe Handschrift, um Credits vom Bildschirm abzuschreiben. Manche Kollegen ließen Super8-Kameras mitlaufen oder fotografierten (analog!) den Nachspann auf dem Fernseher. Nur wenige konnten es sich leisten, auf internationale Standardwerke von McFarland zurück zu greifen oder gar auf die Informationen der Stiftung Deutsche Kinemathek. Recherche bedeutete damals nicht Google und Wikipedia, sondern Mappen mit fotokopierten Zeitungsausschnitten, Schnippseln aus Programmheften und sorgsam abgehefteten Programmspalten der “Hörzu”. Kein Wunder also, dass sich da viele Fehler einschleichen und weiter verbreiten konnten, die schwer auszumerzen waren.

Obwohl der tatsächliche Plan, selbst mal Sekundärliteratur zu schreiben, noch lange nicht ausgereift war: Ich blieb hartnäckig, investierte mein Geld in “Starlog” und “Cinefantastique”, leihte in den Stadtbüchereien jedes Filmbuch aus, dessen ich habhaft werden konnte, und merkte mir jedes noch so obskure Detail, um damit im Freundeskreis glänzen zu können. Auch hier machten die 90er vieles einfacher, öffneten viele neue Quellen. Mittlerweile ist es geradezu albern einfach, sich mit ein bisschen Zeit, Geld und einem Internetanschluss ein grundsolides Fundament an Fachwissen aufzubauen.

Man muss sich nicht einmal mehr dafür schämen.

P.S.: Full Disclosure, nachdem ich hier schon so viele Jugendsünden gebeichtet habe: Das “Lexikon des Horrorfilms” von Bastei (10 DM Neupreis) habe ich damals in der Schulbücherei wild klopfenden Herzens geklaut. Die linken Schnullis wussten das eh nicht zu würdigen.

P.P.S.: Das oben erwähnte Fuchsberger-Buch tauchte vor ein paar Jahren wieder auf und ich fand es immer noch so toll geschrieben und prägend, dass ich es mir von ihm habe signieren lassen:



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Scratch
17. Oktober, 2011 10:33

Vielen Dank für diesen Flashback. Greatartitsch!

CthIngo
CthIngo
17. Oktober, 2011 10:43

Ich erinnere mich noch ganz besonders an “Mumien, Monstren, Mutationen” – das NDR-Gruselkabinett 🙂
http://www.youtube.com/watch?v=aOHTqm4pWEA

Da gab’s die ganz guten Sachen, Jack Arnold und so.

CthIngo
CthIngo
17. Oktober, 2011 10:50

Den Zombie am Glockenseil habe ich mal in die Schule mitgenommen, haben wir dann im Deutschunterricht in zwei Sitzungen glaub ich geguckt – 5./6. Klasse!!1elf Aus heutiger Sicht wohl ziemlich progressiv (das war Mitte der 80er ungefähr).

Dann das Durchforsten der Kleinanzeigen der Videomagazine, bestellen von Listen gegen Rückporto, dann Bargeld im Umschlag an wildfremde Leute schicken (~25 DM pro Film!) und hoffen dass man die schlechten VHS-Kopien der indizierten und beschlagnahmten Reißer auch wirklich bekommt (wurde nur einmal beschissen, glaub ich).

Kann sich heute keiner mehr vorstellen der’s nicht erlebt hat 🙂

Howie Munson
Howie Munson
17. Oktober, 2011 10:59

“**tatsächlich Plan**” Ich kaufe ein “e”. (drittletzter Absatz erster satz, drittes Wort wie es so schön in Computerspielen der 80er und 90er hieß…)

Videothek der 80er und Früh-90er war schlimm, es war auch nicht auszuschließen, dass wenn man X-Teil1 und Y-Teil2 haben wollte, man am Ende mit X-Teil2 und Y-Teil1 da stand… *seufz*
(ok war ‘ne Kleinstadtvideothek…..)

XXX
XXX
17. Oktober, 2011 11:02

“Man musste mit dem Besitzer schon sehr “per du” sein, damit der seine Lizenz riskierte und einen doch die Boxen angrabbeln ließ. ”

Also ich hatte so einen. Naja, bis zu dem Moment, da er aufflog und, glaube ich, 10.000 DM Strafe abzudrücken hatte.

Die schlimmste Kopie, die ich je gesehen hab, war “New York Ripper”. Der war so oft kopiert worden, dass die Fassung, die ich zu sehen bekam, schon schwarzweiß war. Aber hey, besser als nix!

CthIngo
CthIngo
17. Oktober, 2011 11:04

Videotheken! Jaaa… Filme ab 16/18 wurden mit der Kundenkarte der Tante des Kumpels geliehen. Der Videorekorder gleich dazu (musste natürlich vorher reserviert werden). Man hatte zwar zu Hause einen, aber für’s Kopieren musste ein zweiter her… Zurückspulen nicht vergessen, sonst Strafgebühr! Jesses…

Die Jugend heute hat es so verdammt gut!

Teleprompter
Teleprompter
17. Oktober, 2011 11:22

Wenn Du damals die “Omen-Filme” auf dem ZDF gesehen hast, kannst Du nicht ernsthaft behaupten, einen Horror-Film gesehen zu haben; die hatten damals wirklich jede ansatzweise gruselige oder spannende Szene weiträumigst getilgt, das könnte man heute lockerst im Nachmittagsprogramm zeigen.

Aber schöner, nostalgischer Rückblick, der mich an eigene Erfahrungen denken lässt. Ich hatte damals immerhin schon zwei Videotheken halbwegs in der Nähe, die fremdsprachige uncut-Sachen führten, eine Diplomaten-Videothek in Bad Godesberg bei Bonn und die Traumathek in Köln, die gibt es ja erstaunlicherweise immer noch. Und weil ich nicht so auf O-Ton stand, wurde dann versucht, die partiell mit mit dem deutschen Ton nachzuvertonen (einer meiner Videorecorder konnte das), war schon mühsam.

Wortvogel
Wortvogel
17. Oktober, 2011 11:26

@ Teleprompter: Natürlich war viel geschnitten im TV damals. Das schreibe ich ja auch mehrfach. Es ändert aber nichts daran, dass man zumindest gute Grundkenntnisse der Genres mitbekam.

Traumathek war ich vor 20 Jahre auch noch öfter. In den frühen 90ern habe ich es dann häufiger zu Videodrom in Berlin geschafft.

Wortvogel
Wortvogel
17. Oktober, 2011 11:40

Hier ist übrigens eine ähnliche, wenn auch nicht so liebevoll bebilderte Erzählung eines Schicksalsgenossen:
http://www.gemeinschaftsforum.com/forum/index.php?topic=126699.35;wap2

Dr. Acula
17. Oktober, 2011 11:52

Hach, da erkenn’ ich vieles wieder – heimliches Kucken von “Dawn of the Dead” oder “Gesichter des Todes” (man musste ja mitreden), wenn die Eltern nicht da sind, nicht minder heimlich für die halbe Klasse Pornos kopieren (als Privilegierter mit zwei Videorekordern war man für solche Aktionen gern gebucht), später dann Videothekenorgien (in der Woche 30-40 Filme ausleihen und kopieren? Kein Problem. Die Dinger tatsächlich ansehen? Gaaaanz andere Baustelle). Hahn/Jensen als einzige greifbare Sekundärliteratur? Tragisch, aber unvermeidlich.

Die Jugend von heute hat’s viel zu einfach… Dieses Internetzdingens ist die Wurzel allen Übels… sollte man abschaffen…

reptile
reptile
17. Oktober, 2011 12:10

Toller Bericht, genau deswegen schaue ich hier immer wieder rein.
Und ja: Ich finde mich darin auch wieder. Die “Braindead” VHS wurde unter meinen Freunden wie ein Heiligtum rumgereicht. Natürlich auch alle Nightmare on Elm Street, Halloween und Freitag der 13 Filme

Ein absolutes Highlight war, als mein Onkel aus irgendeiner obskuren Quelle eine wirklich gute VHS Kopie von “Terminator 2” hatte. Der Film, den jeder sehen wollte- Kino ging nicht weil man noch nicht 16 war.

Das hat verbunden und es war eben noch etwas ganz besonderes, wenn man dann endlich einen begehrten Film sehen konnte, der eigentlich unereichbar schien. Heute ist alles zu jeder Zeit verfügbar.
Nichts besonderes mehr. Irgendwie Schade – der Spirit ist weg.

Da kommt man sich vor, wie ein analoger Mensch in einer digitalen Welt.

Der andere Karsten
Der andere Karsten
17. Oktober, 2011 12:24

Super Bericht.. ich bin ja Baujahr 78 und habe die 80er nur ansatzweise mitgestaltet, aber kann gut mitfühlen. Auch bei uns (um 1990 rum) wurde Braindead und “Gesichter des Todes” herumgereicht wie ein Heiligtum. 😀 Als ich älter wurde, fingen die Videotheken bereits an, zwischen “normal” und “FSK18” zu unterscheiden, so dass ich schon mit 16 reingehen konnte. Das war also schon nicht mehr so das Problem.

Peroy
Peroy
17. Oktober, 2011 13:21

“Meine Erinnerungen an diese Nächte sind arg löchrig, aber ich bin ziemlich sicher, Scott Spiegels beschissenen “Skinned alive” dort gesehen zu haben.”

Der hat da nur mitgespielt…

http://www.imdb.com/title/tt0098344/fullcredits#cast

Nikolai
Nikolai
17. Oktober, 2011 13:23

“Wer im Kino lieber “Tanz der Teufel 2″ statt des neusten Terence Hill & Bud Spencer-Films gucken wollte, gehörte in die Ecke mit den Metal-Freaks und den C64-Nerds.”

Ich fühle mich dreifach betroffen.

VideoRaider
17. Oktober, 2011 14:29

Sehr guter Artikel.

Die 80er, da war ich noch zu klein für, aber die 90er haben mich geprägt. Wenn es mir gestattet ist, meine Erfahrungen aus den 90ern:

Filmfans in den 90ern – Wir waren Hardcore.”
http://videoraiders.net/site/archives/filmfans-in-den-90ern-wir-waren-hardcore-2

Ja, es war schon merkwürdig und übel in Deutschland.

Wortvogel
Wortvogel
17. Oktober, 2011 14:45

@ Peroy: Deshalb sprach ich von “löchrig”…

@ Nikolai: Mehrfachnennungen sind möglich 😉

@ Videoraider: Super recherchierter Artikel, den ich allen meinen Lesern nur ans Herz legen kann!

VideoRaider
17. Oktober, 2011 15:22

@ Wortvogel: Danke! 🙂 Recherche war einfach, weil ich die 90er halt am intensivsten miterlebt habe. Eben die Zeit als Jugendlicher, in der man zum ertsen Mal mit den Filmen von Craven, Romero, Carpenter, etc in Berührung kam. Und den ganzen anderen Kram. Und da spielte die MovieStar eine immens wichtige Rolle – da die sich irgendwie über all Grenzen hinwegsetzten.

Nur so nebnebei, noch mal zwei weitere Artikel, die sich mit Zensur befassen – anhand der Bsp. TANZ DER TEUFEL und ZOMBIE…

Bei TANZ DER TEUFEL, dürfte diese Teil des Artikels recht interessant sein:
http://www.schnittberichte.com/artikel.php?ID=54#II

Hier ZOMBIE:
http://www.schnittberichte.com/artikel.php?ID=46

Susanne Fischer
17. Oktober, 2011 18:01

Meine Erinnerung gehen da in Richtung “Muttertag” “Omen” und “Kettensägenmassaker”. Auf einer Cordcouch und einem Wohnzimmer mit Flokatiteppich. Zu essen gab es Spaghetti mit Tomatensoße. Wie passend. 🙂

Marcus
Marcus
17. Oktober, 2011 19:59

“Die Jugend heute hat es so verdammt gut!”

Ich habe das dringliche Bedürfnis, einigen der hier Kommentierenden über die Straße zu helfen. 😈

Als Spätgeborener habe ich das kaum noch miterlebt. Nur an eine raubkopierte VHS von den beiden “Tanz der Teufel”-Streifen, von einem meiner zwielichtigeren Klassenkameraden, kann ich mich noch erinnern – der Ton war so im Arsch, dass ich die Lautstärke bis Anschlag aufdrehen musste, um unter dem dröhnenden Rauschen leise Dialoge vernehmen zu können.

Den Spiegel-Artikel kenne ich schon – ist ein Knaller. Falls Ihr es nicht wisst – die im Artikel genannte TV-Doku “Mama, Papa, Zombie” ist in 5 Teile zerhackt auf youtube verfügbar. Hier mal Teil 1, den Rest findet man dann in der Vorschlagsliste: http://www.youtube.com/watch?v=N34jjArTgqA

@VideoRaider: cooler Artikel. Schade, dass man die eingescannten Zeitschriftenartikel kaum lesen kann (einfach zu klein). Filmfans in den ’00ern -wir waren Weichkäse! 😉

heino
heino
17. Oktober, 2011 20:00

Mann, da hast du mich aber weit in die Kindheit zurückgeworfen. Ich kann bis ca. 1980 jeden deiner Punkte nachvollziehen, weil ich das auch alles so erlebt habe. Der phantastsiche Film, Das Omen, die Hammer-Filme, Tanz der Vampire etc. habe ich auch alles als Steppke im TV sehen können (kaum zu glauben, wie leichtfertig Eltern damals mit ihren Kindern umgingen *grins*). Allerdings habe ich mich dann durch Star Wars und Blade Runner in Richtung SF entwickelt – was ja ein ziemlich ähnliches Ghetto darstellte – und erst wieder mit Anschaffung unseres ersten Videorekorders (muss so 1985/86 gewesen sein) Kontakt mit Horrorfilmen bekommen, weil meine Mutter damals wirklich restlos alles, was in der Videothek rumstand, auslieh. Dadurch habe ich dann auch noch “New York Ripper” sehen können, bevor der verboten wurde. Aber den richtigen Dreh in Richtung Splatter bekam ich erst durch Freunde, die ich dann nach meinem Umzug nach Köln kennenlernte.
Ich kann mich auch noch gut an einen “Bericht” in der ARD über die schlimme Wirkung des Splatter-Films erinnern, der dadurch glänzte, dass er ausgerechnet all die Szenen zeigte, die die Jugendlichen eigentlich nicht hätten sehen sollen. Und das auch noch im Nachmittagsprogramm:-)

VideoRaider
17. Oktober, 2011 20:21

@ Marcus:

Ne, das ist das Flash-Plugin, das die auf die Bildschirmgröße zurechtstutzt – einfach Rechtsklick und im neuen Tab öffnen.

xanos
xanos
17. Oktober, 2011 21:15

“Kurzum: Ich wusste, dass es Sachen gab, die für mich nicht gut waren. Die wollte ich sehen.”

Leider wird dieser grundlegende menschliche Reflex immer noch von selbsternannten Autoritäten ignoriert.

Ich habe einen Freund, der hat die finnische Version von Hellraiser gekauft, weil die ein bisschen länger ist. Ein ganzer Raum voller (fast alles Original) Videos, auf den Regalen in die Tiefe gestapelt. Ich war kein Nerd, aber ich fühlte mich immer in ihrer Umgebung sehr wohl. 🙂

Lutz
Lutz
18. Oktober, 2011 11:41

Interessant, das so zu lesen. Ich bin ja gute 10 Jahre jünger und habe daher diese ganze Zeit mit “Der phantastische Film” und so weiter nicht so richtig mitbekommen, war auch nie ein richtiger Geek (vielleicht auch deshalb). Trotzdem, das Gefühl, nicht alles zu kriegen, was man so an Filmen gerne sehen will, kenne ich dennoch gut.

An die H.G. Francis Horror-Hörspiele erinnere ich mich trotzdem, die wurden nämlich in den späten 80ern als Hörspielkassetten wieder aufgelegt. Ich hab damals ganz schön Herzklopfen gehabt, als ich mir da meine ersten Kassetten mit der deutlich lesbaren Aufschrift “ab 12 Jahren” gekauft habe und selbst erst 9 oder 10 war. “Dracula” fand ich allerdings dann gar nicht so schlimm, wesentlich heftiger war für mich “Gräfin Dracula”. Die Kassette hab ich im Dunkeln nicht hören können ohne Panik zu kriegen. Marianne Kehlaus dunkles Grollen und Katharina Braurens Gewinsel als Opfer haben mir damals ganz schön zugesetzt, und das, obwohl ich damals schon merkte, dass die Kehlau auch die Stimme von Miss Piggy war.

CrazyEddie
18. Oktober, 2011 12:46

Ich bin ja nun auch leider ein wenig zu spät geboren um das ganze selbst mit zu erleben. Und dann auch noch im falschen Teil der Republik. Womit ich mich also eher im Artikel des Videoraider wieder erkenne. Aber auch des Wortvogels-Artikel weist interessante Parallelen auf, vor allem dass auch bei uns im Haushalt der erste Videorekorder erst mit dem Stiefvater kam, der dann solche Sachen wie “Aligator 2”, “Der weiße Hai” oder anderen diversen Horrorkram mitbrachte (durfte ich nicht gucken, aber wenn in den Ferien niemand zu Hause ist außer man selbst und der Bruder…). Und deshalb hab ichs dann auch nicht zugelassen, als die Bänder letztes Jahr weggeworfen werden sollten.

G
G
18. Oktober, 2011 14:43

Einer dieser “dunklen Kanäle”, die der Wortvogel (und auch der Videoraider) hier beschreiben, muss bei uns damals mitten durch den Mediamarkt geführt haben. Anders kann ich es mir nämlich nicht erklären, dass ich, als ich mir damals irgendeine Komödie (weiß schon gar nicht mehr welche) kaufen wollte, in der VHS-Schachtel eine anscheinend 100mal abgespielte Kassette mit Fulcis “Woodoo” darauf gefunden habe. Wobei ich mich echt bis heute frage, wie das passiert ist. Hat da am Ende jemand ernsthaft geglaubt, dass eine Nummer ala “Pass auf, in der dritten Schachtel von links befindet sich der von dir gesuchte Hardcore-Splatter! Ja genau, in der Box mit Chevy Chase auf dem Cover!” tatsächlich NICHT schiefgehen könnte? Damals gab es sowas wie diese “Österreich-Versionen” übrigens noch nicht, da durften wir uns groteils mit den deutschen geschnittenen Fassungen begnügen (was die Beschaffung ähnlich schwierig machte wie bei euch). Jedenfalls war das Erlebnis, völlig unvorbereitet meinen ersten italienischen Splatterfilm zu sehen, sehr….interessant. Von da an war es um mich geschehen (vor allem, weil ich mir kurz darauf Jacksons “Braindead” und Fulcis “Geisterstadt der Zombies” besorgte).

Peroy
Peroy
18. Oktober, 2011 15:05

“Einer dieser “dunklen Kanäle”, die der Wortvogel (und auch der Videoraider) hier beschreiben, muss bei uns damals mitten durch den Mediamarkt geführt haben. Anders kann ich es mir nämlich nicht erklären, dass ich, als ich mir damals irgendeine Komödie (weiß schon gar nicht mehr welche) kaufen wollte, in der VHS-Schachtel eine anscheinend 100mal abgespielte Kassette mit Fulcis “Woodoo” darauf gefunden habe. Wobei ich mich echt bis heute frage, wie das passiert ist. Hat da am Ende jemand ernsthaft geglaubt, dass eine Nummer ala “Pass auf, in der dritten Schachtel von links befindet sich der von dir gesuchte Hardcore-Splatter! Ja genau, in der Box mit Chevy Chase auf dem Cover!” ”

Kurios ! 😀

Pogopuschel
Pogopuschel
18. Oktober, 2011 15:12

Danke für diesen wunderbaren Artikel. Als Jahrgang 79 habe ich noch die zweite Hälfte der VHS-Phase mitbekommen. In unserem 2000 Seelendorf im Westerwald gab es zum Glück eine Videothek, die mir alles besorgt hat. Die Chefin war eine Freundin meiner Mutter und mein Vater erlaubte mir schon mit 10 Jahren, alles zu schauen. Also habe ich mit 12 Jahren schon Filme wie »Tanz der Teufel«, »Gesichter des Todes«, »Freitag der 13.« usw. gesehen. Damals war jeder Videothekenbesuch ein Abenteuer und ich fühlte mich wie Schliemann bei der Entdeckung Trojas.
In den 90ern haben wir dann in unserer Klasse immer Sammelbestellungen bei »Incredibly Strange Video« aufgegeben. Das lief in dieser Prä-Internetzeit noch mit Katalog und Bestellzettel. Damals galt die Indizierung von Filmen nur für die deutschsprachige Ausgabe, so dass wir legal die obskursten Sprachversionen aus Holland und anderen Ländern im Katalog bestellen konnten. Je ekliger und heftiger der Film war, desto besser. So landeten auch »Nekromantik« und »Ilsa – Wolf of the SS« in meinem Regal, ebenso wie die lange Fassung von »Braindead« mit der ungekürzten Rasenmäherszene und auch »Bad Taste«. Dazu kam noch ein Kopierschutzdecoder aus dem Conradkatalog, der für eine weitere Verbreitung dieser Filme sorgte.
Jetzt, wo man sich diese Filme alle mit ein paar Klicks runterladen oder bestellen kann, hat das Jagen und Sammeln seinen Reiz verloren. Ganz abgesehen davon, dass sich mein Filmgeschmack inzwischen verändert hat, und mir nicht mehr bei jedem splattrigen Scheiß der Sabber vom Kinn tropft.

CrazyEddie
18. Oktober, 2011 15:29

@G:
Hammer Story, wie sie nur das Leben schreiben kann. 😀

dirk
dirk
18. Oktober, 2011 16:29

Danke Wortvogel, da werden Erinnerungen wach…
Kaum zu glauben heute: “Omen”-Ausstrahlung im ZDF, total gekürzt; mein Deutschlehrer brachte die VHS mit in den Unterricht, führte sie uns vor (!), sagte dazu, dass er total gegen Zensur sei. Heute würde man ihn köpfen.

DMJ
DMJ
18. Oktober, 2011 19:03

Gaaaanz knapp habe ich das ja auch noch mitbekommen!
“Gruselzeug” hat mich ja schon immer interessiert, aber meine Jugend über war mir suggeriert worden, dass ich kein (Film)Blut sehen könnte, weswegen ich mich damit abgefunden hatte, die schwer zu bekommenden und eh verbotenen Genreklassiker eh nie sehen zu können.

Dann, ich war gerade siebzehn, also noch knapp unter dem Alter, wo es erlaubt war, war ich mit Kumpels beiderlei Geschlecht bei einer Freundin, bei der wir alle übernachteten und ihr kurz vorbeischauender großer Bruder ließ sein “From Dusk Till Dawn”-VHS da.
Von dem hatte ich schon gehört und wusste, was es mit ihm auf sich hatte und ich war enorm interessiert…andererseits glaubte ich ja, ihn nicht ertragen zu können (kein Scherz: im Kopf rechnete ich aus, wie schnell ich zum Bad käme, falls mir gleich schlecht würde)…aber hier war mir ja die Entscheidung abgenommen und in Gesellschaft konnte ich es wagen.

Tja…und da bekam ich kurz einen Hauch dessen, was der Wortvogel hier erzählt, denn es war tatsächlich ein x-mal überspieltes, aber ungeschnittenes Video, in dem teilweise die Farbe ausfiel und immer wieder Geflimmer am Rand war…und ich merkte auf einmal, dass mir der Film absolut gefiel und ich offenbar nun doch kein Problem mit Filmblut hatte. Und kaum hatte ich das erkannt, kam ja auch die DVD und allerlei unerreichbares wurde auf einmal möglich.

XXX
XXX
18. Oktober, 2011 21:05

Deine Eltern sind ja ganz schön perfide, DMJ, falls die dir das mit dem Filmblut eingeredet haben.

Peroy
Peroy
18. Oktober, 2011 21:14

Aber ‘ne gute Methode um die eigenen Kinder zu verstören und in die Neurosen zu treiben… muss ich mir merken…

Marcus
Marcus
18. Oktober, 2011 22:03

“Aber ‘ne gute Methode um die eigenen Kinder zu verstören und in die Neurosen zu treiben… muss ich mir merken…”

Du gedenkst dich fortzupflanzen? Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Nachricht ist…. 😉

DMJ
DMJ
19. Oktober, 2011 11:53

Ja, ich frage mich auch, wie genau das abgelaufen ist.
Man hat mich nicht irgendwie mit frühen Schockbildern traumatisiert oder so, sondern ich habe es einfach irgendwie geglaubt. Bei kleineren Blutmengen in “normalen” Filmen (ich erinnere mich, dass irgendeiner der “Winnetous” mit einer relativ blutigen Erschießung beginnt) war mir auch sofort unwohl, aber als es dann richtig zur Sache ging, gefiel es mir auf einmal. Rätselhaft, rätselhaft…

Holden
19. Oktober, 2011 18:06

Ich hatte das Glück, noch das Ende dieser Phase, kurz bevor das Internet und DVDs alles kaputt gemacht haben, mitzuerleben. Mein bester Freund und ich hatten Ende der 90er einen gut laufenden Raubkopiererring auf dem Schulhof, dank eines Kopierschutzknackers/Videostabilisators, den mir meine Tante damals für 169 DM gekauft hat. Der Renner war natürlich BRAINDEAD, kopiert vom Screen Power Tape, dass der Vater meines Kumpels aus der 18er Abteilung geliehen hatte.
Ja, das waren noch Zeiten. So oft es geht ein Wochenende im Keller verbringen, mit verschiedenen Videorekordern (und manchmal aus Jux mehreren Fernsehern gleichzeitig sowie einem Tischgrill zur Verpflegung) die neuesten Filme aus der Videothek anschauen und kopieren. Zugebeben, nicht nur Horror, sondern auch die neuesten Mainstreamkracher. Der zweitbeliebteste Verkaufsschlager bei uns war zumindest für ein paar Wochen MATRIX, den mir ein weiterer Freund in Top Qualität, auf Deutsch und mit einem mysteriösem Timecode in der Ecke, ca. 1 1/2 Monate vor Verleihstart in die Hand drückte.
Das war alles so geil damals. Die Möglichkeit, sich aufwändig importierte Filme, die hier noch gar nicht im Kino liefen, auf Video aus den USA zu bestellen oder sogar einfach in der großen Videothek im Nachbarort zu leihen. (CUBE! 1 Jahr bevor er nach Deutschland kam! Hammer!) Sogar meine Englischlehrerin wusste es zu schätzen, dass ich ihr (natürlich Schultaugliche) Filme in der Originalsprache besorgen konnte. (Ist leider nicht in meine Note eingeflossen.)
Aber dann kamen natürlich die DVDs, durch die plötzlich (fast) jeder Film im O-Ton erhältlich war. Ich hatte mir damals einen der ersten Diskountplayer, für 499€ bei Plus gekauft. Das Geld war eigentlich für meinen Führerschein gedacht. Das hat mir meine Mutter bis heute nicht verziehen, aber spätestens auf dem Sterbebett muss sie es ja wohl. Oder? 😉
Naja, und schließlich das Internet mit seinen Tauschbörsen. Richtig schlimm wurde es ja, als es nicht nur Flatrates, sondern auch noch DSL Flatrates gab und sich jeder gleich die neuesten Filme aus den USA ziehen konnte. Manchmal sogar schon Monate vor dem Kinostart auf Deutsch, sollte dieser immer wieder verschoben worden sein. (Stichwort: RAT RACE)
Ja, es war eine schöne Zeit, die ich aus vielen Gründen vermisse. Danke für diesen Artikel. Er beschreibt vielleicht nicht exakt die selben Erinnerungen, die ich habe, aber er ruft viele schöne hervor.

XXX
XXX
19. Oktober, 2011 18:15

“Wochen MATRIX, den mir ein weiterer Freund in Top Qualität, auf Deutsch und mit einem mysteriösem Timecode in der Ecke, ca. 1 1/2 Monate vor Verleihstart in die Hand drückte.”

Das war eine Pressekassette. Die hatten in vielen Fällen Timecodes im Bild (speziell bei den Majors, die kleineren Labels waren da etwas lockerer).

“kurz bevor das Internet und DVDs alles kaputt gemacht haben,”

hm.

“Ja, es war eine schöne Zeit, die ich aus vielen Gründen vermisse.”

vor allen den finanziellen Gründen wegen, was?

Peroy
Peroy
19. Oktober, 2011 19:26

““Ja, es war eine schöne Zeit, die ich aus vielen Gründen vermisse.”

vor allen den finanziellen Gründen wegen, was?”

Bazinga.

nur Holden
20. Oktober, 2011 15:50

Man sollte das mit dem “kaputt machen” nicht zu ernst nehmen (sooo viel Geld hab ich damals auch nicht verdient 😉 ), aber wenn schon danach gefragt wird: Die Wochenenden im Keller und das Stöbern in der Videothek nach Schulschluss, zusammen mit meinem Kumpel, das ständige “Angeben” mit meinem Wissen über neue und obskure Filme die keiner kannte und noch mehr in diesem Zusammenhang, gehörten einfach zu den besten Momente meiner Jugend.

Während meine Mitschüler sich am Wochenende die Kante gegeben haben, habe ich Filme gesammelt. (Auch wenn es in meinem letzten Post so klang, ich habe nicht nur raubkopiert. In meiner über 700 Filme umfassenden VHS Sammlung waren auch sehr viele TV Aufnahmen und Originale.) Und vor allem vermisse ich die Einfachheit dieser Zeit. Nach der Schule mit meinem besten Freund in die Videothek und Spaß haben! Fertig. Heute muss ich Rechnungen bezahlen, sehe meinen Freund kaum noch weil er jetzt Frau, Kind und Job hat und wenn wir heute Filme kopieren würden, würde das Technologiebedingt in 10 Minuten am Rechner geschehen, ohne sich die Filme während des Kopiervorgangs gemeinsam anzusehen. Aber die Zeit dafür hätten wir ja heute eh nicht mehr. Die paar Videonächte die wir in den letzten Jahren hatten, waren in seinem viel zu ordentlichem Wohnzimmer, wir sahen nur selten mehr als drei Filme am Stück und um 3 Uhr morgens, wenn seine Frau nach Hause kam, war schon Schluss.

Und so etwas wie “obskure Filme” gibt es ja auch nicht mehr. Ich gehöre jetzt nicht gerade zu der Hipsterfraktion, die Dinge plötzlich nicht mehr gut findet, wenn mehr als drei Leute davon wissen, aber in unserer Zeit, in der jeder kleine Festivalkracher schon Monate vor dem offiziellen Release auf tausenden Blogs gehypt wird, fehlt der vergnügliche Touch des Besonderen.

Sich Filme anzusehen macht mir immer noch so viel Spaß wie sie zu sammeln, nur viele der spaßigsten Aspekte sind unwiederbringlich verloren. Teils weil sich die Technologie, teils weil sich mein Leben weiterentwickelt hat. Nicht unbedingt nur zum schlechteren, aber naja…Nostalgie und so. :'(

TheHutt
TheHutt
26. Oktober, 2011 15:03

Also ich erinnere mich nur an den Anfang der 90er Jahre. Da es bis zu DVD noch eine Zeitlang dauerte, gab es ein paar Quellen, um an indizierte und/oder ungeschnittene Ware zu kommen, an die ich mich mit Nostalgie erinnere:
– Der in Köln frei zu empfangende belgische Sender BRTN (für die belgischen Streitlkräfte) strahlte jeden Freitag in der Nacht einen Film aus – in OV, mit flämischen Untertiteln zwar, aber — sonst hätte ich nie die Chance, “Halloween 2” uncut (!) im FreeTV zu sehen.
– Im WOM gab es bis Ende der 90er eine Abteilung für VHS-Importe aus UK. Zwar war das britische Zensursystem teilweise noch rigoroser, als das deutsche – aber Filme wie “Terminator”, “Total Recall” oder “Predator” standen dort trotz Indizierung offen herum. Zwar zu einem satten Preis, aber dafür uncut.

Fynn
20. März, 2012 19:02

Phantastisch geschrieben und rückblickend auch sehr verklärend auf eine schöne Art und Weise. Und es ist mir ja soooo sehr aus der Seele geschrieben / gesprochen ! Ich bin Baujahr ’57 und hab’ daher die komplette Entwicklung, – selbst vom Super 8 Zeitalter – mitbekommen. Ich beneide die Kids nicht. Klar, sie bekommen alles und meist auch sofort, haben nicht den Stress den wir hatten um einen Film zu sehen. Aber gerade das hat die Sache für mich auch so wertvoll gemacht. Und das wird kein Jugendlicher heute (verständlicherweise) nachvollziehen können. Die wollen ihren Film haben und gut ist. Die wollen keinem hinterherlaufen, das wär kompliziert und ja auch völlig überflüssig. Ich kenn’ die Zeiten auch noch gut, wo man großspurig an der Kinokasse stand und empört reagiert auf die Frage, ob man denn schon 18 sei, obwohl man eigentlich grade mal 15 war.

Cem
Cem
2. Oktober, 2012 08:53

Ein Artikel, der mich in einer sehr angenehmen Art und weise zurück gebracht hat.
Zurück in eine Zeit, die voll war von Neuem und Überaschenden.
Gerade der Mangel an Informationsflut machte alles viel spannender.
Die Dokumentation Splatter, deren Coverrückseite hier abgebildet ist, hatte ich mir damals, in jungen jahren (ich schätze mal ich war so 15-16) ausgeliehen und war begeistert.
Seit Jahren suche ich diese Dokumentation.
Wenn eine Möglichkeit gibt, diese zu ergattern,..Format egal (ausser Video 2000 und Betamax).
Vielen Dank für diese kleine Reise zurück in eine für mich unbeschwerte und wahnsinnig spannende Zeit.
Nostalgische Grüße
Cem

Cem
Cem
2. Oktober, 2012 08:59

Ein Artikel, der mich auf eine sehr angenehmen Art und Weise zurück gebracht hat.
Zurück in eine Zeit, die voll von neuem und überaschenden Eindrücken war.
Gerade der Mangel an Informationsflut ließ einen alles viel spannender erleben.
Die Dokumentation Splatter, deren Coverrückseite hier abgebildet ist, hatte ich mir ebenfalls damals, in jungen jahren (ich schätze mal ich war so 15-16) ausgeliehen und war begeistert (meine Eltern geschockt).
Seit Jahren suche ich diese Dokumentation.
Wenn es eine Möglichkeit geben sollte, diese zu ergattern,..Format egal (ausser Video 2000 und Betamax), es wär echt der Hammer.
Vielen Dank für diese kleine Reise zurück in eine für mich unbeschwerte und wahnsinnig spannende Zeit.
Nostalgische Grüße
Cem

Neverman
Neverman
31. März, 2013 11:31

Da muss ich aber mal eine Lanze für die junge Generation brechen. Jeder ist schließlich das Produktder Umstände und die Jungen können genauso wenig für ihre “einfache” technische Seite heute, wie die Oldies für ihre vertrackte damals. Die Dinge ändern sich nunmal, wer das pauschal verteufelt, beweist damit diesselbe Ignoranz wie die werten Spiegel-Redakteue, die für den im Artikel genannten Hetzbericht zuständig waren.

Der eigentliche Kern der Sache ist derselbe geblieben und wird es auch immer bleiben. Ich wünsche micht auch öfters mal in eine andere Zeit hinein, aber ich bin eben ein 90er-Blag, ein Nach-Wende-Kind. Und trotzdem teile ich viele Erinnerungen, die, wenn auch unter anderen Umständen geschehen, vom selben Geist sind und derselben Intensität und Relevanz. Nur waren meine ersten Horrorfilmerfahrungen (nach 2000) eben Camrips vom polnischen Schwarzmarkt, und gebrannte Scheiben mit nachträglich zusammengeflickten indizierten Filmen von Freundesfreunden. Der Suchrausch und der Nervenkitzel des Verbotenen war bei mir genauso stark vorhanden. Nur anstatt in Bruchbuden habe ich mich in nicht minder kaschmenartigen Foren rumgetrieben, in denen ein Userbild furchterregender und fantastischer war, als das andere und man mit magischen Gore-Effekten in Bildern zur Verheißung neuer und noch neuerer Kicks nur so zugeballert wurde. Diese Foren, die meine Videotheken waren und in die man sich genauso schuldbewusst und doch unabbändig getrieben reinschlich, waren meine Bezugs- und Lustquelle der Jugend. Videotheken hatten zu meiner Zeit ein sauberes Familien-Image, die Horrorfilme standen, wenn überhaupt, hinten bei den Pornos, an denen einen die Eltern immer mit zugehaltenen Augen vorbeiführten.
Mein Taschengeld ging für Rohlinge und Premium-Accounts drauf, um die blutige Datenflut runterzuladen und verewigen zu können. Noch heute stehen bereits verfärbte DVD-Spindeln bei mir rum, auf denen sich aberhunderte von “bösen” Filmen befinden, in gerade mal akzeptabler Qualität, uncut und im O-Ton, so eng auf Scheibe gepresst, damit ja kein Byte vergeudet wird. Der Hunger ist derselbe, wie bei euch damals, nur das Medium ist ein anderes. Ich kann genausoviel mit den Begriffen anfangen wie ihr, diese Subkultur wurde nicht nur am Leben gehalten, sondern weitergeführt. Nur kommen eben neue Begriffe dazu, wie Camrip, Line dubbed, Stream, Rapidshare, etc.
Für mich sind diese Erinnerungen genauso glorreich und schön wie eure und ich glaube sogar, eigentlich gar nicht so viel verpasst zu haben. Ich besitze nichtsdestotrotz Videokasetten vom Trödel, alte Magazine und Fanartikel. Die Kultur lebt und die prestigeträchtigen Schätze gibt es nachwievor.

Hier sprechen einige davon, dass es für nachkommende Generationen einfacher sei, dieses Hobby zu betreiben. Doch vergessen wird das Ohnmachtsgefühl, das mit einem derlei offenen und großen Markt verbunden ist. Zusätzlich dazu bleibt der Filmmarkt auch nicht einfach stehen, sondern vergrößert sich permanent. Heute stehen junge Horror-Geeks vor einem größeren Dilemma als je zuvor. Es ist die eine Sache, einen überschaubaren, wenn auch im Dunkeln gelassenen Markt zu erforschen. Eine andere Sache ist es jedoch wegen der offenen Kanäle mit der ganzen kulturellen, politischen und historischen Bandbreite der Horrorfilme konfrontiert zu werden, ohne die Möglichkeit zu besitzen, diese Informationen alle abzuspeichern und zu verarbeiten. Da wird man mit einer Lebensaufgabe konfrontiert und die eigentliche Frage da lautet: Wo anfangen? Insbesondere die Entwicklung des Horrorfilms über die Jahrzehnte ist alleine schon ein gewaltiges Feld und wird heute von vielen Labels thematisch aber nur bruchstückhaft aufgegriffen. Der aktuelle Horrorfilm ist da noch gar nicht inbegriffen.
Ich schätze, Sorgen machen muss sich keiner von uns. Zukünftige Geeks werden sich ganz zweifellos auch weiterhin mit dem “unterschlagenen Film” beschäftigen und alte und neue Filme auf alten und neuen Medien genießen.

Sir Bolognez
Sir Bolognez
1. April, 2013 04:36

Ich bin zwar baujahr 87 aber ich kann mich da gut hineinversetzen…

Meine Eltern waren sehr tolerant und so durfte ich schon mit 8 jahren
„Alien“ gucken…aber nur bis zur berüchtigten Esstischszene:P
Und das auch nur nach aggressivem Gequengle, denn ich hatte in der
tv movie dieses bild vom space jockey gesehen und es hat mich einfach nicht mehr los gelassen. ^____^

Später durfte ich mir ab und an mal vom kiosk eine Filmzeitschrift aussuchen. Im mittelteil (der moviestar) war dann ein kleiner Katalog mit fingernagelgroßen Abbildungen der cover.
All die italo-shocker… wieder hats mich gepackt…

doch beim betrachten der preise (99 DM-199 DM) und dem kopfschütteln meiner Elten (*g*) wurde ich irgendwie traurig…
Es hört sich vielleicht sehr albern an, aber:
Ich kann mich noch erinnern wie ich mal im Schulbus saß mit der angst zu früh zu Sterben – weil dann würde ich all diese Filme verpassen…
(…ja, vielleicht hab ich ein trauma durch alien erlitten Ä_Ä)

Und so hab ich auch oft diese Momente wo ich genau denselben
Gedankengang hab: „Was ist das nur für ein Luxus…“
Allein wenn man sich ansieht wie youtube immer mehr zu einem
Monströsen Filmarchiv heranwuchert…174 Troma filme >:]

Es geht natürlich auch was verloren, die fremden Welten waren
Damals durch diese Unerreichbarkeit wirklich „fremd“ bzw. exotisch.
Da nur wenige von diesen filmen wussten wurde das noch stärker.
Beim lesen des artikels wird mir wieder mal klar das es für die ältere
Generation wohl noch intensiver gewesen sein muss.

Aber: die eben angesprochene Reizüberflutung ist auch ein guter punkt.
Was damals zu wenig war, ist heute schon beinahe zu viel.
Tausende filme…da schließt sich dann bei mir der kreis:
Reicht ein Menschenleben aus um DAS alles zu sehen? Ä_Ä

Denn abseits der großen Klassiker gibt es ja auch durchwachsene
Filme in denen sich aber manchmal fantastisches tummelt.

Ich denke in letzter zeit auch öfters daran das es irgendwie eine neue
Art des Filmlexikons braucht. Vielleicht eine art Bildatlas mit flexibler
Strukturierung an der grenze zur infografik – zumindest beim phantastischem film.
Ich lese zwar auch gerne gut geschriebene artikel und filmbücher.
Aber wenn man sich einen überblick verschaffen will…
bilder sind da viel unmittelbarer – aber vielleicht gibt es sowas ja schon Ö_ö°

Wortvogel
Wortvogel
1. April, 2013 11:19

@ Neverman & Sir Bolognez: Danke für die Einsichten. Natürlich glaube ich, dass jede Generation eigene, prägende Erfahrungen macht, die nicht weniger valide sind als die eigenen. Es sind nur ANDERE. Und wie richtig ausgeführt wurde: heute ist eher das Überangebot das Problem. An embarrassment of riches, wie man so sagt. Man ist als Horrorfan auch nicht mehr so allein – heute kann man sich Foren mit genau der “Härte” suchen, die man selber mitbringt. Wenn ich bedenke, mit was für einem Gesocks ich früher mangels Alternativen zusammen gehockt habe…

Exverlobter
Exverlobter
1. April, 2013 13:02

“Wenn ich bedenke, mit was für einem Gesocks ich früher mangels Alternativen zusammen gehockt habe…”

Perverslinge? Punks? Drogenabhängige? Sadisten?

Wortvogel
Wortvogel
1. April, 2013 13:11

@ Exverlobter: Steht im Text.

Exverlobter
Exverlobter
1. April, 2013 15:09

“Die mit 15 Dosenbier tranken, rauchten und bestenfalls das Backcover einer Videohülle lesen konnten.”

Genau, der Abschaum der Menschheit.

Apropos Horror.
Der AngryVideoGameNerd hat gerade ein Horror-Kurzfilm hochgeladen. Vom tuntigen Anfang nicht abschrecken lassen, die Handlung nimmt eine blutige Wendung.

http://www.youtube.com/watch?v=gzWtnyhdn_4

Peroy
Peroy
1. April, 2013 16:02

“Die mit 15 Dosenbier tranken, rauchten und bestenfalls das Backcover einer Videohülle lesen konnten.”

Auch nicht schlimmer als der Abschaum, mit dem du dich hier abgibst…

Howie Munson
Howie Munson
1. April, 2013 16:08

Dosenbier war schon immer schlimm… Bier kauft man kistenweise. *duck*

Exverlobter
Exverlobter
1. April, 2013 16:13

“Dosenbier war schon immer schlimm… Bier kauft man kistenweise”

Dosenbier begünstigt wenigstens nicht das Rauchen, da man kein Feuerzeug zum Öffnen braucht.

Marcus
Marcus
1. April, 2013 16:51

@Ex:

“Dosenbier begünstigt wenigstens nicht das Rauchen, da man kein Feuerzeug zum Öffnen braucht.”

Wir hielten dich ja schon immer für ein bisschen weltfremd, aber dass es so schlimm ist… 😉

http://de.wikipedia.org/wiki/Flaschen%C3%B6ffner

Exverlobter
Exverlobter
1. April, 2013 17:14

“Wir hielten dich ja schon immer für ein bisschen weltfremd,”

Ich weiß schon was ein Flaschenöffner ist, aber den hat erfahrungsgemäß nie einer zur Hand wenn man ihn braucht. Das Feuerzeug hingegen schon.

Peroy
Peroy
1. April, 2013 17:48

Ein echter Mann kriegt ‘ne Bierflasche mit ALLEM auf… Tischkanten, Türklinken, Baseball Käppies, Tacker, CD Hüllen, eine andere Bierflasche, ein Blatt Papier…

Exverlobter
Exverlobter
1. April, 2013 17:56

“Ein echter Mann kriegt ‘ne Bierflasche mit ALLEM auf… Tischkanten, Türklinken, Baseball Käppies, Tacker, CD Hüllen, eine andere Bierflasche, ein Blatt Papier…”

Tja, dann bin ich trotz abgeleistetem Wehrdienst nach deiner Definition kein richtiger Mann. Ich krieg die Flachen nämlich so nicht auf.

Peroy
Peroy
1. April, 2013 18:03

“Tja, dann bin ich trotz abgeleistetem Wehrdienst nach deiner Definition kein richtiger Mann. Ich krieg die Flachen nämlich so nicht auf.”

Dann übe…

http://www.youtube.com/watch?v=6i7LZsCo9yk

Howie Munson
Howie Munson
1. April, 2013 20:34

Dosenbier begünstigt wenigstens nicht das Rauchen, da man kein Feuerzeug zum Öffnen braucht.

In jeder Kiste bier gibt es das sogenannte “Öffnerbier”.
und mit dem ist das kein Stück schwieriger als mit einen dicken Feuerzeug, wenn man es denn ernsthaft probiert hat.
Falls es doch “viel schwieriger” ist, ruinierst du dir regelmässig die Feuerzeuge, weil du durch abrutschen tiefe Kerben hinterläßt.

Vorteil gegenüber öffnen mit Flaschenöffner: Der Deckel verbiegt sich nicht und kann wieder aufgesetzt werden. Ist dann zwar nicht mehr ganz dicht, aber die Verluste werden minimiert, falls sie umfällt und leere Flaschen werden so wieder zu einen Öffnerbier….(…jetzt muss ich das zweite auch trinken… *g*)

Unsichere “Flaschenkinder” nehmen halt die Kiste als “Abschlagkante”. Hinterläßt aber oft oben erwähnte Kerben.

http://stuff.twoday.net/stories/109555/

Howie Munson
Howie Munson
1. April, 2013 20:44

Nachtrag: oder üb’ halt mit Plastikflaschen:

hmm…. Tante Edith hatte es doch beim ersten Mal verstanden…

Exverlobter
Exverlobter
1. April, 2013 21:30

Im Idealfall hat man eine Zapfanlage.

Ookami
Ookami
11. September, 2016 10:29

“Lief der Film, brauchte man einen zuverlässigen Kuli und eine fixe Handschrift, um Credits vom Bildschirm abzuschreiben. Manche Kollegen ließen Super8-Kameras mitlaufen oder fotografierten (analog!) den Nachspann auf dem Fernseher. Nur wenige konnten es sich leisten, auf internationale Standardwerke von McFarland zurück zu greifen oder gar auf die Informationen der Stiftung Deutsche Kinemathek. Recherche bedeutete damals nicht Google und Wikipedia, sondern Mappen mit fotokopierten Zeitungsausschnitten, Schnippseln aus Programmheften und sorgsam abgehefteten Programmspalten der “Hörzu”.”

Vielen Dank für diese interessante nostalgische Reise in die Vergangenheit, die ich heute erst in deinem wunderbaren Blog entdecken durfte, das ich seit ein, zwei Jahren regelmäßig lese.

Als in der DDR aufgewachsener Filmfan ging es mir ähnlich, wie im o. a. Zitat.
Ich habe beim TV-Konsum immer einen Stapel A6-Karteikarten neben mir liegen gehabt und im Lauf der Zeit gelernt, sehr flink die wichtigsten Credits mitzuschreiben.

Im Februar 1990 unternahm ich dann meinen ersten Trip “in den Westen”. Natürlich zur Berlinale, auf der ich das Vergnügen hatte, Pedro Almodovars “Fessle mich!” zu sehen und einen “neuen” Regisseur für mich zu entdecken, dessen Werk mich bis heute begleitet.
Nach dem Film kamen er, Victoria Abril und Antonio Banderas auf die Bühne und ich erinnere mich noch deutlich, wie klein VA war, als sie an meinem Sitzplatz im Gang vorbei ging. 😉

Am nächsten Tag besuchte ich in einem kleinen Off-Kino dann eine Vorstellung von Peter Greenaways “Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber”, die mich auch noch zum Greenaway-Fan machte.
Und dann kam der Schlag, der mich ratlos zurückließ, ob ich lachen oder weinen sollte.
Im Regal einer Buchhandlung am Nollendorfplatz stand ich plötzlich vor dem RoRoRo “Internationalen Filmlexikon” in 10 Bänden, mit Credits, Credits, Credits.
Meine mehrjährige Mitschreiberei war quasi für die Katz’ gewesen.
Für – ich glaube – stolze 120 DM wechselte die Reihe ihren Besitzer und ich habe sie, um die jeweils erschienenen Ergänzungsbände erweitert noch bis 1998 weitergesammelt, bis das Internet sie quasi obsolet machte.

Anyway – nochmals vielen Dank für diesen nostalgischen Trip zum Sontagvormittag und viel Glück mit weiteren Projekten, sowie hoffentlich irgendwann weiteren Artikeln.

Wortvogel
Wortvogel
11. September, 2016 17:37

@ Ookami: Das Lexikon des Internationalen Films stand bei mir auch bis nach dem Jahrtausendwechsel im Regel. Genau genommen ist auch die Internet-Version immer noch wichtig, weil die viele obskure internationale Veröffentlichungen listet, über die sonst wenig zu finden ist. Danke für das Lob!